börsenfieber bei it-firmen

Arbeiten für den Aktienindex

20.10.1999
Das Börsenfieber hat die IT-Branche erfaßt. Neben Zusatzkapital für das angepeilte Wachstum erhofft sich das Management positive Effekte für die Mitarbeiterbindung. Aktienoptionen sollen die Experten bei der Stange halten. Die aber betrachten das eher als Zubrot.

ein ende des nachwuchsmangels in der Informations- und Telekommunikationsbranche ist nicht abzusehen. Unternehmen, die im weltweiten Wettbewerb um hochgehandelte IT-Profis mithalten wollen, müssen sich etwas Besseres einfallen lassen als nur ein üppiges Gehalt. Zusatzanreize sind gefragt. Neben flexiblen Arbeitszeiten, größeren Freiräumen für die Selbstverwirklichung oder ausgefeilten Weiterbildungsprogrammen stehen Aktienoptionen hoch im Kurs. "Börsenorientierte Unternehmen genießen international ein ganz anderes Standing und sind deshalb für Mitarbeiter interessanter. In den USA ist die Frage nach Aktienoptionen schon längst fester Bestandteil von Gehaltsverhandlungen," skizziert Claus Müller, Vorstandsvorsitzender der Hamburger Softwarefirma Netlife AG.

Die Strategie stößt bei den Mitarbeitern auf vorwiegend positive Resonanz: "Die Aktien sind für mich eine Art Goody und sehr attraktiv, weil ich dadurch die Möglichkeit habe, am Erfolg des Unternehmens teilzuhaben", beschreibt Frank Schepp seine ersten Reaktionen. Der 33jährige Betriebswirt arbeitet als Geschäftsbereichsleiter bei der Prodacta AG. Der Ettlinger IT-Dienstleister ging Anfang Juni an die Börse. Schepp und ein Teil der insgesamt 270 Mitarbeiter starken Belegschaft erhielten auf Beschluß des Aufsichtsrates vor einigen Wochen Stock-Options. Anlaß war "das positive Geschäftsjahr 1998". Wieviele Optioneneinem Mitarbeiter zugestanden werden, "hängt von seiner Rolle im Unternehmen und von seinem Beitrag zum Gesamterfolg ab," stellt Prodacta-Vorstandschef und Gründer Herbert Uhl klar. Das sieht Schepp, seit drei Jahren dabei, ähnlich: "Als Geschäftsbereichsleiter kann ich maßgeblich zum Erfolg des Unternehmens am Markt

beitragen und durch die Aktienoptionen auch davon profitieren."

Daß die Aktienoptionen die Motivation und Identifikation der Mitarbeiter erheblich steigern, das sieht der Betriebswirt nur bedingt. "Unsere Mannschaft ist ohnehin sehr hoch motiviert." Die positiven Auswirkungen sieht er eher darin, daß alle Mitarbeiter jetzt noch stärker unternehmerisch denken, weil sie wissen: Die Summe ihrer Entscheidungen und Aktionen beeinflußt das gesamte Ergebnis der Firma und wirkt sich damit auf den Börsenkurs aus. "Das Stock-Options-Modell gibt dem unternehmerischen Denken und Handeln einen kleinen Schubs nach vorn," glaubt auch Prodacta-Chef Uhl.

Aktienoptionen sind keine Garantie für Firmenloyalität

Als Allheilmittel gegen Abwerbung allein wirken Aktienbeteiligungen jedoch nicht. Ein gutes Betriebsklima und interessante Aufgaben sind ebenfalls gewichtige Argumente, wenn es darum geht, dem Unternehmen die Treue zu halten, meint Schepp. Eine Einstellung, die laut dem Kölner Unternehmensberater Dirk Röhricht, Geschäftsführer der Carrots GmbH, häufiger anzutreffen ist. Röhricht, der Firmen beim geplanten Börsengang berät, schätzt die Wirkung von Stock-Options eher nüchtern ein: "Dem normalen Mitarbeiter ist es wichtig, daß am Ende des Monats sein Geld auf dem Konto ist - und nicht erst in ein paar Jahren, wenn er Glück hat. Die vielbeschworene Loyalität wird dadurch höchst selten erreicht", behauptet er. Loyalität könne besser mit sehr ausgefeilten Bonussystemen erreicht werden. Für die Bindung hochrangiger Mitarbeiter und Vorstände seien Stock-Options sinnvoll, weil diese Manager bei günstiger Kursentwicklung

Gewinne in sechs- und siebenstelliger Höhe einstreichen könnten. Für den Projektleiter eines IT-Unternehmes fällt indes nicht viel ab, die Aktenoption ist höchstens ein Zubrot. "Das Zünglein an der Waage sind die Aufgaben, an denen die Mitarbeiter wachsen können, und die Kollegen, mit denen sie diese umsetzen können.Wenn ein hochmotivierter Mitarbeiter die Chance erhält, etwas völlig Neues aufzubauen, dann hat ein Headhunter keine Chance," lautet Röhrichts Fazit.

Diese Einstellung teilt der Informatiker Daniel Florey, Projektleiter beim Börsenneuling Netlife. Für ihn sind Stock-Options nur ein zusätzlicher Anreiz, um sich stärker für die Projekte ins Zeug zu legen. Auch die Netlife AG, mit Stammsitz in Hamburg und Niederlassungen in New York und Hongkong, hat den Sprung an die Börse und damit an die großen Kapitalmärkte der Welt in der ersten Hälfte dieses Jahres gewagt und nutzt ihn ebenfalls als Instrument zur Mitarbeiterbindung: Jedem der derzeit 160 Mitarbeiter gewährt der Spezialist für E-Commerce-Lösungen für den Finanzmarkt die Option auf Aktienanteile. Damit will Netlife-Vorstand Claus Müller nicht nur seine Mannschaft zusammenhalten, sondern auch "das Unternehmertum im Unternehmen" fördern. In einem ersten Schritt erfolgte die Verteilung der Optionen je nach Position: Niederlassungsleiter, Vorstand und Direktoren erhielten 2000, Senior-Professionals und Projektleiter 1500 und die

restlichen Mitarbeiter jeweils 1000 Optionen. Darüber hinaus bekommen Mitarbeiter jetzt quartalsweise weitere Aktienoptionen, allerdings nur, wenn sie die vereinbarten Ziele auch tatsächlich erreicht haben.

Der Einfluß des einzelnen Mitarbeiters wird kleiner

Die Optionen können frühestens nach zwei Jahren und dann auch nur in gestaffelter Form ausgeübt werden. Scheidet ein Mitarbeiter vorzeitig aus, verliert er die verbleibenden Optionen. Dadurch soll die branchenübliche Fluktuation gestoppt, die Loyalität der Mitarbeiter gestärkt werden. Nach den Erfahrungen von Florey trifft das jedoch nur bedingt zu: "Das Aktienmodell hat eher eine Loyalität zur Firma insgesamt zur Folge, wirkt sich aber weniger auf die direkte Motivation innerhalb eines Projektes aus." Diese könnte wesentlich wirkungsvoller durch eine direkte Beteiligung der Mitarbeiter am Projekterfolg gesteigert werden, glaubt Florey. Positive Effekte sieht er indes für das Zusammengehörigkeitsgefühl: "In gewisser Weise haben alle Mitarbeiter das Gefühl, im gleichen Boot zu sitzen." Sollte sich der Aktienkurs mal negativ entwickeln, dann gelte: "Geteiltes Leid ist halbes Leid."

Der frischgebackene Aktienbesitzer ist sich sicher, daß sich die Börsennotierung und die dadurch bedingten Fremdeinflüsse auf die Struktur des Unternehmens auswirken: "Man merkt schon, daß durch den Börsengang der Einfluß des Einzelnen schwindet und Hierarchien stärker eingezogen werden. Man muß abwarten, wie das die Firma auffangen wird." Gerade deshalb ist für Florey der Zusammenhalt in den Projektteams so wichtig: "Die Teamarbeit fängt den Einzelnen ab, gibt ihm das Gefühl, nicht überflüssig zu sein."

Trotz der Aussicht, in ein paar Jahren ein kleines Vermögen auf der hohen Kante zu haben, halten den 28jährigen Informatiker, der 1996 kurz nach der Firmengründung bei Netlife eingestiegen ist, in erster Linie das kollegiale Arbeitsklima und die Inhalte: "Netlife bietet mir die Chance, eine Projektidee, die ich schon lange mit mir herumtrage, zu verwirklichen." Konkret heißt das: Das Software-Unternehmen gibt ihm Starthilfe bei der Weiterentwicklung und Vermarktungsstrategie - und auch die nötige Anschubfinanzierung für ein Spin-off, das zum Jahresende seine Geschäfte aufnehmen soll. Der Jungunternehmer wird dann Anteile an dieser Tochtergesellschaft erhalten, deren Mehrheitsanteile bei der Hamburger Netlife AG verbleiben; der Börsengang und die somit erworbene Kapitalstärke machen es möglich.

*Veronika Renkes ist freie Journalistin in Bonn.