Großer Bedarf an Umschulung für das Management

Amerikanische Trends bei der flexiblen Entscheidungsfindung

30.08.1991

Zur Zeit ändert sich im US-Top-Management einiges an der Art und Weise der Entscheidungsfindung. Das stark vom Wettbewerb geprägte Umfeld der "globalen" Firmen von heute erfordert bessere Anpassungsfähigkeit, schnellere Reaktionen und stärkere Aufgabenstellung bei der Entscheidungsfindung.

Es ist noch gar nicht so lange her, daß "Entscheidungsfindung" Gegenstand des akademischen Interesses war. Angeregt durch die Pioniertaten der Harvard Business School und anderer, kam eine Welle von Graduierten in die Wirtschaft, um dort die neuen Theorien und Methoden anzuwenden. Die Ergebnisse waren erwartungsgemäß sehr gemischt. Viele vernünftige Theorien wurden eher in äußerst trendgerechte Posen als in ernst zu nehmende Arbeit umgemünzt. Wenn man diesen Vorgang mit etwas Abstand betrachtet, hat es den Anschein, daß es in der Sturm- und Drangzeit der 80er Jahre den Absolventen der Business Schools besser ging als den von ihnen beratenen Firmen. Wie gewöhnlich führten praktisches Über- und Weiterdenken in der Zeit des verschärften Wettbewerbs zu einigen pragmatischen Korrekturen. Das Hauptaugenmerk wird nun auf die Verbreitung flexibler und pragmatischer Strategien innerhalb des Unternehmens gelegt. Außerdem wurde das Wachstum der Logistik nicht nur für die Optimierung von Einkauf und Vertrieb, sondern für das Gesamtunternehmen einschließlich der Produktion wichtig.

Der Schlüssel zum neuen Verständnis ist die Abkehr von den schwerfälligen 5-Jahres-Plänen und die Hinwendung zu einer flexiblen Planungsweise der Unternehmen. In einer effizienten Unternehmensleitung sollte sich jeder mit Planung und Logistik beschäftigen.

Für einen Rückblick auf die Geschehnisse und deren Gründe ist es nützlich, mit einigen Definitionen zu beginnen. Diese Definitionen müssen nicht unbedingt in einem Wörterbuch zu finden sein, sie sollten jedoch die wichtigsten Regeln für das Management-Team klar umreißen.

Strategie: Entwicklung und Umsetzung von Plänen zur Verwirklichung möglichst vorteilhafter Bedingungen für das Unternehmen bei ständiger Abschätzung der hierzu nötigen Kompromisse.

Strategie bedeutet die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten - es geht nicht um "alles oder nichts" beziehungsweise um "gewinnen oder verlieren". Die Strategie muß dem Management realistische Antworten auf sich verändernde Situationen ermöglichen, die sich nicht in der qualvollen Suche des Analytikers nach dem kleinsten Übel erschöpfen.

Analyse: Sie ist ein nützliches und notwendiges Werkzeug für das Management. Laut unserer Definition sollte es die folgenden Funktionen erfüllen: "Identifikation und Klärung von Annahmen und Umgebungsstrukturen, Strukturierung von Informationen und die Erfassung logischer Beziehungen zwischen Input und Output."

Analyse sollte die Logik für gute Entscheidungen liefern. Entscheidungsfindung impliziert immer eine Wahl; also sollten geeignete realistische Alternativen ermittelt werden - dazu gehört auch die Möglichkeit, nichts zu tun, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Jede Alternative sollte sorgfältig und engagiert optimiert werden, auch wenn sie dem Analytiker als Lösung nicht gefällt. Alternativen sollten nicht als Negativbeispiele benutzt werden, um das eigene Lieblingsprojekt zu unterstützen. Analyse zur Rechtfertigung vorgefaßter Ideen führt nicht zu konstruktiven Lösungen.

Entscheidung: Vom Standpunkt des Unternehmens ist eine Entscheidung eine Zuweisung von größeren Ressourcen zu einer Vorgehensweise - dabei können die Ressourcen sowohl finanzieller als auch menschlicher Art sein.

Logisch konsistente Entscheidungen verlangt

Erinnern wir uns, daß gute Entscheidungen leider nicht immer wünschenswerte Ergebnisse zeitigen. Alles, was wir verlangen können, ist, daß die Entscheidungen gemäß den zur Verfügung stehenden Informationen logisch konsistent sind, Raum für akzeptable persönliche Vorlieben lassen und auf einer qualitativ hochwertigen Analyse basieren.

Unsicherheit: Sie ist ein weiterer Aspekt, der bei jedem Input, jeder sogenannten "Tatsache", bedacht werden muß, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Wir müssen sie erkennen und versuchen, sie abzuschätzen. Auf das Prozent genaue Wahrscheinlichkeitswerte und hohe Mathematik sind nicht notwendig, aber eine Übersicht der verschiedenen Wahrscheinlichkeiten ist äußerst nützlich. Unsicherheit kann und sollte in Betracht gezogen werden, und Wahrscheinlichkeit ist die Sprache der Unsicherheit.

Angesichts der immer vorhandenen Unsicherheiten gibt es immer das Risiko unerwarteter Ergebnisse. Sowohl Risiken als auch der mögliche Nutzen sollten abgeschätzt werden. Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts erwünschter Resultate sollte genau wie die Größe wahrscheinlicher Abweichungen sehr realistisch dargestellt werden.

Meines Erachtens gab es historisch betrachtet vier Methoden der Entscheidungsfindung:

1. Nach spontanen Eingebungen und dem Instinkt der Anführer, auf der Grundlage von Gefühl, Intuition und Erfahrung.

2. Nach Analyse eines Vorschlags, auf der Grundlage von vernünftigen und wahrscheinlichen Informationen - dies ist das schulmäßige und zugleich in der Praxis gefährlichste System.

3. Nach Analyse verschiedener Vorgehensweisen vor dem Hintergrund feststehender Annahmen bei variablem Input; in diesem Fall wählen Sie die beste aus, doch wie entscheiden Sie, welche die beste ist?

4. Nach oben erläuterter Analyse, aber mit zusätzlicher Gewichtung von Risiken und Nutzen für jede Alternative und abhängig von der Risikotoleranz.

Ich schätze, daß die vierte Methode die aktuelle Vorgehensweise widerspiegelt. Ich möchte jedoch behaupten, daß das aufgeschlossene Management noch eine fünfte Methode verwendet:

5. Eine Kombination, bei der nach Methode 1 die Auswirkungen von Methode 4 überprüft werden.

Es ist aufschlußreich, was die Instinkte aufgeweckter Spitzen-Manager aus sorgfältig konstruierten Analysen machen können. Wenn die Ergebnisse nicht wunschgemäß ausfallen, müssen alle Schritte der Analyse noch einmal überdacht werden. Je sorgfältiger und komplizierter die Analyse ist, desto mehr Fehlermöglichkeiten gibt es!

Lassen Sie uns diesen kurzen Rückblick beenden und einen Blick auf den modernen Gebrauch der Logistik im Management werfen. Logistik hat ihren militärischen Beigeschmack verloren und umfaßt heute vor allem kommerzielle Aspekte. In diesem Zusammenhang steht der folgende Definitionsvorschlag:

Logistik: Eine Systemanalyse und Ablaufsteuerung zur Optimierung der Beschaffung, Produktion und des Vertriebs der Produkte unter ausdrücklicher Einbeziehung des zugehörigen Informationsflusses.

Für das Unternehmen stellt sich die strategische Frage, für wen oder was das System optimiert werden soll. Hier kann man zwischen zwei Sichtweisen wählen: der eigenen und der des Kunden. Da moderne Unternehmen kundenorientiert zu sein haben, könnte dies bei den heutigen, fein abgestimmten Logistiksystemen, leicht zu Verwerfungen führen.

Es war schon schwer genug, die Leute aus den verschiedenen Abteilungen dazu zu bewegen, zum Nutzen des Unternehmens systemweit zu denken. Damit das System arbeitet, muß man die Manager des ganzen Unternehmens mit einbeziehen, um die Ziele, Methoden und Werkzeuge zu verstehen, die zur Bewertung benutzt werden.

Nun muß sich der Blickwinkel verlagern, um die Interessen des Kunden zu verstehen. Dies erfordert die Auswertung von Gesichtspunkten, die den einzelnen Abteilungen des Unternehmens sogar noch fremder sind. Somit sehen sich die Unternehmen einem großen Bedarf an Umschulungen für das Management gegenüber. Für eine gute Logistik muß die Entscheidungsfindung in einem Unternehmen auf engste Zusammenarbeit und gegenseitiges Verständnis ausgerichtet sein.

Die obige Zielsetzung bringt mich dazu, mit einer wichtigen Umsetzung der Logistik-Definition zu enden. Beachten Sie den Ausdruck "Ablaufsteuerung", der aufzeigt, daß Logistik nicht nur für die Angestellten, sondern in. vollem Maße auch für die Menschen am Fließband relevant ist. Tatsächlich ist gute logistische Entscheidungsfindung die Sache jeden einzelnen Mitarbeiters.

*Henry Kozlowski ist Professor an der U.S. Merchant Marine Academy in Kings Point, New York, und Management-Berater.