Studie beleuchtet IT-Situation von Finanzdienstleistern

Altsysteme behindern moderne Geschäftsprozesse in Banken

16.06.2000
MÜNCHEN (CW) - Die IT-Situation vieler Banken und Sparkassen gilt inzwischen als kritisch. Dynamische Geschäftsprozesse werden von den überwiegend veralteten Systemarchitekturen nicht schnell und effektiv genug unterstützt. Standardsoftware könnte eine Alternative sein, doch dafür müssten die Altsysteme aufgebrochen werden.

Die operativen Systeme vieler Finanzdienstleister stammen aus den 60er und 70er Jahren, also aus einer Zeit, in der sich noch alles auf die Massendatenverarbeitung konzentrierte. Inzwischen hat sich die IT-Landschaft zu komplexen, schwer durchschaubaren Konstrukten entwickelt. Bis heute ist die Grundstruktur der Banken-DV praktisch unverändert geblieben, stellen die Hochschule für Bankwirtschaft (HfB) in Frankfurt am Main und das Debis Systemhaus, Eschborn, fest.

Im Kern der IT-Architektur stehe historisch begründet das Konto, erforderlich sei heute aber eine Ausrichtung am Kunden und an den Produkten, so die Branchenbeobachter. Zudem folgten die Systeme dem veralteten Spartenprinzip (Kontokorrent, Einlagen, Kredit, Wertpapier etc.), notwendig wäre dagegen eine an Geschäftsprozessen ausgerichtete Struktur.

Wie problematisch die Situation ist, haben Debis und die private Fachhochschule anhand einer Befragung von 100 Finanzinstituten und Rechenzentralen festgestellt, darunter die Commerzbank, Deutsche Bank, West LB, mehrere Sparkassen und Privatbankiers. Die Antworten von 45 Führungskräften wurden ausgewertet und die Ergebnisse jetzt in der Studie "Anwendungsentwicklung in Banken: Stand und Perspektiven" veröffentlicht.

Darin wird deutlich, dass Sonderprojekte wie Euro-Umstellung, Jahr-2000-Anpassung und Zinsabschlagsteuer die Kapazitäten der Anwendungsentwickler absorbiert und Neuentwicklungen praktisch zum Stillstand gebracht haben. Besonders in den Jahren 1998 und 1999 mussten diese Vorhaben mit aller Macht vorangetrieben werden, um sie noch rechtzeitig abschließen zu können.

Im Rahmen dieser Projekte hätte sich zwar die Möglichkeit geboten, ein umfangreiches Reengineering der veralteten Softwarestrukturen vorzunehmen oder die Funktionen abzuwandeln. Doch nur etwa zehn Prozent der Befragten gaben an, strukturelle Veränderungen oder substanzielle Funktionserweiterungen gleich mit erledigt zu haben. Bei einem weiteren Drittel wurde die Softwarestruktur immerhin in Teilbereichen verbessert, ein grundsätzlicher Umbau der Bankinformatik blieb jedoch aus. Dies lag nicht zuletzt daran, dass sich Euro und Jahr 2000, obwohl lange im Voraus auf sie hingewiesen worden war, als alles beherrschende Großprojekte entpuppt haben. Bis auf die zwingendsten Änderungen wie etwa die gesetztlichen Anforderungen im Bereich des Risiko-Managements wurden viele Neuerungen als "nice to have" in die Warteschlange zurückgestellt.

Solche Defizite wirken sich im Nachhinein umso gravierender aus, als einer modernen DV im Bankensegment eine deutlich größere Schlüsselrolle zukommt als in anderen Branchen. Die Autoren der Studie führen das darauf zurück, dass die durch IT zu erreichende Wertschöpfungskette sowie das Rationalisierungspotenzial bei Finanzdienstleistern im Vergleich zum klassischen Handel und der Industrie extrem hoch sind.

Projekte, die hier greifen, sind unter anderem:

-Neuorganisation der Vertriebswege wie Multikanal-Vertrieb mit Internet-Banking und E-Commerce (hier sehen die Befragten das beherrschende Thema der Zukunft),

-Automatisierung von Auslandsüberweisungen,

-Umstellung der nationalen sechsstelligen Wertpapierkenn-Nummern auf die zwölfstellige alphanumerische International Security Identification Number (Isin),

-Einführung von Workflow- beziehungsweise Groupware-Systemen sowie

-Informationssysteme für das Management.

Ob sich solche Modernisierungsprojekte künftig in größerem Umfang durchziehen lassen, muss allerdings eher skeptisch beurteilt werden. Die derzeitige Kapazitätssituation in der Anwendungsentwicklung wird von den Banken nahezu unisono (95 Prozent) als angespannt oder kritisch beschrieben. An dieser Lage soll sich bei 80 Prozent der IT-Manager in den nächsten drei bis fünf Jahren nichts verbessern, im Gegenteil, viele erwarten noch eine Verschärfung. Hier wirkt sich vor allem der enge Markt für Personal aus, das Bankwissen plus Informatikkenntnisse mitbringt.

Was das IT-Budget angeht, rechnet der überwiegende Teil der Befragten (65 Prozent) mit einem kräftigen Anstieg. Erfahrungsgemäß lagen die IT-Kosten deutscher Filialbanken im Durchschnitt bei etwa zwölf bis 15 Prozent vom Verwaltungsaufwand. Seit Mitte der 90er Jahre ist es allerdings zu einer deutlichen Steigerung gekommen, so dass viele Institute bereits die 20-Prozent-Marke erreicht haben. Die deutschen Kreditinstitute dürften 1999 etwa 19 bis 20 Milliarden Mark für ihre Informationsverarbeitung ausgegeben haben, heißt es in der Studie.

Eine deutliche Verschiebung stellen die Analysten bei der Frage fest, welche Themen einen großen Einfluss auf die bankbetriebliche Anwendungsentwicklung haben. Standen in großen IT-Abteilungen bislang die Klassiker "Plattformen" und "Programmiersprache" im Vordergrund, wird diesen jetzt weniger Bedeutung beigemessen. Stattdessen haben Testumgebungen und Middleware einen hohen Stellenwert erhalten. Dennoch ergibt die Umfrage, dass zwischen der Diskussion der neuen Themen und der tatsächlichen Einführung entsprechender Produkte noch Welten liegen.

Ähnlich verhält es sich bei der Standardsoftware, deren Palette von integrierten Gesamtpaketen ("Kordoba", "Paba" etc.) über Teillösungen ("MBS", SAP-Module und "Samba") bis zu Produkten für spezifische Aufgaben wie Portfolio-Management und Kreditratenberechnungen reichen. Den Produkten wird zwar bescheinigt, sich auf die Leistungsfähigkeit der Banken-IT sehr stark auszuwirken, Implementierungen gibt es dagegen zumindest in den großen Häusern nur wenige. In kleinen Banken erreicht der durchschnittliche Anteil von Standard- beziehungsweise mandantenfähiger Software an den gesamten Anwendungsprogrammmen immerhin 60,5 Prozent. Im Einzelnen reicht dieser Wert jedoch von 30 bis 90 Prozent, so dass sich auch in kleinen Instituten kein einheitliches Bild ergibt.

Das gilt auch für die Anbieterseite. Insgesamt nannten die Befragten 157 verschiedene Softwareprodukte, ein dominierender Hersteller lässt sich dabei aber nicht erkennen. Obwohl bereits mehrere Kreditinstitute zum Beispiel SAP-Module einsetzen oder dies planen, besteht bei rund der Hälfte der befragten Häuser derzeit kein Bedarf in dieser Hinsicht. Diese Einstellung dürfte Anbieter wie SAP mit Sorge erfüllen, immerhin versuchen die Walldorfer über Millionen-Investitionen und eine Kooperation mit der DVG, einem der größten IT-Dienstleister der deutschen Sparkassen, in dieser Branche Fuß zu fassen.

Wenig Platz für StandardsoftwareAuch die allgemeine Markteinschätzung der Autoren hinsichtlich des Einsatzes von Standardsoftware ermutigt da wenig: Sie gehen davon aus, dass bis auf wenige Ausnahmen alle Sparkassen und Kreditgenossenschaften an Rechenzentralen angeschlossen sind, die ihre eigenen Systeme entwickeln und betreiben. Damit bleiben rund 550 Institute als potenzielle Kandidaten für Bankenstandardsoftware übrig. Von diesen sind etwa 230 Häuser Realkreditinstitute, Bausparkassen, Banken mit Sonderaufgaben oder Spitzeninstitute, die vermutlich nur in Teilen Standardsoftware einsetzen werden. Nach Abzug der Großbanken bleiben nur noch 320 Finanzdienstleister. In dieser Gruppe befinden sich jedoch rund 80 Zweigstellen ausländischer Banken, die vorzugsweise Software ihres Mutterunternehmens verwenden, sowie eine Reihe von Investmentbanken, die für Standardsoftware ebenfalls nicht in Frage kommen. Das Potenzial für den Einsatz von Standardsoftware wird deshalb auf maximal 130 Häuser geschätzt.

Die Situation könnte sich ändern, wenn die operativen Altsysteme neu strukturiert werden. Einen möglichen Sanierungsansatz sehen die Autoren in der Implementierung eines industrieähnlichen Auftragssteuerungssystems. Dieser Vorgang sei allerdings außerordentlich komplex, da das Kontokorrent, auf das viele Altapplikationen zugreifen, aus seiner zentralen Position herausgelöst werden muss. Dennoch könne es über diesen Weg gelingen, die hochintegrierten Altsysteme in einzelne, komponentenartige Konstrukte aufzulösen.

Abb.1: Budgetentwicklung

Das jährliche IT-Budget wird in den nächsten drei Jahren bei den meisten Banken steigen. Mit sinkenden Kosten rechnen nur sechs Prozent der großen und zwölf Prozent der kleinen und mittleren Banken. Quelle: HfB/Debis

Abb.2: Beispiel Zahlungsverkehr

Bei einer auftragsgesteuerten IT-Architektur stehen nicht mehr das Konto, sondern der Kunde, das Risiko und das Produkt im Zentrum der Bankapplikationen. Die Abbildung zeigt das Konzept einer bankbetrieblichen Auftragssteuerung am Beispiel des Zahlungsverkehrs. Quelle: HfB/Debis