Einheitlichkeit und Schnelligkeit am wichtigsten

Alltägliche Grafikproduktion in einer Nachrichtenredaktion

14.06.1991

Täglich schnell und aktuell zum Weltgeschehen Karten und Tabellen zu gestalten, war früher teuer und aufwendig. Heute schaffen das in der Süddeutschen Zeitung ein Grafiker und ein Mac.

Erster Punkt auf der SZ-Tagesordnung sind unser aller Reisegewohnheiten. Die in Millionen erfaßten Vorlieben der Deutschen für Österreich-, Italien-, Spanienreisen und Urlaubsfahrten außerhalb Europas, gezählt zwischen 1970 und 1988, sollen die nächste Reiseseite der Süddeutschen Zeitung illustrieren. Also tippt Martin Brinker die Urlauberzahlen für die jeweiligen Reiseländer in seinen Mac 11, der in einer ruhigen Ecke der Nachrichtenredaktion der SZ steht. Er bevorzugt für solche Darstellungen das Business-Grafikprogramm "Deltagraph", das diese Zahlen schnell in eine Grafik umwandelt. Das Schaubild wandert in ein Zeichenprogramm ("Freehand" oder "Illustrator") und damit zur eigentlichen Bearbeitung. Für eine Tageszeitung ist die Übersichtlichkeit von Tabellen und Grafiken oberstes Gebot. Au f Schwarz und Weiß reduziert und für die Rasterung auf wenige Grautöne beschränkt, bleibt dem Grafiker nicht allzuviel Spielraum. Grafische Raffinessen und Effekte sind in dem zeitlichen Rahmen, in dem die Illustrationen entstehen müssen, nicht möglich und in diesem Medium auch nicht gefragt. Deshalb fühlt sich Brinker in der SZ auch gut aufgehoben, interessiert ihn doch die grafische Umsetzung einer Aussage viel mehr, als anschließend das jeweilige Resultat ewig weiter zu verbessern.

Oberstes Gebot ist die Übersichtlichkeit

Der Auftrag, übersichtliche Grafiken für eine Tageszeitung zu erstellen, möglichst nach einem einheitlichen Prinzip, damit die Leser ihre SZ-Grafiken auch gleich erkennen, hat ihn gereizt. Zu so einem einheitlichen Erscheinungsbild gehören beispielsweise eine einzige Schrift, einheitliche Raster und Schatten sowie bei einspaltigen Bildern ein Rahmen mit Schatten ums Bild. Solche kontinuierlichen Elemente scheinen unwesentlich, aber erhöhen den Wiedererkennungswert. Der Leser wundert sich allenfalls, wenn die Karte anders als gewohnt erscheint.

Die vier Reisekurven warten im Grafikprogramm auf ihre optische Aufbereitung. Die Gruppierungen der vier verschiedenen Kurven werden zunächst Punkt für Punkt aufgelöst, so läßt sich jede Linie später als einheitliches grafisches Gebilde behandeln - ein mühsamer Vorgang, aber leider nötig, sonst behandelt das Programm jeden Kurvenabschnitt einzeln, der Grafiker müßte jede Linie von Punkt zu Punkt neu gestalten. Mit den grafischen Füllmustern erhält jede Reiselinie ihre eigene Rasterung. Später wird der Grauton der Kurve "außerhalb Europas" sich nicht deutlich genug vom Hintergrundraster absetzen und sich deshalb nochmal ändern.

Die plumpen Erkennungsmarken der vier Linien aus Deltagraph verschwinden, die waagerechten Koordinatenlinien weichen grauen Zonen, die senkrechten Meßlatten werden genau unter die Markierungspunkte der Kurven geschoben, ein Titel und eine Legende hinzugefügt, und dem Laien scheint das Werk schon vollbracht. Den Grafiker stört allerdings noch die falsche Schrift zur "Süddeutschen" gehört Helvetica -, und daß die Kurven vom rechten Rand abgeschnitten sind. In der Vergrößerung lassen sich auch diese Mängel korrigieren, und hier gilt es, weitere "zeitungsspezifische" Regeln zu beachten. Die endgültige Plazierung der Grafik (einspaltig) bedingt die Mindestgröße der Beschriftung, damit der Leser in der endgültigen Fassung alles erkennt. Eine rasche Überprüfung ergibt, daß die Größen stimmen, und das Produkt scheint druckreif zu sein.

Als sich fünf Minuten später herausstellt, daß die Angabe der Reisen in Millionen fehlt, ist das Bild zwar schnell ergänzt, es zeigt sich aber auch, wie schwer es ist, einem Grafiker ein halbfertiges Produkt zu entlocken, und sei es nur "zu Demonstrationszwecken".

Zurück zur Reiselust der Deutschen, diesmal gilt es, sie, nach Dauer und Zahl der Reisen aufgeschlüsselt, ins rechte Bild zu setzen. Zunächst ist die wichtigste Aussage aus dem Zahlenmaterial herauszufiltern - angesichts der gebotenen Fülle diesmal keine leichte Aufgabe. Ist es die Tatsache, daß immer mehr Leute verreisen, vor allem aus den fünf neuen Ländern, daß der Trend von mehreren kurzen zu einer größeren Urlaubsreise geht. Soll das Reiseverhalten der alten Bundesländer den neuen gegenübergestellt oder einfach nur aufgelistet werden, wer wie oft wohin verreist? Dazu bietet die Untersuchung absolute und prozentuale Angaben, die optische Umsetzung in Torten- oder Säulendiagrammen ist also möglich. Trotz anfänglicher Zweifel erweist sich das Säulendiagramm nach einigem Drehen und Wenden als recht anschaulich, so daß es zur Weiterbearbeitung übernommen wird. Und hier beginnt das nun nicht mehr ganz neue Verfahren: Die Säulen werden mit verschiedenen Grauwerten und Rasterungen voneinander abgesetzt, nach einigem Drehen und Wenden die Legende daruntergesetzt, die Probe wegen der Schriftgröße - diese Tabelle erscheint zweispaltig, darum scheint die Schrift im Verhältnis etwas kleiner zu sein - fällt auch befriedigend aus, also kann ein erster Ausdruck gewagt werden. Dabei zeigt sich, daß die Maßangaben auf dem Bildschirm leserlich, im Ausdruck aber verzerrt erscheinen und noch einmal zu ändern sind.

Gerade rechtzeitig wird die Grafik fertig, denn schon meldet die Nachrichtenredaktion, zu deren Ressort der Grafiker gehört, ihre Ansprüche an. Eine Karte der albanischen und italienischen Adriaküste wird gebraucht, um die Fluchtwege der Albaner zu illustrieren.

Nachdem diverse Atlanten gewälzt, anhand der aktuellen Meldungen die wichtigsten topografischen Punkte gekennzeichnet sind und der Ausschnitt feststeht, kann es losgehen. Eine Kopie der entsprechenden Atlasseite liegt als Vorlage auf dem Grafiktablett. So lassen sich die Konturen direkt auf den Bildschirm zeichnen, wobei manchmal ein bißchen geschummelt werden muß. Zu fein geschwungene Küstenoder Grenzlinien landen als Geraden auf dem Bildschirm und müssen später noch realistischer nachbearbeitet werden. Genauso ergeht es der winzigen italienischen Insel Palagruza, die in ihrer richtigen Größe nur als Punkt auf den Monitor zu bringen ist.

Grenzlinien werden gezogen, übrigens gerade in einem aktuellen Medium eine schwierige Aufgabe, da man sich nur selten auf das vorliegende Kartenmaterial verlassen kann. Vor allem bei fertigen Karten ist höchste Vorsicht geboten. Grafix hat zum Beispiel ein neues Set gesamtdeutscher Karten herausgebracht, die teilweise völlig überholte Grenzlinien zeigen. An der Adria ist der Fall glücklicherweise klar, auch die Städtepunkte und Beschriftungen finden ihren Platz.

Gutes Beispiel für rationelles Arbeiten

Nachdem die gestrandeten Flüchtlinge ebenfalls ihren Weg in die Zeichnung gefunden haben, die Karte ein SZ-typisches Outfit erhalten hat, wandert sie in die Nachrichtenredaktion zurück, und der Grafiker widmet sich seiner nächsten Aufgabe, der Wetterkarte. Sie wäre ein gutes Beispiel für rationelles Arbeiten am Computer, setzt sich das Bild doch täglich aus den gleichen Elementen zusammen. In einer Standardvorlage sind aktuelle Temperaturangaben, Stand von Mond und Sonne und Hoch- und Tiefausläufer zu ergänzen.

Auch wenn es zu dieser Aufgabe schon ein festes Schema für den Rechner gibt, entsteht die Karte derzeit noch in Handarbeit. Der Mac II ist schlicht langsamer als der Grafiker und die nötige Beschleunigerkarte hat noch nicht ihren Bestimmungsort im Süddeutschen Verlag gefunden.