BW-Rechnungshof kritisiert ein Jahrhundert-Projekt:

30 Millionen Mark liegen auf der Straße

15.10.1976

STUTTGART - Fast gleichzeitig mit dem ersten vollautomatischen Ausdruck der Fünfjahresstatistik über Straßen des überregionalen Verkehrs - hier das Straßenbauamt Reutlingen - kam scharfe Kritik vom Landesrechnungshof Baden-Württemberg. In seinem jetzt veröffentlichten Bericht heißt es über die Straßendatenbank des Landes: "Die Datenbank hat von 1968 bis 1974 insgesamt 30,5 Millionen gekostet und ist immer noch nicht einsatzfähig. Eine Darlegung von Sinn und Zielsetzung ist nicht vorhanden."

Für den Aufbau der Straßendatenbank in Baden-Württemberg sind insgesamt 33 Millionen Mark vorgesehen. Davon entfallen - so Ministerialrat Kleinmann vom BW-Wirtschaftsministerium - etwa 28 Millionen Mark auf die Datenerfassungskosten: "Die Straßenbauverwaltung besitzt keine Bestandsverzeichnisse. Der Erfassungsaufwand wäre ohnehin entstanden, weil die alten Straßenbücher zu wenig Daten enthalten, durch den Krieg Unterlagen verlorengingen und der Bauboom in der Nachkriegszeit so viele Neubauten und Änderungen gebracht hat."

Gespeichert sind in der ersten Ausbaustufe Länge, Koordinaten, rechtliche Grenzen (Ortsdurchfahrten, Baulastträger), Breite, Zahl der Spuren, Befestigung, Krümmung und Steigung der Bundes- und Landesstraßen. In einer zweiten Stufe, über deren Realisierung noch nicht entschieden ist, und die allein in Baden-Württemberg weitere 20 Millionen Mark kosten würde, sollen noch die

Bauwerke (wie Brücken) und die Ausstattung der Straßen mit Fußgängerüberwegen, Ampeln etc. aufgenommen werden.

Straßendatenbanken nach diesem Konzept sollen in allen Bundesländern entstehen. Vergleichbar weit wie Baden-Württemberg ist bisher nur Rheinland-Pfalz.

Die Straßendatenbank wurde bundeseinheitlich konzipiert, die Programmierung in Baden-Württemberg durchgeführt und vom Bundesverkehrsministerium bezahlt: "Als wir 1968 anfingen, gab es keine geeigneten Softwarepakete am Markt. Es gibt auch kein Vorbild im Ausland", berichtet der Leiter der EDV-Stelle im Stuttgarter Wirtschaftsministerium, H. Natho. "Für das Straßenbauamt Reutlingen ist jetzt die erste Statistik fertig. Bei den übrigen Ämtern wird mit Hochdruck an der Überprüfung der gespeicherten Daten gearbeitet."

Die Straßenbauverwaltungen haben insgesamt 180 Auswertungsprogramme konzipiert - beispielsweise das Zeichnen von Bestandsplänen, Druck von Listen für die laufende Verwaltung oder das Erstellen von Unfallstatistiken.

Der Landes-Rechnungshof in Stuttgart ging mit seiner Kritik davon aus, daß so viele Daten gar nicht benötigt würden wie die Konzeption vorsieht. Die Verwaltung kann bisher erst das Beispiel Reutlingen präsentieren: Allein die eine, jetzt automatisch erstellte Statistik hätte bei manueller Arbeit acht Wochen Zeit erfordert. Die 33 Millionen Mark Einmal-Aufwand müssen in Relation zu den mehr als 500 Millionen Mark gesehen werden, die das Land Baden-Württemberg allein 1976 für Neubau und Unterhalt von Straßen ausgibt. -py