Ein gutes Jahr

Jahresrückblick 2007: Nach dem Hype ist vor dem Hype

19.12.2007
Das IT-Jahr 2007 zeichnete sich vor allem durch die Tatsache aus, dass man sich wieder ungestraft öffentlich zu einem Hype bekennen durfte. Davon gab es viele – mit der ernsthaften Unternehmens-IT hatten sie aber nur wenig zu tun. Dennoch oder gerade deswegen machte 2007 Appetit auf mehr.

Es geht voran in der IT: Da Kanzlerin Angela Merkel im vergangenen Dezember auf dem "IT-Gipfel" in Potsdam die Elite der Branche zur "Aufbruchstimmung" verurteilt hatte, mussten sich die Protagonisten wohl oder übel daran halten und die Krise aus ihren Business-Plänen streichen. Zumeist (wie immer mit Ausnahme des Telekom-Festnetzes) ist das auch gelungen, denn gravierende Ausfälle in der Phalanx der Lieferanten waren kaum zu verzeichnen. Der Trend hatte natürlich auch den Nebeneffekt, dass sich Manager nicht mehr wie in den Vorjahren mit der angespannten gesamtwirtschaftlichen Situation herausreden konnten, wenn es ihrer Firma schlecht ging. Summa summarum ist die IT-Branche im Fahrwasser des Aufschwungs ein gutes Stück vorangekommen.

Was 2007 definitiv nicht war: ein Jahr des Stillstands. Bei der Suche nach neuen Leads, Prospects und Opportunities wurden viele Grenzen, Tabus und Abmachungen gebrochen, denn im Aufschwung zählt nichts so wenig wie die Tradition. Vor allem Sun Microsystems lief hier zu Höchstleistungen auf. Erst schmiedete der Konzern eine "Server-Allianz" mit Intel und verschaffte sich wieder eine "Zukunft", dann konnte IBM als OEM von "Solaris" gewonnen werden. Die Partnersuche der Sunnies gipfelte schließlich im Ausbau der Kooperation mit Microsoft und der Ankündigung, dass Sun künftig Windows-Server verkaufen wird. Bleibt abzuwarten, ob Sun im kommenden Jahr wie geplant Tchibo als Reseller präsentieren kann.

SAP: ernst im Mittelstand

Auch Deutschlands Vorzeigeunternehmen SAP nahm es 2007 mit den Tugenden der Gründerväter nicht mehr so genau. Die Übernahme von Business Objects war eine Kunstpause im Walldorfer Mantra, man wolle nur kleine Firmen akquirieren, die das Produktportfolio ergänzen. Treu blieb sich SAP hingegen beim Versuch, ein widerspenstiges Kundensegment zu zähmen – im März machten die Walldorfer "Ernst im Mittelstand", dann mobbte der badische Klüngel den eigenen Kronprinzen Shai Agassi mit einer neuen Mittelstandssoftware aus dem Haus, zwischenzeitlich wurde der Mittelstand mit Festpreisen ("ab 90.000 Euro") gelockt, bevor schließlich "Business ByDesign" – SaaS für den Mittelstand – aus dem Sack gelassen wurde.

Die Synergie des Ganzen: Business Objects drängt seit Februar ebenfalls in den Mittelstand. So schließt sich der Kreis. Bleibt noch zu erwähnen, dass die amerikanische SAP-Tochter TomorrowNow im ablaufenden Jahr widerrechtlich Inhalte von Oracles Website syndiziert hat – für Larry Ellison ein gefundenes Fressen, für das Web 2.0 eine Conditio sine qua non. Immerhin unternahm SAP damit den ersten Versuch, sein Biederkeits-Image abzustreifen. Und Shai Agassi macht jetzt in Elektroautos und Akkus. Besser als nichts.

Für Michael Dell ging hingegen eine Ära schlagartig zu Ende: Der Gründer von Dell ist nicht mehr Rentner, sondern seit Anfang 2007 Förster und Comeback-CEO in Personalunion. Für die grandiose Leistung, das Unternehmen Dell innerhalb von drei Jahren auf Platz zwei des PC-Marktes zu drücken und einen handfesten Bilanzskandal zu verursachen, erhielt Dells Interims-CEO Kevin Rollins zum Abschied über 50 Millionen Dollar an Optionen und Abfindungen mit auf den Weg. Die Krise des Konzerns führte schließlich dazu, dass bei Dell nun AMD-CPUs verbaut werden, Kunden bei der Produktentwicklung ein wenig mitreden dürfen, PCs mit Linux erhältlich sind und das Glaubensbekenntnis des direkten Geschäfts um einen nicht unerheblichen Passus ("Verkaufsstellen in Wal-Mart-Supermärkten") erweitert wurde.

Open Source: Linux ist Ubuntu

Auch auf der Open-Source-Baustelle herrschte ein reges Kommen und Gehen. Letzteres trifft für SCO zu, dessen Prozessposse um Linux, Unix und Patente endlich beendet wurde. Novell bekommt die Rechte an Unix, SCO bekommt Gläubigerschutz. Bereits im Vorjahr hatte Novell seine Seele an Microsoft verkauft, was aber noch bis weit in die erste Jahreshälfte hinein für erbitterte Diskussionen in der Community der GPL-Versteher sorgte. Red Hat konnte 2007 eine Mainframe-Partnerschaft mit IBM verkünden – auch besser als nichts. Linux des Jahres ist gemessen am Interesse unserer Online-Leser jedoch Ubuntu – egal, ob als Version 7.10 ("Gutsy Gibbon") oder 7.04 ("Feisty Fawn"). Dort, auf dem Desktop, stirbt die Hoffnung für Linux bekanntlich zuletzt.

Hoffnungen prägen auch die IT der öffentlichen Hand in Deutschland, deren Projektfortschritte immer wieder gern gesehene Meilensteine in Jahresrückblicken sind. Hier im Schnelldurchlauf: Der Obergefreite Herkules bewegte sich "auf tönernen Füßen" über die Hindernisbahn, lag im Sommer des Jahres aber gut in der Zeit. Die Gesundheitskarte – eine "Zitterpartie" – steht kurz vor der Einführung (siehe auch die CW-Jahresrückblicke 2002 ff.). Galileo, die europäische GPS-Alternative, erhielt keine Startfreigabe. Die Rettung naht vom Steuerzahler in Form einer Geldspritze. Während die Polizei länderübergreifend mit dem ComVor-Projekt kämpfte, wurde Diplaz in Bayerns Polizeirevieren nach jahrelanger Jagd kurzerhand erlegt.

Derweil erlebte Hessen ein "Desaster" mit der Schulsoftware "Lusd", die tatsächlich so heißt, aber nicht hielt, was sie versprach: Das Programm kann (in Hessen) nicht richtig rechnen, Dienstleister CSC muss nachsitzen. Erstmals in dieser Aufstellung vertreten war die einheitliche Steuernummer für die deutschen Melkkühe, die sich dank eines weiteren "IT-Desasters" aber auf unbestimmte Zeit verschiebt. Herausragend und innovativ war der Staat hingegen bei der Überwachung der Bürger – Vollschutz durch Technik. Die Erosion der Persönlichkeitsrechte war 2007 beachtlich, wenn auch kaum beachtet.

Sonnenschein im Klimaschutz

2007 war alles im grünen Bereich ...
Foto: IBM

Eitel Sonnenschein herrschte hingegen unter Klimaschützern, denn die IT entdeckte im Verlauf des Jahres, dass Rechner und Kühlungen auch Strom verbrauchen. Folglich wurden die Angebote der Lieferanten sowie die Nachfrage spontan grün beziehungsweise green, was die üblichen Bedenkenträger auf den Plan rief: "Energie sparen kann teuer werden." Nicht sparen ist leider nur selten billiger, von einer Billigung der Energieverschwendung ganz zu schweigen. Folglich setzte die Virtualisierung 2007 ihren Siegeszug fort und schaffte es auf der CeBIT in den Rang eines "Megatrends". Es ist nicht davon auszugehen, dass sich im neuen Jahr daran etwas ändert, denn für Gartner zählt Virtualisierung (sowie Green IT) zu den zehn wichtigsten strategischen Techniken, die man 2008 beherrschen muss. Die nackten Zahlen zum Börsengang der EMC-Tochter VMware vermitteln ein Bild der Phantasie, die auch bei Nichttechnikern durch die Virtualisierung hervorgerufen wird.

Selbst in Sachen SOA herrschte zuletzt viel Phantasie, wenn auch nicht unbedingt so, wie es sich die Zulieferer der Architekten erwartet hatten. Nachdem 2006 ausgiebig über die vermeintlichen Vorzüge der Service-Orientierung sinniert wurde, häuften sich im abgelaufenen Jahr Berichte, die im SOA-Kontext Schlagwörter wie "Hürden", "Mythen" und "Scheitern" führten. Im Gegensatz dazu war die Begeisterung über das "Web 2.0" ungebrochen. Allen voran marschierte IBM in der virtuellen Welt "Second Life" voran, während die Produktmanager des Unternehmens in einen "Web 2.0-Taumel" gerieten und "Enterprise 2.0" propagierten. Zumindest in den einschlägigen Medien ist "Second Life" seit dem Sommer eine No-go-Area, so dass auch niemand mehr zweifelsfrei darüber berichten kann, was sich dort derzeit noch abspielt. Dass diese virtuelle Welt erst der überbewertete Anfang einer langfristigen Entwicklung war, sollte indes jedem (Spötter) bewusst sein.

Zu den Gewinnern des Jahres 2007 – zumindest auf dem Papier – zählten IT-Fachkräfte, die sich über eine rege Nachfrage nach ihren Assets und Skills freuen durften. "Goldene Zeiten für Bewerber?", titelte denn auch die CW. Aufmerksamen Lesern wird das Fragezeichen aufgefallen sein, was dann auch elegant zur nächsten Hiobsbotschaft überleitet: "Konzerne streichen 120.000 IT-Jobs." Wer einmal auf der Straße sitzt, darf sich indes das verlorene Selbstbewusstsein wiederbeschaffen, indem er einfach einer neuen Klasse beitritt – der "digitalen Boheme". "Besser leben jenseits der Festanstellung" ist einigen Menschen durchaus zuzutrauen, doch für viele Deutsche wird dieses Credo bis zum Ruhestand ein unauflöslicher Widerspruch bleiben. Angestellte auf den billigen Plätzen erhielten im Herbst die Quittung für ihre Mutlosigkeit: Bei den IT-Gehältern sahnten nicht sie, sondern die oberen Management-Etagen ab. Ohne Kontinuität geht es eben auch nicht.

iPhone scheidet Geister und Wurstfinger

Am iPhone scheiden sich die Geister - und die Menschen mit normalen beziehungsweise Wurstfingern.

Kommen wir zu den wahren Gewinnern des Jahres: den Aktionären von Apple und Google. Noch sind die Konzerne von Steve "Midas" Jobs und Eric "Krösus" Schmidt nicht direkt verfeindet, doch die sich anbahnende Auseinandersetzung verspricht einen interessanten Kampf. Fast alles, was die beiden Unternehmen ankündigen (Google) und auf den Markt bringen (Apple), entwickelt sich zu einem Renner – hüben das "iPhone", drüben das "gPhone" (namens "Android", das gar kein Handy ist, aber zeigt, was man heutzutage mit einer Pressemitteilung und einigen Partnern für einen Wirbel erzeugen kann). Nokia hat seinen Handy-Marktanteil 2007 übrigens auf 39 Prozent gesteigert, was aber nicht weiter aufgefallen ist – außer bei den Angestellten von Motorola, die wegen der Krise um ihren Job fürchten mussten.

Während Apple am 6. November eine Marktkapitalisierung von 167 Milliarden Dollar aufweisen konnte, brachte es Google auf 231 Milliarden Dollar. Beide Unternehmen lagen zwischen IBM (unten) und Microsoft (oben). Dass dort die Luft dünn wird, musste auch Bill Gates schmerzlich erfahren: Er ist nicht mehr reichster Mensch der Welt und auch nicht zweitreichster. Das Schicksal teilt er mit den meisten anderen Windows-Anwendern.

Microsoft: Vista, OOXML und ein verlorenes Kartellverfahren

Dafür stand Microsoft 2007 am Pranger wegen der kreativen "Standardisierung" von OOXML, verlor einen Kartellprozess, öffnete sich zaghaft neuen Bereitstellungsmodellen wie SaaS und brachte Windows Vista auf den Markt – Letzteres zumindest in Anwenderunternehmen relativ unbemerkt, glaubt man den Kommentaren der Analysten. Immerhin erzielte der Konzern mal wieder ein Rekordergebnis im Herbst und schaffte es, sein Xbox-Spiel "Halo 3" in einer Woche millionenfach zu verkaufen und neue Maßstäbe in der Entertainment-Industrie zu setzen. Wo das Geld verdient wird, kann dem Konzern letztlich auch egal sein.

So gesehen kann man sich nicht beklagen, das IT-Jahr 2007 miterlebt zu haben. Nach einer Phase der ernüchternden Konsolidierung im Anschluss an den großen Knall ist die Branche auf eine spannende Konsolidierung im Vorgriff auf den großen Knall 2.0 umgestiegen. Der zentrale Trend aus Sicht der Anwenderunternehmen ist, dass die dicken Brocken (SAP, Oracle, IBM, Microsoft) immer größer werden, was interessante Allianzen und Wettbewerbssituationen für die Zukunft verspricht. Leider hat es Kanzlerin Merkel verpasst, der Branche auf dem kürzlich abgehaltenen IT-Gipfel 2.0 in Hannover eine Marschroute mit auf den Weg durch das Jahr 2008 zu geben. Immerhin hat die Nation nun einen eigenen CIO - beziehungsweise BfIT. Mehr dazu in zwölf Monaten an gleicher Stelle. Mehr zu den Trends und Herausforderungen in 2008 lesen Sie im ersten E-Paper der COMPUTERWOCHE. (ajf)