Neuer Führungsstil

COVID-19 erzwingt Digital Leadership

03.08.2020 von Hans Königes
Aus CIO und CDO sind in der Coronakrise Krisenmanager geworden. Plötzlich sind auf die Schnelle Digitalisierung, Transformation und Homeoffice gefragt – mit Auswirkungen auf den"remoten" Führungsstil.
Führungskräfte müssen sich in der Disziplin „Remote Leadership“ üben, denn die agile und flexible Zusammenarbeit in crossfunktionalen und dezentralen Teams stellt besonders im Kontext der COVID-19-Pandemie einen wesentlichen Erfolgs- und Überlebensfaktor dar.
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Herr Tilker, Sie sind als Berater für das international agierende Management-Beratungsunternehmen Eric Salmon & Partners tätig. Welche Auswirkungen von COVID-19 auf CIOs und CDOs konnten Sie während des Lockdowns beobachten und wie wirkt sich die Pandemie jetzt nach den Lockerungen aus?

Lutz Tilker: Wir haben inmitten der schärfsten Phase der Coronakrise ein virtuelles Roundtable mit internationalen Chief Digital Offices - das heißt mit CDOs und CIOs - von europäischen und asiatischen Unternehmen unterschiedlichster Größe und aus verschiedenen Branchen veranstaltet. Aus dieser Expertenrunde konnten wir interessante Rückschlüsse ziehen. Die COVID-19-Pandemie und die Rolle des CDO beziehungsweise des CIO sind ein typisches Beispiel für ein VUCA-Phänomen: Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Digital Workplace und Flexwork waren schon vor COVID-19 ein großes Thema, aber erst durch den Lockdown und die damit einhergehende Einschränkung des sozialen Lebens wurde die Arbeit remote wirklich vorangetrieben. CIO und CDO wurden ad hoc zu Krisenmanagern, der diese neuen Arbeitsmethoden ermöglichen oder zumindest intensiver unterstützen mussten. Um die mit der Pandemie verbundene zusätzliche Arbeitsbelastung zu bewältigen, investieren Unternehmen stark in neue Technologien wie Robotic Process Automation (RPA) und Data & Business Analytics.

Herr Altgassen, können Sie als CDO/CIO von Etex, einer Gruppe von weltweit tätigen Industrieunternehmen für Baustoffe, diese Beobachtung teilen?

Dirk Altgassen: Bei Etex hatten wir den großen Vorteil, dass wir wesentliche Elemente wie eine Cloud-First-Strategie sowie digitale Workplaces ("Etex Smart Workplace") bereits verfolgt und nahezu komplett umgesetzt hatten. Von zu Hause zu arbeiten und Microsoft Office 365 sowie MS Teams zu verwenden, waren die meisten Mitarbeiter gewohnt. In der ersten Zeit haben wir aus Optimierungszwecken remote noch zusätzlich Training angeboten.

Parallel liefen für zwei kleinere Etex-Gesellschaften SAP-Rollouts in den USA und in den Vereinigten Arabischen Emiraten, welche vor Corona mit Besuchen vor Ort begonnen hatten und dann komplett remote fortgeführt wurden. Hier wurde die finale Einführung sowie das Testen und Training komplett aus der Ferne gesteuert. Dubai ist seit Anfang Juni live und USA folgt im August. Hier galt es auch, ein entsprechendes Change Management bei den IT-Mitarbeitern zu betreiben, damit sie das "new normal" akzeptieren und um alternative Lösungsansätze für die Rollouts anzuwenden. Weiterhin haben wir mit der Digital- und IT-Organisation insbesondere mit den Etex-Kunden verschiedene neue Projekte gestartet, um der veränderten Situation durch Corona gerecht zu werden. Diese reichen von einem schnelleren und flexibleren Reporting über das Einrichten neuer Sales Channels bis hin zu intelligenteren digitalen Lösungen in der Produktion und Logistik, um unter anderem das Social Distancing sowie mehr Paperless zu ermöglichen.

Digital Workplaces planen und etablieren - ein Ratgeber
6 Tipps für Digital Workplaces
Unternehmen, die Digital Workplaces einführen wollen, sollten im Vorfeld richtig planen. Der Ratgeber der Hirschtec GmbH nennt die wichtigsten Planungsschritte.
1. Ist-Zustand der Technik ermitteln
Damit Arbeitgeber einschätzen können, wie weit der Weg zum Ziel "Digital Workplace" ist, müssen sie um den Ist-Zustand wissen. Daher gilt es im ersten Schritt, den Ist-Zustand der IT-Infrastruktur zu analysieren. Welche Systeme sind vorhanden und wie werden sie eingesetzt?
2. Ist-Zustand der Prozesse analysieren
Von außen übergestülpte Prozesse werden von den Mitarbeitern abgelehnt. Deshalb ist es wichtig, zu verstehen, welche Arbeitsabläufe sich bewährt haben und bei welchen es Optimierungspotenziale gibt. Wünsche der Mitarbeiter und Möglichkeiten der IT sollten miteinander verzahnt werden.
3. Anforderungsprofile festlegen
Erst nach den beiden ersten Maßnahmen kann detailliert geklärt werden, worin das Ziel überhaupt besteht. Dabei kann der Digital Workplace von Abteilung zu Abteilung unterschiedlich aussehen – nicht jeder braucht alles. So entstehen Anforderungsprofile, die zur entscheidenden Frage führen: Was brauchen wir überhaupt?
4. Standard- und Speziallösungen unterscheiden
Systeme wie etwa Office-Programme oder Dokumenten-Management werden an nahezu jedem Arbeitsplatz benötigt. Hier ist es sinnvoller und preiswerter, auf Standardlösungen zu setzen. So wird klarer, wo überhaupt speziell zugeschnittene Individuallösungen gefragt sind.
5. Speziallösungen auswählen
Im Kern des Digital Workplace steht eine reibungslose Kommunikation über Collaborations-Tools – sowohl intern als auch extern. Für bestimmte Abteilungen oder Mitarbeiter können beispielsweise auch Data-Analytics-Software und spezielle CRM- oder Digitalmarketing-Tools wichtig sein. Herauszufinden, wer welche Speziallösung braucht, legt die Basis für passgenaue Digital Workplaces.
6. IT-Sicherheit überdenken
Je mehr Informationen digital ausgetauscht werden, desto wichtiger wird die IT-Sicherheit. Um die Risiken minimal zu halten, muss der jeweils passende Mix aus On-Premise-Systemen und Cloud-Diensten gefunden werden. Außerdem müssen Arbeitgeber entscheiden, ob Mitarbeiter mit Blick auf Datenschutz und -sicherheit Firmengeräte für ihre Arbeit nutzen oder auf ihre eigenen mobilen Endgeräte zurückgreifen sollen.

Hat sich an den Aufgaben und der Position der CDOs und CIOs durch Corona in den Unternehmen etwas geändert und wie sieht es künftig aus?

Tilker: Für viele Unternehmen war die Coronakrise eines der größten Experimente überhaupt, indem sie viele Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt haben. Auch eingefleischten Verfechtern der Präsenzarbeit blieb nichts anderes übrig, als das Experiment Homeoffice zu starten. Nicht wenige haben in dieser Phase erkannt, dass Digitalisierung wirklich ein Business Enabler ist und nicht nur ein Schlagwort.

Altgassen: Die Digital- und IT-Organisation bei Etex hat viel Anerkennung erhalten. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass wir durch unsere Strukturen sowie lösungsorientierte und agile Arbeitsweisen das Business in einigen Bereichen in die richtige Richtung geführt und unterstützt haben, zum Beispiel mit Apps, um Arbeitsplätze im Büro zu buchen. Jedenfalls konnten wir die positive Haltung gegenüber der IT nutzen, eine weitere Standardisierung und Harmonisierung umzusetzen; und dies teilweise schneller als vor COVID-19.

Jetzt wollen wir dieses positive Momentum nutzen, die Digital- und IT-Organisation weiterzuentwickeln und zu verbessern. Ein Anfang des Jahres begonnenes Transformationsprojekt mit dem Namen #MoveIT wurde mit so gut wie keinen Verzögerungen weiter vorangetrieben, welches ein Auslagern der IT-Operations an einen strategischen Partner beinhaltet und eine Verbesserung der Business Relationship sowie eine zukunftsorientierte und agile Aufstellung der Digital- und IT-Organisation für digitale Zukunftsthemen vorsieht.

Wie wird es in der Post-COVID-Zeit mit der digitalen und innovativen Unternehmensinfrastruktur weitergehen? Werden die Rahmenbedingungen für das Homeworking aufgepeppt und wird es neue Arbeitsmodelle geben?

Lutz Tilker, Berater bei Eric Salmon & Partners: Kontrolle im Homeoffice ist ein sehr sensibles Thema. Ein Unternehmen muss sich darüber im Klaren sein, wie es in dem Spannungsfeld "Time-Tracking" versus "Output-based" agiert."
Foto: Tilker - Eric Salmon & Partners

Tilker: Waren beispielsweise soziale Kontakte für viele das A und O des Zusammenlebens und Arbeitens, sind virtuelle und digitale Kontakte mittlerweile das Maß aller Dinge. Insofern ist die erste Frage, wann beginnt die Post-COVID-19 Zeit? Auf diese Frage gibt es noch keine Antwort. Insofern werden digitale Arbeitsmodelle mindestens für die nächsten drei bis sechs Monate auf der Tagesordnung stehen. Mittlerweile haben sich viele Mitarbeiter und auch Führungskräfte an diese Form des Arbeitens gewöhnt. So gewinnt die Sicherheit im Homeoffice an Bedeutung. Dieses betrifft nicht nur die IT-Sicherheit, sondern ist der Arbeitgeber zum Beispiel auch für die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Sicherheitsvorschriften im Büro zu Hause verantwortlich. Vielen Arbeitgebern ist nicht bewusst, dass Homeoffice als Telearbeit in der Arbeitsstättenverordnung genau definiert ist. Neben der physischen Infrastruktur für das Homeworking ist die mentale Infrastruktur mindestens genauso wichtig. Hier sind Unternehmen gefragt, ihren Führungskräften und Mitarbeitern sowohl Regeln als auch eine Homeoffice-Arbeitskultur an die Hand zu geben.

Arbeitsrecht im Homeoffice
Rechte und Pflichten im Home-Office
Auch im Home-Office gilt das Arbeitsrecht. Welche Rechte und Pflichten Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben, erklärt Claudia Knuth, Fachanwältin für Arbeitsrecht im Hamburger Büro der Kanzlei Lutz Abel.
Der Arbeitgeber entscheidet
Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf einen mobilen oder häuslichen Arbeitsplatz. Letztlich entscheidet der Arbeitgeber, dem die Gestaltungsfreiheit der betrieblichen Organisation zusteht.
Rechtslage beachten
Wer Ausdrucke, Dateien oder weitergeleitete E-Mails mit nach Hause nimmt, riskiert arbeitsrechtliche Sanktionen, je nach Sensibilität der Informationen sogar bis hin zur Kündigung. Mitarbeiter sollten sich daher vorher mit dem Arbeitgeber genau abstimmen, ob und welche Firmenunterlagen sie mit nach Hause nehmen dürfen.
Voraussetzungen prüfen
Grundsätzlich muss die Tätigkeit des Mitarbeiters dafür überhaupt geeignet sein. Betriebliche Termine, Kundentermine und Besprechungen sollten Vorrang haben. Wenn die Mobilarbeit ohne Störung in die betrieblichen Abläufe eingefügt werden kann, sollte außerdem die gleiche Effizienz der Arbeitsleistung wie bei Präsenzarbeit sichergestellt werden.
Arbeitszeiterfassung klären
Anstatt zum Arbeitsbeginn und -ende ein- und auszustempeln, sollte im Home-Office notiert werden, wie lange der Arbeitnehmer am Tag in der Woche gearbeitet hat. Voraussetzung dafür ist eine vertrauens- und ergebnisorientierte Arbeitskultur, da die Zeiterfassung schwerer kontrolliert werden kann. Das Arbeitszeitgesetz gilt auch außerhalb des Büros: Die Höchstarbeitszeit pro Tag (maximal zehn Stunden), die Ruhezeiten (mindestens elf Stunden) sowie das Sonn- und Feiertagsverbot müssen eingehalten werden.
Datenschutz sicherstellen
Der Arbeitgeber muss die nötigen Schutzvorkehrungen treffen. Zum Beispiel kann über die Nutzung von VPN-Verbindungen ein sicherer Datentransfer garantiert werden. Wichtig ist, dass nur vom Arbeitgeber freigegebene Software und Dateien verwendet werden. Der Mitarbeiter muss sicherstellen, dass außer ihm niemand, auch keine Familienangehörigen, Zugang zu den verwendeten mobilen Endgeräten erhält. Außerdem dürfen Passwörter nicht an Dritte weitergegeben werden oder fahrlässig leicht zugänglich aufbewahrt werden.
Mitspracherechte des Betriebsrats
Der Betriebsrat hat bei der Entscheidung für oder gegen mobiles Arbeiten kein Mitspracherecht. Bei manchen Änderungen allerdings schon, zum Beispiel bei Änderung der Arbeitszeiten, der Nutzung von noch nicht mitbestimmten technischen Einrichtungen, der Verhütung von Arbeitsunfällen oder bei Versetzungen. Durch den neu eingeführten Paragrafen 87, Absatz 1, Nummer 14 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) wurden die Mitbestimmungsrechte ergänzt, sodass der Betriebsrart auch in den Planungsprozess einbezogen werden sollte.
Kostenübernahme
Wenn der Arbeitgeber Home-Office gewährt, muss er auch die erforderlichen Kosten übernehmen. Das schließt die Büroausstattung, die technische Ausstattung und die Telekommunikationskosten mit ein. Entweder wird der Arbeitnehmer mit allem Notwendigen ausgestattet oder er nutzt seine eigenen Endgeräte ("Bring your own Devices"). Für welche Variante oder Mischkonstellation man sich auch entscheidet, eine vertragliche Grundlage ist unverzichtbar.

Altgassen: Mit dem Etex Smart Workplace haben wir bereits die Mitarbeiter mit sicheren Endgeräten sowie modernen Tools ausgestattet; dies werden wir weiterführen. Die Büroinfrastruktur wurde mit Buchungs- sowie modernen Konferenz- und Videosystemen ausgestattet. Aktuell erarbeiten wir weitere Konzepte, wie hybride Modelle funktionieren können. Natürlich dürfen wir auch die Mitarbeiter nicht außer Acht lassen, die zu Hause nicht über den angemessenen und ruhigen Arbeitsplatz verfügen und deshalb besser im Büro arbeiten. Etex hat mit der Präsenz in 42 Ländern sowie mit mehreren Produktions- und Logistikstandorten ein sehr heterogenes Gesamtbild zu managen. Globale Konzepte einerseits, aber auch lokale Notwendigkeiten und Anpassungen an Gesetzmäßigkeiten andererseits.

Ein sehr wichtiges Projekt haben wir bereits gestartet, nämlich die Anbindung der Produktionsmitarbeiter an unsere Collaboration Tools wie Microsoft Office 365. Auch WhatsApp-Gruppen wurden ins Leben gerufen. Dies wollen wir von der IT-Seite zukünftig besser unterstützen. Es eröffnet zusätzlich Möglichkeiten für smarteres Manufacturing und Industrie 4.0, wenn jeder Fabrikarbeiter eine eigene Benutzerkennung für die Etex-Systeme erhält und entsprechend angebunden ist.

Falls mehr digitales Homeworking stattfinden wird, werden dann auch digitale Kontrollsysteme eingeführt werden? Wie gehen Unternehmen zukünftig mit Kontrolle um?

Altgassen: Dies ist ein komplexes Thema, insbesondere in einem global tätigen Unternehmen. Digitale Kontrollsysteme haben wir nicht und sie sind auch nicht geplant. Im Wesentlichen haben wir Vertrauensarbeitszeit für die Büromitarbeiter. Ich denke auch, dass es hier mehr um eine Weiterentwicklung von entsprechender Leadership gehen muss und dann "result-oriented" der Mitarbeiter geführt und bewertet werden sollte. Natürlich müssen in einem globalen Betrieb zusätzlich die jeweils lokal geltenden gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden.

Tilker: Kontrolle im Homeoffice ist ein sehr sensibles Thema. Ein Unternehmen muss sich darüber im Klaren sein, wie es in dem Spannungsfeld "Time-Tracking" versus "Output-based" agiert. Natürlich ist die Kontrolle der Arbeit zu Hause deutlich schwieriger und insofern ist dringend davon abzuraten, mit sogenannten Keyloggern zu arbeiten. Hier hat das Bundesarbeitsgericht sehr konkrete Rahmenbedingungen definiert. Insofern hilft nur, Führungskräfte in der Disziplin "Remote Leadership" zu üben, denn die agile und flexible Zusammenarbeit in crossfunktionalen und dezentralen Teams stellt in einem solchen Kontext den Erfolgs- und Überlebensfaktor dar.

Welche Maßnahmen ergreifen Unternehmen, um die Mitarbeiter auch ohne physische Präsenz an sich zu binden?

Tilker: Teamgeist, Teambuilding, Arbeitsatmosphäre, etc. funktionieren im virtuellen Team und damit auch im Homeoffice anders. Umso wichtiger ist gute Führung, um den Mitarbeiter ans Unternehmen zu binden. Die Arbeit zu Hause macht insbesondere gute Mitarbeiter für Abwerbung angreifbar. Wer heute vom Homeoffice aus für Arbeitgeber X tätig ist, von Arbeitgeber Y aber eine wesentlich spannendere Aufgabe angeboten bekommt, die er ebenfalls in den eigenen vier Wänden verrichten kann, wird schneller ins Grübeln kommen. Der Arbeitsplatz im eigentlichen Sinne ändert sich ja nicht. Umso wichtiger ist es für die Führungskräfte, auch im virtuellen Team persönliche Beziehungen zu pflegen und sich neben dem klassischen Fordern und Fördern noch vielmehr auf eine mitarbeiterspezifische Förderung und Betreuung zu fokussieren.

Dirk Altgassen, CDO/CIO der Etex Group: COVID-19 hat den Vorständen vor Augen geführt, dass Digital und IT ihren Wertbeitrag für das Unternehmen leisten können. Digitalisierung und IT müssen "Enabler" für das Business sowie all die anderen Funktionen im Unternehmen sein.
Foto: Dirk Altgassen

Altgassen: Dies ist immer ein grundsätzliches Thema, wie man die Mitarbeiter an das Unternehmen binden kann. Hier geht es um das Thema Leadership, Mitarbeiterentwicklung und -einbindung. Ein großes Thema ist die ständig stattfindende Veränderung und Transformation, deren Dynamik durch die zunehmende Digitalisierung zugenommen hat. Es müssen die Mitarbeiter mitgenommen und weiterentwickelt werden. Es ist jedoch immer eine persönliche Entscheidung des Angestellten, inwieweit es für ihn noch passt. Daher ist es wichtig, eine offene Kultur zu schaffen, viel zu kommunizieren und Mitarbeiter in die Transformation einzubinden, Stichwort "Co-Creation". Während der Covid-19-Zeit haben wir uns auch in der IT stärker den Themen "HR Wellbeing" in Zusammenhang mit Homeworking gewidmet. Wir haben diverse Angebote in der IT-Community gefördert, wie zum Beispiel "Virtual Campfires" über private oder auch berufliche Themen.

Was wünschen sich CIOs und CDOs aufgrund der unternehmerischen COVID-19-Erfahrungen nun von ihren Vorständen?

Altgassen: Diese Zeit hat auch den Vorständen vor Augen geführt, dass Digital und IT ihren Wertbeitrag für das Unternehmen leisten können. Digitalisierung und IT müssen "Enabler" für das Business sowie all die anderen Funktionen im Unternehmen sein. Wir betreiben digitale Themen oder IT ja nicht um Selbstzweck, sondern um Effizienzsteigerungen zu ermöglichen, neue Handlungsfelder zu entwickeln, Innovationen und Ideen voranzutreiben und Kunden und Mitarbeiter besser miteinander zu verbinden. Hier muss auch die Digital- und IT-Organisation selbstbewusster werden und das Business beraten - dazu muss sie natürlich auch ihre Hausaufgaben gemacht haben, um in dieser "Advisor-Rolle" ernst genommen zu werden.

Tilker: Man spricht bereits von "The new normal", wenn man über Post-COVID-19 nachdenkt. Das heißt aktuell ist es eine extrem wichtige und richtige Fragestellung für das eigene Unternehmen, wie diese neue Normalität aussehen wird. Hier ist es Aufgabe der Geschäftsführung, das Unternehmen entlang der neuen Normalität strategisch neu aufzustellen. Schon in einer Studie von McKinsey wurde Innovation als ein wichtiges Momentum beschrieben, um die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zu überwinden. Das bedeutet aber nicht nur technologische Aufrüstung, sondern auch die in vielen Unternehmen dringend benötigte Digitalisierung von Prozessen, zum Beispiel in den Bereichen Human Ressources und Sales, die bisher weniger intensiv als andere Bereiche digital transformiert wurden. (pg)

Neue Führungspraxis für die digitale Welt
Der Sportdirektor eines Vereins
Der Sportdirektor eines Vereins stellt den Kader zusammen und gestaltet die Spiel- und Terminpläne für Wettkämpfe und Trainings. Er instruiert Talentscouts, kauft Spieler ein und stellt Bewegungsfreiheit für erforderliche Transfers sicher. Sein Ziel: Menschen zu finden und zu binden, die die Weiterentwicklung des Unternehmens konstant antreiben. Er erweitert die Suchkriterien für die Rekrutierung, stellt Mitarbeiter mit verschiedensten Hintergründen ein und ermöglicht Familien- und altersgerechte Arbeitszeitmodelle.
Führung in der Digitalisierung
Die Studie "Die Haltung entscheidet. Neue Führungspraxis für die digitale Welt" stammt von LEAD (Mercator Capacity Building Center for Leadership & Advocacy) in Kooperation mit der Unternehmensberatung Company Companions sowie der School of Public Policy (Central European University, Budapest) und dem Center for Leadership and Values in Society (Universität St. Gallen). Die Autoren empfehlen acht Rollen als Orientierungshilfen.
Die Landschaftsgärtnerin
Die Landschaftsgärtnerin gestaltet und pflegt Grünanlagen. Sie versteht das gesamte Ökosystem und weiß, wann welche Pflanzen im Jahreszeitenwechsel an welcher Stelle ihre Wirkung entfalten und wie alles zusammenspielt. Ihr Ziel: Das Unternehmen langfristig auf zustellen, wenn Krise und Veränderung zum Normalfall geworden sind. Sie ermöglicht schnelles „Prototyping“, geht unkonventionelle Partnerschaften ein und bricht Silos mittels heterogener, cross-funktionaler Teams auf.
Die Seismologin
Die Seismologin muss wissen, wo die Erde beben könnte. Dafür analysiert sie Daten, registriert feinste Erschütterungen und erkennt Spannungen frühzeitig. Sie erliegt aber nicht der Illusion, die Zukunft genau vorhersagen zu können. Ihr Ziel: Grundlagen für gute Entscheidungen in einer unübersichtlichen Welt zu schaffen. Sie etabliert „Situation Rooms“ zur Entwicklung von Handlungsstrategien, greift über digitale Plattformen auf verborgenes Wissen zu und schult ihre Intuition als zusätzliche "Datenquelle".
Der Zen-Schüler
Der Zen-Schüler ist in Ausbildung und Vorbereitung. Er lernt, reflektiert und prüft sich selbst. Achtsamkeit, Mitgefühl und Offenheit sind seine Tugenden, er pflegt eine disziplinierte (spirituelle) Praxis. Sein Ziel: Das finden, woran er sich festhalten kann, wenn sich alle an ihm festhalten. Er nutzt Coaching- und Mentoring-Programme, schafft physische Räume für den Ausgleich und richtet den Blick nach innen.
Der DJ
Der Discjockey bringt mit seiner Musik die Menschen zum Tanzen. Er setzt einen Rahmen, der motiviert, anregt und gemeinsame Energie erzeugt. Zugleich hat er ein offenes Ohr für Anregungen und sensible Antennen für das richtige Stück im richtigen Moment. Sein Ziel: Eine Kultur der Zugewandtheit zu schaffen – aber mit dem Fokus auf Ergebnisorientierung. Dafür baut er Empathie als Führungskompetenz auf, schafft Räume, in denen Menschen gerne arbeiten, und agiert als Vorbild für Zugewandtheit und Leistungsorientierung.
Die Intendantin eines Theaters
Die Intendantin eines Theaters wählt die Stücke für die Aufführung aus. Sie entwickelt den roten Faden und prägt die gesellschaftliche Wirkungskraft ihres Hauses. Die Künstler und deren Expertise bindet sie dabei ein. Ihr Ziel: in Zeiten großer Unsicherheit und Unplanbarkeit Orientierung zu geben. Über ein „Strategy Board“ schafft sie die Voraussetzung für Richtungsentscheidungen schaffen, erhöht mittels interaktiver Beteiligungsformen die Einigkeit über die Richtung – und hat den Mut zu klaren Ansage in der Krise.
Die Trainerin
Die Trainerin leitet eine Mannschaft taktisch, technisch und konditionell an. Sie bestimmt Trainingsablauf, Mannschaftsaufstellung und Strategie. Sie muss für Misserfolge geradestehen, Erfolge lässt sie ihrem Team. Ihr Ziel: Die Mitarbeiter zu mehr Verantwortungsübernahme zu befähigen. Dafür entwickelt sie über zeitgemäße Lernformate Kompetenzen entwickeln, baut gegenseitiges Vertrauen auf und führt Anreize zur Übernahme von Verantwortung ein.
Der Blogger
Der Blogger kommentiert Geschehnisse – zugespitzt, aufrüttelnd und meist aus einer persönlichen Sichtweise. Er will die Welt verstehen, erklären und übersetzen. Er lebt vom direkten Feedback der Leser. Sein Ziel: Veränderungsbereitschaft in die DNA des Unternehmens zu schreiben. Er kaskadiert die Geschichte der Veränderung in die Firma, moderiert gemeinsame Lernprozesse und gibt sichtbare Veränderungsanstöße.