Anstatt starrer Konzepte mehr Mut zu mehr Offenheit

Arbeiten in der Open Economy

15.01.2018 von Martin Böker
Aufgrund der ineinandergreifenden Meta-Trends auf gesellschaftlicher und technologischer Ebene, wird eine detaillierte Betrachtung der neuen Arbeitswelt der „Open Economy“ unabdingbar. Der Autor hat sich damit auseinandergesetzt.

Global vernetzt und "always on" - die technologische Revolution der vergangenen zwei Dekaden hat die Arbeitswelt radikal verändert. Die zunehmende technologische Vernetzung definiert starre räumliche und zeitliche Konzepte von Arbeit neu. Das Zeitalter der "Open Economy" bricht an: Mitarbeiter arbeiten flexibler, der Arbeitsplatz ist überall und wird smarter. Digitale Nomaden führen unter Verwendung neuer Technologien ein multilokales Arbeitsleben, das von Offenheit, fließenden Grenzen und Flexibilität bestimmt ist.

Arbeiten, wo andere Urlaub machen.
Foto: Svitlana Minazova - shutterstock.com

Ich habe mir die zentralen Charakteristika dieser "schönen neuen Welt" genauer angesehen und komme zu den folgenden Thesen:

Kreativität und freies Denken

Kernkompetenzen von morgen Innovative Technologien und künstliche Intelligenz werden gerade in Branchen wie Retail, Telekommunikation oder Logistik zu Veränderungen führen. Sie werden Menschen jedoch auch entlasten, indem sie alltägliche und repetitive Aufgaben übernehmen. Man denke nur an die Vielzahl an Chatbots, die bereits heute im Bereich Retail zum Einsatz kommen.

Die wachsende Rolle der Technologie in analytischen, planerischen und repetitiven Prozessen lässt menschliche Urteilskraft und kreatives Denken zu zentralen Merkmalen bei der Suche nach neuen Talenten werden. Berufe, die Ideenreichtum und Vorstellungskraft erfordern, werden in Zukunft sowohl bei Angestellten als auch bei Arbeitgebern verstärkt gefragt sein. Ein Bericht des World Economic Forum belegt, dass aus Sicht der Führungskräfte, Kreativität bis 2020 zu den wichtigsten und gefragtesten Fähigkeiten von Mitarbeitern zählen wird. Entsprechend wichtig wird es auch in Zukunft sein, speziell diese Kompetenzen zu fördern.

Lesetipp: Denkanstoß für mehr Kreativität

Freelance-Modelle auf dem Vormarsch

Der globale Arbeitsmarkt für freie Mitarbeiter wird laut Studienergebnissen bis 2020 rund 10 Milliarden US-Dollar wert sein. Was heute oftmals unter dem Begriff der Gig-Economy gefasst wird, bedeutet einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt und eine Abkehr vom Modell der klassischen Festanstellung.

Selbstständig oder Zeitarbeit? Was Freiberufler beachten müssen
Selbstständig oder Zeitarbeit? Was Freiberufler beachten müssen.
Seit April 2017 können sich Auftraggeber nicht mehr vor juristischen Folgen in Sachen Scheinselbstständigkeit schützen, indem sie Selbstständige über eine Vermittlungsagentur buchen. Unternehmen versuchen deshalb verstärkt, Freelancern eine Beauftragung in Zeitarbeit anbieten. Vor einen Wechsel in die Festanstellung sollten Freiberufler jedoch folgende Punkte bedenken.
Weisungsrecht vergegenwärtigen
Als Zeitarbeiter unterliegt der dann "Nicht-Mehr-Selbstständige" dem Weisungsrecht des Arbeitgebers auf Zeit. Dessen Anordnungen ist Folge zu leisten. Er muss sich zum Beispiel Urlaub genehmigen lassen und auch sonstigen Regeln folgen.
Gehalt kalkulieren
Gehaltsforderungen müssen gut überlegt sein. Berücksichtigt werden sollte, dass bei einem Angestellten Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung fällig werden. Außerdem sind Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bezahlten Urlaube sowie Feiertage zu berücksichtigen. Der Auftraggeber zahlt somit einen Aufschlag von 90 bis 110 Prozent auf das Gehalt des Zeitarbeiters. Da der Zeitarbeiter damit deutlich mehr verdient als vergleichbare Angestellte, dürfte das Auftragsverhältnis nach neun Monaten beendet werden, weil ansonsten die Equal-Pay-Regelung greift.
Verträge kündigen
Versicherungsverträge, die für die Selbstständigkeit abgeschlossen wurden, müssen gekündigt werden. Kündigungsfristen sind einzuhalten. Fällt das Gehalt unter die Beitragsbemessungsgrenze, muss sich der Zeitarbeiter in der gesetzlichen Krankenkasse versichern. Die private Krankenversicherung kann er kündigen, womit die Altersrückstellung allerdings hinfällig wäre. Sie kann aber auch auf eine kostenpflichtige Anwartschaft umgestellt werden.
Steuerliche Faktoren bedenken
Steuerlich werden Selbstständige und Angestellte unterschiedlich behandelt. Für Zeitarbeiter entfällt der Abzug der Vorsteuer, und es können nicht mehr alle Kosten steuerlich geltend gemacht werden. Abschreibungen, die das Einkommen reduzieren, entfallen.
Altersvorsorge planen
Die meisten Selbstständigen haben eine private Altersvorsorge. Diese lässt sich in der Regel nicht von heute auf morgen aussetzen. Die Kosten laufen also weiter, während gleichzeitig in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt wird. Diese Doppelbelastung muss unbedingt beachtet und eingeplant werden.
Flexibilität sichern
Selbstständige können ihre Arbeitszeit und ihren Arbeitsort zumindest theoretisch selbst bestimmen. Selbstständige können ihre Arbeitszeit und ihren Arbeitsort zumindest theoretisch selbst bestimmen. Als Angestellter ist das nicht mehr möglich.
Vertragsverhandlungen gut vorbereiten
Es empfiehlt sich, vor der Vertragsunterzeichnung die verschiedenen Konsequenzen zu prüfen. Damit stehen die Chancen am besten, die eigenen Vorstellungen realisieren zu können. Handeln Sie flexible Arbeitszeiten sowie die Möglichkeit, im Home Office zu arbeiten, aus. Dabei sollten Selbstständige und Auftraggeber die Zusammenarbeit so gestalten, dass sie der Deutschen Rentenversicherung keine Argumente für Scheinselbstständigkeit liefern.
Zusammenarbeit neu gestalten
Sprechen Sie mit dem Auftraggeber über die Konsequenzen, die Sie als Zeitarbeitnehmer treffen würden. Prüfen Sie dabei die Kriterien für eine Scheinselbstständigkeit genau und gestalten Sie die Zusammenarbeit gegebenfalls neu.

Insbesondere in der Kreativindustrie ist dies längst ein klarer Trend. Dieser wird zukünftig auch andere Branchen erfassen und dabei auch neue Herausforderungen mit sich bringen: So müssen sich Unternehmen beispielsweise damit auseinandersetzen wie Datenschutz gewährleistet werden kann, wenn man mit Freelancern arbeitet, die für unterschiedliche Unternehmen tätig sind.

Dass Datenschutz zu den großen Herausforderungen neuer Arbeitskonzepte gehört, bestätigt auch eine aktuelle Umfrage unter deutschen Führungskräften: Gefragt nach den größten Herausforderungen mobiler Arbeitskonzepte nennen Führungskräfte am häufigsten Sicherheitsbedenken.
Hinzu kommen neue Anforderungen an die physischen und digitalen Arbeitsplätze: Zentrale Zugangs- und Berechtigungsmanagementsysteme müssen im gesamten Unternehmen klar definieren, wer wie lange und zu welchen Räumlichkeiten und Dateien Zugriff erhält. Dieser "phygitale" Schutz wird Unternehmen in Zukunft immer mehr beschäftigen - man denke neben den Freelancern nur an die Vielzahl an Kunden, Partnern oder Lieferanten aus aller Welt, die täglich die Einfallstore der Unternehmen passieren.

Lesetipp: Einfallstor Dienstleister - Gefährliche Vertragspartner

Etablierung der mobilen Arbeit

Bis 2020 wird fast die Hälfte der Arbeitnehmer ortsunabhängig arbeiten, in kleinen Unternehmen soll die Anzahl sogar auf 70 Prozent ansteigen. Damit wird mobilen Lösungen, die ortsunabhängiges produktives Arbeiten ermöglichen, eine zentrale Rolle in der Open Economy zufallen. Diese Entwicklungen sind schon heute deutlich spürbar: Für zahlreiche Arbeitnehmer gehört das vernetzte Arbeiten unter Verwendung moderner Collaborations-Tools, die beispielsweise Instant Messaging oder Videoanwendungen in Echtzeit bieten, zum Alltag.

Zum Video: Arbeiten in der Open Economy

Immer mehr Führungskräfte leiten ihre Teams "remote" und persönliche Feedbackgespräche via Skype sind schon längst keine Seltenheit mehr. Diese Entwicklung wird von deutschen Arbeitgebern bereits antizipiert: In einer aktuellen YouGov Umfrage schätzen Führungskräfte in Deutschland die Bedeutung mobiler Arbeits-konzepte hoch ein: 73 Prozent der Befragten gaben an, dass mobile Arbeitskonzepte für ihr Unternehmen relevant sind. Davon stuften über 40 Prozent diese sogar als sehr relevant ein. Führungskräfte erwarten in den kommenden fünf Jahren einen wesentlichen Wandel hin zu flexibleren Arbeitszeiten und einen Anstieg der Arbeit aus dem Homeoffice heraus.

Wandel im HR-Management

Das Zusammenspiel der menschlichen und digitalen Welten zu verstehen ist in der Open Economy nicht mehr nur ein optionales Extra, sondern eine Kernkompetenz. HR-Manager werden daher künftig die Aufgabe haben, ganze Unternehmensstrategien mit zu definieren und innerhalb ihrer Organisationen die Voraussetzungen für mehr Agilität und Leistungsfähigkeit zu schaffen. Die Integration einer neuen, flexiblen Generation an Mitarbeitern erfordert versierte HR-Verantwortliche, die ein Verständnis sowohl für Technologie (Möglichkeiten von Automatisierung und künstlicher Intelligenz), als auch für den Trend hin zu größerer Autonomie von Mitarbeitern verfügen. Die kompetente Interpretation der Technologielandschaft wird zu einer strategischen Kernkompetenz.

Roundtable KI und Machine Learning
Oliver Bracht, Chief Data Scientist bei Eoda
"In der Frage der Akzeptanz von KI und Machine Learning ist die Varianz unter den deutschen Unternehmen sehr hoch. Einige stehen noch ganz am Anfang, andere sind schon weit vorangeschritten."
Robert Gögele, General Manager bei Avanade Deutschland
"Im Feld KI und Machine Learning können in Deutschland viele neue Jobs entstehen. Dafür brauchen wir aber einen Kulturwandel, in dem wir uns als Gesellschaft und im öffentlich Diskurs deutlich mehr den Chancen widmen, als uns hinter den wohlbekannten und legitimen Risiken zu verstecken."
Stefan Gössel, Partner bei Reply
"Im ersten Schritt geht es um die eigene Effizienz. Der wesentliche Treiber ist es jedoch, die Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen, um neues Wachstum zu generieren."
Franz Kögl, Vorstand von Intrafind
"Unsere Kunden haben mit dem Thema AI keine Berührungsängste. Alle gehen das pragmatisch an: Business Case und Anforderungen definieren, dann für den Use Case die beste Kombination aus AI-Verfahren auswählen und die Machbarkeit testen."
Ronny Kroehne, Senior IT Architect bei IBM
"Wir reden immer öfter direkt mit den Fachbereichen. Da ist der Innovationsdruck am Größten."
Katharina Lamsa, Pressesprecherin für die Division Digital Factory bei Siemens
"Die zunehmende Digitalisierung ist ein wesentlicher Treiber für die Entwicklung und die Akzeptanz von KI und Machine Learning bei unseren Kunden. Insbesondere im Maschinenbau sehen wir Ansätze, sich mit diesem Innovationsfeld intensiv zu befassen. Darunter finden sich auch kleinere, sehr innovative Unternehmen, die das Zukunftspotenzial des Themas erkannt haben."
Markus Noga, Leiter Maschinelles Lernen, SAP SE
"Unsere Vision ist das intelligente Unternehmen. Dank maschinellem Lernen und natürlicher Sprachverarbeitung werden Softwaresysteme Mitarbeiter zukünftig in allen Routinetätigkeiten unterstützen und ihnen die Möglichkeit geben, sich auf kreative und strategische Aufgaben zu fokussieren. Wir treiben diese Entwicklung mit intelligenten Applikationen und Services voran und bieten Anwendungsmöglichkeiten für jeden Kenntnisstand."
Klaus-Dieter Schulze, Senior Vice President Digital Business Solutions bei NTT Data Deutschland
"Ich muss immer mit der Business-Frage anfangen, nicht mit der Technologie."
Max Zimmermann, Data Scientist von Lufthansa Industry Solutions
"Man muss die unterschiedlichen Bereiche Künstlicher Intelligenz definitorisch voneinander abgrenzen. Einfache Regressionsverfahren zum Beispiel genießen derzeit hohe Akzeptanz."

Offener Führungsstil löst prozessgetriebene Strukturen ab

Traditionelle, hierarchisch organsierte Managementstrukturen und -strategien werden insbesondere von der heranwachsenden "digital Workforce" mit wachsender Skepsis gesehen oder gar vollständig abgelehnt. Betriebswirtschaftliches Denken und die Frage, wie Freelancer einen effektiven Beitrag leisten können, werden in Zukunft also in den Fokus rücken, während strukturelle und prozessorientierte Fragen zunehmend in den Hintergrund treten.

Führungsstile, die sich über feste Prozesse, starre Zielvorgaben und Kontrolle definieren, werden durch neue dezentralere Organisations- und Teamstrukturen ersetzt, die einzelnen Mitarbeiter größere Freiräume geben. Bereits heute zeigt sich unter deutschen Führungskräften eine Abkehr vom klassischen Kontrolldenken - beispielsweise in puncto Homeoffice. In einer aktuellen Umfrage von YouGov und Samsung nannten lediglich sechs Prozent der befragten Führungskräfte eine mangelnde Kontrolle der Mitarbeiter als Nachteil des Homeoffice. Für die große Mehrheit (85 Prozent) der Führungskräfte macht es das Homeoffice zudem nicht schwieriger, die Arbeit der Mitarbeiter zu bewerten.

Gestützt von den genannten Zahlen und Thesen empfehle ich, den Schritt hin zu mehr Offenheit zu wagen, bestehende Muster und Rollen zu hinterfragen und zu versuchen, die Perspektive der "digitalen Nomaden" einzunehmen. Moderne Technologien, die uns dazu befähigen, die Potentiale der "Open Economy" voll auszuschöpfen sind bereits da - wir müssen nur bereit sein sie auch zu nutzen.