Future ERP

Vom Monolithen zur Plattform

27.07.2018 von Martin Bayer
ERP-Anwender erwarten von ihren Systemen Flexibilität und Agilität, gleichzeitig aber auch einen stabilen und verlässlichen Kern. Das ist mit den starren Software-Monolithen der Vergangenheit aber nicht zu machen. Daher gilt es, die Systeme aufzubrechen und auf Basis von Technologien wie Cloud, KI, Robotic Process Automation und Low-Code-Entwicklung neue Plattformen aufzubauen.

"ERP-Systeme sind tot - es lebe die ERP-Plattform!" - so umschreibt Heinz-Paul Bonn, ehemals Geschäftsführer des ERP-Anbieters GUS und heute Berater sowie Ehrenmitglied des Bitkom, die aktuelle Situation in der Software-Liga des Enterprise Resource Planing. Wieder einmal werde die Architektur von ERP-Systemen von Grund auf umgebaut. Allerdings greife der Paradigmenwechsel diesmal tiefer, er sei sogar disruptiver, ist Bonn überzeugt. "Die Art und Weise, wie wir künftig Software verkaufen und Software nutzen, unterscheidet sich signifikant von der guten alten Zeit der standardisierten Anwendungsentwicklung", schreibt der langjährige Branchenkenner in seinem Vorwort zum Positionspapier "Digitale Plattformen und ERP" des Bitkom.

Die ERP-Welt ist in Aufruhr.
Foto: Alex Kednert - shutterstock.com

Die digitale Transformation, das Bezugsmodell Cloud sowie die immer lauter werdenden Forderungen nach mehr Flexibilität und Agilität im IT-Betrieb wirken sich auch auf die ERP-Landschaften aus. Längst sind die Software-Monolithen, die nach wie vor das IT-Fundament in vielen Unternehmen bilden, nicht mehr unantastbar.

Lange Zeit war das so. Vor einem knappen halben Jahrhundert verfolgten die ersten Softwarehäuser, darunter auch die 1972 gegründete SAP, die Idee, Standardlösungen zu entwickeln, um damit die grundlegenden Geschäftsprozesse in den Unternehmen zu unterstützen. Was mit der Buchhaltung und der Produktionsplanung begann, dehnte sich bald immer weiter aus. Hinzu kamen Bereiche wie der Einkauf, die Logistik und der Vertrieb - am Ende standen integrierte Komplettlösungen.

Integrierte Komplettlösung - Fluch und Segen

Diese ERP-Systeme erwiesen sich aus heutiger Perspektive betrachtet als Segen und Fluch zugleich. Ihr großer Vorteil war und ist die Integration - ein Aspekt, auf den viele Anwender auch heute nicht verzichten wollen. Alle Softwaremodule sind von Haus aus in einer Gesamtlösung miteinander verknüpft. Workflows, Prozesse und Daten lassen sich - theoretisch - leicht verknüpfen und müssen nicht erst mühevoll über verschiedene Systeme hinweg miteinander verzahnt werden.

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Den Komfort erkaufen sich die Anwenderunternehmen allerdings mit etlichen Nachteilen. Klassische ERP-Systeme sind monolithisch und starr. Wer sich einmal für eine bestimmte ERP-Lösung entschieden und diese tief mit seinem Geschäftsbetrieb verwoben hat, bleibt in aller Regel bei diesem System. Wechsel sind meist aufwendig, die Abhängigkeit vom jeweiligen Softwarehersteller damit hoch. Das bedeutet, dass die Anwender dem Entwicklungspfad ihres ERP-Lieferanten folgen müssen - ob es ihnen gefällt oder nicht.

Dazu kommt ein weiteres Damokles-Schwert, das über den Häuptern vieler ERP-Anwender schwebt: das Customizing. Viele Softwarehersteller geben ihren Kunden Werkzeuge an die Hand, mit deren Hilfe sich die Systeme weiter individualisieren lassen. Das haben die Anwender weidlich ausgenutzt. Zu verlockend war die Aussicht, die Software bis ins Detail an die eigenen Abläufe und Anforderungen anzupassen. Die Erkenntnis, dass dieses Customizing letztendlich kaum Vorteile für das Business bringt und man doch besser beim Standard geblieben wäre, reifte in vielen Unternehmen erst spät. Heute müssen die IT-Verantwortlichen nach Wegen suchen, wie sie mit ihrem Wildwuchs zurechtkommen und ihre Systeme fit für den digitalen Wandel machen.

Unser ERP soll moderner werden

Bemühungen, das ERP grundsätzlich zu modernisieren, gab es in der Vergangenheit einige. Schlagworte wie Future ERP oder ERP 4.0 geisterten in den vergangenen Jahren immer wieder durch die Branche. Mehrfach wurden Anläufe unternommen, die starren monolithischen Strukturen durch neue Architekturansätze aufzubrechen.

Um die Jahrtausendwende kam mit Enterprise Application Integration (EAI) ein Konzept auf, um Geschäftsfunktionen entlang der Wertschöpfungskette zu integrieren. Die Anwendungssysteme blieben unangetastet und konnten in ihren heterogenen Strukturen weiter bestehen. Für die Integration sollten Adapter sowie eine Integrationsschicht sorgen, auf der Regeln und Prozessbeschreibungen hinterlegt sind. Man sprach in diesem Zusammenhang auch von lose gekoppelten Systemen - Loosely Coupled Systems. Das Handling der Schnittstellen und des Bus-Systems blieb allerdings komplex.

Die Evolution der IT-Architekturen

Auf EAI folgte die Service-orientierte Architektur (SOA). Dabei sollten sich Geschäftsprozesse über verschiedene miteinander orchestrierte Softwareservices abbilden lassen. Das Ziel: Diese Softwareservices könnten Anwender in unterschiedlichen Kontexten wiederverwenden. Die Kommunikation dieser Dienste untereinander funktioniert über standardisierte Web-Services und Protokolle wie SOAP und REST. Verzeichnisdienste, welche Services wie nutzbar sind, sollten Anwendern dabei helfen den Durchblick zu behalten.

Richtig abgehoben hat das Konzept nicht. SOA-Architekturen haben die Komplexität eher noch erhöht. Der Implementierungsaufwand war in aller Regel enorm. Nachdem viele Milliarden in entsprechende Projekte geflossen waren, erlosch das Interesse mit der Finanzkrise im Jahr 2008 zusehends.

Paradigmenwechsel durch die Cloud

Mit dem immer stärkeren Aufkommen der Cloud in den zurückliegenden Jahren sowie dem damit verbundenen Plattformgedanken, scheint sich nun aber tatsächlich ein Paradigmenwechsel in Sachen ERP anzubahnen. Einer Untersuchung von Forrester Research zufolge werden Unternehmen weltweit in diesem Jahr 189,3 Milliarden Dollar für Applikationen zur Unterstützung ihrer Business-Prozesse ausgeben - 13 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Davon sollen 79,8 Milliarden Dollar in Software-as-a-Service-Lösungen (SaaS) fließen, ein Anteil von über 42 Prozent. Im Jahr 2012 betrug der SaaS-Anteil gerade einmal gut 18 Prozent.

Der Cloud-Anteil im Markt für Business Software wächst stark und kontinuierlich, haben die Analysten von Forrester Research festgestellt.
Foto: Forrester Research

Gleichzeitig wächst auf Seiten der Anwenderunternehmen der Bedarf, die eigenen ERP-Systeme auf Vordermann zu bringen. Auf der Prioritätenliste in den Betrieben steht die Modernisierung von Legacy-Anwendungen meist ganz weit oben. Wie intensiv sich die Anwenderunternehmen mit der Zukunft ihrer ERP-Systeme beschäftigen, zeigen die anhaltenden Diskussionen in den Reihen der SAP-Anwender. Im vergangenen September stand der Jahreskongress der Deutschsprachigen SAP Anwendergruppe (DSAG) unter dem Motto "Zwischen den Welten - ERP und digitale Plattformen". Dabei drehte sich alles um das passende ERP für die Digitalisierung. Stabil müsse es sein, aber gleichzeitig auch flexibel, so die Forderung der Anwender. Das ERP-System der Zukunft soll alle wesentlichen Geschäftsprozesse abdecken, sich gleichzeitig aber auch schnell und einfach updaten lassen. Zusätzlich müsse der ERP-Kern mit flexibel konfigurierbaren Lösungen ergänzt werden können. Nur so ließen sich End-to-End-Prozesse als elementarer Bestandteil digitaler Geschäftsmodelle über Unternehmensgrenzen hinweg realisieren. Aber: "Da sind wir heute noch nicht", machte vor wenigen Monaten der DSAG-Vorstandsvorsitzende Marco Lenck klar.

So werden sich die SAP-Anwender auch in diesem Jahr auf ihrem Jahreskongress im Oktober wieder vorrangig mit Architekturfragen beschäftigen. Das Motto in diesem Jahr: "Business ohne Grenzen! Die Architektur der Zukunft." In Zeiten permanenten technologischen Fortschritts sei es zu wenig, sich nur mit bekannten Themen wie Konsolidierung oder Optimierungsprojekten zu beschäftigen, heißt es. Vielmehr stünden richtungsweisende Überlegungen an, die man auf dem Weg zu neuen Geschäftsmodellen diskutieren müsse: Welche Plattformen existieren für die Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie? Welches Cloud-Szenario ist für welchen unternehmerischen Ansatz geeignet? Und warum stehen die aktuellen ERP-Landschaften so massiv in Frage?

"Das heutige Dilemma besteht darin, dass einerseits im ERP-Kern so viel wie möglich integriert sein soll, dieser andererseits aber immer mehr mit Cloud-Komponenten erweitert werden muss", bringt es Lenck auf den Punkt. An dieser Stelle die richtige Balance zu finden, ist offensichtlich die große Herausforderung für die ERP-Anwender. Ein zentrales ERP sollte unter integrativen Gesichtspunkten weiterhin gesetzt bleiben, wünschen sich die User. Angesichts zunehmender Kollaboration mit Kunden und Lieferanten sowie wachsenden Internet-of-things-Szenarien wächst aber der Bedarf an Funktionalitäten, die nicht im ERP abgebildet werden können - und auch nicht sollen. Dazu zählen die DSAG-Vertreter beispielsweise die permanente Übermittlung von Betriebsdaten von beim Kunden installierten Maschinen für Wartungsservices oder für die Pay-per-Use-Abrechnung.

Die SAP-Anwender sind auf der Suche nach dem richtigen ERP-System für die Digitalisierung. Stabiler Kern mit flexiblen Services drum herum - so soll die ERP-Zukunft aussehen. "Da sind wir heute noch nicht", machte Marco Lenck, Vorstandsvorsitzender der deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe im herbst 2017 klar.
Foto: DSAG

Nur Cloud ist auch keine Lösung

Alles einfach in die Cloud zu verlagern ist für die SAP-Kunden keine Lösung. Ein SaaS-Produkt sei zwar schnell verfügbar und aktualisierbar, aber nur eingeschränkt auf individuelle Bedürfnisse anpassbar, warnt die DSAG. Nach wie vor scheint das Customizing-Bedürfnis also groß zu sein. Darüber hinaus gebe es aber sehr wohl Modelle, die auf eine Plattform als Basis für digitale Geschäftsmodelle setzten. Die Cloud sei dann die notwendige und richtige Technologie, um eigene Prozesse schnell und effizient entwickeln und nutzen zu können, um damit ein Differenzierungsmerkmal am Markt zu generieren, lautet das Credo der Anwendervertreter.

Bei der Digitalisierung würden Plattformen eine wichtige Rolle spielen, um das erforderliche Maß an Flexibilität zu ermöglichen. Für die Unternehmen bestehe die Kunst darin, sich für die richtigen Plattformen zu entscheiden. Dann ist SAP aus Sicht der eigenen Kunden aber nur noch ein Anbieter von mehreren, dessen Lösungen für die Prozessmodellierung mit anderen integriert werden müssen. Hier die beste Entscheidung zu treffen, sei für jedes Unternehmen aus Sicht der DSAG die große Herausforderung.

Diese Entscheidung zu treffen, fällt den ERP-Anwendern allerdings schwer. Zumal sich offenbar auch immer mehr Betriebe die Frage stellen, inwieweit das ERP-System in Zukunft überhaupt noch eine maßgebliche Rolle bei Innovationen und damit im digitalen Wandel spielen wird. Das wurde unter anderem deutlich im Rahmen einer von Arvato Systems beauftragten Studie von Pierre Audoin Consultants (PAC). Die Analysten haben über 100 deutsche SAP-Anwenderunternehmen mir mehr als 1000 Mitarbeitern über den aktuellen Stand ihrer Umstellung auf SAP S/4HANA befragt.

S/4HANA-Umstieg - Anwender schauen auf die Technik

Für viele dieser Kunden stehen demnach vor allem die technischen Möglichkeiten der neuen ERP-Generation aus dem Hause SAP im Vordergrund. Zwei Drittel der Befragten erhoffen sich von S/4HANA großen Nutzen durch die Beschleunigung von Prozessen und Datenanalysen einen. 57 Prozent verweisen unter dem Nutzenaspekt ganz allgemein auf eine Modernisierung ihrer SAP-Applikationen und -Infrastruktur. Dagegen rangieren die Unterstützung von neuen Geschäftsprozessen beziehungsweise neuer Geschäftsmodelle nur unter ferner liefen. Gerade einmal ein Drittel der Befragten gab an, SAPs neues ERP würde in dieser Hinsicht Vorteile bringen. Nur gut ein Drittel der Unternehmen erklärte, die eigene digitale Agenda sei ein sehr wichtiger (13 Prozent) beziehungsweise wichtiger (22 Prozent) Grund für den Umstieg auf S/4HANA.

Die Unterstützung neuer Geschäftsprozesse beziehungsweise Geschäftsmodelle spielt bei der S/4HANA-Umstellung offenbar keine große Rolle.
Foto: PAC

So verwundert es auch nicht, dass das S/4HANA-Geschäft langsamer in die Gänge kommt, als sich SAP vorgestellt haben wird. noch nicht eingesetzt hat. Lediglich 32 Prozent der befragten Unternehmen befinden sich in einer Migration (neun Prozent) oder haben diese fest eingeplant (18 Prozent) beziehungsweise bereits vollzogen (fünf Prozent), lautet ein zentrales Ergebnis der PAC-Umfrage. Mehr als die Hälfte (54 Prozent) diskutiert derzeit über eine mögliche Einführung, für 14 Prozent ist SAPs neues ERP aktuell kein Thema.

Die Mehrheit der SAP-Anwender diskutiert derzeit noch über eine mögliche S/4HANA-Umstellung.
Foto: PAC

Dabei ist den Verantwortlichen durchaus bewusst, dass es Handlungsbedarf gibt. In Bezug auf ihre SAP-Systeme bezeichneten über 60 Prozent der von PAC Befragten eine schnellere Umsetzung innovativer Geschäftsanforderungen sowie eine bessere Ausrichtung der SAP-gestützten Prozesse auf die eigenen Geschäftsanforderungen als große Herausforderung. Gleiches gilt für die Steigerung von Anpassbarkeit, Flexibilität und Benutzerfreundlichkeit.

Es gibt Handlungsbedarf in Sachen SAP-Systeme.
Foto: PAC

Operation am offenen IT-Herzen

Trotz aller Herausforderungen und neuer Anforderungen ist die Trägheit in Sachen ERP-Umstellung groß. Das verwundert auch nicht. Schließlich geht es hier um eine Operation am offenen IT-Herzen. ERP-Systeme steuern schließlich die wichtigsten Prozesse in den Betrieben. Fehlentscheidungen mit daraus resultierenden Pannen und Ausfällen kann sich keine Firma leisten. Die Verantwortung liegt dann bei der IT. Deshalb fassen die Verantwortlichen das Thema Migration nur mit ganz spitzen Fingern an.

Dazu kommt, dass gerade im SAP-Umfeld mit dem Umstieg auf S/4HANA kein gewöhnliches Update ansteht, sondern die Migration auf eine komplett neue Produktgeneration. Mit der In-Memory-Datenbank HANA verändert sich die grundlegende Datenbanktechnik. Vielen SAP-Anwender arbeiten derzeit mit klassischen Datenbank-Managementsystemen (DBMS) beispielsweise von Oracle, Microsoft oder IBM. Der Wechsel der Datenbanktechnik führt dazu, dass Datenmodelle sowie Geschäftslogik entsprechend angepasst werden müssen. Darüber hinaus müssen sich die User mit der neuen Bedienoberfläche Fiori an ein anderes User Interface gewöhnen. Und zuletzt gilt es für die SAP-Anwender eine Entscheidung hinsichtlich des Betriebsmodells zu treffen. Zwar gibt es S/4HANA herkömmlich als On-Premise-Version. Der Hersteller favorisiert allerdings eine andere Variante. Die Weichen, die SAP schon vor einiger Zeit neu gestellt hat, führen ganz klar auf das Cloud-Gleis.

SAP S/4HANA-Umstieg in drei Schritten

Alles Dinge, die einem klassisch auf Kontinuität und Stabilität bedachten ERP-Anwender erst einmal Unbehagen bereiten. Daher setzen zwei Drittel der Unternehmen, die vorhaben, auf S/4HANA zu wechseln, auf einen Brownfield-Ansatz - das heißt eine Migration der bestehenden Systeme. Über einen harten Schnitt in Sachen SAP, also eine Neuimplementierung (Greenfield-Ansatz) denkt dagegen nur ein Drittel der Umsteigewilligen nach.

ERP-Migration - Aufwand lässt sich nur schwer abschätzen

Da passt es auch ins Bild, dass einige SAP-Kunden offenbar darauf spekulieren, dass ihr Softwarelieferant seine Wartungsfristen für die bestehenden Releases noch einmal verlängert - aktuell endet SAPs Wartungszusage im Jahr 2025. Laut der PAC-Umfrage setzen derzeit 85 Prozent der Befragten SAPs ERP Central Component (ECC) ein, 63 Prozent haben noch R/3 im Einsatz. Von den Unternehmen, für die S/4HANA aktuell noch kein Thema ist, erwartet jeder fünfte, dass SAP das Wartungsende über 2025 hinausschiebt. Übrigens: Vier von zehn Unternehmen, die sich gegen eine Migration entscheiden, sagen, dass sie keinen Mehrwert in S/4HANA sehen. Sieben Prozent wollen den ERP-Anbieter wechseln.

Insgesamt ist die Unsicherheit in den Reihen der SAP-Kunden nach wie vor groß, was den Umstieg auf S/4HANA betrifft. Zwei von drei Anwenderunternehmen können den Aufwand für die Migration noch nicht abschätzen. Mehr als 70 Prozent halten die Kosten für Softwarelizenzen und Hardware im Zuge der Einführung für zu hoch. Dazu kommt, dass die Mehrheit der Anwender S/4HANA offenbar immer noch zu wenig kennen, obwohl das System schon Anfang 2015 veröffentlicht wurde.

Mit ihrer Skepsis sind die Anwender nicht allein. Die Analysten von Panorama Consulting, einem US-amerikanischen Beratungs- und Marktforschungsunternehmen, beobachten seit Jahren wie ERP-Projekte verlaufen und haben dabei vor allem die großen Anbieter SAP, Oracle, Microsoft und Infor im Blick. In ihrem aktuellen Bericht "2018 ERP Report" legen die Marktbeobachter den Finger in die Wunde altbekannter ERP-Projektprobleme. Fast zwei Drittel aller ERP-Vorhaben überschreiten ihr Budget (2017: 74 Prozent), fast acht von zehn Projekten dauern länger als erwartet (2017: 59 Prozent). Ein Blick auf die Gründe macht deutlich, wie unerfahren die Anwenderunternehmen offensichtlich sind. Was im Grunde leicht zu erklären ist: Ein ERP-Projekt stemmen die Verantwortlichen schließlich nicht alle Jahre. Umso schwerer ist die ERP-Projektkalkulation. Neben technischen und organisatorischen Problemen sind vor allem unrealistische Einschätzungen im Vorfeld die Hauptursache für verfehlte Budget- und Zeitpläne.

Cloud-ERP wird immer stärker nachgefragt

Was den Erfolg von ERP-Projekten betrifft, macht sich offenbar in vielen Unternehmen schnell Ernüchterung breit. Knapp die Hälfte der Anwender berichtet, zwischen 50 und 80 Prozent der im Vorfeld anvisierten Vorteile erreicht zu haben, Gut vier von zehn Anwendern spricht von einer Zielerreichung zwischen 30 und 50 Prozent. Immerhin liegt nur eines von 100 befragten Unternehmen noch schlechter. Die Gesamtbilanz in Sachen ERP-Projekterfolg fällt insgesamt jedoch ernüchternd aus. Nur 42 Prozent der von den Marktforschern befragten Unternehmen würden ihr ERP-Projekt als Erfolg bezeichnen - im vergangenen Jahr waren es noch fast doppelt so viele. Mehr als ein Viertel (28 Prozent) sprechen dediziert von einem Fehlschlag.

Nur 42 Prozent der ERP-Projekte werden als Erfolg eingestuft, hat eine Untersuchung von Panorama Consulting ergeben.
Foto: Panorama Consulting

Da wird sich etwas ändern müssen im ERP-Markt - und das tut es offenbar auch. So haben die Marktbeobachter von Panorama Consulting in ihrem aktuellen Report einen dramatischen Wandel im ERP-Bezugsmodell festgestellt. Fast zwei Drittel (64 Prozent) der neuen ERP-Software wird im SaaS-Modell ausgeliefert. Weitere 21 Prozent sind spezielle Cloud-ERP-Anwendungen. Nur noch 15 Prozent der neuen ERP-Applikationen landen als klassische On-Premise-Installationen beim Kunden - im vergangenen Jahr waren es noch 67 Prozent.

Einen Grund für diese Entwicklung sehen die Marktforscher von Panorama Consulting in den Strategien der ERP-Hersteller, die durch die Bank auf die Cloud-Karte setzen. Aber auch der Plattformgedanke dürfte in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Für viele Unternehmen dürfte es Zukunft vor allem darum gehen, mit ERP die grundlegenden Business-Prozesse abzudecken - möglichst effizient, stabil, hoch verfügbar und reibungslos. Das spiegeln auch die Ergebnisse der Panorama-Umfrage wider. Die von den Unternehmen erwarteten ERP-Vorteile zielen auf eine bessere Verfügbarkeit von Daten und Informationen, effizientere Prozesse und Produktivität sowie eine bessere Erfüllung von Compliance-Regeln und geringere Kosten.

Digitalisierung - welche Rolle spielt das ERP

Die Musik der Digitalisierung spielt indes abseits des ERP. Nur zehn Prozent der Befragten haben mit ihren ERP-Vorhaben eine Transformation ihres Business projektiert. Auch Faktoren wie eine bessere Interaktion mit Kunden (13 Prozent) oder Zulieferern (15 Prozent) sowie tiefere Einblicke, wie das eigene Geschäft funktioniert (14 Prozent) und die Möglichkeit besser informiert Entscheidungen zu treffen (17 Prozent), standen bei den wenigsten auf der ERP-Wunschliste.

Daraus zu schließen, das ERP werde in Zukunft nicht mehr wichtig sein, ist allerdings falsch. Vielmehr dürfte es in Zukunft, wie es auch die DSAG beschreibt, um einen stabilen ERP-Kern gehen, der von verschiedenen Zusatzmodulen flankiert wird. Das legt auch die PAC-Umfrage nahe. Demzufolge haben fast die Hälfte der SAP-Anwender im Zuge ihres Umstiegs auf S/4HANA vor, künftig das Analytics-Angebot von SAP zu nutzen, 36 Prozent wollen das Integrated Business Planning einsetzen. Und auch die anderen Cloud-Angebote von SAP scheinen zunehmend gefragt. Jeweils gut ein Fünftel will SuccessFactors (Human Resources), Cloud 4 Customer (Customer Relationship Management), Leonardo (Internet of Things) oder Ariba (Supply Chain) nutzen. In diesen, das ERP umkreisenden Satelliten wird sich Innovation und die digitale Transformation abspielen. Funktionieren kann das Ganze allerdings nur, wenn das ERP als Gravitationszentrum funktioniert.

Dabei handelt es sich jedoch nicht einfach nur um einen abgespeckten ERP-Kern. Vielmehr verändern neue Technologien das ERP auch in seinem Innersten. Gartner spricht von "Postmodern ERP", in dem Platform as a Service (PaaS) eine strategische Rolle spielen wird. Auf diesen Cloud-Plattformen würden künftig funktionale Erweiterungen für Cloud-ERP-Umgebungen entwickelt sowie die Integration abgewickelt. Zudem entwickle sich Gartner zufolge Analytics zu einem integralen Bestandteil der ERP-Umgebungen. Das werde sich auch auf die dahinterliegenden Prozesse auswirken, wenn beispielsweise Echtzeitentscheidungen möglich werden, sich Risiken genauer einschätzen lassen und Ressourcen dynamisch allokieren lassen.

Die Plattform ist das Ziel

Die Analysten von Forrester Research verweisen darauf, dass sich mit Hilfe von Robotic Process Automation (RPA) viele Standardabläufe im ERP-Kern weitgehend automatisieren ließen und damit zusätzliche Ressourcen frei würden, sich um Innovationen zu kümmern. Für die Erweiterung der ERP-Infrastrukturen werden aus Forrester-Sicht Low-Code-Plattformen eine immer wichtigere Rolle spielen. Etliche Softwarehäuser würden bereits heute entsprechende Entwicklungsumgebungen anbieten, mit deren Hilfe sich Erweiterungen und zusätzliche Funktionen für das ERP bauen ließen. Auf lange Sicht könnte das Thema Low-Code-Entwicklung noch weit tiefgreifendere Folgen haben. Nämlich wenn Unternehmen anfangen, damit von Grund auf entlang ihrer funktionalen Anforderungen aus dem Business ihre Anwendungen komplett neu zu entwickeln. Erste Tendenzen in diese Richtung gibt es bereits.

"Digitale Plattformen sind das exakte Gegenmodell zu monolithischen Systemen", sagt der ehemalige Geschäftsführer der GUS Group und langjährige ERP-Kenner Heinz-Paul Bonn.
Foto: GUS Group

"Digitale Plattformen sind demnach das exakte Gegenmodell zu monolithischen Systemen", beschreibt ERP-Pionier Bonn seine Vision. "Sie sind offen für Entwicklungen Dritter und offen für die Integration bei Dritten. Sie lassen sich frei kombinieren und frei einbetten. Das eröffnet neue Freiheitsgrade für Anwender, die sich nach optimalen Lösungsansätzen umschauen können und nicht auf das Angebot ihres ERP-Anbieters angewiesen sind."