Im CRM gegen Salesforce

SAP kauft Qualtrics für acht Milliarden Dollar

12.11.2018 von Martin Bayer
Kurz vor dessen Börsengang hat sich SAP den Spezialisten für Experience-Management (XM) Qualtrics geschnappt. Mit den Tools des Cloud-Anbieters sollen Anwender analysieren können, wie Kunden und Mitarbeiter zum eigenen Unternehmen stehen und wie Produkte und Marke funktionieren. Das war den Walldorfern acht Milliarden Dollar wert.

SAP-CEO Bill McDermott macht ernst mit seiner Ankündigung, den Markt für Customer Relationship Management (CRM) neu definieren zu wollen. Nach der Übernahme von Callidus Software für 2,4 Milliarden Dollar Anfang des Jahres und der Vorstellung von C/4HANA, einer aus eigenen und zugekauften Produkten neu paketierten CRM-Suite, im Juni 2018 folgte nun der nächste Paukenschlag: Der größte deutsche Softwarekonzern gab bekannt, den US-amerikanischen Softwarehersteller Qualtrics übernehmen zu wollen. Die Stoßrichtung dieser Strategie ist eindeutig. SAP will dem Branchenprimus Salesforce, der den Markt seit Jahren dominiert, Paroli bieten.

SAP-CEO Bill McDermott scheint genau zu wissen, wo er im CRM-Markt hin will.
Foto: SAP

Qualtrics, das 2002 gegründet wurde, bezeichnet sich selbst als Pionier für das Experience Management (XM). Aus Sicht des Softwareanbieters geht es für Unternehmen dabei um vier zentrale Erfahrungsaspekte: Kunden, Mitarbeiter, Produkte und die eigene Marke. Mit der Software Qualtrics "Customer Experience" könnten Unternehmen in Erfahrung bringen, wie sich der Kundenbedarf ändert, welche Kunden für das eigene Geschäft wichtig sind und wie sich Potenzialkunden von der eigenen Marke überzeugen lassen. Dabei hätten die Nutzer stets das gesamte Kundenerlebnis im Blick und könnten entsprechend reagieren sowie Berührungspunkte gezielt verbessern, versprechen die Verantwortlichen.

Darüber hinaus diene das Werkzeug "Employee Experience" dem Anbieter zufolge dazu, entscheidende Momente des Mitarbeiterzyklus besser handhaben zu können. Damit lasse sich das Engagement erhöhen, der Fluktuation entgegenwirken und zudem der Teamgeist stärken.

SAP und Qualtrics im Vergleich.
Foto: SAP

Mit "Product Experience" will Qualtrics Anwendern dabei unter die Arme greifen, das Potenzial der eigenen Produkte besser auszureizen. Gerade in Zeiten, in denen sich Märkte immer schneller veränderten werde es für die Unternehmen immer wichtiger, die eigenen Produkte optimal am Markt zu platzieren, hieß es. Das Werkzeug misst das Benutzererlebnis und erstellt Prognosen zur Produktnutzung und Marktakzeptanz. Mit "Brand Experience" hätten Organisationen das Markenbewusstsein, den Markenwert und die Markenwahrnehmung im Blick, könnten diese qualitativ bewerten und entsprechend den Auftritt der eigenen Marke zielgenauer steuern.

Betriebsdaten mit Erlebnisdaten kombinieren

"Zusammen werden SAP und Qualtrics einen neuen Standard definieren, ähnlich wie sich Märkte durch personalisierte Betriebssysteme, mobile Endgeräte und soziale Netzwerke verändert haben", kommentierte SAP-Chef McDermott die Aquisition. "Wenn wir nun unsere Betriebsdaten mit den Erlebnisdaten von Qualtrics kombinieren, schaffen wir umgehend eine neue XM-Kategorie mit einer End-to-End-Lösung mit globaler Reichweite." Die Experience-Daten und -Erkenntnisse von Qualtrics zusammen mit den umfassenden operativen Daten aus SAP-Systemen ermöglichten Kunden, ihre Lieferketten, Netzwerke, Mitarbeiter und Kernprozesse besser zu steuern, verspricht SAP.

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Mit einem Kaufpreis von acht Milliarden Dollar ist die Übernahme von Qualtrics die zweitteuerste Akquisition in der Geschichte von SAP - nach dem Kauf von Concur, einem Cloud-Spezialisten für das Reise- und Reisekostenmanagement, für 8,3 Milliarden Dollar vor rund vier Jahren. Der Kaufpreis für Qualtrics soll in bar entrichtet werden. Die Verantwortlichen beider Unternehmen haben den Deal bereits befürwortet, genauso wie die Investoren beim US-Cloud-Anbieter. Die Genehmigungen der Aufsichtsbehörden vorausgesetzt, soll der Deal im ersten Halbjahr 2019 abgeschlossen werden.

Cloud-Anbieter Qualtrics schreibt schwarze Zahlen

Der XM-Spezialist hat seit 2012 in verschiedenen Finanzierungsrunden insgesamt rund 400 Millionen Dollar bei Investoren eingesammelt, darunter Accel, Insight Venture Partners und Sequoia Capital. In der letzten Runde im April 2017 wurde das Unternehmen mit 2,3 Milliarden Dollar bewertet. Noch bis zum Oktober 2018 hatten die Qualtrics-Verantwortlichen die Vorbereitungen für einen Börsengang forciert. Der Softwareanbieter wies 2016 Einnahmen in Höhe von 190 Millionen Dollar aus, 2017 waren es 290 Millionen Dollar und für das laufende Jahr rechnet das Management mit einem Umsatz von knapp 400 Millionen Dollar. Nachdem 2016 noch ein Verlust von 12 Millionen Dollar angefallen war, schrieb der Anbieter im vergangenen Jahr mit einem Plus von 2,6 Millionen Dollar schwarze Zahlen - für einen Cloud-Anbieter keine Selbstverständlichkeit.

Das in Provo, Utah, und Seattle, Washington, beheimatete Unternehmen hat rund 1300 Mitarbeiter und mehr als 9000 Kunden weltweit - darunter renommierte Namen wie Allianz und Volkswagen. Aktuell ist der Anbieter in 13 Ländern vertreten, in Deutschland mit einem Büro in München. SAP werde Qualtrics helfen, schneller zu wachsen, sagte Qualtrics-CEO Ryan Smith. "Schlagartig gewinnt die XM-Plattform enorme Reichweite." SAP zufolge sollen die bisherige Führungsstruktur, die Mitarbeiter, die Marke und die Unternehmenskultur von Qualtrics erhalten bleiben. Der Zukauf soll künftig zur Cloud Business Group von SAP gehören. Ryan Smith behalte seine Position als CEO. Die Konzernzentralen in Provo und Seattle blieben ebenfalls erhalten.

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Aus Sicht der SAP-Verantwortlichen liegt der Mehrwert in der Übernahme von Qualtrics für die Kunden darin, die eigenen operationalen Daten aus den SAP-Systemen mit den Experience-Daten aus den Qualtrics-Anwendungen verknüpfen zu können. Anwender erhielten Aufschlüsse darüber wie Kunden und Mitarbeitern das eigene Unternehmen und dessen Produkte beurteilten, und könnten dann über die Verbindung mit den operationalen Systemen wie CRM und HR sofort geeignete Maßnahmen anstoßen.

Wie unabhängig bleibt Qualtrics unter dem SAP-Dach?

Entscheidend dürfte jedoch sein, wie unabhängig die XM-Werkzeuge von Qualtrics in Zukunft funktionieren werden. Derzeit offeriert der XM-Anbieter für den Datenzugriff Schnittstellen in unterschiedlichste Drittsysteme - beispielsweise zu den SAP-Konkurrenten Salesforce, Workday und Marketo, das kürzlich von Adobe geschluckt worden ist. Gerade in dieser Integration liegt auch der Vorteil für die Anwender. SAP selbst hatte sich in der Vergangenheit mit der Akzeptanz von Drittsystemen eher schwer getan. Der Streit mit Anwendern, wie Nutzung von Drittsoftware zu lizenzieren sei, ist trotz der Bemühungen der SAP-Verantwortlichen, längst nicht vom Tisch - wie erst jüngst die Klage des deutschen CIO-Verbands VOICE gegen SAP Anfang Oktober gezeigt hat.

Betriebsdaten aus den SAP-Systemen mit Erlebnisdaten aus den Qualtrics-Tools verknüpfen - darin liegt der Schlüssel für den Erfolg der teuren Übernahme.
Foto: SAP

Mit der Übernahme von Qualtrics will SAP sein Standing im CRM-Markt verbessern und Boden auf den Marktführer Salesforce gutmachen. Salesforce, das als Software-as-a-Service-Spezialist (SaaS) für CRM-Lösungen gestartet war, hat sein Portfolio über die Jahre hinweg kontinuierlich ausgebaut. Anwender finden in der Salesforce-Cloud unzählige Zusatzservices und -funktionen für ihr Kundenmanagement, die teilweise von Salesforce selbst oder von Partnern in einem kontinuierlich wachsenden Ökosystem angeboten werden. Beispielsweise treibt Salesforce derzeit massiv Eigenentwicklungen rund um seine KI-Portfolio "Einstein" voran. Auf seiner Dreamforce-Konferenz Ende September hat der Cloud-Spezialist mit "Customer 360" eine neue Lösung präsentiert, mit deren Hilfe Anwender eine einheitliche Sicht auf sämtliche Kundendaten erhalten sollen. Dafür müssten die Daten nicht erst aufwändig integriert und aufbereitet werden, hieß es.

Außerdem suchte der SAP-Konkurrent Bündnisse mit Branchengrößen wie IBM, Google sowie Cisco und kaufte Lösungen zu - zuletzt im März 2018 den Integrationsspezialisten Mulesoft für 6,5 Milliarden Dollar. Mulesoft bietet Anwendern eine Plattform, deren APIs die Konnektivität zu beliebigen Anwendungen, Daten und Geräten herstellen - in der Cloud wie auch on-premise. Verbinde man diese Schnittstellen mit Customer 360, entstehe ein vollständiger Blick auf den Kunden, verspricht der Anbieter.

CRM-Markt wird immer lukrativer

Salesforce führt den globalen CRM-Markt derzeit mit deutlichem Vorsprung an. IDC zufolge kam der Cloud-Spezialist im vergangenen Jahr auf einen Marktanteil von fast 20 Prozent. Die Kontrahenten Oracle und SAP lagen mit 7,1 beziehungsweise 6,5 Prozent abgeschlagen auf den Plätzen. Auch SAP wird sich öffnen und einen eher Ökosystem-orientierten Ansatz verfolgen müssen, um im CRM-Segment punkten zu können.

SAPs Cloud-Reise - schon im Jahr 2020 will der Softwarehersteller mehr als acht Milliarden Euro mit Lösungen aus der Cloud verdienen.
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Gartner zufolge wird sich das weltweite Volumen des CRM-Geschäfts 2018 auf fast 45,8 Milliarden Dollar belaufen - 16 Prozent mehr als im Vorjahr. Bis 2020 rechnen die Analysten mit Einnahmen von fast 60 Milliarden Dollar. Damit rangiert CRM mit deutlichem Abstand als stärkstes Segment im Markt für Business-Software. Für Enterprise Resource Planning (ERP), die eigentliche Domäne von SAP, rechnet Gartner im laufenden Jahr mit einem globalen Marktvolumen von 33,6 Milliarden Dollar, das bis 2020 auf 38,3 Milliarden Dollar anwachsen soll.