CW: Herr Akhavan, bevor Sie CEO bei Siemens Enterprise Communications (SEN) wurden, arbeiteten Sie bei der Telekom quasi auf der anderen Seite des Marktes. Wie unterscheiden sich die Jobs?
AKHAVAN: Ich liebe zwei Dinge: Veränderungen und Innovationen. Ich langweile mich schnell, wenn ich etwas zu lange mache oder keine Fortschritte sehe. Zudem schlägt mein Herz für Innovationen - ich habe am MIT studiert, war als Forscher bei der Nasa und am Aufbau der ersten 2G- und 3G-Netze beteiligt. Hier bei SEN verbringe ich viel Zeit mit den Entwicklern und kann an neuen Lösungen mitarbeiten. Ich bin ein Innovator, der es liebt, neue Lösungen und Business-Modelle zu entwerfen.
CW: Sie betonen den Stellenwert von Innovationen. SEN sehe ich nicht als Innovator und Visionär, da denke ich eher an Cisco und Produkte wie Telepresence.
AKHAVAN: Wir haben eine ganz klare Vorstellung davon, was die Anwender benötigen und wie die Zukunft auf User-Seite aussieht. Ist ein Produkt wie Telepresence wirklich visionär, wenn es nur in einem von zehntausend Anwendungsfällen Relevanz hat? Eine offene Architektur, die es erlaubt, auch an künftigen Neuentwicklungen zu partizipieren, das ist für mich innovativ.
CW: Was ist darunter zu verstehen?
AKHAVAN: Um nur ein Beispiel zu nennen, vor zwei Jahren gewannen wir einen Preis, weil wir Social Networks in unser Contact Center integrierten. Der schnellste unserer Konkurrenten benötigte ein komplettes Jahr länger, um überhaupt eine erste Demo zeigen zu können. Letztlich sollten wir bei Visionen zwei Aspekte beachten: Es nützt keinem, etwas anzukündigen, das im Markt für niemanden Relevanz hat oder das nicht verhindert, dass Anwender in ihrer veralteten Umgebung eingeschlossen werden.
CW: Dennoch wird SEN in der Öffentlichkeit so nicht wahrgenommen. Nehmen Sie nur den nächsten Hype Big Data. Ihre Konkurrenten sprechen bereits darüber.
AKHAVAN: Sie haben einerseits recht und liegen aber andererseits falsch. Wir sind keine Marketing-Company. Im Herzen sind wir immer eine Ingenieurs-Company geblieben, was aus Publicity-Sicht nicht immer der beste Ansatz ist. Unser Anspruch ist es, die besten Produkte zu bauen. Deshalb geben wir das Geld unserer Investoren lieber für Forschung und Entwicklung aus als für Marketing. Zumal das Marketing im Enterprise-Segment keine so hohe Bedeutung wie im Consumer-Markt hat.
CW: Das gilt in der Theorie... .
AKHAVAN: ...und in der Praxis - mit Marketing können Sie die Tür des CIO öffnen, aber keinen Deal gewinnen. Nehmen Sie als Beispiel das Commonwealth of Pennsylvania, einen unserer größten Abschlüsse der letzten Monate. Gemeinsam mit Verizon haben wir einen Auftrag über 60.000-Kommunikations-Ports gewonnen. Das Ausschreibungsverfahren zog sich über Monate hinweg mit einer beinahe endlosen Features-Liste in Sachen Mobility, Unified Communications etc. Wir konnten als einziger Anbieter alle Kriterien erfüllen.
CW: Ja, aber der Markt hat sich verändert. Sie müssen auch Visionen vermarkten.
AKHAVAN: Lassen Sie mich mit einer Gegenfrage antworten. Wer ist der Visionär im Netzgeschäft? Okay, Sie nannten Cisco - was ist deren Vision?
Cisco, Herausforderungen und Managing Trust
CW: Deren Vision würde ich mit dem Begriff eines Unified Network beschreiben, wo die meiste Intelligenz im Netz liegt. Dieser Ansatz soll es dem Anwender ermöglichen, zu jeder Zeit und an jedem Ort mit jedem zu kommunizieren.
AKHAVAN: Das ist die Theorie. In der Praxis glaubt niemand daran, dass er über eine Cisco-Plattform in einer "Unified"-Art kommunizieren könnte. Die unterstützen ja noch nicht einmal SIP vollständig, sondern bevorzugen ihr proprietäres Skinny (Anm. der Red.: Skinny Call Control Protocol = SCCP), was wirklich kein gutes Kommunikationsprotokoll ist. Ferner ist mir kein Hersteller bekannt, der sich wirklich in eine Cisco-Umgebung integrieren konnte - in der Realität versuchen alle ihre Lösungen um die Cisco-Welt und ihre proprietären Standards herumzubauen.
CW: Cisco hat aber Erfolg.
AKHAVAN: In meinen Augen haben die Anwender zu Cisco eine Hassliebe entwickelt. Wie bei vielen großen IT-Firmen hat sich hier kein emotionales Kunde-Lieferanten-Verhältnis entfaltet, sondern der Anwender ist zu einer Art Geisel geworden. Zudem ist es für viele Anwender einfach, auf den Cisco-Zug aufzuspringen und größere Tests zu sparen, denn schließlich machen es ja alle so. Aber davon kann ein IT-Konzern langfristig nicht leben, wie der Zusammenbruch anderer großer Namen in der Vergangenheit zeigte.
CW: Sie spielen auf IBM in den 80er und Microsoft in den 90er Jahren an?
AKHAVAN: Genau, das waren alles Unternehmen mit denen die Anwender eine Hassliebe verband. Das Problem dabei ist, sobald eine Alternative sichtbar wird, stürzen die-se Unternehmen von der Klippe. Ich will eine Company führen, die von ihren Kunden geliebt wird und ein solides Image hat, weil die Leute sagen, die investieren ihr Geld in bessere Produkte und nicht in hohle Marketing-Sprüche. Die Anwender sind uns nicht treu, weil sie die alte Technik lieben, sondern weil sie von uns das Modernste erwarten. Und gleichzeitig unterstützen wir ihr vorhandenes älteres Equipment - nicht wie bei Microsoft oder Cisco, wo der Anwender quasi alle drei Monate ein Upgrade erhält, egal ob er es will.
CW: Sorry, als Deutscher kann ich nur schmunzeln. Gerade mit Siemens verband uns in Sachen TK eine Hassliebe.
AKHAVAN: Das Image hat sich geändert. 90 Prozent unserer Kunden sind Wiederkäufer. Die Anwender erkennen an, dass sich das Unternehmen SEN grundlegend erneuert hat - nicht nur bei den Produkten, sondern auch in der Unternehmensphilosophie. Dazu kommt unser flexibles Business-Modell: Der Anwender kann mieten, leasen, kaufen oder die Services aus der Cloud beziehen. Selbst ein Hybridmodell offerieren wir.
CW: Sie sprachen über die Historie. Wo sehen Sie die Herausforderungen für Siemens Enterprise Communications?
AKHAVAN: Für uns bleibt es eine Herausforderung, auf den sich massiv verändernden Markt zu reagieren. Nehmen Sie nur die Bring-your-own-Device-Bewegung. Fast jeder Mitarbeiter nutzt ein iPhone oder iPad oder irgendein Android-Gerät. Die CIOs haben die IT-Sicherheit nicht mehr in der Hand. Denn diese Devices sind unsicher. Was passiert denn, wenn ein iOS-Device mit iTunes verbunden wird? Der Anwender hat ja mit der Nutzung quasi zugestimmt, dass Apple machen kann, was es will. Oder nehmen Sie Android. Hier hält der Anwender eine Cloud von Google in den Händen, ohne genau zu wissen, was vor sich geht. Die CIOs haben schlicht - in Bezug auf die Sicherheit - die Kontrolle verloren. Das ist ein Fakt!
CW: Und was soll der CIO tun?
AKHAVAN: Unser Anliegen war immer, dass unsere Produkte sicher sind und über verschiedene Plattformen hinweg funktionieren. Wir setzen deshalb auf eine End-to-End-Encryption. Die andere Herausforderung ist, unsere Marke als Anbieter entsprechender Lösungen zu promoten. Letztlich müssen wir dafür sorgen, dass die Anwender Siemens wieder als Netz-Player wahrnehmen.
CW: Und wofür steht der Netz-Player Siemens Enterprise Communications?
AKHAVAN: Zunächst einmal haben wir Innovationen wie Cloud Services, Desktop Video Conferences, ein Contact Center aus der Cloud oder die OneFabric-Architektur von Enterasys eingeführt. Ein Highlight ist unsere erweiterte OpenScape-UC- Suite, die jetzt tatsächlich alle Kommunikationskanäle von VoIP bis zu Videokonferenzen stationär oder mobil in einem System vereint.
CW: Vor dem Hintergrund von Cloud und Social Networks wird viel über das Thema Managing Trust diskutiert. Wie stehen Sie dazu?
AKHAVAN: Nehmen wir das Wort Trust in seiner ursprünglichen Bedeutung als Vertrauen: Uns vertrauen seit über 150 Jahren Großunternehmen, Regierungen und nicht zuletzt das Militär - und dieses Vertrauen werden wir nie enttäuschen. Darüber hinaus haben wir uns auf Sicherheitslösungen spezialisiert.
CW: Wie sollte eine OrganisationVertrauen in Bezug auf die interne und externe Kommunikation schaffen?
AKHAVAN: Meine Empfehlung für jedes Unternehmen, das seine TK- und Collaboration-Infrastruktur betrachtet, lautet: Sehen Sie Ihre Infrastruktur als Gesamtheit und hören Sie auf, immer wieder neue Stücke hinzuzufügen. Dies ergibt ein Flickwerk, das nicht nur komplex ist, sondern auch kein einheitliches Sicherheitsniveau erlaubt.