Psychische Gesundheit

Wie Softwareentwickler mental fit bleiben

17.11.2022 von Lorna Mitchell
Softwareentwicklung im Home-Office kann besonders stressig sein. Wie Startups und Unternehmen die psychische Gesundheit ihrer Programmierer schützen, lesen Sie hier.
Programmierarbeit ist mental anspruchsvoll und ermüdend, insbesondere wenn Softwareentwickler ihren Job ohne direkten Kontakt zum Team im Home-Office ausüben müssen. 83 Prozent beklagen Burnout-Symptome.
Foto: Vadym Pastukh - shutterstock.com

Im besten Fall ist Softwareentwicklung eine kreative Angelegenheit. Um qualitativ hochwertige Arbeit leisten zu können, brauchen Entwicklerinnen und Entwickler ein gewisses Maß an Komfort. Erfahrungsgemäß beeinträchtigen langweilige Aufgaben, laute Büros und zu viele Besprechungen die Produktivität. Obwohl viel zu selten diskutiert, ist in diesem Zusammenhang die Gesundheit fundamental.

Dabei geht es nicht nur um das physische Wohlergehen, sondern auch um die mentale Verfassung. Entwickler brauchen ihren Verstand­­­­­ - und diesen in einem möglichst klaren Zustand, um ihre Arbeit leisten zu können. So heißt es beispielsweise, dass Programmierinnen und Programmierer den mentalen Zustand ihrer Kolleginnen und Kollegen bereits am Code der jeweiligen Person ablesen können, bevor diese Probleme überhaupt nach außen kommuniziert haben.

Kommunikation ist deshalb das A und O. Die Tech-Welt erschwert diese allerdings dadurch, dass Teams sehr oft dezentral arbeiten. Aus der Ferne, hybrid oder remote fehlt vielen - oft ohne sich dessen bewusst zu sein - die Existenz eines Firmenbüros. Der Grund: Offices sind nicht nur Arbeitsorte, sie helfen auch das Wohlbefinden des Teams zu fördern. Damit sind keine Startup-Klischees wie kostenloses Obst, Kaffee und Sitzsäcke gemeint, sondern das Zusammensein. Durch die räumliche Distanz ist es jedoch noch komplizierter zu erkennen, wenn ein Kollege Probleme hat.

Da Teams seltener gemeinsam physisch an einem Ort zusammenkommen, ist kaum zu bemerken, wer zu spät kommt, früher aufhört oder ausgelaugt wirkt. Gerade aber durch Kaffeegespräche erkennen Mitarbeiter untereinander, ob es jemandem gutgeht oder auch nicht. In virtuell arbeitenden Teams muss die Kommunikation daher neu gedacht und auch über die psychische Gesundheit gesprochen werden. Dabei lautet die Devise: Lieber etwas öfter nachfragen, ob es jemandem gutgeht, statt ein Teammitglied an den Rand seiner Kräfte zu kommen zu lassen. Im besten Fall hat man sich umsonst Sorgen gemacht.

8 sichere Wege zum Burnout
Kein Privatleben
Wer kein Leben außerhalb des Büros hat, misst dem Job eine übertriebene Bedeutung zu.
Immer erreichbar
Auch im Urlaub Mails lesen? Wer sich erholen will, räumt den Job mal für zwei Wochen ganz raus aus dem Kopf. Der Chef will Sie erreichen können? Geben Sie ihm ("Für den äußersten Notfall") die Handynummer ihrer Frau. Er wird nicht anrufen ...
Nicht schlafen
Gesunder Schlaf ist der Schlüssel zu Wohlbefinden, Ausgeglichenheit und guter Arbeit. Wer mehr als eine Woche am Stück keine Ruhe findet, sollte sich helfen lassen.
Tschaka, Tschaka!
Seit dem letzten Motivationsseminar sind Sie mehr denn je davon überzeugt, dass Sie IMMER ALLES schaffen können. Sie sind auf dem richtigen Weg. Zum Burnout.
Nie gestresst wirken wollen
Sicher, ausrasten ist nicht gut. Aber sicher gesünder, als ständig entspannt wirken zu wollen, obwohl Sie keine Nacht mehr ruhig schlafen können.
Zu wenig Bewegung
Nehmen Sie sich nicht vor, dreimal pro Woche joggen zu gehen. Nehmen Sie sich gar nichts vor, und tun Sie es stattdessen einfach ab und zu.
Die Probleme lange ignorieren
Alle wollen wir leistungsfähig sein. Schaffen wir das nicht mehr, bezeichnen wir das meist als temporäres Problem, das von selbst wieder verschwindet. Das wird es nicht.
Immer ja sagen
"Müller, Sie schaffen das doch bestimmt bis Freitag, die Präsentation für den Kunden xy noch dazwischenzuschieben?" Versuchen Sie es bei solchen Ansagen einfach mal mit einem schlichten Nein. Spätestens beim dritten Mal wundern Sie sich, wie leicht das geht.

Entwickler-Burnout verhindern: 5 Maßnahmen

Was viele Menschen am Remote-Modell schätzen, ist die Flexibilität und Autonomie des eigenen Alltags. Beispielsweise kann man als Entwickler früher mit seinem Arbeitstag beginnen, um elf Uhr ins Fitnessstudio gehen und dann das Abendessen vor dem letzten Termin des Tages in den Ofen schieben. Die Möglichkeit, neben der Arbeit ein bisschen mehr vom Leben zu haben, kann sich auf diese Weise durchaus positiv auf das eigene Wohlbefinden auswirken.

So beschreibt Daniel Pink in seinem Buch "Drive", dass Autonomie, Beherrschung und Zielsetzung die wichtigsten Triebfedern der Motivation sind. Motivation, Anerkennung und Vertrauen sind wiederum der Schlüssel für eine erfolgreichen Softwareentwicklung. Mit seinen Fähigkeiten und seiner Arbeit zu einem größeren Ziel beizutragen, ist ein befriedigendes Erlebnis. Gerade Startups, wo es oft mehr Freiheit bei der Auswahl und Priorisierung der Arbeit gibt, können für Developer unter diesem Gesichtspunkt sehr ergiebig sein.

Laut einer Studie von Haystack Analytics, einem auf die Analyse von Software-Teams spezialisierten Anbieter, berichten dennoch 83 Prozent der Entwickler von Burnouts. Die Kehrseite der Pandemie: Es fällt schwerer, die Arbeit zu beenden, wenn man statt im Firmenbüro im Home-Office arbeitet. Umso wichtiger ist es, dass die Erwartungen der Unternehmen realisierbarer Natur sind und sorgfältig festgelegt werden; umso mehr, wenn es flexible Arbeitszeiten und Home-Office gibt und die Gefahr droht, sich von großen Projekten vereinnahmen zu lassen. Auf folgende Punkte sollten Unternehmen achten:

1. In Weiterbildung investieren

In der Softwareentwicklung Tätige lernen ihr Leben lang hinzu. Das müssen sie, weil die Branche schnelllebig ist. Das bedeutet, ständig in sich selbst sowie das eigene Wissen und die persönlichen Fähigkeiten zu investieren, ebenso wie Arbeitgeber in ihre Beschäftigten. Einige Unternehmen bieten dafür großzügige Budgets oder Freistellungen für die Weiterbildung an.

2. Freiraum schaffen

Entwickler ausschließlich mit Geld zu motivieren, funktioniert nicht sehr gut. Besser ist es, ihnen Zeit zu geben und darauf zu vertrauen, dass sie diese für etwas anderes als die direkte Produktentwicklung nutzen. So ist Google bekannt für den Ansatz, dass Mitarbeitende 20 Prozent ihrer Zeit für alles verwenden können, was für sie interessant ist. Daraus sind einige nützliche Produkte hervorgegangen. Der wichtigste Aspekt dabei: Durch diesen Ansatz fühlen sich Programmierer in ihrer Arbeit wertgeschätzt. Auch bei Atlassian können alle Mitarbeiter 24 Stunden an Projekten ihrer Wahl arbeiten und bringen dabei überraschende Innovationen und Verbesserungen hervor, die andernfalls vermutlich nie auf den Markt gekommen wären.

3. Open-Source-Projekte

In der Programmierung Arbeitende identifizieren sich stark mit dieser Open-Source-Welt. 91 Prozent geben an, Open Source sei ihre Zukunft. Die Möglichkeit, an Open-Source-Projekten mitzuwirken, ist für viele deshalb nicht nur sinnstiftend, sondern auch wertgeschätzt. Open-Source-Communities können daher ein wichtiger Bestandteil der Mitarbeitermotivation sein.

Der moderne Arbeitsplatz kann viel von Open Source lernen. Etwa wenn es darum geht, an Vorhaben mitzuwirken. Open-Source-Projekte sind vernünftige Modelle für einen dezentralen Arbeitsablauf. Auf diese Weise haben Personen, die sich nur über Mailing-Listen oder IRC-Kanäle kannten, einige der grundlegenden Elemente unserer Softwarewelt entwickelt. Und damit nicht genug: Sie haben auch enge Beziehungen untereinander gepflegt.

Heutzutage haben Software-Teams, die freiwillig oder aus anderen Gründen an entfernten Standorten arbeiten, viel mehr Werkzeuge zur Verfügung: Tools für die Quellcode-Kontrolle und Zusammenarbeit sind längst nicht mehr eine einfache Mailing-Liste. Menschen können durch Text-Chat, Audio- oder Videoanruf im permanenten Austausch miteinander stehen. Programme lassen sich per Bildschirmfreigabe oder mit Tools wie VSCode Live Share aus der Ferne miteinander koppeln.

Eine durchaus positive Vernetzung, die allerdings zu zusätzlichem Stress und Erschöpfung führen kann. Der Arbeitsstil eines Softwareentwickler ist individuell und kann nicht exakt dem eines anderen Kollegen entsprechen. Diese Problematik lösen Open-Source-Ansätze, indem sie die Zeit aller Beteiligten respektieren und nicht erwartet wird, dass eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt anwesend ist. Wichtiger ist, innerhalb eines erwarteten Zeitfensters vereinbarte Aufgaben zu erledigen. Für remote agierende Teams kann es für ein ruhiges Arbeitsumfeld sehr hilfreich sein, so wenig Meetings wie möglich anzusetzen und nicht zu erwarten, dass umgehend auf Slack-Nachrichten geantwortet wird. Dadurch haben die Teammitglieder mehr Zeit zur Lösung ihrer Projektaufgaben.

4. Work-Life-Balance

Als die Pandemie den Arbeitsalltag grundlegend veränderte, hatten viele Menschen keine ideale Arbeitsumgebung im Home-Office. Auf dem Sofa oder am Küchentisch zu arbeiten, möglicherweise noch mit anderen Familienmitgliedern in der Nähe, war für viele überraschend schwierig. Burnouts nahmen zu. Selbst wenn in der Softwareentwicklung Arbeitende inzwischen häufig zu Hause ihrem Beruf nachgehen, ist es wichtig, dass der Arbeitgeber sich erkundigt, ob sie einen neuen Monitor, ein Ersatznetzteil oder auch eine neue Tastatur benötigen. Viele Arbeitgeber bieten inzwischen Budgets für das Home-Office an.

Allerdings gilt auch im Home-Office und der hybriden Arbeitswelt, dass für Unternehmen gemeinsame Aktivitäten essentiell bleiben. Hiermit sind jedoch keine unerträglichen Teambuilding-Maßnahmen gemeint, die hoffentlich der Vergangenheit angehören. Viel besser eignen sich ungezwungene Online-Spiele, um die Stimmung aufzulockern.

5. Employee-Assistance-Programme

Unternehmen, die ein Employee-Assistance-Programm anbieten, sollten sicherstellen, dass die Mitarbeitenden darüber auch informiert sind und wissen, wer diese wie in Anspruch nehmen kann. Es kann auch nicht schaden, Führungskräfte daran zu erinnern, diese Programme ebenso zu nutzen.

Tipps fürs Arbeiten im Homeoffice
So profitieren Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Die Arbeit im Home-Office ist aufgrund der COVID-19-Pandemie für viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Arbeitsnorm geworden - gewollt und ungewollt. Die Bedingungen der Pandemie stellen Heimarbeiter vor besondere Herausforderungen, aber auch ohne die Corona-Einschränkungen gilt es, im Home-Office auf die mentale Stärke und Gesundheit zu achten. Folgende Tipps sollten Unternehmen und Angestellte beachten, um motiviert und produktiv arbeiten zu können.
Arbeitspensum im Blick behalten
Arbeitgeber sollten besonders die Wahrnehmung ihrer Mitarbeiter in Bezug auf ihr Arbeitspensum im Blick behalten. Nicht alle haben den Mut zu sagen, überfordert zu sein. Regelmäßige Einzelgespräche, in denen sich auf vertrauter Ebene nach dem Wohlbefinden und der Auslastung erkundigt werden kann, sind jetzt entscheidend. Das ist entweder im persönlichen Videogespräch oder über digitale Werkzeuge möglich. Hier können vor allem Feedback-Tools helfen, womit Angestellte idealerweise einmal in der Woche anonym Feedback geben können.
Zusätzliche Benefits für Angestellte anbieten
Gerade jetzt sollten Unternehmen darauf achten, dass die Benefits stimmen. Eine Möglichkeit wäre, die Urlaubstage zu erhöhen, sofern sich das einrichten lässt. So haben Angestellte als Ausgleich mehr Zeit für sich oder ihre Familie. Angefallene Überstunden eignen sich zudem, um nun für die Freizeit genutzt zu werden. Zusätzlich sollten Betriebe das Homeoffice ihrer Angestellten mit entsprechenden Büromöbeln und IT ausstatten, damit die Arbeit von zu Hause produktiv bleibt.
Home-Office vom Privatleben trennen
Beschäftigte sollten darauf achten, dass der Arbeitsbereich vom häuslichen Alltag abgegrenzt wird und der Arbeitsplatz nicht dort ist, wo auch der Feierabend verbracht wird. Der Computer sollte also, wenn möglich, in einen separaten Raum platziert werden, um zur Ruhe zu kommen. Dadurch gelingt es leichter in den Feierabendmodus zu wechseln. Und auch das Mittagessen sollte nicht vor dem Laptop eingenommen, sondern bewusst vom Arbeitsplatz abgegrenzt werden.
Bewusste Pausen einlegen
Die Mittagspause oder den Feierabend sollten Angestellte für einen Gang an die frischen Luft nutzen, um gedanklich von der Arbeit abzuschalten. Dafür können sie ihren Kollegen über die Statusanzeige in Chat-Programmen signalisieren, dass sie gerade zu Tisch oder in einer Pause sind. Es wäre auch möglich, mit Emojis kleine Codes vereinbaren: Ein Pizza-Emoji hinter dem eigenen Account-Namen steht für die Mittagspause, ein Computer-Emoji für die Arbeitsphase.
Feierabend ist Feierabend
Direkt nach Arbeitsende sollte der Computer ausgeschaltet werden, auch das Smartphone kann nach der Arbeit für eine gewisse Zeit auf Flugmodus gestellt werden, um einen bewussten Übergang von Arbeit und Feierabend sicherzustellen. Beschäftigte können auch hier ihren Kollegen über die Statusanzeige oder mit Emojis signalisieren, dass sie im wohlverdienten Feierabend sind. Manchmal kann es auch schon helfen, von den Arbeitsklamotten in eine Jogginghose zu wechseln, um geistig mit dem Arbeitstag abzuschließen.
Erwartungen anpassen
Sowohl als Chef als auch als Angestellter heißt es, Erwartungen an die neuen Umstände anzugleichen, Verständnis und Empathie zu zeigen, eigene Grenzen kennenzulernen und zu setzen - "business as usual" ist derzeit kaum möglich. Arbeitgeber, aber auch Angestellte sollten klare und faire Ziele vereinbaren. Hierfür hilft eine strukturierte Liste zu allen Arbeitsaufträgen, die priorisiert werden. Wenn es leichter ist, die Arbeit zu erledigen, nachdem die Kinder ins Bett gegangen sind, dann sollten Angestellte die Möglichkeit haben, die Arbeitszeiten an ihre Bedürfnisse und Lebensumstände anzupassen.
Kein schlechtes Gewissen, wenn nicht alles geschafft wurde
An manchen Tagen ist man produktiver als an anderen. Daher sollten sich Angestellte auf die wichtigen Projekte konzentrieren, wenn sie einen Tag mit wenigen Unterbrechungen haben. Kleinere Aufgaben sollten auf Tage mit weniger Konzentrationslast aufgeschoben werden, sofern möglich. Mitarbeiter sollten auch immer die Möglichkeit haben, ihre Kollegen anzusprechen und um Rat oder Unterstützung bitten zu können - denn jeder kennt solche Tage oder Aufgaben, in denen einfach der Wurm drin ist und nichts zu laufen scheint. Empathie und Verständnis ist also gerade jetzt das Gebot der Stunde - das sollte sich auch in der Unternehmenskultur niederschlagen, damit sich die gesamte Belegschaft gehört und inkludiert fühlt.

Für die psychische Gesundheit kann ein Startup ein schwieriges Pflaster sein. Startups sind schnelllebig, unterliegen häufigen Veränderungen und die Mitarbeiter haben viel zu tun. Umso wichtiger ist es, aufeinander aufzupassen. Das gilt nicht nur für die Führungskräfte, sondern auch die Teammitglieder. Jeder Mitarbeitende kann seinen Teil dazu beitragen, auf andere zu achten. Denn vor dem Burnout gibt es Warnzeichen. Um diese rechtzeitig zu erkennen, müssen wir Arbeit allerdings anders betrachten, die Relevanz eines gesunden Lebens muss uns bewusst werden. Das ist leichter gesagt als getan. Dennoch sind dafür auch vielbeschäftigte Startups und Tech-Unternehmen in der Verantwortung. (pg)