So meistert Bosch die digitale Transformation

Nach IoT kommt die Economy of Things

24.05.2019 von Jürgen  Hill
Vom schwäbischen Traditionsunternehmen zum globalen digitalen Vorreiter: Lesen Sie, wie Bosch die digitale Transformation meistert und mit IoT und künstlicher Intelligenz neue Märkte und Business-Modelle erschließt.
Noch steuert der klassische Automotive-Bereich rund 60 Prozent zum Umsatz bei. Doch Bosch orientiert sich bereits um, und ist etwa offizieller Partner der Formel E.
Foto: Hill

Für viele ist Bosch nach wie vor der klassische Automobilzulieferer: Egal, ob Lichtmaschine, Scheinwerfer, ABS, Xenon, ESP, Zündkerze oder Scheibenwischer, hochwertiges Autozubehör kommt für den Volksmund von Bosch. Ein Charakterisierung, die dem Unternehmen, das sich zu 92 Prozent im Besitz der Robert Bosch Stiftung befindet, nicht mehr gerecht wird. Zwar steuert der Automotive-Bereich noch rund 60 Prozent zum Umsatz bei, doch Bosch gehört neben Siemens zu den leuchtenden Beispielen, die zeigen, wie deutsche Unternehmen allen Unkenrufen von Economist und Spiegel zum Trotz in ihren Marktsegmenten die digitale Transformation meistern. Und sogar zu digitalen Vorbildern für ihre globalen Konkurrenten und Partner werden.

Von IoT zur Economy of Things

Vor rund 5000 Besuchern erklärte Bosch-Chef Volkmar Denner auf der Bosch Connected World wie sich das Geschäftsmodell von Bosch in der IoT-Welt verändert.
Foto: Bosch

So hat Bosch alleine 2018 insgesamt 52 Millionen internetfähige Produkte verkauft, über ein Drittel mehr als im Vorjahr. Zudem vernetzt Bosch bereits mehr als zehn Millionen Geräte unterschiedlicher Hersteller mit seiner Open Source-basierten Bosch IoT Suite. Jetzt arbeitet Bosch mit Partnern daran, dass die Dinge künftig in sicheren Ökosystemen kommunizieren und auch interagieren. Unter dem Motto "Vom Internet of Things zur Economy of Things" präsentierte Bosch-Chef Volkmar Denner auf der Bosch Connected World in Berlin einen Ausblick auf die "Ökonomie der Dinge".

Bosch-CTO/CDO Michael Bolle (von links nach rechts) und Bosch-Chef Denner erläutern in einer Pressekonferenz ihre IoT-Strategie.
Foto: Hill

Eine Ökonomie, die mittlerweile in allen Branchen ihre Auswirkungen und Folgen hat, nicht nur in den von US-Konzernen wie Google, Amazon oder Uber dominierten Branchen. Egal, ob Landwirtschaft, Bauwesen, Transportwirtschaft, Medizin etc. überall sind IoT, Künstliche Intelligenz (KI), AR und VR und andere IT-Technologien mit von der Partie, wenn es um die Realisierung komplexer Projekte geht. Und die einst bodenständige, schwäbisch geprägte Bosch Gruppe will in dieser Ökonomie als digitaler Hipster bei Themen wie IoT, Smart Factory und Smart Home sowie intelligente Mobilität ganz vorne mitspielen.

Ohne Digital Twins geht nichts

Die Kelchstützen des Bahnhofneubaus Stuttgart 21 wären ohne Digital Twin nicht zu realisieren.
Foto: Arnim Kilgus

Wie sich die Wirtschaft dank IoT und Digitalisierung bereits verändert hat, zeigen etwa die Beispiele des Bahnhofsneubaus Stuttgart 21 oder die futuristische Architektur der auf Stelzen aufliegenden Adidas Arena in Herzogenaurach. Ohne Digital Twin, digitalisierte Supply Chain etc. sind solche Großprojekte nach den Worten von Ulrich Klotz, technisch im Vorstand der Züblin AG für den Hoch- und Ingenieurbau in Deutschland, Benelux und Skandinavien verantwortlich, nicht mehr zu bewältigen. So sei eine Realisierung der 28 Kelchstützen, die das Dach der Bahnhofshalle von Stuttgart 21 später stützen, ohne Digitalisierung und Digital Twin nicht vorstellbar. Zudem handelt es sich bei den 28 aus weißem Beton gegossenen Stützen jeweils um Einzelstücke, für die Schalungs- und Bewehrungselemente individuell angepasst werden müssen, so dass jedes Mal eine neue Gussform gebaut werden muss. Dabei können die rund 32.000 Armierungseisen pro Kelch nur mit IT-Unterstützung genau genug gebogen werden.

Unter dem Strich kann Bosch mittlerweile auf eine illustre Anwendergemeinde mit prominenten Namen blicken. Dabei hat das Unternehmen in den letzten zehn Jahren rund zehn Millionen Devices an die Bosch IoT Suite angebunden. Zu den mehr als zehn Millionen angebundenen Dingen zählen unter anderem Gateways in Gebäuden, vernetzte Fahrzeuge sowie Sensoren in der städtischen Infrastruktur oder der digitalen Landwirtschaft. Insgesamt hat Bosch mit Kunden laut eigenen Angaben bislang weltweit mehr als 250 IoT-Projekte auf Basis der Bosch IoT Suite realisiert. Alleine von 2018 bis 2019 sei die Zahl um rund 20 Prozent gestiegen.

Ein Maschinenbauer wird Systemhaus

2018 verkauft Bosch 52 Millionen internetfähige Geräte.
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Eine Entwicklung, die auch das Unternehmen intern verändert hat - wie etwa den Bereich Bosch Rexroth. Der Anbieter von Antriebs- und Steuerungstechnik beschränkt sich im Zeitalter der Digitalisierung nicht mehr nur auf das klassische Ausrüstungsgeschäft, sondern übernimmt zunehmend auch die Rolle eines Systemhauses beziehungsweise -integrators. So unterhält Bosch Rexroth eine 500 Mann starke Truppe, die Softwarelösungen erstellt und appliziert.

Oder um es mit den Worten von Bosch-Chef Denner zu formulieren, "die IT ist in den traditionellen Industrien angekommen". Und hat diese zumindest wie im Falle von Bosch gehörig umgekrempelt, wie die länderübergreifende Markenkampagne "Live Like a Bosch" mit ihrem Rap-unterlegten Video zeigt- Mit der Kampagne möchte sich die Gruppe weltweit als IoT-Company und Vorreiter einer vernetzten Welt positionieren - sowohl im B2C- als auch im B2B-Segment.

Doch die Transformation vom klassischen zum digitalisierten Unternehmen impliziert laut Denner noch mehr: "Die Kultur des Unternehmens muss sich dabei dramatisch wandeln". Ein kultureller Wandel, der für Denner bei den Führungskräften zu beginnen hat: "In der Vergangenheit hatten sie lediglich die Rolle des Entscheidungsträgers, in der digitalen Welt müssen sie Coach, Experte und Moderator in einer Person sein."

Cross-Domain-Konzept

Auch in der Produktion halten KI und IoT Einzug.
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Auf dem Weg zum erfolgreichen IoT-Player sollte ein Unternehmen nach Meinung Denners drei Schritte bewältigen. Zuerst sei das eigene Unternehmen digitalfähig zu machen. Dies habe man etwa mit der Bosch IoT Suite, der Bosch IoT Cloud, dem Bosch Center for Artifical Intelligence oder der Internetfähigkeit aller neuen Elektronikprodukte ab 2020 getan. Im zweiten Schritt, so der Bosch-Chef, gelte es, die vorhandenen Eco-Systeme zu digitalisieren. Bei der Bosch Gruppe wären das etwa Home Connect als Plattform für die BSH-Hausgeräte, die intelligente Landwirtschaft oder vernetzte Heizungssysteme, um nur einige Bereiche zu nennen. Nummer Drei ist dann der Aufbau eines neuen Cross-Domain-Ökosystems. Eine Herausforderung, der sich Bosch gerade stellt - etwa mit Connected Mobility Solutions. Ein Beispiel für eine solche Cross-Domänen-Struktur ist etwa die Bosch-Tochter Coup. Sie betreibt für das Traditionsunternehmen in Berlin, Paris und Madrid eine Sharing-Plattform für Elektroroller.

Ein anderes Beispiel ist die Zusammenarbeit mit der Rückversicherung Munich Re. Die Rückversicherung sieht sich dabei als Enabler von "riskanten" Innovationen. So brachte Munic Re etwa Bosch, den Dienstleister Leadec sowie Liebherr zusammen. Die Klammer für diese Kooperation war die Absicherung des Ausfallrisikos eines Baggers über den gesamten Lebenszyklus. Und das, obwohl die Munich Re zu den zahlreichen "frenemies" von Bosch zählt. Also sowohl friend als auch enemy ist, denn schließlich steht die Munich Re seit der Übernahme von Relayr im letzten Jahr in direkter Konkurrenz zur Bosch IoT Suite.

Für Flugtaxis (im Bild einVolocopter) will Bosch künftig Steuergeräte produzieren.
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Doch gerade diese übergreifende Zusammenarbeit, auch mit Konkurrenten, ist kennzeichnend für eine Cross Domain Economy. So konkurriert etwa die Bosch IoT Suite mit den IoT-Angeboten von Google, Amazon und Microsoft. Gleichzeitig stellt Bosch aber seine Software-Lösungen nicht nur in der eigenen Bosch Cloud zur Verfügung, sondern auch auf den Plattformen von IBM, AWS, Google sowie Azure.

Dieser Glaube an eine Shared Economy, die nur mit Partnerschaften funktionieren kann, gehört zu einer der Kernstrategien einer Bosch im Jahre 2019. Daran schließt sich für Denner die Erkenntnis an, dass "in Zukunft Dinge nicht nur kommunikativ vernetzt sein werden, sondern auch miteinander Geschäftsbeziehungen pflegen werden." Deshalb betrachtet man bei Bosch Distributed Ledger Technologies (DLT) als eine strategische Schlüsseltechnologie für die Economy of Things (siehe auch "Bosch setzt auf Digital Ledger Technologies").

Trust als Basis

Bosch will sich weltweit als IoT-Company und Vorreiter einer vernetzten Welt positionieren.
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Doch die Economy of Things benötigt noch etwas anderes, wenn viele Akteure zusammenkommen und in Geschäftsbeziehungen stehen - nämlich "Vertrauen, Trust", wie Denner und sein CDO/CTO Michael Bolle nicht müde werden zu betonen. Bosch ergriff deshalb die Initiative und lud im Rahmen der Bosch Connected World zum ersten Digital Trust Forum ein. Hie trafen sich Vertreter führender internationaler Verbände und Organisationen wie IEEE - Institute of Electrical and Electronics Engineers, Digital Europe, ETSI, Eclipse Foundation, Trustable Technology, Plattform Industrie 4.0, Industrial Internet Consortium (IIC), Trusted IoT Alliance, um die Frage zu diskutieren, wie Vertrauen in digitale Systeme geschaffen und sichergestellt werden kann. "Wir können nicht hinnehmen, dass digitale Innovationen vor allem auf Misstrauen und Ängste stoßen. Daher will das Digital Trust Forum Vertrauensfragen rund um das Internet im offenen Austausch zwischen Experten behandeln", erklärt CDO und CTO Bolle die Intention von Bosch.

Das Urteil der Analysten

Ein Digitalstrategie, die unter dem Strich seitens der Analysten durchaus positiv aufgenommen wird. So schreibt etwa Stefan Ried, Principal Analyst & IoT Practice Lead bei Crisp Research, dass Bosch bei der tiefen Industrie-Integration, mit vielen unterstützten Protokollen und einigem Branchenwissen im Bereich Industrie 4.0 und den klassischen Bosch-Domänen, deutlich im Vorteil gegenüber Azure, AWS oder Google sei, die sich mit relativ einfachen Diensten ganz erheblich nur durch den Preis unterscheiden. "Der smarte Move besteht nun darin, mit den Hyperscalern gar nicht zu konkurrieren, sondern sie genau für diese Value-Proposition als Vertriebskanal und Infrastruktur zu nutzen", so Ried weiter.

Letztlich hat Bosch in den Augen des Analysten den Vorteil, recht spät zur Party zu kommen. Auf den ersten Blick wirke es zwar wie ein Nachteil, dass jetzt einige Bräute (Marktanteile) schon vergeben sind oder aufwendig zurückgewonnen werden müssen. Wichtiger sei aber, dass Bosch von den Besuchern der IoT Party lernen kann, die mit digitaler Überdosis gescheitert sind (GE Predix), oder es verpasst haben, eine Strategie in der eigenen Gruppe abzustimmen (Samsung Artik). Zudem würden - wie ein demnächst erscheinende Crisp-Studie zeige -, einige Kunden dem Bosch Brand tatsächlich mehr Vertrauen entgegen bringen, als einem amerikanischen Hyperscaler wie Google, AWS oder Microsoft.