Kraftfahrzeuge werden immer intelligenter - Stichwort "Connected Car". Ziel dieser Entwicklung ist nicht nur mehr Fahrkomfort, sondern vor allem eine Verbesserung der Verkehrssicherheit und der -steuerung. Im Rahmen der Rekordversuchsfahrt "Cape to Cape Challenge 2014" sind letzten Herbst umfassende Datenbestände angefallen. Deren Auswertung zeigt die Richtung auf, in die sich die Verschmelzung von Fahrzeug und IT bewegen sollte. Die Einsatzfälle reichen von neuen Versicherungsmodellen über das optimierte Flottenmanagement und eine effizientere Straßeninstandhaltung bis zur sogenannten "Smart City".
Moderne PKW und LKW sind kleine Rechenzentren auf Rädern. Laufend werten Computer das Fahrzeugverhalten aus, um den Betrieb zu verbessern und den Fahrer zu unterstützen. So warnt die Bordelektronik, wenn der Reifendruck vom Sollwert abweicht; das Navigationssystem ändert selbsttätig die Route, wenn ein Stau die Reise zu sehr verzögern würde; das Kommunikationssystem importiert automatisch neue Kontakte vom Smartphone des Fahrers, damit sie am Lenkrad per Knopfdruck zur Verfügung stehen; eine Müdigkeitserkennung rät bei Abweichungen vom normalen Fahrverhalten zur Erholunspause; und Assistenzsysteme nehmen dem Fahrer immer mehr lästige Aufgaben ab, vom Vermeiden des Über- oder Untersteuerns auf nasser Piste über das Spurhalten auf der Autobahn bis hin zum selbsttätigen Einparken am Straßenrand und im Parkhaus.
Das vernetzte Fahrzeug kommt
Viele dieser Funktionen erschienen noch vor zwanzig Jahren als Science Fiction - noch viel mehr wird in weiteren zehn oder zwanzig Jahren möglich und zumindest in den höherwertigen Fahrzeugen sogar Standard sein. Man denke nur an die Entwicklungen rund um das "Connected Car" (also das ständig mit dem Internet verbundenen Fahrzeugs) oder das "Internet der Dinge" (bei dem intelligente Maschinen und Geräte sich selbsttätig untereinander abstimmen, ohne das Eingreifen eines Benutzers zu erfordern).
Um zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen, wie sich ein solches Connected Car optimal für intelligente Verkehrskonzepte heranziehen lässt, haben der IT-Anbieter HP und der Automotive-Engineering-Spezialist IAV die "Cape to Cape Challenge 2014" des bekannten Rekordjägers Rainer Zietlow unterstützt. HP brachte seine Erfahrungen rund um moderne IT-Systeme, Cloud-Services und die schnelle Auswertung umfassender, komplexer Datenbestände (Big-Data-Analyse) ein, IAV Expertise rund um Bordelektronik und Fahrzeugsensorik.
Zwar konnte Rainer Zietlows Team den gesteckten Zeitrahmen, vom Nordkap in Norwegen aus das 19.000 Kilometer entfernte südafrikanische Kap Aghulas in der Rekordzeit von neun Tagen zu erreichen, aufgrund eines fremdverschuldeten Verkehrsunfalls in Afrika nicht einhalten; dennoch lieferte Zietlows VW Touareg während der Fahrt - und nicht zuletzt durch den Unfall - eine Fülle aufschlussreicher Sensorikdaten. Diese verschafften zusammen mit Informationen wie Wetterdaten etc. nützliche Erkenntnisse für die weitere Entwicklung intelligenter vernetzter Fahrzeuge - aber auch zur begleitenden Social-Media-Kommunikation.
Cape to Cape Challenge 2014
Rainer Zietlow und seine beiden Beifahrer haben sich Ende September aufgemacht, um im Rahmen der Cape to Cape Challenge 2014 die 19.000 Kilometer von norwegischen Nordkap zum Kap Agulhas, dem südlichsten Punkt Afrikas, in nur neun Tagen zu bewältigen. Für den Rekordversuch nutzte Zietlow einen VW Touareg V6 TDI Clean Diesel mit 224 PS (165 kW) - ein serienmäßig motorisiertes Fahrzeug, allerdings mit modifiziertem Fahrwerk und Überrollkäfig sowie umfangreicher Spezial-IT an Bord: Neben der Touareg-üblichen Bordelektronik gaben diverse zusätzliche Sensoren Aufschluss über Fahrzeugverhalten und Straßenqualität, eine Frontkamera schoss regelmäßig Fotos von den Straßenverhältnissen, und Navigationssoftware sorgte für die Orientierung. Interessierte konnten die Fahrt mittels einer von HP speziell für die Cape to Cape Challenge entwickelten App live mitverfolgen. Für seine Fans veröffentlichte Zietlows Team neben regelmäßigen Informationen auf Facebook, Twitter und Instagram auch täglich aktuelle Bilddateien.
Auswertung des Fahrzeugverhaltens
Rainer Zietlows VW Touareg protokollierte während der Cape to Cape Challenge ganze 70 Signale zum Fahrstil: Wie wurde Gas gegeben, wie gebremst, wie in die Kurve gefahren? Welche Lenkkorrekturen gab es in der Kurve? Wann und wie häufig mussten die Fahrassistenzsysteme eingreifen? Wann und wie häufig wurde der Tempomat genutzt? Insgesamt ergab die Rekordversuchsfahrt einen Bestand von 1,6 Milliarden Datenbankzeilen, die es für HP mittels der Vertica Datenbank auszuwerten galt - und hinzuzurechnen sind hier noch die Bilddateien der Dashboard-Kamera sowie weiterer Input wie Verkehrsinformationen, Wetterdaten, Social-Media-Reaktionen etc.
Die Messwerte zum Fahrverhalten erhielt ein HP-Spezialist in den USA für die Big-Data-Analyse. Dieser konnte anhand der Messdaten erkennen, dass bei der Challenge drei verschiedene Fahrer am Lenkrad gesessen sein mussten - was stimmte: Rainer Zietlow war mit zwei Beifahrern unterwegs gewesen, und die drei hatten sich beim Fahren abgewechselt.
Ermitteln lassen sich solche Ergebnisse, indem man die zahlreichen Informationen in einem multidimensionalen Modell über die Zeit nach Häufigkeit und/oder Intensität korreliert, um in den strukturierten wie auch unstrukturierten Datenbeständen auffällige Clusterbildungen zu erkennen. Ein Indikator war zum Beispiel die Auswertung der Tempomatnutzung. Hier zeigte sich, dass einer der drei Fahrer den Tempomat gehäuft bei 50-60 km/h einsetzte, der zweite vor allem bei 150-160 km/h, der dritte wiederum bevorzugt bei 120-130-km/h.
Die Big-Data-Analyse belegte: Ja, man kann durch die Auswertung von Fahrzeugdaten unterschiedliche Fahrstile sichtbar machen. Solche Erkenntnisse lassen sich für vielerlei Einsatzfälle heranziehen. So könnte eine Kfz-Versicherung, eine Autovermietung oder der Manager einer Firmenwagenflotte künftig besonders umsichtiges Fahrverhalten belohnen - und dabei zwischen mehreren Nutzern des gleichen Fahrzeugs unterscheiden. Autovermieter zum Beispiel könnten ihren Kunden auf der Basis einer individuellen Fahrtdatenauswertung ("Pay As You Drive") günstigere Tarife anbieten, Versicherer spezielle Rabatte gewähren und Flotteninhaber Bonusprogramme an das gewünschte Fahrverhalten knüpfen, belegt durch diverse Indikatoren wie zum Beispiel die Nutzung der Abstandsautomatik im LKW-Kolonnenverkehr.
Stimmungsanalyse in den sozialen Medien
Neben der Analyse fahrzeugbezogener Daten lieferte die Cape to Cape Challenge auch wertvolle Informationen in einem ganz anderen Kontext: Da Zietlows Team seine Fans durch Posts auf Facebook, Twitter und Instagram an der Extremfahrt teilhaben ließ, konnte die Auswertung in der HP Helion Cloud interessante Erkenntnisse zum Social-Media-Umfeld der Fahrt gewinnen. So hatte HP zum Beispiel eine App speziell für die Cape to Cape Challenge entwickelt, die die Nutzer aktuell über die Rekordfahrt informierte und zur Interaktion animierte. Die Analyse ergab, dass HP damit im Vergleich zu anderen Sponsoren der Fahrt beim Social-Media-Publikum den größten Widerhall fand.
Während der Fahrt wertete HP laufend die Social-Media-Kommentare zum Fahrtgeschehen aus und leitete positive Reaktionen an die App weiter. Die Stimmungsauswertung (Sentiment Analysis) der Big-Data-Plattform ergab einen Anteil von nur 4,7 Prozent negativer Posts, die es auszufiltern galt. Die Höchstwerte positiver wie auch negativer Kommentare zeigten sich beim Unfall in Afrika: negative Reaktionen vor allem aufgrund des Ausbleibens von Neuigkeiten zum Fortkommen, bis die betreffenden Nutzer bemerkten, dass es einen Unfall gegeben hatte; positives Engagement wiederum vorrangig in Form eines Anfeuerns der Fahrer, um diese angesichts des Rückschlags zu motivieren.
Eine unerwartete Erkenntnis: Seinen Spitzenwert erreichte das Engagement der Social-Media-Nutzer 16 Stunden nach dem Unfall - und dies nicht etwa durch verschiedene Zeitzonen bedingt. So gab die Cape to Cape Challenge mittels Big-Data-Analyse empirischer Daten Aufschluss darüber, wann es für Unternehmen am effektivsten ist, sich nach einem wichtigen Vorfall auf Social-Media-Plattformen zu engagieren.
Analyse der Straßenverhältnisse
Des Weiteren wollte man mittels der Cape to Cape Challenge 2014 auch die Frage klären, ob es möglich ist, die Straßenbeschaffenheit während der Fahrt zu messen und auszuwerten. Dazu sammelten die bordeigenen wie auch zusätzliche Sensoren an Zietlows Touareg Angaben über das straßenbedingte Fahrverhalten, zum Beispiel: Wie stark ist die vertikale Beschleunigung? Wie groß sind die Unterschiede zwischen linkem und rechtem Rad?
Der Touareg erzeugte tausende von Messdaten pro Sekunde - Werte weit jenseits dessen, was heute üblich ist. Die Fahrwerkssensoren feuerten mit 1000/s pro Sensor (also insgesamt 4000/s), andere Sensoren mit 100/s und wiederum andere mit 10/s. Die millisekundengenaue Abtastung ist innerhalb der Steuergeräte schon üblich (z.B. für das ESP). Dass diese Daten aber nach außen gegeben werden, war bislang nur im Erprobungsbetrieb anzutreffen, nicht in Serienfahrzeugen. Sonst wäre der CAN-Bus des Fahrzeugs schnell überlastet.
Diese enorme Datenmenge in Echtzeit zur Auswertung in die Cloud zu übermitteln, stellte die Bord-IT vor große Herausforderungen - zumal je nach Gegend keine stabile Internetanbindung gegeben war. Wiederholt generierte das Fahrzeug angesichts der Extrembedingungen mehr Daten, als der Uplink zur Cloud verkraften konnte. Die Cape to Cape Challenge zeigte also auf, dass hier noch Entwicklungsbedarf für künftige Connected-Car-Generationen besteht.
Trotz dieser Hindernisse ergab die Big-Data-Analyse der Challenge vier Datencluster. Das heißt, es gelang eine automatische Unterteilung in vier Straßentypen:
glatte Straße,
Schotterstraße,
Schlaglöcher,
Schotterstraße mit Schlaglöchern.
Die ermittelten Informationen zu den Straßenverhältnissen - als schlimmste Piste erwies sich die berüchtigte "Road to Hell" in Kenia - ließen sich dank der mitgelieferten GPS-Daten des Fahrzeugs auf eine Landkarte übertragen und farblich codieren. Die Aggregation solcher Sensorikdaten macht damit erkenntlich, an welchen Straßen in einer bestimmten Gegend der größte Reparaturbedarf besteht. Korreliert man dies mit der Häufigkeit, mit der eine Straße genutzt wird, ergibt sich eine empirisch belegbare Prioritätenliste für die zuständigen Behörden.
Zwar hatte man den Touareg für diese Messungen mit zusätzlicher Sensorik ausgestattet, doch handelte es sich bei diesen um handelsübliche Kfz-Sensoren. Derlei Sensoren sind heute bereits in diversen Fahrzeugen der oberen Fahrzeugklassen verbaut, neben dem Touareg zum Beispiel auch im VW Phaeton. Dies eröffnet interessante künftige Szenarien. So könnten zum Beispiel die Oberklassemodelle als "Straßenqualitäts-Scouts" für die übrigen Fahrzeuge eines Herstellers dienen und zum Beispiel Frostschäden am Straßenbelag zeitnah an andere Fahrer melden. Das Navigationssystem oder Bedienungsdisplay selbst günstigerer Automobile könnten dann Warnhinweise ausgeben wie zum Beispiel: "Vorsicht - Fahrbahn enthält Schlaglöcher!" - lange bevor Warnschilder auf diese Gefahren hinweisen.
Schwarmintelligenz und Smart City
Heutige Navigationssysteme sind zwar in der Lage, die geplante Route aufgrund von Stauinformationen kurzfristig zu ändern, aktuelle Daten für höhere Sicherheit oder mehr Fahrkomfort liefern sie aber noch nicht. Wirklich spannend werden die Fragestellungen rund um das Connected Car deshalb, wenn man nicht nur das einzelne Fahrzeug in den Fokus rückt, sondern die echtzeitnahe Kommunikation vernetzter Fahrzeuge einschließlich dynamischer Interaktion im Sinne des "Internets der Dinge". Damit könnten sich künftige Fahrzeuggenerationen durch den stetigen Austausch von Verkehrsinformationen selbsttätig so organisieren, dass mittels Schwarmintelligenz der optimale Verkehrsfluss sowie hohe Verkehrssicherheit gewährleistet sind.
Erfolgt die Interaktion zwischen intelligenten Fahrzeugen eines Tages tatsächlich in Echtzeit, dann sind selbst Szenarien umsetzbar, in denen ein verunfallter Wagen automatisch die nachfolgenden Fahrzeuge warnt: "Vorsicht, Unfall hinter der nächsten Kurve!" - während die noch weiter hinten nahenden Fahrzeuge automatisch auf eine Umgehungsstrecke gelotst werden.
Auch auf kommunaler Ebene lässt sich - Stichwort: "Smart City" - diese Schwarmintelligenz nutzen, um die Verkehrsführung in vielerlei Hinsicht zu optimieren. Dies reicht von der Effizienzkontrolle von Ampelschaltungen einer "grünen Welle" bis hin zur Frage: Wo und wann ist der Straßenverkehr wie zu regulieren, um einen häufig genutzten Schulweg von A nach B möglichst sicher zu gestalten?
Von der Challenge zur Echtzeit-Verkehrsoptimierung
Szenarien wie die Smart City oder sich per Schwarmintelligenz gegenseitig schneller ans Ziel helfende Connected Cars stellen enorm hohe Anforderungen an das Zusammenspiel von IT und Automobil. Die Cape to Cape Challenge 2014 hat gezeigt, wie schwierig es sein kann, die umfangreichen Datenmengen bei mangelhaften Funkverhältnissen echtzeitnah in die Cloud zu übertragen. Umso komplexer ist das Vorhaben, künftig noch viel mehr Sensorikdaten aus dem Fahrzeug abzurufen, in der Cloud zu analysieren und bei Bedarf zu aggregieren, um sie dann ebenso schnell wieder an genau jene Fahrzeuge zurückzuspielen, die diese Informationen gerade benötigen. Konzeptstudien wie jene von HP und IAV im Rahmen der Cape to Cape Challenge 2014 liefern damit wichtige Informationen für die künftige Optimierung des Verkehrsflusses wie auch der Verkehrssicherheit. (fm)