Ende vergangenen Jahres hat Gartner B2B-Marktplätze zum Trendthema 2012 erklärt. Die diesjährige CeBIT scheint die Einschätzung der Analysten zu bestätigen. Die Telekom, HP, Atos und Fujitsu stellen auf der hannoverschen Leistungsschau ihre virtuellen Marktplätze vor und umwerben Geschäftskunden sowie Lösungspartner. Die B2B-Stores konzentrieren sich nicht wie ihre Vorbilder von Apple und Google auf mobile Endgeräte, sondern werden als zentrale Vertriebsplattform für Cloud- und SaaS-Applikationen positioniert.
Deutsche Telekom: Business Marketplace
Die Telekom richtet sich mit ihrem "Business Marketplace" an mittelständische Anwender. Partner sollen die Softwarelösungen beisteuern, erste Abkommen mit Softwareherstellern wurden laut Telekom bereits unterzeichnet. Um das Netz künftig weiter auszubauen, suchen die Cloud-Scouts der Telekom weltweit nach interessanten Partnern. Anwender werden mit Rund-um-Services von der Empfehlung über die Buchung von Diensten bis hin zur Abrechnung und zum Kundenservice gelockt.
Atos: Canopy betreibt einen Marktplatz
Atos wird in Hannover das gemeinsam mit EMC und VMware gegründete Joint Venture Canopy präsentieren. Neben Cloud-Beratungs-, Implementierungs- und PaaS-Diensten (Platform as a Service) wird das Gemeinschaftsunternehmen einen Marktplatz für Anwender und Partner betreiben. Der "Enterprise Application Store" soll im zweiten Quartal 2012 starten. Atos stellt bis zum Jahresende eine breite Palette von Applikationen in Aussicht, etwa für E-Mail, Product-Lifecycle-Management (PLM), Engineering-Change-Management, Analytics, ERP und CRM. Gespräche mit möglichen Lieferanten werden laufend geführt.
HP: cCell und Aggregation Broker
Die deutsche Dependance von Hewlett-Packard (HP) spricht mit dem "Aggregation Broker" ebenfall vornehmlich den Mittelstand an, fügt den Marktplatz aber in ein umfassendes Cloud-Konzept mit der Bezeichnung "cCell" ein. Die Basis bilden Hardwarekomponenten von HP, die Computing-Leistung, Speicher und Backup auf Mietbasis zur Verfügung stellen und sich wahlweise beim Anwender, Systemhaus oder im HP-Rechenzentrum installieren lassen. Die Zellen beziehen Applikationen über den zentralen Marktplatz, den wieder-um Softwarepartner mit ihren Geschäftsanwendungen bestücken.
Fujitsu: Business Solutions Store
Auch Fujitsu nimmt die Messe zum Anlass, den eigenen "Business Solutions Store" zu bewerben. Ab der CeBIT ist der Marktplatz zunächst einmal nur für Partner zugänglich, ab Juni soll der Store auch Kunden offenstehen.
SAP und Salesforce waren schneller
Die SAP ist mit ihrer Implementierung weit fortgeschritten. Bereits auf der CeBIT 2011 hat sie die erste Version ihres "SAP Store" vorgestellt, anfangs nur für Applikationen der Mietsoftware "Business ByDesign". Seit der Hausmesse Sapphire im vergangenen Herbst sind darin auch mobile Anwendungen zu finden. Mittlerweile gibt es dort rund 170 Apps, davon etwa 50 für Mobile-User. Ergänzt wird das Angebot durch den 2008 gestarteten Marktplatz "EcoHub" für klassische SAP-Installationen. Hier können Anwender unter gut 1000 Anwendungen von rund 600 Partnern wählen.
Salesforce startet früh
Auch abseits der CeBIT zeigt die IT-Branche rege Aktivitäten im Aufbau von Marktplätzen für Geschäftsapplikationen. Ein früher Starter in diesem Markt war der CRM-Anbieter Salesforce, der mit seiner "App-Exchange"-Plattform bereits 2006 eine zentrale Anlaufstelle für Partner und Kunden aufgebaut hat. Eine junge Initiative geht dagegen vom ERP-Anbieter Unit 4 aus: Er kündigte für Juni 2012 einen eigenen "App Store" an. Ein erstes Produkt für den Marktplatz stellt der Hersteller mit der "Business Analytics Apps" selbst bereit.
Ein Blick in die ersten implementierten Marktplätze zeigt die enge Anlehnung an die Vorbilder App Store von Apple und Android Market von Google. Besucher können in den Angeboten stöbern, Software testen und direkt auf ihr Gerät laden. Es gibt kostenlose und kostenpflichtige Applikationen, die Nutzer können die gewählte Software bewerten und kommentieren. Die Betreiber listen zum Teil die beliebtesten Tools auf und schlagen den Besuchern weitere passende Lösungen vor. "Wer etwas auf sich hält, bietet heute einen App Store an", bringt es Rüdiger Spies, Analyst und Vice President bei IDC, auf den Punkt. "App-Store-Betreiber gelten als modern, erfolgreich und innovativ."
Doch anders als die digitalen Software-Supermärkte von Apple und Google streben die B2B-Betreiber nicht nach Masse, sondern wollen Lösungen für Nischen und spezielle Unternehmensanforderungen bereitstellen. Auf Fragen nach Branchen- oder Anwendungsschwerpunkten flüchten die Anbieter ins Ungefähre. Der Grund dafür ist simpel: Die inhaltliche Ausrichtung haben die Content-Lieferanten in der Hand, und die Gespräche mit ihnen laufen noch. "Die Business-orientierten App-Stores befinden sich in einem frühen Stadium, viele Anbieter experimentieren noch", beobachtet etwa Forrester-Analystin China Martens.
Alle streben nach Ökosystemen
Die Softwarehersteller spielen in diesem Marktplatztrend eine Schlüsselrolle für jeden Betreiber. Erfolgreich kann ein Store nur arbeiten, wenn er interessante Applikationen bietet. Kein Wunder also, dass alle Marktplatzbetreiber Partnerinitiativen pflegen, um die Lieferanten an ihre Plattform zu binden. Nahezu alle großen Anbieter zielen strategisch darauf ab, rund um den Marktplatz ein Ökosystem für Partner zu errichten.
Damit ist ein verschärfter Wettbewerb um Softwarehersteller und Programmierer die unausweichliche Folge der Marktplatz-Schwemme. Es geht um die Sichtbarkeit beim Anwender und die Sicherung künftiger Erlösquellen. Das Geschäftsmodell der Betreiber sieht in der Regel geringe oder keine Startkosten für die Partner vor. Erst wenn die Kunden die Software kaufen oder mieten und die Einnahmen fließen, fordern die Betreiber ihren Obulus ein. SAP kalkuliert beispielsweise mit 30 Prozent, andere Anbieter haben weniger Aufwand und sind deutlich billiger: Die Beteiligungsquote beginnt bei fünf Prozent.
Präsenz im Store wird zur Pflicht
Den Wettbewerb um Softwarefirmen führen die Marktbetreiber aber auch über ergänzende Dienstleistungen. Fujitsu stellt ihnen etwa ein dreistufiges Modell zur Wahl, das sich von der einfachen Präsentation im Marktplatz über Services etwa für die Abrechnung bis hin zum kompletten Hosting erstreckt. Die Betreuung sieht ferner einen Workshop für die Partner vor, zudem können sie Services und Tools in Anspruch nehmen, mit denen sich vorhandene Applikationen in Web-fähige Anwendungen verwandeln lassen.
HP lockt indes mit einer kompletten Cloud-Umgebung, die bei Bedarf auch einen White-Label-Marktplatz umfasst, den die Softwarelieferanten im eigenen Unternehmensdesign gestalten können. Die Deutsche Telekom wirbt mit ihrem guten Zugang zum Mittelstand und stellt Partnern eine große Kundenzahl in Aussicht. Stefan Ried, Principal Analyst bei Forrester Research, erwartet: "Für die Hersteller von Business-Software wird die Präsenz in einem Marktplatz wie dem der Deutschen Telekom wichtiger als bisherige Vertriebspartnerschaften mit Plattformanbietern wie Microsoft."
Die Motive der einzelnen Firmen weichen dabei im Detail voneinander ab. Der Marktplatz der Telekom fügt sich in die Konzernstrategie ein, nicht nur am Infrastrukturbetrieb. sondern auch mit Inhalten Geld zu verdienen. Fujitsu möchte Cloud-Anbieter Nummer eins für Geschäftskunden werden, ist aber als reiner Hardwareanbieter theoretisch austauschbar, da es bezüglich Software an geistigem Eigentum fehlt. Der Business Store sowie eine eigens von Fujitsu angekündigte CRM-Lösung sollen Kundenbindung schaffen. SAP und Salesforce.com haben es leichter, da sie Software zur Miete anbieten und bereits etliche Softwarepartner haben. Mit deren über den App-Store verbreiteten Lösungen können sie die eigene Mietsoftware erweitern und Zusatzgeschäfte machen.
IBM will bauen statt betreiben
Einzig IBM mag sich dem Store-Trend noch nicht anschließen, der IT-Konzern sondiert noch den Markt. Zu Buche steht eine Kooperation mit HTC, in deren Rahmen Business Apps via Android Market vertrieben werden sollen. Darüber hinaus konzentriert sich IBM darauf, Unternehmen, die eigene Marktplätze installieren wollen, Tools und Services zur Verfügung zu stellen. Basis sind zum einen Mobility-Lösungen von Rational, zum anderen die Plattform "AppDistribution with WebSphere", mit der sich interne App-Stores für die eigene Belegschaft installieren lassen. Erfahrungen damit hat IBM selbst seit 2009 gesammelt. Auf dem "Whirlwind App Store" stehen den IBM-Kollegen 400 interne und externe Apps zum Download bereit.
Marktplätze schüren Konkurrenz
Die vielfältigen App-Store-Initiativen sind Indikatoren für einen grundlegenden Wandel im Vertrieb von Anwendungen. "Die Softwareverteilung verläuft künftig nicht mehr ausschließlich über Distributoren und Händler, sondern direkt vom Hersteller zum Anwender", erwartet IDC-Analyst Spies. "Der Umbau ermöglicht es Newcomern wie etwa Fujitsu, Atos, Telekom und HP, eine lukrative Position in der neuen Distributionskette zu besetzen." Begünstigt wird diese Entwicklung durch ein verändertes Design in der Softwarearchitektur, das die monolithischen Blöcke durch schmale Softwarekomponenten ersetzt.
Die Marktbeobachter der Experton Group werten die Vorgänge im Softwaremarkt gar als disruptiven Einschnitt. "Der Wechsel von komplexen, hoch riskanten, monatelangen Projekten hin zu mobilen, sozialen, schlüsselfertigen Apps, auf die Anwender von jedem App Store aus jederzeit zugreifen können und die nutzungsbasiert abgerechnet werden, wird die Spielregeln im Markt dras-tisch verändern", erwartet Experton-Analyst Hal Kreitzman. Und nicht zuletzt die verschwimmenden Grenzen zwischen privat und beruflich genutzter IT sorgen für die "Appifizierung" der Software. IT-Nutzer wollen an ihren mobilen Endgeräten auch Geschäftsapplikationen bedienen können.
Was am Ende auf den neuen B2B-Plattformen geschieht und wie üppig die dort gehandelten Softwarekomponenten ausfallen, bleibt nicht nur den Anbietern, sondern auch den Kunden überlassen. "Auf den Marktplätzen etwa von Fujitsu, Atos und SAP können sich Firmen ihren eigenen virtuellen App Store mit individueller App-Auswahl einrichten", sagt Forrester-Analyst Ried. "Diese Sichten auf die firmenintern angebotenen Apps können eigene und zugekaufte Programme umfassen."
Best of Breed statt Single Sourcing
Die Anwender gewinnen damit an Flexibiliät, allerdings auf Kosten der Durchgängigkeit von Prozessen. Abhilfe wollen Spezialisten wie Hubspan und Informatica schaffen, ebenso die Dell-Tocher Boomi.com und IBMs Cast Iron. Ihre Profession ist es, Daten, Prozesse und Applikationen auf unterschiedlichen Ebenen zu integrieren. "Eine App-Integration dauert wenige Tage und nicht einige Wochen, wie es bei den monolithischen ERP-Systemen und traditioneller Middleware der Fall ist", vergleicht Ried.
Nachdem die Anwender in den vergangenen Jahren eine Single-Vendor-Sourcing-Strategie mit überschaubaren Erfolgen in der Integration verfolgt hätten, schlage das Pendel nun wieder in Richtung Best of Breed aus. "Bislang haben Unternehmensanwendungen ihre Nutzer mit der Funktionsvielfalt erschlagen", betont Ried. "Heute wollen die Anwender einzelne konsumierbare Stücke - die Apps!"
Die Anbieter auf der CeBIT
Einige Anbieter stellen in Hannover ihre virtuelle Marktplätze vor.
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Interessenten am "SAP Store" können sich in Halle 5 im Rahmen des "Innovation Show Floor" von SAP informieren.
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HP präsentiert seine "cCell"samt dem Marktplatz "Aggregation Broker" in der Halle 4, Stand A58, in der "Cloud Computing World" des Bitkom.
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Der "Business Solution Store" inklusive Partnerservices von Fujitsu ist in der Halle 2, Stand B52, zu sehen.
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T-Systems und die Telekom gewähren in Halle 4, Stand D26, einen Blick auf den "Business Marketplace".
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IBM zeigt in der Halle 2 am Demopunkt 145 die Lösung "AppDistribution with WebSphere".