Shared Responsibility in der Public Cloud

Wer übernimmt die Datenverantwortung?

08.09.2015 von René Büst
Beratungsmandate und Gespräche mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Public Cloud interessierten Unternehmen offenbaren die schreckliche Gewissheit, dass das klassische Outsourcing in den Köpfen vieler IT-Entscheider immer noch weit verbreitet ist. Public Cloud Anbieter werden als Full-Service-Provider verstanden, was Verhandlungen auf Augenhöhe erschwert und der zügigen Adaption von Public Cloud Services entgegensteht.

"Shared-Responsibility" ist das Stichwort, was es zu verinnerlichen gilt. Dieser Analyst View räumt mit den falschen Annahmen auf und erläutert das Konzept.

Selbstverantwortung - Fehlanzeige: Das große Missverständnis

Der Einfachheit halber wurde Cloud Computing in den vergangenen zehn Jahren immer wieder gerne mit dem Begriff des "Outsourcing 2.0" definiert. Was zu einem besseren Verständnis auf der Anwenderseite führen sollte, hat den Anbietern der "Ur-Cloud", den Public Cloud Anbietern, jedoch einen Bärendienst erwiesen. Mit dem Verständnis des klassischen Outsourcings im Hinterkopf - ein externer Dienstleister übernimmt den zum Teil vollständigen IT-Betrieb - haben IT-Entscheider dementsprechend die Erwartungshaltung entwickelt, die Public Cloud Anbieter als Full-Service-Provider zu betrachten. Der IT-Abteilung bleibt maximal die Koordination und Steuerung dieser externen Dienstleister.

Der erfolgreiche Einsatz des Public Cloud-Modells wird sich nur bei denjenigen Unternehmen einstellen, wo das "Shared-Responsibility"-Konzept als gegeben angenommen wird.
Foto: Lawan naklanga - shutterstock.com

Was für Software-as-a-Service (SaaS) Anbieter als Hersteller von "Low Hanging Fruits" ohne weiteres zutrifft, verhält sich auf Platform-as-a-Service (PaaS) und insbesondere auf Infrastructure-as-a-Service (IaaS) Ebene vollkommen anders.

SaaS-Anbieter stellen fertig entwickelte und direkt einsetzbare Applikationen zur Verfügung. Die Komplexität besteht in der Konfiguration, der individuellen Anpassung und gegebenenfalls der Integration mit anderen SaaS-Anbietern. Der SaaS-Anbieter ist somit für die Bereitstellung und den vollständigen Betrieb der Software und der dafür notwendigen Infrastruktur / Plattform verantwortlich. Der Kunde ist Konsument der Applikation.

PaaS-Anbieter stellen Umgebungen für die Entwicklung und den Betrieb von Applikationen bereit. Anhand von APIs (Schnittstellen) erhält der Kunde Zugriff auf die Plattform und kann damit seine eigene Applikation entwickeln, betreiben und den eigenen Kunden bereitstellen. Der Anbieter ist somit für die Bereitstellung und den Betrieb der Infrastruktur und der Plattform zuständig. Der Kunde hat zu 100 Prozent Verantwortung für seine Applikation, hat aber keinen Einfluss auf die Plattform oder die Infrastruktur.

IaaS-Anbieter übernehmen lediglich Verantwortung auf Infrastrukturebene. Alles was auf den höheren Ebenen passiert, liegt zu 100 Prozent im Verantwortungsbereich des Kunden.

Es ist somit eine falsche Annahme die Public Cloud Anbieter wie Amazon Web Services, Microsoft Azure oder VMware (vCloud Air) als Full-Service-Provider zu betrachten und ihnen die Verantwortung für den gesamten Stack - von der Infrastruktur bis hoch auf Applikationsebene - übertragen zu wollen. Stattdessen ist Selbstverantwortung gefragt.

IaaS-Marktübersicht
IaaS-Provider im Überblick
Hier finden Sie die wichtigsten Anbieter im schnellen Überblick.
Google Compute Engine
Skalierbarkeit ohne Grenzen: Die Google Compute Engine ist für rechenintensive Analyse-Anwendungen rund um Big Data, Data Warehousing sowie für High-Performance-Computing geeignet.
HP Converged Cloud
HPs IaaS-Angebotspaket "Converged Cloud" basiert auf Open-Source-Techniken und orientiert sich dezidiert am Bedarf großer Enterprise-Anwender orientiert.
IBM: Softlayer und Smart Cloud Enterprise
Seit der Softlayer-Übernahme führt IBM IaaS-Lösungen im Portfolio, die nicht ausschließlich virtuelle, sondern auch dedizierte Server zur Verfügung stellen. Ergänzend dazu besteht das "Smart Cloud Enterprise" aus virtuellen Servern und Speicherdiensten.
T-Systems DSI
T-Systems liefert vornehmlich Private-IaaS-Offerten; als eine hybride Variante gibt es die "DSI with vCloud Datacenter Services".
Rackspace Open Cloud
IaaS-Kunden von Rackspace haben die Wahl zwischen 37 (!) Betriebssystemen - meist Linux, aber auch mehrere Windows-Server-Varianten und -Generationen.
Profitbricks
Das Berliner Unternehmen Profitbricks betreibt ein deutsches und ein US-Rechenzentrum, ohne Verbindung zueinander. In einem Public-Modell stellt es Server, Speicher, Netzwerk und Loadbalancer nach Bedarf mithilfe einer Konsole namens "Data Center Designer" zusammen.
vCloud.jpg
vCloud Air unterstützt mehr als 5.000 Anwendungen und Dutzende von Betriebssystemen, die zur Ausführung auf vSphere zertifiziert sind. Für die Ausführung in der Cloud sind keine Änderungen erforderlich.

So funktioniert IaaS-Management in der Public Cloud

Ein entscheidendes Detail der Public Cloud - was diese Deployment-Variante eindeutig vom Outsourcing abhebt - ist das Self-Service-Modell. Die Anbieter zeigen sich, je nach ihrer DNA, nur für bestimmte Bereiche verantwortlich. Für den Rest ist der Kunde zunächst selbst zuständig.

In der Public Cloud geht es also um die Aufteilung von Verantwortlichkeiten - auch als Shared-Responsibility- bezeichnet. Anbieter und Kunde teilen sich die Aufgabenbereiche untereinander auf. Die Eigenverantwortung des Kunden spielt dabei eine zentrale Rolle. Im Rahmen der IaaS-Nutzung ist der Anbieter für den Betrieb und die Sicherheit der physikalischen Umgebung zuständig, hierbei kümmert er sich um:

Der Kunde ist für den Betrieb und die Sicherheit der logischen Umgebung verantwortlich. Hierzu gehören:

Ein sehr ernst zu nehmender Bestandteil ist die Sicherheit. Der Kunde ist zu 100 Prozent für die Absicherung der eigenen Umgebung verantwortlich. Hierzu gehören:

Im Rahmen des Public-Cloud-Modells teilen sich Anbieter und Kunde die Zuständigkeiten für eine funktionierende Infrastruktur.
Foto: Crisp Research AG

Der Kunde ist somit für den Betrieb und die Sicherheit der eigenen Infrastrukturumgebung und den darauf betriebenen Systemen, Applikationen und Services sowie den gespeicherten Daten verantwortlich. Anbieter wie Amazon Web Services oder Microsoft Azure stellen dem Kunden jedoch umfangreiche Tools und Services zur Verfügung mit denen sich zum Beispiel die Verschlüsselung der Daten als auch die Identitäts- und Zugriffskontrollen sicherstellen lassen. Darüber hinaus existieren zum Teil weitere Enablement-Services (Microservices) mit denen der Kunde schneller und einfacher eigene Applikationen entwickeln kann.

Der Kunde ist in seinem Verantwortungsbereich somit auf sich alleine gestellt und muss dementsprechend Selbstverantwortung übernehmen. Stetig wachsende Partnernetzwerke können den Kunden dabei helfen, die virtuellen Infrastrukturen sicher aufzubauen und die Applikationen und Workloads auf den Clouds zu betreiben.

@CIO: Public Cloud bedeutet alte Zöpfe abzuschneiden

Einhergehend mit dem Verständnis für die Shared Responsibility, erfordert die Nutzung von Public Cloud-Infrastrukturen ein Umdenken beim Design der Infrastrukturumgebung selbst und damit korrespondierend mit der Architektur der darauf entwickelten Applikationen und Services.

Cloud Computing: Aktueller Status Quo
Private Clouds liegen vorn
IT- und TK-Branche sind Vorreiter
Große Unternehmen klar führend beim Cloud Computing
SaaS nimmt am stärksten zu
Groupware, CRM und Telefonie aus der Cloud
Vorwiegend gute Erfahrungen mit der Cloud
Mehr SaaS aus der Private Cloud
Kollaboration und Groupware dominiert bei SaaS
Wichtigste Gründe: Mobile und ortsunabhängige Nutzung, größere Flexibilität
Größte Hürden: Angst vor Hackern und Datenverlust
Deutsche Provider und RZ-Standort für fast alle Anwender ein Muss

Der Self-Service lässt den Weg auf eine Public Cloud-Infrastruktur zunächst simple erscheinen. Der Teufel steckt allerdings auch hier wieder einmal im Detail und verbirgt sich in der Komplexität die im ersten Moment nicht offensichtlich ist. CIOs sollten sich daher anfangs auf die folgenden Themen konzentrieren:

1. Das jeweilige Anbieter-Portfolio und die Eigenschaften seiner Plattform / -Infrastruktur verstehen lernen. Es hört sich einfach an. Tatsächlich entwickeln sich Public Cloud-Infrastrukturumgebungen aber mit einer rasanten Geschwindigkeit weiter. Hierfür ist es erforderlich, den Funktionsumfang und die Verfügbarkeit aller Services auf der Infrastruktur-Plattform zu kennen und seine Mitarbeiter fortlaufend zu schulen, um das volle Potential ausschöpfen zu können.

2. Einen "Grüne Wiese" Ansatz inkl. Microservice-Architektur verfolgen. Public Cloud-Infrastrukturen folgen anderen Architektur- und Design-Konzepten, die sich vollkommen von denen unterscheiden, die noch vor kurzem gelehrt und implementiert wurden. Anstatt träge monolithische Applikationsklötze zu entwickeln, werden für Cloud-Infrastrukturen sogenannte Microservice-Architekturen eingesetzt, um autarke, voneinander losgelöste und einzeln skalierbare Applikationen zu entwickeln, die miteinander integriert eine vollständige Applikation ergeben. Dies sorgt für eine bessere Skalierbarkeit und Agilität und führt zu einer höheren Verfügbarkeit der gesamten Applikation.

3. "Design for Failure" berücksichtigen. "Everything fails, all the time" (Werner Vogels, CTO Amazon.com). Das Design einer Cloud-Applikation muss den Regeln und Eigenschaften des Cloud Computings folgen und die Hochverfügbarkeit berücksichtigen. Hierbei muss grundsätzlich darauf geachtet werden, einen Single Point of Failure zu vermeiden und zu berücksichtigen, dass zu jedem Zeitpunkt etwas schiefgehen kann. Das Ziel muss daher darin bestehen, das eine Anwendung zu jederzeit funktioniert, auch dann, wenn die darunterliegende physikalische Infrastruktur des Anbieters in einen Fehlerzustand gerät. Die notwendigen Mittel und Services stehen dafür zur Verfügung.

4. Operational Excellencefür die virtuellen Umgebung von Best Practices lernen. Führende Cloud-Nutzer, wie Netflix, zeigen auf beeindruckende Weise wie mit Selbstverantwortung bzw. Shared-Responsibility in der Public Cloud umzugehen ist. Netflix hat hierfür die "Simian Army" (https://github.com/Netflix/SimianArmy) entwickelt. Hierbei handelt es sich um ein riesiges Set an Tools und Services, mit denen u.a. der hochverfügbare Betrieb der virtuellen Netflix-Infrastruktur auf der Cloud der Amazon Web Services sichergestellt wird. Zalando geht mit seinem eigenen Framework STUPS.io (http://stups.io) einen ähnlichen Weg.

5. Managed Public Cloud Anbieter berücksichtigen. Die Komplexität der Public Cloud sollte nicht unterschätzt werden. Das gilt für den Aufbau der notwendigen virtuellen Infrastruktur, über die Entwicklung der Applikation bis hin zum Betrieb und der ganzheitlichen Implementierung der Sicherheitsmechanismen. Immer mehr Systemintegratoren wie die Direkt Gruppe, TecRacer oder Beck et al. Services spezialisieren sich auf den Betrieb von Public Clouds für ihre Kunden. Hinzu kommt, dass sich immer mehr Webhoster und MSPs wie Rackspace (dessen Fanatical Support nun auch Microsoft Azure unterstützt) zu Managed Public Cloud Providern transformieren. Und viele weitere werden folgen.

Zum Video: Wer übernimmt die Datenverantwortung?

Die steigende Anzahl von Cloud-Migrationsprojekten bei großen mittelständischen Unternehmen und Großkonzernen zeigt, dass Cloud-Infrastrukturplattformen immer mehr zur neuen Normalität avancieren und dafür sorgen, dass alte Architektur-, Design- und Sicherheitskonzepte abgelöst werden. Nachdem Public Clouds über Jahre hinweg mit Nichtbeachtung gestraft wurden, erfreut sich auch diese Deploymentvariante einer steigenden Beliebtheit auf der digitalen Infrastrukturagenda von IT-Entscheidern. Der erfolgreiche Einsatz dieser Cloud-Form wird sich jedoch nur bei denjenigen Unternehmen einstellen, wo sich das Mindset des CIOs verändert und das "Shared-Responsibility"-Konzept als gegeben angenommen wird. (bw)