Überwachungssoftware verspätet sich

Veraltete Software behindert Polizeiarbeit

11.10.2023 von Martin Bayer
Polizisten in NRW kommen mit der Datenauswertung nicht hinterher, weil ihre Software veraltet ist. Seit Jahren ist eine neue Lösung geplant. Doch die verspätet sich immer weiter. 
Die Polizei in NRW sucht den Durchblick im Datenwust - doch veraltete Software macht den Beamten das Leben schwer.
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Die Polizei in Nordrhein-Westfalen hat ein massives Problem. Um ihren Job zu machen, müssten die Beamten gerade im Zusammenhang mit schwerwiegenden Straftaten wie Drogenhandel oder Terrorismus die Telekomunikation überwachen und die daraus gewonnenen Daten auswerten. Doch die Software dafür ist laut einem Bericht des WDR hoffnungslos veraltet. Eine Neuentwicklung, die eigentlich schon seit 2019 laufen sollte, verspätete sich ein ums andere Mal.

Die Polizisten im bevölkerungsreichsten Bundesland könnten nur 60 bis 70 Prozent der anfallenden Daten verwerten, beklagte Oliver Huth, LKA-Ermittler und Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in NRW, gegenüber dem Sender. "Das ist ein Riesenproblem. Das wäre so wie ein Funkwagen, der mit drei Reifen durch die Gegend fahren soll", beschreibt der Beamte das IT-Desaster.

Die aktuell eingesetzte Software bei den Ermittlern in NRW basiert auf einer Entwicklung aus dem Jahr 2008. Als klar wurde, dass dieses System an seine Grenzen stößt, beauftragte das zuständige Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) im Jahr 2017 den kanadischen Softwarehersteller JSI damit, eine neue Lösung zu entwickeln. Zielvorgabe: 2019 sollte das System eingeführt werden. Doch daraus wurde nichts. Bis heute muss die Polizei mit der alten Software arbeiten. Für das neue System reicht es lediglich zum Probebetrieb.

Herbert Reul (CDU): Zeitpläne? Werden sowieso nicht eingehalten!

Laut dem WDR-Bericht hoffen die Verantwortlichen im LZPD, dass das System bis Ende 2023 in den Regelbetrieb geht. Im Düsseldorfer Innenministerium wiegelt man ab. Die Verspätung bei einem solchen Projekt sei nicht verwunderlich, zitiert der Sender den NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). "Wir haben ja auch nicht eine fertige Software von der Stange gekauft, sondern im Grunde ein Entwicklungsprojekt." Das System sollte also erst noch an die Vorgaben der Polizei angepasst werden. "Ich habe da noch nie erlebt, dass das akkurat in der Zeit bleibt", so Reul.

NRW-Innenminister Herbert Reul von der CDU hat offenbar noch nie erlebt, dass IT-Projekte im Zeitplan bleiben.
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Die Zeche zahlt der Steuerzahler. Zwar nennt man im Innenministerium keinen Kaufpreis für die neue Software. Experten sprechen jedoch von mehreren Millionen Euro. Hinzu kommen weitere 1,2 Millionen Euro für die Pflege des alten Programms. Innenminister Reul betonte laut WDR, dass die neue Software durch die Verzögerungen nicht teurer geworden sei. Man habe immer nur das bezahlt, was die Polizei auch geliefert bekommen habe. Allerdings gebe es auch keinerlei Handhabe, Geld wegen Verspätungen zurückzufordern, musste das Innenministerium einräumen.

Projektmanagement hat versagt

Experten monieren, dass es die Behörden versäumt hätten, das Projekt richtig zu steuern. Weder habe es klare Zielvorgaben gegeben, noch die Möglichkeit, bei Vertragsverletzungen oder Verzögerungen Regressforderungen zu stellen.

Die Querelen um die Software von JSI, die auf ihrer Website damit werben, Daten aus beliebigen Quellen miteinander verbinden, anreichern und analysieren zu können, sind nicht das einzige IT-Problem, mit dem sich Polizeibehörden in Deutschland herumschlagen. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder heftige Diskussionen um den Einsatz von Software des US-amerikanischen KI-Spezialisten Palantir.

Die Palantir-Verantwortlichen werben damit, Informationen aus verschiedenen Datenbanken verknüpfen und so Querverbindungen sichtbar machen zu können. Datenschützer lehnen die Software ab. Sie warnen vor dem gläsernen Bürger und kritisieren, dass damit Datenschutzgesetze verletzt würden.

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Trotz aller Kritik trieben verschiedene Bundesländer den Einsatz von Palantir-Software in den vergangenen Jahren voran. Bayern hat einen Rahmenvertrag mit der US-Firma geschlossen. Das Projekt Verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform (VeRA) basierte auf Palantir-Software. Gleichzeitig hat sich Bayern bemüht, auch andere Bundesländer dazu zu bewegen, dem Rahmenvertrag beizutreten. Auch in Hessen und NRW verwenden die Behörden seit etlichen Jahren die Überwachungssoftware von Palantir.

Palantir vor dem Aus?

Der Einsatz der Palantir-Software sei zwingend erforderlich, um die Analysefähigkeit der Polizeien des Bundes und der Länder zu verbessern, warben Bayern, Hessen und NRW für einen flächendeckenden Palantir-Einsatz. Doch die anderen Bundesländer zogen nicht mit. Auch aus dem Bundesinnenministerium kam Mitte des Jahres eine deutliche Absage. Man sehe keine Notwendigkeit eine Art Bundes-VeRA einzuführen.

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Wie es weitergeht, ist ungewiss. Während einige Bundesländer fordern, vorrangig europäische Lösungen in Betracht zu ziehen und erst einmal eine Marktanalyse vorzunehmen, käme auch eine herstellerunabhängige Anwendungsbereitstellung in Betracht, also eine Eigenentwicklung, verlautete aus dem Bundesinnenministerium in Berlin. Eine schnelle Lösung, dürfte damit allerdings vom Tisch sein. Auch droht wieder einmal ein behördlicher IT-Flickenteppich.

IT-Probleme der deutschen Polizei - keine Einzelfall

Die aktuellen Querelen rund um die Entwicklung und den Betrieb von IT-Lösungen bei der Polizei in Deutschland sind im Grunde nichts Neues. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Strafverfolgungsbehörden hierzulande bei IT-Projekten nicht gerade hervorgetan - einige Beispiele:

Inpol-neu: Das bundesweit einheitliche Informationssystem ging erst 2003 mit zweijähriger Verspätung an den Start. Die mangelhafte Abstimmung zwischen Bund und Ländern kostete den Steuerzahler rund 50 Millionen Euro. Zwischenzeitlich drohte das Projekt sogar komplett zu kippen.

Nivadis: 2003 wollte Niedersachsen mehr als 11 600 Linux-Rechner für das Niedersächsische Vorgangsbearbeitungs-, Analyse-, Dokumentations- und Informationssystem (Nivadis) in Betrieb nehmen. Doch das 82 Millionen Euro teure Vorhaben verzögerte sich immer weiter. Noch im Frühjahr 2007 kritisierten Beamte die mangelhafte Leistung sowie System- und Funktionsfehler.

Poliks: Das "Polizeiliche Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung" (Poliks) kämpfte 2005 in Berlin mit erheblichen Startschwierigkeiten. Nach fünf Jahren Entwicklung und Kosten von 73 Millionen Euro klagten die Beamten über mangelhafte Leistung und inakzeptable Antwortzeiten.

Diplaz: Im April 2007 kippte die bayerische Polizei das neue "Dienstplanungs und Zeitwirtschaftssystem" (Diplaz). Die Software, die schon 2005 eingeführt werden sollte, habe sich als untauglich erwiesen, hieß es. Rund zwei Millionen Euro wurden damit in den Sand gesetzt.

ComVor: Im Oktober 2007 kritisierte der Bund der Steuerzahler, dass die Modernisierung der Polizei in Baden-Württemberg zu einem finanziellen Fehlschlag enormen Ausmaßes geworden sei. Das neue Vorgangsbearbeitungssystem "ComVor" hätte eigentlich schon 2004 in Betrieb gehen sollen. Nach mehreren Strategiewechseln sei ein zweistelliger Millionenbetrag in den Sand gesetzt worden.