Oracle-Anwender

SOA löst unsere Probleme nicht

01.12.2008 von Martin Bayer
Über die Probleme und Wünsche der deutschen Oracle-Anwender sprach CW-Redakteur Martin Bayer mit den Vorständen der Deutschen Oracle Anwendergruppe (DOAG) Fried Saacke und Dietmar Neugebauer.

CW: In Ihrer jüngsten Umfrage haben Sie nach der Bea-Übernahme gefragt. Wie bewerten Ihre Mitglieder diesen Deal?

DOAG: Die Strategie von Oracle wird begrüßt genauso wie die Übernahme an sich. Die Suche nach einem starken Middleware-Partner ist in den Reihen der Anwender positiv aufgenommen worden. Den Vorwurf, Oracle schiele nur auf Marktanteile, muss man etwas revidieren. In der Zwischenzeit ist zu erkennen, dass Oracle seine Lösungen mit den Bea-Modulen sehr wohl verstärkt. Das passt gut zusammen. Bea hat in Sachen Architektur, beispielsweise was Lösungsstrategien, Vorgehensweisen und Prozessberatung anbelangt, historisch gesehen die bessere Arbeit gemacht. Oracle wird durch dieses Architektur-Know-how besser.

CW: Ist den Kunden die Strategie Oracles ausreichend bekannt?

DOAG: Da fehlt noch etwas. Die Anwender wollen von Oracle besser informiert werden, vor allem über Details der Roadmap und die langfristigen Entwicklungen. Außerdem vermissen sie Aussagen über die generelle Strategie Oracles. Wo der Hersteller mit der Bea-Übernahme hinwill, ist eine der wichtigen Fragen, die bislang unbeantwortet blieb.

CW: Oracle hat doch aber über seine Roadmap informiert?

DOAG: Die Ergebnisse unserer Umfrage resultieren aus einer relativ frühen Phase des Deals. Wir haben damit zwei Tage, nachdem der Merger rechtskräftig wurde, hier in Deutschland begonnen. Oracle hat in der Zwischenzeit ein paar weitere Informationen nachgeschoben. Die Entschuldigung, man habe aus rechtlichen Gründen nicht genauer informieren können, gilt jedoch nur bedingt. Sicher kann der Hersteller keine Details preisgeben, die grundsätzlichen Linien der dahinterstehenden Strategie lassen sich aber durchaus ziehen. Fragen nach der Ausrichtung und wo Oracle mit Bea hinwill, können durchaus früher beantwortet werden.

CW: In welchen Bereichen gibt es konkret Unsicherheit?

DOAG: Bei den Lizenzmetriken. Noch ist unklar, wie bestehende Applikationen angerechnet werden. Außerdem ist noch nicht ersichtlich, wie Oracle die Lösungen neu zu Suiten paketiert und was die Kunden zahlen müssen, wenn sie bestimmte Produkte dazukaufen möchten.

CW: Oracle hat sich einen regelrechten Bauchladen an Middleware zusammengekauft. Wie gehen die Kunden damit um?

DOAG: Wir beobachten einen Trend, dass die Anwender weggehen von Best-of-Breed-Angeboten hin zu Komplettanbietern, die alles oder möglichst viel aus einer Hand liefern. Die Kunden möchten den Integrationsaufwand nicht selbst schultern, sondern die damit verbundenen Probleme vom Hersteller gelöst bekommen. Die Anwender haben genug damit zu tun, sich um ihre Abläufe zu kümmern und die Prozesse in der Software abzubilden.

CW: Erstreckt sich dieser Trend über das gesamte Portfolio, also auch auf die Datenbank und die Anwendungen?

DOAG: Hier muss man unterscheiden. Es geht einmal um die technische Grundlage. Es ist ein Vorteil, die Infrastruktur, um Software zu entwickeln und zu betreiben, aus einer Hand zu beziehen. Dadurch lässt sich der Integrationsaufwand vermindern. Außerdem haben die Anwender weniger Probleme, wenn es um Fragen geht wie: Passt noch alles zusammen, wenn einer meiner Softwarelieferanten ein Update herausbringt? Die zweite Stufe bilden dann die Business-Applikationen. Viele Nutzer von Oracle-Anwendungen, gerade im Bereich der zugekauften Lösungen wie Peoplesoft und Siebel, migrieren derzeit ihre Infrastruktur von anderen Herstellern wie IBM auf Oracle-Lösungen. Allerdings gilt umgekehrt nicht automatisch, dass Anwender, die in der Oracle-Infrastruktur einen Vorteil sehen, auch selbstverständlich Oracle-Anwendungen einsetzen werden.

CW: Oracle muss sein Produktportfolio im Middleware-Bereich bereinigen. Sehen Sie Probleme, wenn Produkte abgekündigt werden?

DOAG: Es gibt das Neun-Jahres-Commitment von Oracle. Zwar wird es im Laufe der Zeit teurer, wenn die Kunden den gesamten Zeitrahmen ausnutzen möchten. Grundsätzlich hat man als Anwender damit aber viel Zeit. Innerhalb von neun Jahren passiert in der technischen Entwicklung der Unternehmen sowieso eine ganze Menge. Man wird jedoch abwarten müssen, wie die Firmen das handhaben. Wenn eine Produktumstellung ansteht, sieht man sich natürlich im gesamten Markt um, was angeboten wird. Es muss Oracle bewusst sein, dass sich die Kunden auch über Produkte anderer Anbieter informieren. Dabei besteht natürlich die Gefahr, dass sie abspringen. Viel hängt dabei vom Aufwand für die Migration ab.

CW: Wie schätzen Sie diesen Aufwand in der Oracle-Welt ein?

DOAG: Es ist nicht automatisch ein Vorteil, von einem Oracle-Produkt auf ein anderes zu migrieren. Der Aufwand bleibt in aller Regel gleich. Das ist für die betroffenen Unternehmen eine Chance, sich auf dem Markt umzusehen. Oracle muss schon etwas tun, um seinen Kunden einen Mehrwert zu bieten, wenn diese innerhalb des eigenen Portfolios bleiben sollen. Oracle muss sich bemühen, die Kundenbindung an dieser Stelle zu sichern.

CW: Was kann Oracle bieten?

DOAG: Oracle hat sicher den Vorteil, den Technologiebedarf seiner Kunden homogen aus einer Hand decken zu können. Das ist ausgeprägter als beim Wettbewerb. Ein Vorzug ist beispielsweise die einheitliche Datenbankbasis für alle Plattformen. Bei der Konkurrenz ist das anders. Hier müssen Kunden teilweise unterschiedliche Datenbanken für verschiedene Plattformen betreiben, auch wenn sie vielleicht den gleichen Namen trägt. Oracle wäre gut beraten, auf die durchaus vorhandenen Best Practices zu setzen und diese Erfolge gut zu vermarkten. Schließlich gibt es eine ganze Reihe von großen Kundenprojekten. Das schafft zudem auch Vertrauen in den Reihen der Kunden.

CW: Sie hatten Oracle kritisiert, zwar eine gute Technik zu besitzen, dies aber nicht im Markt zu kommunizieren. Hat sich das denn zuletzt verbessert?

DOAG: Oracle hat ein wenig dazugelernt. Das Marketing-Budget ist allerdings relativ klein. Die Verantwortlichen in Europa holen an dieser Stelle das Bestmögliche heraus. Oracle ist derart im Markt positioniert, dass der Hersteller eigentlich bei jeder wichtigen Technikauswahl mit berücksichtigt wird. IT-Produkte sind aber nun einmal erklärungsbedürftig. Ich bin mir nicht sicher, ob man das nur im Vertriebsprozess machen sollte. Man sollte die Kunden durch Marketing auch auf die Technik und die Produkte vorbereiten. Dabei geht es nicht darum, Flughafenwerbung zu machen, sondern die Kunden detailliert über die Produkte und die Technik zu informieren. Und wenn Oracle nicht auf die CeBIT geht, muss der Hersteller andere Veranstaltungen und Kanäle nutzen, um an seine Kunden heranzutreten.

CW: Was passiert, wenn dies nicht geschieht?

DOAG: Dann erreicht Oracle immer nur die Großkunden. Zu denen kann man persönlich hingehen. Den Mittelstand erreicht der Hersteller so nicht. Dafür muss eine Basis geschaffen werden. Das Internet ist dafür zu wenig. Hier muss man Plattformen für den persönlichen Kontakt schaffen und nutzen. Das ist wichtig, um durch den persönlichen Kontakt mit Oracle auch Vertrauen aufzubauen.

SOA steckt in einer Phase der Ernüchterung

CW: Zum Thema Middleware gehören die Service-orientierten Architekturen (SOA). Inwieweit beschäftigen sich die Anwender schon damit?

DOAG: Wir stecken mit SOA in einer Phase der Ernüchterung. Die Anwender haben erkannt: SOA löst unsere Probleme nicht. Die müssen wir immer noch selber lösen. Die Firmen setzen sich momentan um einiges kritischer mit der Architektur auseinander und achten verstärkt auf die Vorteile. Der entscheidende Vorzug von SOA ist, dass man die Schnittstellenproblematik wesentlich besser in den Griff bekommt. Die Vision der kleinen Anwendungs-Applets, die man nur noch zusammenschieben muss, ist dagegen nicht verwirklicht. Es gibt zudem Studien, wonach die durchschnittliche Wiederverwendungsrate eines SOA-Applets bei etwa 1,5 bis 1,8 liegt. Das bedeutet, dass nicht einmal jedes zweite Applet wiederverwendet wird. Es ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten, weil SOA nicht automatisch die Probleme löst.

CW: Das Versprechen der SOA-Anbieter, die Komplexität zu verringern, wurde aus Ihrer Sicht also nicht erfüllt?

DOAG: Schon Ende der 60er Jahre kam die Theorie auf, dass jede Software so viele Module hat, wie Entwickler daran arbeiten. Letztlich ist das heute noch so. Jeder Entwickler baut seine eigenen Blöcke für SOA. Es gibt dazu ja auch einen reichhaltigen Baukasten von Oracle. Viele tun sich aber schwer, das richtige Werkzeug daraus auszuwählen. Dabei geht es wieder um das Thema Information. Oracles Aufgabe ist es, den Anwendern Orientierung und Anleitung zu geben, wie sie unter den vielen Werkzeugen das richtige finden, um ihre Probleme zu lösen. Hier muss sich ein Hersteller auch die Frage stellen, welche Werkzeuge sind wirklich noch nötig und könnte man nicht das eine oder andere entfernen, um die ganze Geschichte etwas übersichtlicher zu machen.

CW: Auch in der Roadmap für die Fusion-Applikationen fehlt der Durchblick. Hier haben sich zuletzt Verzögerungen angedeutet. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

DOAG: Es ist immer etwas schwierig, an dieser Stelle konkrete Informationen von Oracle zu bekommen. Das ist auf der einen Seite verständlich, denn schließlich wird der Hersteller an diesen Aussagen gemessen. Aus Sicht der Kunden ist das jedoch unbefriedigend. Die Firmen denken nicht in Ein- oder Zweijahreszyklen, sondern müssen ihre Strategie auch fünf oder zehn Jahre im Voraus planen. Das muss zwar nicht bis ins letzte Detail geschehen, aber die Anwender erwarten eine gewisse Verlässlichkeit.

CW: Was lässt sich denn aus Ihrer Sicht momentan sagen?

DOAG: Wir haben bereits vor zwei Jahren gesagt, dass Oracles Zeitplan für Fusion Applications sehr sportlich ist. Es stellt sich nun heute heraus, dass man den ganzen Fahrplan etwas nüchterner betrachten muss. Ich interpretiere die Oracle-Aussagen eher dahingehend, dass es nicht 2009 werden wird, als dass es 2010 wird.

CW: Die Anwender bekommen also keine klare Roadmap. Welche Folgen hat das?

DOAG-Vorstand Fried Saacke: "Es muss Oracle bewusst sein, dass die Kunden auch über Konkurrenzprodukte nachdenken."
Foto: DOAG e.V.

DOAG: Das ist der springende Punkt. Schon zu Beginn, als es Unruhe rund um den Fahrplan der Fusion Applications gab, hat Oracle mit "Applications unlimited" versprochen, alle Anwendungen unbegrenzt weiterzuentwickeln und mit Support zu versorgen. Vermutlich hat dieses Versprechen deutlich mehr Ressourcen gebunden, als Oracle ursprünglich angenommen hat. Diese Ressourcen könnten in der Fusion-Entwicklung fehlen. Andererseits hat sich Oracle damit einen großen Gefallen getan. Auch der Wechsel von den bestehenden Oracle-Anwendungen auf Fusion bedeutet einen Migrationsaufwand, auch wenn Oracle an dieser Stelle Pfade und Hilfen anbieten wird. Dennoch stehen die Kunden wieder an einem Punkt, an dem sie über ihre Softwarezukunft nachdenken müssen. Das bedeutet ein gewisses Risiko, den Kunden zu verlieren. In diesem Zusammenhang den Firmen zu versprechen, sie müssen theoretisch nie auf Fusion wechseln, weil die bestehenden Produkte unbegrenzt weiter unterstützt werden, war die richtige Entscheidung.

CW: Hält Oracle dieses Versprechen?

DOAG: Die Zusagen werden konkret umgesetzt. Wir sehen neue Softwareversionen, die auch den Namen neues Release verdienen. Oracle liefert damit neue Funktionen, die die Kunden tatsächlich brauchen. Das sind keine Lippenbekenntnisse. Hier werden die Produkte weiterentwickelt. Das ist wichtig. Wenn das funktioniert, dann ist es auch relativ unkritisch, ob Fusion dieses, nächstes oder erst in ein paar Jahren auf den Markt kommt. Die Kunden fragen sich nicht: Wann kann ich migrieren, sondern, wie lange kann ich das, was bei mir stabil läuft, weiter betreiben. Insofern könnten Oracle-Leute ehrlicher sagen, was sie vorhaben.

CW: Für die Anwender bleibt es aber schwer zu planen?

DOAG: Das ist natürlich ein Problem. Für die Kunden ist nicht klar, wann welches Softwaremodul auf den Markt kommen soll. Hier fehlt die Transparenz. Die wenigsten Unternehmen brauchen Fusion jetzt. Aber sie müssen planen. Nichts ist ärgerlicher, als wenn man mitten in einem Upgrade-Projekt steckt und dann plötzlich bekannt wird, dass das nächste Release in Kürze folgt. Dann hätte man gleich auf das kommende Release warten können. Wenn Oracle hier mehr Transparenz schaffen würde, könnten die Kunden ihre Planungen besser danach ausrichten.

CW: Was wäre für die Anwender wichtig?

DOAG: Jeder Kunde überspringt gewisse Versionen. Kein Anwender kann jeden einzelnen Release-Schritt mitgehen. Das ist viel zu aufwändig. Wenn er auf ein neues Release migriert, will er wissen, dass er damit längerfristig arbeiten kann. Irgendwann kündigen die Hersteller den Support ab oder erhöhen die Wartungsgebühren. Das darf man im Rahmen der Release-Planungen alles nicht unterschätzen. Irgendwann müssen die Kunden deshalb auch umsteigen. Das ließe sich jedoch viel besser planen, wenn Oracle ausführlicher über die Roadmap informieren würde.

Anwender machen nicht jedes Release mit

CW: Welche Gründe sprechen denn für einen Umstieg auf Fusion?

DOAG: Die treibende Motivation, auf neue Oracle-Produkte umzusteigen, ist in den seltensten Fällen eine neue Technik, die man unbedingt braucht. Meist ist es so, dass die Anwender zwei oder drei Versionen ausgelassen haben und nun wieder auf einen Release-Stand kommen wollen, in dem sie längerfristig günstigen Support bekommen können. Darüber hinaus modernisieren die Firmen im gleichen Atemzug mehr, beispielsweise werden auch die Datenbank und die Hardware ausgetauscht. Es gibt Release-Zyklen für Anwendungen, Middleware, Datenbank und Hardware. Die versuchen die Anwender aufeinander abzustimmen. Das geht allerdings nur, wenn von Seiten der Hersteller verlässliche Informationen bezüglich der Roadmaps vorliegen.

CW: Wie aufwändig ist denn der Umstieg auf Fusion?

DOAG: Migrationen sind teure Projekte, die in aller Regel mehr kosten als der Kauf der Software. Deshalb ist auch die Abstimmung der Vorhaben so wichtig. Die Unternehmen haben eine Vielzahl von Applikationen im Einsatz, teilweise sind die Programme viele Jahre alt. Hier ist beispielsweise der Aufwand sehr hoch, die zahlreichen unterschiedlichen Schnittstellen bei der Einführung neuer Software zu testen. Anwender müssen in der Folge womöglich andere Anwendungen anpassen beziehungsweise bestimmte Teile der Programme neu entwickeln. All dies lässt sich nur dann planen, wenn ich mehr als zwei Jahre im Voraus weiß, was mein Softwarelieferant vorhat. Dabei geht es den Kunden nicht darum, den exakten Erscheinungstermin zu wissen, sondern sie wollen einfach nur grobe Informationen darüber, welche Software ungefähr in den kommenden Jahren geplant ist.

CW: Verstehen das die Softwarehersteller nicht?

DOAG: Viele Anbieter unterschätzen dieses Denken auf Anwenderseite. Sie gehen nur davon aus, dass ihre Kunden viele neue Funktionen wollen. In manchen Bereichen ändert sich aber gar nicht mehr viel, wie beispielsweise bei der Datenbank. Oracle treibt hier Sonderentwicklungen voran, die sicher für Spezialanwendungen sinnvoll und interessant sind - das gilt aber nicht mehr für den breiten Markt.

CW: Grundlegende Neuerungen für die Datenbank sind also nicht mehr zu erwarten?

DOAG-Vorstand Dietmar Neugebauer: "Softwarelösungen sollen sich so lang wie möglich nutzen und Software-Upgrades beziehungsweise Patches möglichst unterbrechungsfrei durchführen lassen."

DOAG: Oracle hat geniale Dinge für seine Datenbank entwickelt - die braucht aber kaum ein Anwender, zumindest nicht in den kommenden Jahren. Zusätzlich hat Oracle viele Funktionen herausgebracht, die die Softwarenutzung komfortabler machen. Das ist zwar schön zu haben, aber nicht erfolgskritisch für den Einsatz der Datenbank.

CW: Auf was achten die Anwender denn heute besonders?

DOAG: Früher haben die Anwender wirklich auf neue Funktionen im nächsten Datenbank-Release gewartet, weil bestimmte Dinge in den Vorgängerversionen nur unzulänglich gelöst waren. Das hat sich geändert, wie übrigens auch die Anwenderschaft: Heute sind große Scharen von Anwendern von Release-Wechseln des Herstellers betroffen. Das haben mittlerweile auch die Oracle-Verantwortlichen erkannt. Sie takten ihre Release-Zyklen nicht mehr so schnell wie früher. Das kommt den Bedürfnissen der Anwender entgegen: Softwarelösungen sollen sich so lang wie möglich nutzen und Software-Upgrades beziehungsweise Patches (Betriebssystem, Software) möglichst unterbrechungsfrei durchführen lassen.

World ist nicht sexy, aber es funktioniert

CW: Oracle bietet mit der Application Integration Architecture (AIA) die Möglichkeit, bestehende Anwendungen miteinander zu verknüpfen und auch die neuen Architekturvorteile von SOA zu nutzen. Inwieweit können Anwender damit ihre Alt-Applikationen ausreizen?

DOAG: Die Frage ist immer, ob die Kunden die neuen Funktionen jetzt benötigen. Kein Anwender führt neue Software nur wegen der tollen Möglichkeiten ein. Die Frage, die sich die Kunden stellen, lautet: Kann ich meine Prozesse, mein Geschäft mit dem betreiben, was ich habe, oder brauche ich etwas Neues, weil die Funktionsdefizite zu groß sind? Im Markt sind noch viele alte Lösungen im Betrieb. Beispielsweise betreiben etliche Firmen noch die "World"-Lösung von J. D. Edwards auf einer AS/400. Das ist nicht sexy, aber es funktioniert. Oracle hat sich einen guten Dienst erwiesen, auch diese Lösung weiter zu warten und zu unterstützen. Es gibt auch ein neues World-Release, obwohl die neue Plattform eigentlich "Enterprise One" wäre. Damit sinkt das Risiko, die alten World-Kunden eventuell an den Wettbewerb zu verlieren.

CW: Warum hängen die Kunden so an ihren betagten Anwendungen?

DOAG: Als diese Software auf den Markt kam, war sie alles andere als passend. Sie deckte vielleicht 60 oder 70 Prozent des Funktionsbedarfs ab. Die Firmen haben teilweise einen immensen Aufwand getrieben, die Lösung für ihre Ansprüche anzupassen und weiterzuentwickeln. Hier waren Funktionen dabei, die eigentlich im Standard hätten sein müssen. Mit diesen Erweiterungen ist die Software heute weitgehend komplett und funktioniert. Warum sollten Anwender also J. D. Edwards ablösen? Wenn der Hersteller dann aber Migrationsdruck ausübt, sehen sich diese Firmen auf dem Markt um, was sonst noch geboten ist. So wächst die Gefahr für Oracle, diese Kunden zu verlieren, weil sie sauer auf den Hersteller sind.

CW: Wann denken diese Anwender an einen Umstieg?

DOAG: Kunden verändern diese Software erst dann, wenn sich auch in ihrem Unternehmen etwas verändert, was dies notwendig macht. Das passiert durchaus, gerade auch im Mittelstand: Die Firmen müssen sich internationaler aufstellen, kaufen andere Unternehmen auf und so weiter. Im Rahmen dieser Veränderung suchen sie auch neue Software. Beim gleichen Hersteller bleiben sie aber nur, wenn sie dieser vorher gut behandelt hat und überzeugende Migrationspfade anbietet. Der Business-Druck für diese Veränderungen kommt von innen und nicht von außen: Nur weil der Hersteller sagt, es gibt ein neues Release, steigt niemand um. Das müssen die Hersteller unbedingt beachten, gerade wenn sie im Mittelstand erfolgreich sein wollen.

CW: Die Hersteller wollen aber Geschäft machen - wie passt das zusammen?

DOAG: Natürlich beißen sich die Ziele der Anwender mit denen der Anbieter: Die wollen Software verkaufen und Umsatz machen. Sie dürfen sich aber nicht verleiten lassen, Druck auf ihre Kunden auszuüben. Was die neue Softwarewelt rund um SOA betrifft, sind viele Anwender noch längst nicht so weit. Diese sind hoch zufrieden mit dem, was sie haben. Gerade die Mittelständler schieben solche Dinge so weit hinaus wie nur irgendwie möglich, weil sie genau wissen wie teuer das wird. Umgekehrt interessieren sich diese Firmen aber auch dafür, was Oracle bietet. Sie schauen durchaus in die Zukunft und wollen wissen, was kommt und welche Möglichkeiten Oracle verschaffen kann. Deshalb ist es so wichtig, Innovationen auch zu zeigen.

CW: Das scheint Oracle gerade im Applikationsbereich schwerzufallen. Hier sind die Zahlen zuletzt zurückgegangen. Woran liegt das?

DOAG: Hier lässt sich nur spekulieren. In den vergangenen Jahren hat Oracle immer wieder große Zukäufe in seinen Zahlen konsolidieren können und damit Wachstum gezeigt. Beispielsweise ist zwischen den ersten Quartalen der Geschäftsjahre 2007 und 2008 Siebel hinzugekommen. Bis zum ersten Quartal des Geschäftsjahres 2009 hat Oracle dann keinen größeren Softwareanbieter mehr geschluckt. Jetzt zeigt sich organisches Wachstum. Das ist aber natürlich schwieriger.

Oracle muss sich an SAP messen lassen

CW: Was müsste Oracle tun? In der Vergangenheit hat es beispielsweise immer wieder Kritik wegen fehlender regionaler Anpassungen gegeben. Hat sich an dieser Stelle etwas verbessert?

DOAG: Die Lokalisierung bleibt ein Problem. Oracle ist sensibler geworden und macht auch mehr - aber bestimmt noch nicht genug. Selbst im Heimatmarkt USA gibt es Lokalisierungsprobleme - das glaubt man kaum. Zwischen den einzelnen Staaten innerhalb der USA bestehen rechtliche Unterschiede. Diese sind in den Funktionen teilweise nicht sauber abgebildet. Selbst in Amerika tritt also dieses Problem auf, auch wenn es sicher kleiner ist als hierzulande.

CW: Was sind die Konsequenzen für Oracle?

DOAG: Wenn Oracle in Deutschland erfolgreich sein möchte, dann muss sich das Unternehmen am Konkurrenten SAP messen lassen. Die SAP muss nicht lokalisieren, weil der deutsche Markt die Basis ihrer Software bildet. Wenn ein Unternehmen neue Software einführt, dann schaut es zunächst einmal darauf, wie viele Funktionen der Standard abdeckt und was man dazuentwickeln muss. Wenn bei SAP alle benötigten Funktionen im Standard enthalten sind und bei Oracle nicht, dann hat Oracle hierzulande ein Problem. Teilweise macht es die neue Technik auch einfacher, derartige Lokalisierungen umzusetzen, aber Oracle muss sich nach wie vor an dieser Stelle mehr anstrengen.

CW: Ein weiterer Kritikpunkt war in den vergangenen Jahren immer wieder der Support. Hat sich Oracle hier verbessert?

DOAG: Oracle hat erkannt, dass es ein Sprachproblem gibt. Teilweise sprechen die Mitarbeiter kein Englisch beziehungsweise kein Englisch, dass die Kunden verstehen - gerade wenn man indische Oracle-Mitarbeiter am Telefon hat. Selbst die Engländer haben deshalb ein Problem mit dem Support, weil sie in manchen Situationen nicht verstehen, was die Supportmitarbeiter sagen. Oracle hat mittlerweile aber Initiativen gestartet, seinen Support auch sprachlich besser zu schulen.

CW: Bekommen die Kunden bei Problemen denn mittlerweile dauerhaft zugeordnete Ansprechpartner, oder werden sie weiterhin rund um den Globus durchgereicht?

DOAG: Das ist auch ein Schwerpunkt der Verbesserungsmaßnahmen seitens Oracles: Anwender mit speziellen Problemen sollen dafür zuständige Ansprechpartner bekommen. Das umzusetzen dauert allerdings seine Zeit. Auf der anderen Seite hilft es den Anwendern auch nicht, wenn Oracle mit einem gewaltigen Aufwand lokale Supportorganisationen hochzieht und dann alles teurer wird. Damit würden wir uns einen Bärendienst erweisen. Man muss deshalb vernünftige Kompromisse suchen. Wir waren früher verwöhnt mit einem Support, der in Deutschland saß, die Kunden kannten ihre Ansprechpartner teilweise persönlich. Das funktioniert heute nicht mehr.

CW: Was sollte Oracle an dieser Stelle tun?

DOAG: Oracle muss seinen Kunden die neuen Supportwerkzeuge erklären, die sukzessive eingeführt wurden, und die Supportprozesse besser unterstützen, beispielsweise durch Anwenderprofile. Dabei sind die Anwender gefordert, diese Technik auch zu nutzen. Oracle hat reagiert und bietet Tools, die den Support vereinfachen können. Im Gegenzug müssen die Anwender aber auch bereit sein, diese Tools zu installieren und ihre Daten zur Verfügung zu stellen.

CW: Tun sie das denn?

DOAG: Das ist ein typisch deutsches Problem: Einige sehen nur die Security-Probleme. Diese Anwender sollten ihre Scheu verlieren und auch die Vorteile erkennen. Sicherheitsbedenken lassen sich schnell auszuräumen: So muss man beispielsweise nicht online sein, um die Daten an Oracle zu überspielen. Außerdem ist genau beschrieben, was an Informationen übertragen wird. Die Kunden können darüber hinaus die Datenübermittlung konfigurieren und restriktiver handhaben, was übertragen werden darf und was nicht. Wichtig ist, diese Tools zu nutzen. Im weltweiten Vergleich werden die Oracle-Werkzeuge hier in Deutschland mit am seltensten verwendet. Wer darauf verzichtet, darf sich aber auch nicht beschweren, wenn die Supportmitarbeiter ständig nachfragen müssen.

CW: Zuletzt hat es hierzulande große Aufregung unter den SAP-Kunden wegen der Erhöhung der Wartungsgebühren gegeben. Ist denn dieser Aspekt auch innerhalb der Oracle-Klientel ein Thema?

DOAG: Einen Teil von dem, was die SAP jetzt sehr abrupt durchgesetzt hat, hat Oracle schon in den vergangenen Jahren schleichend eingeführt - beispielsweise den Support auf einen höheren Level gehoben. Oracle bot früher mit Bronze, Silber und Gold einen differenzierten Support an. Es gab auch die Möglichkeit, reinen Update-Support zu fahren oder zeitlich limitierten Support zu ordern. An dieser Stelle hat Oracle einiges zurückgefahren. Den Fehler eines so radikalen Wechsels wie bei SAP hat Oracle aber nicht gemacht.

Anwender fordern flexiblere Lizenzmetriken

CW: Ist denn das Preis-Leistungs-Verhältnis bei Oracle aus Ihrer Sicht angemessen?

DOAG: Man darf eines nicht vergessen: Oracle bietet im Supportrahmen mehr Leistung. Die Kunden bekommen sämtliche Software-Updates und neue Releases automatisch und kostenlos. Für eine neue Softwaregeneration müssen sie nicht extra bezahlen, es sei denn, es kommen ganz neue Produkte auf den Markt. Aus dieser Perspektive stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis. Allerdings diskutieren die Kunden, ob es nicht möglich wäre, mehr Flexibilität zu bekommen, beispielsweise um bestimmte Software mit weniger Support zu betreiben oder einzelne Lizenzen ganz aus dem Support zu nehmen. An dieser Stelle sind aber im Grunde alle Softwareanbieter sehr unflexibel.

CW: Die Forderung, Lizenzen aus der Wartung nehmen zu können, ist nicht neu. Warum ist Oracle so unbeweglich?

DOAG: Das ist nicht verständlich, denn Oracle hatte zwischenzeitlich eine Lösung angekündigt. Allerdings fehlt immer noch eine offizielle Entscheidung. Die Oracle-Verantwortlichen sind in der Bringschuld. Natürlich liegt es im Interesse des Herstellers, dass ein Anwender nicht acht Datenbank-Lizenzen unter Support nimmt, aber 500 Arbeitsplätze damit versorgt. Das wollen auch wir nicht. Allerdings gibt es auch andere Situationen, beispielsweise wenn ein Kunde aus regulatorischen Gründen ein Archivsystem mit einer alten Version 7 der Oracle-Datenbank betreibt. Dafür gibt es keinen Support mehr, beziehungsweise als Anwender braucht man den in aller Regel auch gar nicht. Wenn der Anwender parallel Version 11 der Oracle-Datenbank in Betrieb hat, muss er alle 7er- und 11er-Lizenzen unter Support nehmen und die damit verbundenen Gebühren entrichten.

CW: Wie rechtfertigt Oracle diese Strategie?

DOAG: Das Argument Oracles, diese Umgebungen nicht kontrollieren zu können, läuft aus unserer Sicht ins Leere. Oracle kann das genauso viel oder wenig kontrollieren, wie ob ein Anwender 100 Lizenzen kauft, aber 200 betreibt. Im Rahmen eines Audits kommt beides heraus. Die Forderung Oracles, dass Lizenzen, die aus der Wartung genommen werden, auch gelöscht werden müssen, ist aus DOAG-Sicht nicht nachzuvollziehen. Für dieses Problem ist uns eine Lösung zugesagt worden. Hier muss Oracle mehr Flexibilität zeigen. Es geht nicht, dass der Hersteller mit Nachteilen droht, wenn der Kunde eine flexible Anpassung der Leistungen haben möchte.

CW: Auch an anderer Stelle zeigt Oracles Lizenzstrategie Lücken, beispielsweise was virtualisierte Umgebungen betrifft. Wie beurteilen Sie dieses Problem?

DOAG: Hierzu laufen Gespräche. Oracle sieht die Notwendigkeit auch, aber wir warten noch auf Lösungen. Insgesamt müssen solche Dinge schneller geklärt werden. Oracle ist viel zu langsam. Aber auch andere Anbieter haben an dieser Stelle ihre Probleme. Wer ein führender Softwareanbieter sein will, darf sich jedoch nicht hinter den anderen Marktteilnehmern verstecken. Lösungen sind durchaus machbar.

Die Oracle-Spitze weiß, wer wir sind

CW: Wie hat die DOAG als Anwendervertretung auf die Bea-Übernahme reagiert?

DOAG: Wir standen bereits seit Januar 2008 mit den Bea-Anwendern in engem Kontakt. Der Vorsitzende der Bea-Usergroup in Deutschland ist Beirat bei der Doag geworden. Hintergrund war, die zügige Integration der Bea-Nutzer innerhalb der Doag voranzutreiben. Damit decken wir wichtige Bea-Themen schon seit Anfang des Jahres ab. Zusätzlich haben wir drei Special Interest Groups (SIGs) gegründet, nicht getrennt nach Oracle- und Bea-Middleware, sondern nach Themen: SOA, Middleware, BPM. Alle drei SIGs sind bereits aktiv. Das ist aus Sicht der DOAG ein Beleg dafür, dass wir sich die Usergroup frühzeitig den Herausforderungen stellt.

CW: Wie ist die DOAG in die Oracle-Zentrale verdrahtet, um ihre Anliegen vorzubringen?

DOAG: Ein Charles Phillips (President von Oracle, Anm. d. Red.) kann die vier Buchstaben einordnen. Wir behaupten zwar nicht, dass er alles kennt, was wir tun. Aber er weiß, wer wir sind. Das ist wichtig im Umfeld von 400 Anwendergruppen weltweit. Es ist leichter, mit einflussreichen Leuten von Seiten Oracles ins Gespräch zu kommen. Wir stimmen uns auch mit anderen User Groups ab, um Anliegen gemeinsam und konzentriert zur Sprache zu bringen. Dieser Abstimmungsprozess, Dinge gemeinsam zu fordern, ist wichtig. Allerdings bedeutet das nicht, dass wir Dinge an Oracle Deutschland vorbeilancieren. Wir arbeiten auch mit der hiesigen Oracle-Organisation eng zusammen, um unseren Anliegen Gehör zu verschaffen.

CW: Wie steht es um die interne Vernetzung innerhalb der DOAG?

DOAG: Wir wollen künftig stärker die benachbarten Länder adressieren, die zum Teil gar keine User-Group haben. Natürlich tun wir uns am leichtesten dort, wo deutsch gesprochen wird. Beispielsweise gibt es auf der aktuellen Konferenz einen Schweizer Abend der Schweizer Oracle-Anwender.

CW: Was bringt das den Anwendern?

DOAG: Für die Kunden ist es nicht leicht, den Durchblick zu behalten. In Oracles Preisliste finden sich über 1000 Produkte. Da fällt es selbst uns schwer, wirklich alle Entwicklungen in den drei Bereichen Datenbank, Middleware und Applikationen im Auge zu behalten. Um wie viel schwerer fällt das den kleineren User-Groups. Deshalb wollen wir unsere Organisation weiter ausbauen. Wir haben den Vorteil, genau in der Mitte Europas zu sitzen und vor allem die Anwender in Osteuropa ansprechen zu können.