SAP-CEO Christian Klein im Interview

SAP hätte mehr auf das Customizing achten sollen

12.04.2024 von Martin Bayer
Warum kein Weg an der Transformation vorbeiführt, wo die Probleme dabei liegen und welche Rolle die Cloud und KI spielen, erklärt SAP-Chef Christian Klein im CW-Interview.
SAP durchläuft einen Wandel, sagt CEO Christian Klein. "Das erfordert auch eine organisatorische Transformation."
Foto: SAP SE

Herr Klein, Restrukturierung ist derzeit das große Thema bei SAP. Ist es der größte Umbau der Geschichte bei SAP?

Christian Klein: Ich betrachte es eher als eine Evolution. Wir haben unsere eigene Transformation vor etwas mehr als drei Jahren gestartet. Mit der Cloud vollzieht sich nicht nur ein Technologiewechsel. Wir ändern unser Geschäftsmodell grundlegend, also die Art und Weise, wie wir Kunden bedienen und Software ausliefern.

Zuletzt kam noch das eine oder andere Thema dazu: Mit dem Durchbruch von generativer KI in 2023 hat sich das Innovationstempo deutlich beschleunigt. Intern wiederum gilt es, Hürden abzubauen, denen sich Kunden, aber auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenübersehen.

Grundsätzlich überlegen wir sehr genau, was wir anpacken. Schließlich kostet jede Reorganisation Zeit und ist mit Aufwand für ein ordentliches Change-Management verbunden. Aber die Veränderung ist notwendig: SAP durchläuft einen Wandel und das erfordert auch eine organisatorische Transformation.

Wo soll denn die SAP in fünf Jahren stehen?

Klein: SAP ist hoch innovativ. Nutzerinnen und Nutzer haben die Chance, mit unserer Software ihren Job produktiver zu erledigen. Die Programme werden mit KI um ein Vielfaches intelligenter, bieten schnellere Analysen sowie bessere Datenkorrelationen. Damit eröffnen sich Anwenderinnen und Anwendern mehr Möglichkeiten zur Entscheidungsfindung in unterschiedlichen Bereichen, von der Supply Chain und Logistik bis zum Nachhaltigkeitsreporting, um nur einige zu nennen.

Bei SAP selbst hat es auch viele Änderungen gegeben. Es sind viele neue Talente an Bord gekommen. Am Ende ist es immer ein Mix aus erfahrenen Kolleginnen und Kollegen und jungen Top-Talenten, die wir weltweit rekrutieren. Das macht die SAP aus. Jetzt kommen mit dem KI-Thema noch einmal neue Fähigkeiten hinzu. Wir haben schon viele Data Scientists und Datenexperten. Wir werden an dieser Stelle weiterhin investieren, weil wir KI direkt in unsere Software einbetten werden.

An dieser Stelle werden wir in fünf Jahren noch einmal ein ganzes Stück weiter sein. Und dann hoffe ich, dass die Zeiten endgültig vorbei sein werden, in denen Kunden mit hohem Aufwand ERP-Upgrades einspielen mussten. Sie werden hoffentlich sagen können, dass unsere Angebote wie RISE und GROW dabei geholfen haben, Innovationszyklen schneller mitnehmen zu können. Kurzum: In fünf Jahren werden wir die Innovation, die wir liefern, viel schneller an die Kunden bringen.

Momentan sind die Anwenderunternehmen eher noch zögerlich, was die Adaption von Cloud Computing, aber auch der RISE- und GROW-Programme der SAP anbelangt - speziell hier in Deutschland. Auch die Botschaft vom vergangenen Jahr, bestimmte Kerninnovationen nur noch in der Cloud anzubieten, hat doch für einigen Unmut bei den Anwendern gesorgt. Wie wollen Sie Ihre Kunden hier mitnehmen auf die Reise?

Klein: Natürlich sehe ich ein gewisses Zögern in den Reihen der DSAG und bei ein paar anderen Kunden. Aber wissen Sie, wir haben gerade in der Region Mittel- und Osteuropa (MEE) und in Deutschland das beste Cloud-Ergebnis weltweit zu verzeichnen. Daran sehen Sie, dass viele Kunden auch hier in Deutschland die Umstellung in die Cloud angehen. Und auch die Unternehmen, die jahrelang in SAP On-Premise investiert haben, bewegen sich in Richtung Cloud - mit Microsoft Teams und Microsoft 365, mit Best-of-Breed-Anwendungen oder sie hosten ihre ERP-Systeme. Ich kenne keinen Kunden, der nicht irgendwo in seiner IT-Landschaft Cloud einsetzt.

"An der Wartungsverpflichtung werden wir nicht rütteln"

Natürlich hat SAP ein Erbe im Hinblick auf On-Premise-Systeme. Deswegen sagen wir auch: Wir stellen nicht morgen um, sondern haben zunächst eine langfristige Wartungsverpflichtung für On-Premise-Anwendungen von uns ausgesprochen. An der werden wir selbstverständlich nicht rütteln.

Aber wie wollen Sie ihre Klientel von der Cloud-Reise überzeugen?

Klein: Wir haben Anreize geschaffen. Wir rechnen an, was die Kunden in der Vergangenheit in unsere Lösungen investiert haben. Das ist der kommerzielle Aspekt. Darüber hinaus investieren wir mit generativer KI in unsere Tools, um die Migration zu vereinfachen.

SAP kommt S/4HANA-Kunden entgegen

Viel wichtiger ist aber - und das sehe ich bei uns selbst - die Transformation in den Unternehmen, die stattfinden muss. Das verstehen die Kunden mittlerweile auch. Alle Geschäftsmodelle, egal in welcher Industrie, und auch gerade hier in Deutschland, ändern sich zurzeit fundamental.

Deswegen warne ich davor, lediglich die alten Prozesse eins zu eins in die neue Softwarewelt zu überführen oder das ERP-Upgrade einfach nur über ein Hosting abzubilden. Es geht um viel grundlegendere Themen wie Prozess-Standardisierung und die Definition neuer Geschäftsmodelle. Und es geht vor allem darum, diese Innovationen, die Unternehmen letztlich wettbewerbsfähig halten, und zwar in Bezug auf Produktivität oder Nachhaltigkeit konsumierbar zu machen.

Das haben die Unternehmen mittlerweile erkannt. Hier stelle ich offen gesagt keinen Widerstand in Deutschland fest. Es geht einzig um die Frage: Wie gelange ich dort hin? Mit dem neuen Vorstandsbereich unter Thomas Saueressig (Customer Services & Delivery, Anm. d. Red.) fokussieren wir uns genau auf dieses Thema. In der Vergangenheit haben viele SAP-Anwender ihre Systeme sehr stark angepasst, also viel Customizing betrieben. Das wirft jetzt Fragen auf: Was brauche ich davon überhaupt noch? Und wenn ich davon einiges benötige: Wie kann ich es in die neue Welt mitnehmen?

Antworten auf diese Fragen will SAP im Zuge der RISE- und GROW-Programme geben. Hier laufen klar vorgegebene und reglementierte Migrationsprozesse ab. SAP gibt im Grunde genommen vor, wie der Umzug abzulaufen hat. Denken Sie, das ist aus Sicht der Anwenderunternehmen in Ordnung, ein ganzes Stück weit die Kontrolle abzugeben?

Klein: In manchen Gesprächen, die ich mit Kunden führe, kommt auch die Frage nach der Kontrolle. Dazu Folgendes: Im Zuge von RISE übernehmen wir den Basisbetrieb - aber wirklich nur den Basisbetrieb - des SAP-Systems. Wir kennen diesen Stack rund um die HANA-Cloud, wissen auch um sämtliche Innovationen auf der Infrastruktur und kennen die Lifecycle-Management-Ebene sehr gut - schließlich haben wir all das selbst entwickelt.

Über diesen Basisbetreib hinaus sind die Kunden gestaltungsfrei. Auch bei der Partnerwahl, mit dem die Kunden das RISE-Paket implementieren möchten, ist die SAP agnostisch. Im Idealfall laufen die nächsten Upgrades hochautomatisiert. Es gibt keine aufwändigen Projekte mehr, die Millionen verschlingen, um die SAP-Systeme wieder in die Spur zu bringen.

50 Jahre SAP: Der Softwarekonzern steht am Scheideweg

Aus meiner Sicht ist es äußerst sinnvoll, diesen SAP-Basisbetrieb extern an uns zu vergeben. Wir bieten gute Service-Level-Agreements (SLAs), eine hohe Systemverfügbarkeit und solide Cybersecurity-Maßnahmen. Andere Anbieter machen das auch. Dort müssen Anwender allerdings alles End-to-End von einem Anbieter abnehmen. Wir sind hier flexibler und auch offener.

SAP-Basisbetrieb schafft keinen Wettbewerbsvorteil

Zu guter Letzt schaffen sich die Anwenderunternehmen mit einem solchen Vorgehen auf der IT-Seite auch mehr Raum für Investitionen in Innovation rund um das ERP - zum Beispiel in KI oder eine bessere Kunden-Erfahrung. Damit können sich Unternehmen im Markt gegenüber dem Wettbewerb differenzieren, mit dem reinen SAP-Basisbetrieb eher nicht.

Der Weg dorthin scheint allerdings nicht ganz einfach. Viele Unternehmen haben an dieser Stelle lange und schwierige Migrationsprojekte vor der Brust.

Klein: Der Weg von einem stark angepassten System zu einem modularen Cloud-ERP kann dauern. Aber wir haben an dieser Stelle schon einiges vereinfacht. Mit Hilfe von Signavio-Lösungen für die Prozessmodellierung und LeanIX-Lösungen für die Enterprise-Architektur ist es einfacher vom Status Quo in die neue Welt zu kommen. Bei SAP wollen wir für diese Reise mehr Verantwortung übernehmen, weil es in unserem Interesse liegt, dass die Kunden aus diesem Schritt den maximalen Nutzen ziehen.

Deswegen setzen wir auch auf eine neue modulare Architektur. Auf der Business Technology Platform (BTP) finden sich das Datenmodell, Identity- und Security-Services für alle unsere Applikationen. Mit dieser neuen Herangehensweise bieten wir Kunden und Partnern auch einen Enterprise-Architekten, der berät und sagt, welche Schritte ein Kunde als nächstes unternehmen sollte - nach dem Motto: Wir nehmen euch an die Hand.

Aber eines bleibt ganz klar: Am Ende entscheiden die Kunden selbst, wie sie diesen Weg gehen wollen.

Mit einem modularen Ansatz der Komplexität Grenzen setzen

Ist SAP auch ein Stück weit Opfer des eigenen Erfolgs? Viele Kunden sind nach wie vor mit der Business Suite zufrieden. Die SAP-Anwendungen der Vergangenheit scheinen offenbar schlichtweg zu gut zu sein, als dass die Kunden etwas Neues bräuchten?

Klein: Danke für dieses Lob. Aber: Mit Blick auf die On-Premise-Welt und die monolithischen Architekturen hätte SAP dem Thema Customizing wohl mehr Aufmerksamkeit widmen sollen. Wann setzen sie als Softwareanbieter dieser wachsenden Komplexität Grenzen? Nehmen wir zum Beispiel die zahlreichen Industrieanwendungen, die stetig kleinteilig weiterentwickelt wurden. Das hat logischerweise zu höherer Komplexität geführt. Mit einem modularen Ansatz wäre dies sicher weniger passiert.

Es gab ja schon vor vielen Jahren die Idee mit der Enterprise Services Architecture. So richtig gezogen hat das aber schon damals nicht.

Klein: Letztlich waren die Software-Monolithen ein sehr lukratives Modell und für die Kunden natürlich sehr erfolgreich. Übrigens auch für die Partner - hier hat sich im Laufe der Jahre ein großes Ökosystem gebildet.

In der Cloud ist es jetzt für die Kunden doch um einiges besser, die gewachsene Komplexität wieder ein Stück weit zurückzufahren - sich jedoch immer noch über die Plattform differenzieren zu können. Dieser Wandel betrifft auch die Partner, die in der Vergangenheit bestimmte Funktionen für ein bestimmtes Kundenprojekt erstellt haben. Heute bauen sie diese Features auf der BTP und können sie so in entsprechenden Branchen wiederverwerten.

Auch SAP-Partner müssen in der neuen Welt ankommen

Die Partner haben aber auch gut verdient mit der Komplexität, mit den Anpassungen und dem Customizing der SAP-Systeme.

Klein: Klar. Und die Kunden waren auch ein Stück weit abhängig davon. Inzwischen lautet in vielen ERP-Projekten die wichtigste Kundenfrage: Wie stellen wir sicher, dass wir im Standard bleiben? Hierbei spielen Prozessmodellierung und die BTP mit ihrer Architektur eine wichtige Rolle. Am Ende sind es auch die Partner, die in der neuen Welt ankommen müssen, die Erweiterungskonzepte für In-App-, aber auch Side-by-Side-Lösungen, anbieten müssen.

Für die Partner eröffnen sich damit auch neue Chancen: Statt wie früher eine Erweiterung für ein Chemie-Unternehmen zu erstellen, lässt sich heute parallel eine Industrielösung, eng angebunden an die BTP und S/4HANA, entwickeln. Damit lassen sich viel mehr Kunden erreichen, sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern.

Das braucht dann aber auch klare Roadmaps, wer was entwickelt. Gerade jüngst gab es einige Diskussionen im Healthcare-Bereich, wo Lösungen abgekündigt wurden.

Klein: Natürlich erfordert dies Klarheit und Sicherheit für die Partner. Sie sprechen den Healthcare-Bereich an: Ja, da gab es Veränderungen. Wir konnten nicht mehr auf Cerner setzen (der IT-Healthcare-Spezialist wurde Ende 2021 vom SAP-Konkurrenten Oracle gekauft, Anm. d. Red.). Wir haben an dieser Stelle nun eine sehr gute Partnerlösung, die hinsichtlich Integration noch zertifiziert wird.

Wir bieten Lösungen für 25 Branchen an und werden das auch künftig tun. Auch die Partner haben in der Vergangenheit viele Lösungen gebaut. In der neuen Welt funktioniert es modularer, aber im Grunde passiert nichts anderes als in der On-Premise-Welt. Wir bei SAP müssen Roadmaps dahingehend anpassen, damit letztlich klar wird: Auch eine nicht von SAP entwickelte Partnerlösung basiert aber auf der gleichen Applikationslogik.

Die Software-Monolithen der Vergangenheit waren ein sehr lukratives Modell, räumt SAPs CEO Christian Klein ein. Auch die Kunden seien damit erfolgreich gewesen.
Foto: SAP SE

Gerade hinsichtlich Partnerlösungen können wir für mehr Transparenz bei den Kunden sorgen und damit Vertrauen aufbauen. Letztlich darf es keinen Unterschied machen, ob ein Entwickler von SAP oder ein Partner an der Lösung gearbeitet hat - solange die Integration der Nutzer-Erfahrung (UX), des Identity- und des Security-Themas genauso abgedeckt ist. In den Roadmaps sollten wir deutlicher machen, wie diese Aspekte technisch zusammenpassen.

Sie sprachen gerade einen Wettbewerber an, der gerne alles aus einer Hand verkauft. Wie offen ist denn SAP an dieser Stelle? Denn im Grunde besteht doch die Gefahr, dass SAP austauschbar wird, zum Beispiel in Sachen KI, wenn die Anwender in der Cloud entsprechende Funktionen der Provider bevorzugen und anbinden.

Klein: Natürlich ist es technisch möglich, allerdings sehe ich hier keine große Gefahr.

Ein Beispiel: Wir bauen gerade für das Integrated Business Planning (IBP) einen generativen KI-Service, der Anwendern dabei hilft, verschiedene Prozesse in der Beschaffung, in der Fertigung und in der Logistik anzupassen, wenn über den Verkauf Änderungen in der Nachfrage sichtbar werden. Dieser KI-Service ist in die Lösung integriert. Das heißt: Wenn Kunden zukünftig IBP kaufen, dann haben sie die Wahl zwischen einer Basis-Lösung oder einer Premium-Variante, die dann diese KI-Funktionalität enthält.

KI wird integraler Bestandteil der SAP-Lösungen

Die KI bietet an dieser Stelle also die Möglichkeit, Bereiche wie Demand and Supply intelligenter zu handhaben. Lagerhausverwaltung oder Logistik lassen sich so stark verbessern. Das liefert SAP als integrierten Bestandteil seiner Lösungen aus. Kunden müssen also nicht erst mit AWS-, Google- oder Microsoft-Tools separat solche KI-Services sozusagen als Add-On entwickeln.

Dazu kommt ein wichtiger Unterschied mit der Cloud: Wir können nicht nur die Daten eines Kunden, sondern tausender Kunden als Grundlage für Best Practices nutzen. Unsere Data Scientists können Algorithmen anhand der dort erkannten Muster deutlich besser trainieren.

Das funktioniert doch allerdings nur in sehr standardisierten Prozessen? Wer spezielle Anforderungen hat, kommt mit generisch trainierten Algorithmen nicht weit.

Klein: Doch, das funktioniert. Wir haben gemeinsam mit HPI und einem Kunden einen speziellen KI-Use-Case für die Commerce Cloud und die Produktion entwickelt. Dabei geht es um einen Farbenhersteller, der Millionen an Rezepten aus verschiedenen Zutaten und Mischformen im Programm hat. Wenn jetzt ein Kunde dieses Farbenherstellers bestimmte Anforderungen an eine Farbe hat, zum Beispiel in Sachen Frostbeständigkeit, dann kann die KI Empfehlungen für die passende Rezeptur geben.

Wir bauen das Standardmodell, aber der Kunde kann auf dieser Basis für sich weitere Anwendungsfälle definieren und mit uns gemeinsam umsetzen. Unser generatives KI-Standardmodell ist erweiterbar. Wir sehen natürlich, dass es kundenindividuelle KI-Anwendungen geben wird. Die können wir nahtlos in unser Standardmodell einbinden.

Momentan arbeitet SAP mit großen Sprachmodellen (LLMs) von Partnern wie von OpenAI, Aleph Alpha oder Cohere. Wie weit sind Sie denn mit eigenen Modellen?

Klein: SAP entwickelt keine eigenen Sprachmodelle, keine LLMs. Das überlassen wir den Partnern. Zudem entwickeln wir unseren Joule Copilot weiter in Richtung neuer Bereiche wie Finance, Supply Chain oder das Kundenmanagement.

Als nächsten Ausbauschritt soll unser KI-Modell auch Kreuzkorrelationen aus Daten erstellen können. Wenn Nutzer zum Beispiel eine Personalauswertung in SuccessFactors durchführen, können sie diese auch mit Finanzdaten abgleichen, um die Arbeits-Produktivität von Mitarbeitenden besser zu verstehen. Selbstverständlich geschieht das anonymisiert.

SAPs Co-Pilot Joule: Die Geschäftsdaten machen den Unterschied

Wir decken mit unseren Lösungen End-to-End-Prozesse ab. So kann sich auch Joule als Co-Pilot von der Konkurrenz abheben und durch eine bessere Datenkorrelation ganz andere Aufgaben bewältigen als ein Co-Pilot, der vielleicht auf überhaupt keine Geschäftsdaten zugreifen kann - schon gar nicht in der semantischen Qualität wie die von SAP und auch nicht in der Bandbreite wie SAP.

Wenn Sie von Daten sprechen - wie wichtig ist momentan noch die In-Memory-Datenbank HANA für SAP? Derzeit liegen andere Datenarchitekturmodelle wie Data Fabric oder Data Mesh im Trend.

Klein: SAP HANA bleibt von zentraler Bedeutung für uns. Wir haben all unsere Lösungen auf SAP HANA umgezogen. Anwendern bringt das den entscheidenden Vorteil, dass sie nicht mehr verschiedene Datenbanken betreiben müssen. Es gibt keine Datensilos mehr innerhalb des SAP-Portfolios. Daten lassen sich aus SAP HANA bereitstellen, ohne diese aggregieren und replizieren zu müssen.

Dazu kommt der Performance-Aspekt. Mit der SAP HANA Cloud erhalten Kunden die notwendige Leistung und auch Elastizität, um beispielsweise mit Schwankungen im Geschäft (Peaks) umgehen zu können. Das versteht SAP HANA besser als jede andere Datenbank, vor allem auch wegen der guten Abstimmung zwischen Applikations-Layer und Datenbank.

SAP HANA bleibt Dreh- und Angelpunkt in SAPs Datenstrategie, sagt CEO Christian Klein, auch wenn dort nicht alle Geschäftsdaten liegen. "Hier müssen wir realistisch sein."
Foto: SAP SE

Selbstverständlich liegen nicht alle Geschäftsdaten bei Kunden ausschließlich in SAP HANA. Hier müssen wir realistisch sein. Es wird noch einige Ankündigungen geben, wie sich andere Daten anbinden lassen, beispielsweise unstrukturierte Daten, die in Data Lakes liegen, von Hyperscalern oder Anbietern wie Databricks etc. Es geht darum, dass Daten nicht ständig repliziert werden müssen. Das ist einerseits ein Performance-, andererseits aber auch ein Kostenthema.

Wenn man Daten beispielsweise aus den sozialen Medien oder Konsumentendaten mit SAP-Daten korrelieren möchte, dann passt oft die Semantik nicht. Wir arbeiten derzeit daran, wie wir auch über unsere Plattform SAP Datasphere und die SAP Data Cloud ein Angebot generieren können, das quasi über den SAP-Tenant die Semantik über verschiedene Data Lakes hinweg optimiert.

Das Datenthema dürfte ja wohl auch entscheidend für den Erfolg der KI-Strategie sein.

Klein: Richtig. Ich denke, das wird bei der Nutzung von KI häufig noch unterschätzt und deswegen bin ich von unserer Strategie auch überzeugt: eine einheitliche Semantik über die Daten-Silos hinweg zu schaffen, und eben nicht nur SAP-Daten in die KI einbinden zu können.

Data Governance - es fehlt ein einheitlicher Standard

Inwieweit spielt denn das Governance-Thema rund um Daten, Datenhaltung und Datenaustausch aus Ihrer Sicht noch eine Rolle bei den Unternehmen - gerade auch was den Weg in die Cloud anbelangt?

Klein: Gerade im Public-Sektor und in regulierten Industrien ist Governance ein wichtiges Thema. SAP bietet dafür spezifische Lösungen an - wie werden die Daten gehalten, wie werden sie administriert und wie werden die Datenarchitekturen dann auch in der Cloud betrieben?

Aber es fehlt immer noch an einem einheitlichen Standard, auch über die EU-Staaten hinweg. Das macht es dann sehr kompliziert, wenn Sie kundenindividuell Lösungen oder das Regelwerk diskutieren müssen. Jetzt haben wir zwar einen Rahmen (das im Sommer 2023 von der EU verabschiedete Data Privacy Framework, Anm. d. Red.), der muss sich allerdings noch in der Praxis bewähren. Die ganzen Grauzonen mit all ihren Unsicherheiten müssen zunächst beseitigt werden.

Regulieren - ja, aber auch Chancen geben

Wie sehen Sie grundsätzlich all diese Regulierungsbemühungen auf EU-Ebene - mit dem AI-Act, Digital Markets Act, Digital Services Act, Regeln für die Lieferketten. Wird da zu viel reguliert oder halten Sie es für richtig, dass die Politik da Leitplanken vorgibt?

Klein: Ich bin absolut für Leitplanken bei Themen wie KI oder Datensicherheit. Die Herangehensweise finde ich richtig: Regulieren - ja, einen klaren Rahmen vorgeben - ja, aber wir müssen der Technologie auch eine Chance geben "zu atmen", und die Innovation nicht durch zu viel Regulierung schon von Anfang an zu stark behindern. Diese Tendenz sehen wir in Europa durchaus. Es gibt auch hier einige Anbieter, Mistral oder Aleph Alpha, die ihre eigenen Modelle entwickelt haben. Lassen wir die Startups doch erstmal in der Praxis ankommen. Dann sehen wir die Risiken und können entsprechend handeln.

Nur die Reihenfolge sollte passen. Wir sollten gerade diesen Startups nicht schon vom ersten Tag an zu viele Hürden stellen.

Klein fordert Digitalministerium, das auch entscheiden kann

Ist diese Bürokratie auch der Grund, warum die Digitalisierung gerade im hiesigen Public Sector nicht wirklich vorankommt? Die Ampel hatte sich im Regierungsprogramm einiges vorgenommen?

Klein: Wir stehen uns oft selbst im Weg. Viele wollen mitreden, aber es tauchen auch große Fragezeichen auf, wenn es um das Thema Digitalisierung geht. Deswegen plädiere ich nach wie vor für ein Digitalministerium, das nicht nur den Namen trägt, sondern eine Entscheidungshoheit erhält. Digitalisierung im Bildungsbereich oder dem Gesundheitswesen ist technisch kein Problem. Es zählt allein der Wille.

Woran scheitert es aber immer wieder?

Klein: Ich glaube, wir sind ein Stück weit gefangen in unseren alten eingefahrenen Konzepten und Strukturen. Stichwort Föderalismus. Er hat in vielen Bereichen seine Berechtigung und seine Vorteile, das ist in Deutschland allein schon historisch bedingt. Beim Thema Digitalisierung allerdings nicht. Beispiel Steuererklärung: Viele EU-Staaten haben dies vereinfacht, standardisiert und digitalisiert. Bei uns in Deutschland ist das Ländersache und jedes Bundesland macht mehr oder weniger sein eigenes Ding, wenn ich das so salopp formulieren darf. Hierfür eine Lösung zu finden, erscheint schwierig. Ich kenne in der Politik aber niemanden, die oder der den digitalen Wandel nicht möchte.

Föderalismus tut der Digitalisierung nicht gut

Unsere Verfassung ist das wichtigste Gut in unserer Demokratie. Aber man sollte darüber nachdenken, wo unser Föderalismus ein Fundament unserer Demokratie darstellt und wo es eher sinnvoll ist, die Kompetenzen und die Entscheidungsgewalt auf Bundesebene zu heben. Das wäre sicher auch aus Kostengründen ein richtiger Schritt.

Sehen Sie die Politik auch in der Pflicht, den IT-Sektor hierzulande stärker zu unterstützen? Wie haben gute Hochschulen, einige interessante Startups, aber nur einen Softwarekonzern von Weltrang - SAP. Der nächstgrößere, die Software AG, wird gerade regelrecht zerfleddert.

Klein: An diesem Beispiel können Sie beobachten, wie dynamisch die Tech-Branche ist. Viele Entscheidungen, die SAP in den letzten Jahren rund um die eigene Transformation getroffen hat, sind dadurch besser nachvollziehbar.

Was die Unterstützung des IT-Sektors anbelangt, so ist die Lobby für andere Industrien wie die Automobil- oder Chemie-Industrie um ein Vielfaches größer. Was ich nicht verstehe: Das Thema Digitalisierung ist ein Schlüsselbereich für alle Industrien hierzulande und damit sehr wichtig. Daher wünsche ich mir - und da spreche ich jetzt nicht nur für SAP, sondern gerade auch für die vielen Startups, die wir hier in Deutschland haben -, dass die Politik mehr unterstützen würde.

Der Bund könnte in meinen Augen ebenfalls mehr tun. Dabei geht es nicht nur um Fördergelder. Es geht auch darum, Türen zu öffnen, einen passenden Rahmen zu schaffen und gemeinsam Digitalisierungsprojekte anzugehen. Selbstverständlich sind auch wir bei SAP gefragt, diesen Startups zu helfen, beispielsweise über die technische Anbindung an Plattformen oder den Zugang zu Kunden. Das tun wir auch.

Graue Eminenz bei SAP: "Da tun wir Hasso Plattner Unrecht"

Lassen Sie uns den Bogen zurückschlagen zu SAP und den anstehenden Veränderungen. Dieses Jahr steht mit dem Abgang von Hasso Plattner eine Zäsur an. Ist das auch in gewisser Weise ein Befreiungsschlag und die junge Manager-Generation kann jetzt endlich so machen, wie sie will?

Klein: Ich denke, da tun wir Hasso Plattner Unrecht. Er hat mich gerade erst wieder angerufen und gefragt, wie die Dinge stehen. In den letzten Jahren hat Hasso Plattner mir, wie der gesamte Aufsichtsrat übrigens, den Rücken gestärkt. Ohne diese Unterstützung hätten wir die Strategiewechsel vor drei Jahren nicht durchziehen können - vor allem mit dem Wissen um das Risiko eines um 30 Prozent absackenden Aktienkurses.

Plattner will Ala-Pietilä statt Renjen: SAP wechselt Kandidaten für Aufsichtsratsvorsitz aus

Die Veränderungen werden sicher weitergehen, auch was den Generationswechsel im Vorstand betrifft. Wir haben Expertise von außen hineingebracht. Auch da habe ich viel Unterstützung erfahren. Gerade Hasso Plattner hat immer wieder Menschen von außen zu SAP gebracht und gefördert. Es ist wichtig, dass wir nicht nur intern Top-Talente fördern, sondern uns auch immer wieder externes Know-how dazu holen.

Mit dem Abschied von Hasso Plattner aus dem Aufsichtsrat von SAP im Mai 2024 endet eine Ära bei dem deutschen Softwarekonzern.
Foto: SAP

Wenn Sie von Zäsur sprechen, hängt diese nicht nur am Aufsichtsrat. Für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren die letzten drei, vier Jahre nicht einfach. Wir müssen im internationalen Wettbewerb bestehen. Da geht es um Wachstum, Gewinn und Cashflow. Das alles ordentlich auszubalancieren, auch da bin ich sehr dankbar für die Unterstützung der Arbeitnehmervertretenden. Sie hätten sich das eine oder andere Mal bestimmt mehr gewünscht für die Mitarbeitenden - trotzdem war die Unterstützung immer da.

Viele Mitarbeiter bei SAP sind Entwicklerinnen und Entwickler. Letztens hat der Nvidia-Chef jungen Menschen abgeraten, Software-Developer zu werden, weil in Zukunft KI alle Programme schreiben wird. Sehen Sie das ähnlich?

Klein: Ich sehe das gerade im Kontext von SAP anders. Wir nutzen generative KI in der Softwareentwicklung und erwarten dadurch hohe Produktivitätszuwächse. Aber wir bilden auch hochkomplexe betriebswirtschaftliche Prozesse mit unserer Software ab. Dabei muss die Betriebswirtschaft immer in den Kontext gesetzt werden. Das kann KI nicht komplett übernehmen. Deshalb bin ich überzeugt, dass das Berufsbild des Softwareentwicklers nicht verschwinden wird.

Gleiches gilt für die SAP insgesamt?

Klein: Ich fühle mich sehr gut auf die nächste Phase vorbereitet. Wir werden den Wandel erfolgreich meistern. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Deutschland und Europa weiterhin ein sehr starkes Technologieunternehmen haben werden. Das ist auch für unsere Kunden ein gutes Zeichen.

"Keiner möchte eine technisch abgehängte SAP"

Keiner möchte eine SAP, die technisch abgehängt ist, die nicht in der Cloud und bei KI mitspielen kann, weil wir mit gefühlt 60 ERP-Releases in der Vergangenheit verhaftet sind, während unsere Konkurrenz - bildlich gesprochen - mit hoher Geschwindigkeit zu 100 Prozent in die Cloud rast.

Was erwarten Sie sich persönlich?

Klein: Ich bin jetzt 24 Jahre an Bord und mit SAP groß geworden. Natürlich habe ich eine enge Bindung ans Unternehmen, aber ich sehe das Thema etwas breiter: Ich möchte, dass wir in Deutschland und in Europa ein Technologieunternehmen haben, das auch in Zukunft zu den Besten der Branche gehört. SAP kann das schaffen. Und das treibt mich jeden Tag an.