Licht und Schatten im Kabelschacht

Pro und Contra Highspeed Ethernet

23.02.2012 von Jürgen Hill
Heutige Rechenzentrumsnetze stoßen bei der Performance an ihre Grenzen. Abhilfe verspricht die Migration auf 40- oder 100-Gigabit-Ethernet. Doch beim Upgrade auf das Highspeed Ethernet sind einige Hürden zu nehmen.
Foto: Vodafone

Blade-Server werden immer leistungsfähiger. Die Blade-Dichte pro Rack steigt, erste Hersteller verbauen auf den Server-Motherboards 10-Gigabit-Ethernet-Ports. Erschien 10-Gigabit-Ethernet im Data-Center-Backbone vor Kurzem noch mehr als ausreichend, droht jetzt bereits ein Engpass. Erschwerend kommt hinzu, dass die Konvergenz von Daten- und Speichernetzen sowie der Virtualisierungstrend ebenfalls ihren Tribut in Sachen Bandbreite fordern. Je nach Anwendungsszenario wird die Netzinfrastruktur des Rechenzentrums früher oder später an ihre Leistungsgrenzen stoßen.

Warum Highspeed Ethernet?

Abhilfe könnte die derzeit allerdings noch teure Migration zu 40- oder 100-Gigabit- Ethernet (GbE) schaffen - die Branche spricht auch von Highspeed Ethernet (HSE). Das scheint einfach zu sein, sind doch eigentlich nur Switches oder Module auszutauschen. Entsprechendes Equipment bringen immer mehr Hersteller auf den Markt. So kündigte beispielsweise Cisco Ende Januar eine neue Produktfamilie für 40- und 100-GbE an.

Highspeed Ethernet Trends
Heutige Rechenzentrumsnetze stoßen bei der Performance an ihre Grenzen. Abhilfe verspricht die Migration auf 40- oder 100-Gigabit-Ethernet.
Trend 1:
Cloud, Virtualisierung etc. erfordern mittelfristig 40- oder 100-Gigabit-Ethernet.
Trend 2:
Verkabelung verursacht hohe Kosten.
Trend 3:
Glasfaser wird zur Pflicht.
Trend 4:
Nicht jeder Chassis-Switch ist Highspeed-Ethernet-tauglich.
Trend 5:
Ungelöste Fragen beim Netz-Monitoring.
Trend 6:
Neue Protokolle.

Auf dem Papier ist damit die Migration erledigt. Schließlich verlangt HSE auf den oberen Layern des OSI-Schichtenmodells keine Änderungen, ist also für Applikationen und Protokolle transparent. Und selbst auf der Link-Layer-Ebene hat sich nichts geändert, HSE entspricht den bereits bekannten älteren Ethernet-Versionen. So wurde etwa das bekannte Ethernet-Frame-Format beibehalten. Die Minimal- beziehungsweise Maximallänge eines Basis-Frames liegt nach wie vor bei 64 sowie 1518 Bytes.

Dennoch kann sich eine HSE-Migration schnell zu einem kostspieligen Projekt entwickeln, das so eventuell nicht budgetiert war. Teuer sind nicht nur die derzeitigen GbE-Komponenten - Kostenfallen lauern auch an anderen Stellen wie

• der Verkabelung

• dem Netz-Monitoring

• im Switch-Chassis selbst oder

• in der Netzinfrastruktur.

Versteckte Kosten

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Nicht umsonst raten etliche Experten aufgrund dieser versteckten Kosten derzeit zu einer abwartenden Haltung. "Unternehmen sollten genau prüfen, ob sich die Migration für sie lohnt, denn 40- und 100-GbE-Interfaces werden ein Vielfaches von 10-GbE-Equipment kosten", empfiehlt etwa Andreas Herden, Leader Data Technical Operations bei Avaya Emea. "Ein Trunk mit viermal 10 GbE ergibt in der Summe auch 40 GbE - das ist für viele Firmen derzeit noch wirtschaftlicher." Ähnlich sieht es Mathias Wietrychowski, Architekturverantwortlicher Borderless Networks bei Cisco: "Für eine sinnvolle Migration sollte man 40 GbE in Betracht ziehen und hier insbesondere, dass die 40-GbE-Anschlüsse auch mit jeweils viermal 10 GbE betrieben werden können."

Letztlich kommen die Unternehmen um einen kritischen Blick auf ihre Netzlast nicht herum. Wird etwa 100 GbE kurzfrisstig überhaupt benötigt? Gerade im Zuge der Diskussionen um Cloud Computing und Virtualisierung ist eine Detailvorhersage schwierig. Wer kann heute wirklich sagen, wie sich die virtualisierten Apps von morgen im RZ-Betrieb verhalten? Werden sie wirklich häufig von einem Server-Rack zum anderen verschoben und generieren so eine Netzlast, die sogar 100 GbE benötigt?

Cisco Trends
Ciscos Blick in die Zukunft
Wie sieht unsere Welt in zehn Jahren aus? Einen launigen Ausblick auf die Techniken, die unser Leben mit der IT in näherer Zukunft prägen könnten, gab Cisco-Futurologe Dave Evans. Auch wenn manches unglaublich klinge, liege doch jeder Prognose mindestens eine bereits erfundene Technologie zugrunde. Lediglich ihre Anwendung sei konsequent weitergedacht worden.
1. Das Internet der Dinge
2020 werden etwa 7,6 Milliarden Menschen online sein. Ihnen stehen 50 Milliarden Devices gegenüber - vom Smartphone bis zur vernetzten Ohrmarke der Milchkuh.
2. Die Zetta-Flut
Am Ende der Dekade wird das Datenvolumen im Internet 1,2 Zettabyte betragen. Eine Datenmenge, die einer Büchersäule entspricht, die zwanzigmal von der Erde zum Pluto reicht. Terapixel und Voxel - dreidimensionale Pixel - werden dazu beitragen.
3. Das Wissen in der Cloud
Im Jahr 2020 wird ein Drittel aller Daten in der Cloud liegen.
4. Das nächste Net
Das Internet steht vor einer enormen Leistungssteigerung. Im Februar 2011 schickten Forscher 448 GB pro Sekunde über Glasfaser. Im April wurde der Weltrekord von mehr als 100 Terabit/s aufgestellt. Im Mai 2011 wurden mit einem einzigen Laser 26 Terabit/s übertragen. Innovationen, die innerhalb von vier Monaten gelangen.
5. Die Welt ist flach - unsere Technik auch
Wir befinden uns auf dem Weg in die Echtzeitgesellschaft. In zehn Jahren wird jeder überall mit jedem kommunizieren können - unabhängig vom verwendeten Gerät.
6. Die Kraft der Energie
Windkraft und Solarenergie führen zur autarken Energieversorgung, wobei Solarzellen künftig aus dem Drucker kommen. Smartphones erhalten unterwegs von der Brennstoffzelle im menschlichen Magen Energie.
7. It's all about you
Computer beginnen unsere Gedanken zu lesen. Um das Jahr 2030 wird es die ersten künstlichen Gehirn-implantate geben.
8. Die nächste Dimension - alles on Demand
Musik und Videos herunterladen war gestern - 2020 lädt sich die Menschheit Dinge aus dem Netz, die mit Hilfe des häuslichen, 1000 Dollar teuren 3D-Druckers Gestalt annehmen. Die Copyright-Diskussion erreicht im wahrsten Sinne des Wortes eine neue Dimension.
9. Another Family Tree - die virtuelle Verwandschaft
Computer entwickeln sich zu virtuellen Menschen mit automatischen Gesten und Emotionen. Rechner mit supermenschlicher Intelligenz werden noch vor 2020 gebaut.
10. Der Mensch - als Modell 2.0
Körpereigene "Mikroroboter" werden defekte Zellen reparieren. 2012 Geborene werden im Durchschnitt bereits 100 Jahre alt. 2029 wird der Alterungsprozess gestoppt. Die Lebenserwartung steigt auf 200 bis 300 Jahre.

Migration im RZ beginnen

Zumindest in einem Punkt sind sich die Experten einig: Der größte Datenzuwachs ist im Data Center zu erwarten, weshalb hier mit einer Migration begonnen werden sollte, der Campus-Bereich folgt dann später. "40/100 GbE wird auf absehbare Zeit eine Aggregationstechnologie im Rechenzentrum bleiben", zeigt sich Markus Nispel, Technikexperte bei der Siemens-Enterprise-Networks-Tochter Enterasys, überzeugt. Er glaubt, dass Unternehmen in diesem Jahr bereits punktuell 40 Gbit/s einsetzen werden. "100 GbE wird dann erst 2013 relevant", so Nispel weiter.

Allerdings könnte sich so manches Unternehmen früher mit einer HSE-Migration beschäftigen müssen, als ihm lieb ist. Denn die angesprochene Link Aggregation lässt sich nicht überall realisieren. In vollen Racks fehlt häufig schlicht der Platz, um weitere Lichtwellenleiter oder Kupferkabel zu verlegen. Auch das Kühlungsproblem sollte nicht unterschätzt werden: Zum einen sind die erforderlichen Transceiver weitere Wärmequellen im Rack, zum anderen kann eine zusätzliche Verkabelung den Luftstrom in den Racks so stören, dass eine ausreichende Kühlung nicht mehr gewährleistet ist.

Herausforderung Infrastruktur

Foto: Ilja Masik, Fotolia.de

So sehen denn auch die meisten Hersteller bei einer HSE-Migration die größte Herausforderung in der Kabelinfrastruktur. Und die erfordert meist eine Neuverkabelung, was Migrationsprojekte verteuert. Angesichts der hohen Kosten empfehlen alle Experten eine genaue Bedarfsanalyse: Wo ist mit welcher PortDichte zu rechnen? Welche Entfernungen sind zu überbrücken? Sollen Single- oder Multimode-Fasern verlegt werden? Und unter Aspekten des Investitionsschutzes lautet die entscheidende Frage: Ist die jetzt verlegte Infrastruktur in zwei bis drei Jahren auch für eine Migration auf 100 GbE geeignet? Wer dies bereits heute bei einer Erneuerung der Verkabelung einplant, spart später Zeit und Kosten.

Switches gut planen

Zukunftssicher investieren sollte der IT-Entscheider auch bei der Anschaffung neuer Switches. Dabei sollte er besonderes Augenmerk auf die interne Architektur des Geräts legen, damit es später den HSE-Anforderungen gewachsen ist: Gibt es eine direkte Verbindung vom Prozessor zu Input und Output, reicht die Kapazität der Backplane? Sind CPU und Input-Output-Card im Verhältnis zur Port-Dichte leistungsfähig genug?

Welche Datenmenge kann der Switch in der Praxis wirklich transportieren? Reicht die Forwarding-Leistung auch bei kleinen Frames aus? Sind grundlegende Monitoring-Funktionen bereits im Switch integriert, und genügen sie den HSE-Ansprüchen? Kriterien, auf die nicht nur beim Kauf neuer aktueller Switches zu achten ist. Auch bei bereits vorhandenen Switches sollten sich die Fragen positiv beantworten lassen, sonst gibt ein Upgrade mit 40- oder 100-GbE-Modulen keinen Sinn.

Vorsicht bei der Port-Dichte

Angesichts der hohen Kosten für die HSE-Technik erscheint es verlockend, gleich Switches mit einer hohen Port-Dichte anzuschaffen, um den finanziellen Aufwand pro Port zu senken. Das kann sich allerdings schnell als kostspieliger Trugschluss entpuppen. In den meisten Fällen wird es nicht gelingen den Switch so nahe an den Server zu bringen, dass die Port-Anzahl optimal genutzt wird. Das gilt vor allem, wenn man bedenkt, dass Kupferkabel nur für Entfernungen von sieben bis acht Metern spezifiziert sind.

In der Regel reicht das lediglich für die Vernetzung innerhalb des Racks. Für größere Entfernungen sind wiederum Glasfaser und die damit verbundenen teuren optischen Transceiver erforderlich. Auf einen anderen Punkt, der in Szenarien mit alter und neuer Technik zu berücksichtigen ist, macht Avaya-Techniker Herden aufmerksam: "Wenn der Datenverkehr von 40 GbE auf geringere Geschwindigkeiten gedrosselt werden muss, sollten ausreichend Buffer vorhanden sein, um einen Overflow und Packet Loss zu verhindern".

Angesichts der zahlreichen Unwägbarkeiten ist eventuell der Ratschlag von Charles Ferland, Vice President System Networking bei IBM, zielführend: im Rack weiterhin 10-Gigabit-Ethernet auf Kupferbasis fahren und in einem ersten Schriit nur die Verbindungen zwischen den Racks auf 40-Gigabit-Ethernet migrieren.

Neue Protokolle

Bei der Migration auf Highspeed Ethernet bleibe alles beim Alten, ist oft zu lesen. Nichts müsse an der Netzkonfiguration geändert werden. Radio Eriwan würde hierauf antworten: Im Prinzip ja, aber... So gelten einige klassische Ethernet-Verfahren im Highspeed-Zeitalter als überholt - oder wie es ein Experte drastisch formulierte: Der Rapid Spanning Tree ist tot. Die Data-Center-Netze der Zukunft, so der allgemeine Konsens, müssen wesentlich flacher angelegt werden, um verlust- und blockierungsfreie kurze Verbindungen zwischen den Netzressourcen zu garantieren. Hierzu werden zwei unterschiedliche Architekturdogmen propagiert: Trill und SPB. Beide Verfahren sollen ein Multipath Routing im Data Center erlauben, um beispielsweise die Wanderung von virtuellen Maschinen zu vereinfachen.

Hinter dem Transparent Interconnect of Lots of Links (Trill) steht die IETF. Trill verwendet Routing-Protokolle auf Layer-2-Ebene, um die Daten auf dem kürzesten und schnellsten Weg durch das Netz zu transportieren. Grundsätzlich setzt das Shortest Path Bridging (SPB), das von der IEEE propagiert wird, auf dem gleichen Prinizip auf. Allerdings verwenden beide Verfahren unterschiedliche Methoden, um die Datenpfade zu berechnen. Dabei sei es bei SPB einfacher, den Datenweg vorherzubestimmen. Dafür wartet Trill mit Distribution Trees und Rbridges auf. Bisher ist nicht abzusehen, welches Verfahren sich durchsetzt. (mhr)

Teaserbild: Telekom AG