Der Markt für Netzausrüster

Navigieren in schwerer See

24.09.2008 von Christian Weyer
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern investieren Telekommunikationsfirmen in Deutschland stärker in den Ausbau ihrer Netze. Ihre Lieferanten profitieren jedoch kaum davon.

Mit Neid werden die Betreiber von Mobilfunk- und Festnetzen und deren Systemlieferanten im vergangenen Jahr auf ihre Kollegen aus der IT-Sparte geblickt haben. Denn für die war 2007 ein gutes Jahr. Das gilt für die Anbieter von IT-Hardware, Softwareprodukten und IT-Services. In diesen drei Bereichen stieg nach Angaben des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) der Umsatz in Deutschland von 60,9 Milliarden Euro (2006) auf 64 Milliarden Euro (2007). Das entspricht einem Plus von fünf Prozent. Auch für das laufende Jahr rechnet der Bitkom mit einem Wachstum von 4,6 Prozent auf 66,9 Milliarden Euro.

Anders sieht es dagegen in der Telekommunikation aus. Seit 2006 geht hier der Umsatz in der Bundesrepublik zurück. Im Jahr 2006 sank er um 0,3 Prozent auf 68,5 Milliarden Euro; 2007 beschleunigte sich der Rückgang gar auf 1,6 Prozent. Das Marktvolumen schrumpfte auf 67,4 Milliarden Euro. »Auch für 2008 erwarten wir keine Besserung«, sagt Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer. Erst für 2009 prognostiziert der Verband eine »rote Null«.

Damit hebt sich Deutschland negativ von anderen Ländern in Europa ab. Die Marktforschungsgesellschaft EITO (European Information Technology Observatory) verzeichnete 2007 in Europa bei Telekommunikationsausrüstung und den dazugehörigen Services im Vergleich zu 2006 einen Zuwachs von 2,4 Prozent auf 378,3 Milliarden Euro.

Überdurchschnittliches Wachstum in Deutschland

Bricht man jedoch die Marktdaten für Europa und Deutschland auf die einzelnen Produktkategorien herunter, stellt sich die Situation für die Netzausrüster hierzulande nicht ganz so düster dar. In Deutschland gaben die Carrier für Systeme und Dienstleistungen für den Ausbau ihrer Fest- und Mobilfunknetze 2007 rund 5,6 Milliarden Euro aus, über 100 Millionen Euro (zwei Prozent) mehr als 2006. Bei Endgeräten wie Telefonanlagen, DSL-Modems und Telefonen stagnierte der Umsatz bei 4,8 Milliarden Euro. Dagegen war bei Telekommunikationsdiensten zwischen 2006 und 2007 ein Minus von 1,9 Prozent zu verzeichnen: Die Netzbetreiber nahmen mit 57 Milliarden Euro an die 1,3 Milliarden weniger ein als 2006.

In Europa waren es vor allem die um 6,3 Prozent höheren Verkaufszahlen bei Endgeräten (34,9 Milliarden Euro), die für eine positive Bilanz des Telekommunikationssektors sorgten. Bei Netzwerkausrüstung war nur ein leichter Zuwachs um 500 Millionen Euro auf 35,7 Milliarden (1,3 Prozent) zu verzeichnen. Der Löwenanteil des Marktvolumens entfiel mit 307,7 Milliarden Euro auf Telekommunikationsdienste. Diese verzeichneten ein Plus von 6,3 Milliarden Euro oder 1,3 Prozent.

Nach Angaben der amerikanischen Marktforschungsgesellschaft Infonetics investierten die großen Telekommunikationsfirmen wie die Deutsche Telekom, France Télécom, Telefonica oder Vodafone im vergangenen Jahr etwa 15 bis 17 Prozent ihres Umsatzes in neue Netzausrüstung. Dennoch hatten Alcatel-Lucent, Ericsson, Nokia Siemens Networks, Nortel und Co. 2007 kaum Grund zum Jubeln. Denn die Betreiber von Telekommunikationsnetzen in Deutschland leiden nach wie vor unter dem harten Preiskampf bei Mobilfunk- und Festnetzdiensten, und diesen Druck geben sie an ihre Lieferanten weiter: »Bei Preisverhandlungen ziehen uns die Telekom, T-Mobile und Vodafone bis auf das Hemd aus«, klagt ein Vertriebsmitarbeiter eines großen europäischen Netzausrüsters, der aus Angst vor seinen Kunden nicht namentlich genannt werden möchte.

Magere Gewinnmargen für Netzausrüster

Die Zeiten, in denen die Netzausrüster hohe zweistellige Gewinnmargen erzielen konnten, sind offenkundig vorbei. Mit einer Umsatzrendite von etwa 30 Prozent ist demnach Cisco Systems mit weitem Abstand vor der Konkurrenz erfolgreichster Anbieter im Bereich Netzwerkausrüstung. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass Cisco von seiner starken Position im Bereich Datennetzwerke profitiert. Die US-Firma ist deutlich weniger abhängig vom Geschäft mit Netzbetreibern als beispielsweise Alcatel-Lucent, Ericsson oder Nortel. Alcatel-Lucent kam 2005 und 2006 auf eine Gewinnspanne von sieben bis neun Prozent. Im Jahr darauf musste der Konzern einen Verlust ausweisen. Der amerikanische Voice-over-IP-Spezialist Avaya erzielte, bezogen auf den Umsatz, eine Rendite von sechs bis acht Prozent. Deutlich schlecht erging es in den vergangenen drei Jahren Nortel Networks. Die kanadische Firma wies einen Verlust von etwa zwei Prozent aus.

Mobilfunk und Festnetz werden eins

Dass sich an der angespannten Situation für die Betreiber von Netzen - und damit für ihre Zulieferer - etwas ändert, ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Die Konsolidierung des Telekommunikationsmarktes in Deutschland setzt sich fort. Bereits im vergangenen Jahr entwickelte sich ein Trend, der auch 2008 fortwirkt: das Zusammenwachsen von Mobilfunk- und Festnetz. Besonders deutlich wird das am Beispiel der Mobilfunk-Carrier Vodafone und O2 Germany. Beide setzen nicht mehr alleine auf Mobilfunk, sondern vermarkten verstärkt Breitband-Festnetzanschlüsse.

O2 Germany wurde vom spanischen Konzern Telefonica geschluckt, einem der größten Netzbetreiber in Europa und Südamerika. Konsequenterweise macht O2, das einst das Festnetztelefon zum Auslaufmodell erklärt hatte, nun massiv Werbung für DSL-Anschlüsse. Die Backbone-Netze beider Unternehmen werden zu diesem Zweck gegenwärtig miteinander verschmolzen. Die neue Strategie lautet: alles aus einer Hand, vom mobilen Internet-Zugang über Breitband-Mobilfunkverbindungen bis hin zum Telefonieren, Videos ansehen und Internet-Surfen über kabelgebundene DSL-Leitungen. Dieselbe Strategie verfolgt Vodafone. Der Mobilfunk-Carrier übernahm zu diesem Zweck Arcor, den nach der Deutschen Telekom zweitgrößten Anbieter von Festnetz-Telekommunikationsdiensten in Deutschland.

Dieser Strategiewechsel der großen Service-Provider ist auf drei Faktoren zurückzuführen:

Der Umbau der Festnetz- und Mobilfunknetze, zu dem die Carrier wegen des Konkurrenzdrucks gezwungen sind, hat für Anbieter von Netzausrüstung wie beispielsweise Alcatel-Lucent seine guten Seiten: »Web 2.0, Video- und Musikdienste und Online-Spiele sind so beliebt wie nie«, sagt Alf Wulf, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Alcatel-Lucent Deutschland AG. »Möglich gemacht haben das DSL und der aggressive Wettbewerb bei Telefon- und Internet-Flatrates. Die DSL-Anbieter gewinnen kontinuierlich neue Teilnehmer. Als Ausrüster profitieren wir von diesem Trend.«

Jens Leuchters, Country Manager des Service-Providers Interoute, bestätigt, dass immer mehr Echtzeitdienste über die IP-Backbones der Netzbetreiber laufen: »Service-Provider transportieren eine ganze Reihe von Echtzeitanwendungen über ihre Infrastrukturen. Dazu gehören bereits seit längerer Zeit Voice over IP, aber verstärkt auch IP-TV oder Video over IP.« Interoute selbst registriert bei Sprache über IP einen Boom. »Andere Anwendungen stellen kein Problem für unser Netz dar, wurden bislang aber schlichtweg nicht angefragt«, so Leuchters.

Triple-Play soll es richten

Das soll sich jedoch ändern. Neben der Deutschen Telekom wollen auch Vodafone-Arcor, O2-Telefonica, 1&1 und andere Service-Provider Kunden mit »Triple-Play«-Angeboten locken, also Telefonie, Fernsehen (IP-TV) und Internet-Zugang aus einer Hand und über dieselbe Infrastruktur. »Mittel- bis langfristig kommen dabei schnellere Zugangstechnologien als DSL ins Spiel«, so Alcatel-Lucent-Manager Wulf. »Viele Internet-Anbieter beschäftigen sich bereits mit GPON, also passiven optischen Netzen mit Gigabit-Geschwindigkeit.« Über Glasfasernetze stehen dann den Nutzern Datenraten von mehr als einem Gigabit pro Sekunde zur Verfügung. Derzeit bietet DSL Geschwindigkeiten von 20 Mbit/s, die Version VDSL 2 von bis zu 50 Mbit/s. »Solche Techniken erleichtern den Durchbruch von interaktiven Multimedia-Anwendungen und interaktivem Fernsehen«, skizziert Wulf. »Wir haben rechtzeitig in Forschung und Entwicklung investiert und sind heute Weltmarktführer bei schnellen Glasfaser-Zugangsnetzen.«

Doch IP-TV und Triple Play sind Wechsel, die auf die Zukunft ausgestellt sind. Derzeit kämpfen die Netzausrüster ums Überleben. Für Alcatel-Lucent etwa war das vergangene Jahr immer noch von den Nachwehen der Fusion von Alcatel und Lucent geprägt. Trotz eines Umsatzzuwachses setzte es im Geschäftsjahr 2007 einen Verlust von umgerechnet 674 Millionen Dollar. Mittlerweile hat die Krise die Führungsspitze erreicht: Ende Juli 2008 kündigte Vorstandschefin Patricia Russo an, sie werde Ende des Jahres ihren Stuhl räumen. Serge Tchuruk, Vorsitzender des Verwaltungsrates, geht bereits zum 1. Oktober.

Firmen in Schwierigkeiten

Konsolidierung war auch bei Nokia Siemens Networks (NSN) angesagt. Der neu gegründete Konzern, in den unter anderem die ehemalige Com-Sparte von Siemens integriert wurde, entließ Mitarbeiter und veräußerte einen großen Teil der Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Der Sparkurs scheint sich jetzt auszuzahlen: Während NSN im vergangenen Geschäftsjahr noch einen Verlust von umgerechnet fast 1,6 Milliarden Dollar auswies, waren es im zweiten Quartal 2008 nur noch 73 Millionen Dollar.

Dagegen stehen die Zeichen bei Motorola auf Sturm. Die Sparte »Home and Networks Mobility«, die unter anderem Systeme für Mobilfunknetze produziert, konnte zwar 2007 den Umsatz um 500 Millionen Dollar auf etwas mehr als zehn Milliarden erhöhen. Doch die massiven Verluste der Handy-Sparte rissen das Unternehmen in den Abgrund. Im Juli dieses Jahres beschloss die Unternehmensführung auf Druck von Großaktionären wie dem Investor Carl Icahn, den Netzwerkbereich in drei unabhängige Unternehmen aufzuteilen. Ob diese an die Börse gebracht oder verkauft werden, ist unklar.

Auch für Nortel Networks verlief das vergangene Jahr nicht sonderlich gut. Nach einem Verlust von mehr als 950 Millionen Dollar setzt das Unternehmen jetzt auf einen Strategiewechsel. Das Geschäft mit Ausrüstung für Carrier soll zurückgefahren werden. Stattdessen forciert der kanadische Konzern Produkte, die in Firmennetzen zum Einsatz kommen, speziell solche für Voice-over-IP und integrierte Kommunikation (Unified Communications).

Die Chinesen kommen

Auf dem Vormarsch sind dagegen Firmen aus Fernost, speziell China. Der chinesische Hersteller Huawei steigerte den Umsatz 2007 um 50 Prozent und erreichte zwölf Milliarden Dollar. Dazu trugen auch Geschäfte mit Telekommunikationsfirmen in Deutschland bei, etwa mit der Deutschen Telekom und Vodafone. Im ersten Quartal 2008 löste Huawei nach Angaben von Infonetics Alcatel-Lucent weltweit als Nummer eins im Marktsegment DSL-Vermittlungssysteme (DSLAMs = DSL Access Multiplexer) ab.

Ein Blick auf die Bilanz von Huawei zeigt jedoch eine Schwachstelle: Der Gewinn fiel mit 674 Millionen Dollar relativ mager aus. Das bestätigt die Aussagen von Konkurrenten und Analysten, denen zufolge Huawei seine Expansion auf Kosten der Gewinnmarge betreibt.

Eine ähnliche Strategie verfolgt offenkundig ZTE, der zweitgrößte Netzausrüster aus China. Einem Umsatz von mehr als fünf Milliarden Dollar steht ein Gewinn von 182 Millionen Dollar gegenüber. Auch das ist zu wenig, um langfristig im Markt bestehen zu können.

Cisco marschiert voran

Unbeeindruckt von den Problemen der Konkurrenten zieht der Netzausstatter Cisco einsam seine Kreise. Nach wie vor profitiert der Marktführer vom ungebremsten Wachstum des Internets beziehungsweise des IP-Verkehrs, vor allem bedingt durch die starke Nutzung von Videodiensten wie Youtube und Peer-to-Peer-Netzwerken. Dies zwingt die Service-Provider dazu, ihre Netze aufzurüsten und weitere Router und Switches zu kaufen. Cisco kommt zudem zugute, dass das Unternehmen Altlasten aus Zeiten mit sich herumtragen muss, als Sprache und Daten über getrennte Netze übertragen wurden.

Das hiesige Geschäftspotenzial bewertet Cisco nach wie vor als gut: »Deutschland hat im weltweiten Ländervergleich weiterhin Entwicklungspotenzial, wenn es um die Nutzung von Informationstechniken wie Breitband-Internet, Wireless LANs und Funktechniken wie Wimax geht«, sagt Michael Ganser, Vice President Europe und Geschäftsführer von Cisco in Deutschland. Und je mehr von diesem Potenzial erschlossen wird, desto besser für Cisco und die Geschäfte des Unternehmens.