Künstliche Intelligenz

Machine Learning – so gelingt der Einstieg

23.10.2017 von Wolfgang Herrmann
Lesen Sie, welche IT-Projekte sich für einen Einstieg in das Thema Künstliche Intelligenz eignen und wie Cloud-Tools dabei helfen.

Kaum ein Tag vergeht, an dem IT- und Business-Verantwortliche nicht vom potenziellen Nutzen der Künstlichen Intelligenz hören und lesen. KI-Technologien wie Machine Learning oder Deep Learning erlauben es, aus den wachsenden Datenbergen neue Erkenntnisse zu gewinnen, Prozesse zu automatisieren oder bislang unbekannte Sicherheitsbedrohungen zu erkennen. Der weltweite Umsatz mit AI-Systemen (Artificial Intelligence) wird sich 2017 auf 12,5 Milliarden Dollar verdoppeln, erwartet das Marktforschungs- und Beratungshaus IDC. Bis 2020 könnte sich das Marktvolumen bei einer gleichbleibenden Wachstumsrate auf 46 Milliarden Dollar vergrößern.

Experten empfehlen, mit kleinen Projekten in das Thema Künstliche Intelligenz einzusteigen und Erfahrungen zu sammeln.
Foto: Phonlamai Photo - shutterstock.com

Doch wie steigt man am besten in das Thema ein? Einschlägige Studien belegen, dass viele Unternehmen erste Projekte zu groß, zu komplex und zu technisch aufsetzen (siehe dazu: Künstliche Intelligenz - wie Unternehmen davon profitieren.) Dabei gibt es eine ganze Reihe von Anwendungen, die sich relativ einfach mit KI-Tools aus der Cloud realisieren lassen und deren geschäftlicher Nutzen auf Anhieb erkennbar ist. Experten empfehlen, zunächst mit solchen "Quick Wins" zu experimentieren und Erfahrungen zu sammeln. Die große KI-Initiative darf solange in der Schublade bleiben.

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Ein Chatbot für den Kundenservice

Aus einer Liste mit häufig gestellten Kundenfragen lässt sich beispielsweise mithilfe von Microsoft QnA Maker ohne größeren Aufwand ein Chatbot entwickeln. Er beantwortet etwa Support-Anfragen, kann aber auch intern nützlich sein. Neuen Mitarbeitern könnte der Bot etwa Auskünfte der Personalabteilung zu Vergünstigungen oder auch Informationen zum IT-Helpdesk geben.

Copy and Paste: Mit dem Microsoft-Tool QnA-Maker lassen sich Chatbots relativ einfach entwickeln.
Foto: Microsoft

Unternehmen füttern das System einfach per Dokumenten-Upload oder über einen Web-Link mit Inhalten. QnA Maker generiert daraus Frage-Antwort-Pärchen, die sie prüfen, modifizieren und anschließend per API Call zugänglich machen können. Wer mehr als nur Antworten in Textform will, kann das System mit dem .NET SDK und dem Microsoft Bot Framework anreichern. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise auch Multimedia-Elemente einbinden.

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Marketing Automation und Analytics

Marketing-Abteilungen experimentieren häufig als erste mit neuen Technologien. Softwarehersteller haben diesen Trend erkannt und erweitern ihre Cloud-Angebote systematisch um Machine-Learning-Fähigkeiten. Zu den bekanntesten Beispielen gehören Adobe Marketing Cloud, Microsoft Dynamics 365 und Salesforce. Sie liefern über die Standardfunktionen hinaus etwa Produktempfehlungen für Kunden, zeigen personalisierte Suchinhalte oder geben Vertriebsmitarbeitern Hinweise auf potenzielle Kunden und deren Bedürfnisse. Prädiktive Modelle erlauben es mittlerweile sogar, Churn Rates zu prognostizieren und damit Forecasting- und Planungsprozesse zu verbessern.

Der Versicherungskonzern AXA etwa nutzt das quelloffene Machine Learning Framework TensorFlow, um herauszufinden, welche Kunden Unfälle mit einer Schadenshöhe von mehr als 10.000 Dollar verursachen könnten. Ein Deep-Learning-Modell arbeitet dazu mit rund 70 Variablen. AXA will auf dieser Grundlage die Preise für Versicherungspolicen optimieren. Früher eingesetzte Prognosemodelle seien nicht präzise genug gewesen, berichtet das Unternehmen. Mit dem neuen Verfahren erhöhe sich die Prognosegenauigkeit von 40 auf 78 Prozent.

Betrugserkennung mit Machine Learning

Betrügerische oder anomale Transaktionen zu erkennen, ist eine klassische Aufgabe der Datenanalyse. Angesichts der schieren Menge von Transaktionen etwa im Handel oder im Bankensektor können Machine-Learning-Modelle helfen, verdächtige Aktivitäten zu identifizieren. Tätigt ein Kunde zum Beispiel viele Einzelüberweisungen unterhalb eines bestimmten Limits, könnte das System Alam schlagen. Der Softwareanbieter Fraud.net etwa nutzt Amazon Machine Learning, um seine Machine-Learning-Modelle darauf zu trainieren, Betrugsaktivitäten unterschiedlichster Art zu erkennen. Das klassische Vorgehen, ein einziges Modell für alle Betrugsarten zu entwickeln, wird damit erheblich erweitert.

Der Softwareanbieter Fraud.net nutzt Amazon Machine Learning, um Betrugsaktivitäten zu erkennen.
Foto: Fraud.net

Einsetzen lassen sich solche Systeme nicht nur zur Betrugserkennung. Die Darlehensabteilung des amerikanischen Autobauers Ford etwa nutzt Machine-Learning-Tools von ZestFinance, um herauszufinden, mit welcher Wahrscheinlichkeit bestimmte Kunden ihren Kredit zurückzahlen werden. Auf diese Weise kann der Hersteller auch solchen Kunden Darlehen gewähren, die aufgrund einer schlechten Kreditwürdigkeit sonst als Autokäufer verloren wären.

Bestandsplanung in der Supply Chain

Automatisierung in der Supply Chain ist an sich nichts Neues. Mit Machine-Learning-Modellen bekommt das Thema neuen Schwung. Anstatt sich nur auf historische Verkaufszahlen zu stützen, erlauben es Machine-Learning-Modelle, eine Vielzahl von Einflussfaktoren zu nutzen, um das künftige Marktgeschehen richtig einzuschätzen. Das geht bis hin zur aktuellen Wetterlage. Amazon beispielsweise kann laut eigenen Angaben genau vorhersagen, wieviele T-Shirts einer bestimmten Farbe und Größe an einem Tag verkauft werden.

Auch der Versandhändler Otto nutzt Machine-Learning-Modelle. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent könne man damit die Verkäufe innerhalb der nächsten 30 Tage prognostizieren, behauptet das Unternehmen. Damit ließen sich etwa Lagerüberschüsse um ein Fünftel reduzieren. Auf der Basis von Absatzprognosen für bestimmte Farben und Designs bestelle das Einkaufssystem ohne menschliche Eingriffe jeden Monat bereits rund 200.000 Artikel bei Lieferanten.

Routenplanung in der Logistik

Das Travelling-Salesman-Problem ist ein Klassiker in der Computerwissenschaft. Welches ist die kürzeste Route zwischen all den Orten, die ein Verkaufs-Team auf seiner Reise aufsuchen muss? Ganz ähnlich sind viele andere Aufgaben in der Logistik gelagert, beispielsweise die Warenauslieferung an mehrere Kunden. Auch dabei können intelligente Tools aus der Cloud helfen. Besonders nützlich sind sogenannte Predictive Traffic Services in den Bing- und Google-Maps-APIs. Sie zeigen nicht nur Entfernungen an, sondern auch Reisezeiten. So lässt sich etwa abhängig von der Verkehrslage ermitteln, wieviele Kunden ein Ingenieur innerhalb eines Vormittags von einem bestimmten Startpunkt aus erreichen könnte oder wann die beste Zeit für eine Warenlieferung ist. Im Projekt Johannesburg arbeitet Microsoft an einem Truck-Routing-Service für das Transportgewerbe. Er berücksichtigt Parameter wie Größe und Gewicht der LKW sowie die Gefahrenklasse der transportierten Güter.

Kombinieren Unternehmen solche Tools etwa mit Tracking-Systemen, lassen sich aus den gewonnen Daten genauere Kostenschätzungen ableiten, die wiederum realistischere Preise für Transportaufträge ermöglichen. Das amerikanische Unternehmen RR Donnelley nutzt unter anderem Azure Machine Learning Studio von Microsoft, um historische Daten mit aktuellen Informationen zu Wetterlage, Benzinpreisen und Marktveränderungen zu verknüpfen. Ein automatisiertes System generiert daraus Angebotspreise in Echtzeit, was dem Unternehmen bereits zu mehr Aufträgen verholfen hat.

Predictive Maintenance und IoT

Wer wartet, bis eine Maschine in der Produktion ausfällt, nimmt nicht nur teure Standzeiten, sondern auch unzufriedene Kunden in Kauf. Fahren Unternehmen ihre Systeme für die Wartung zu oft herunter, sinkt die Produktivität. Der Industriekonzern Thyssen-Krupp analysierte die Servicedaten seiner rund 1,1 Millionen Aufzüge weltweit und kam zu dem Schluss, dass das Wartungsfenster etwas kleiner ausfallen könnte. Der Hersteller nutzte Microsofts Azure IoT Suite, um Sensoren remote zu überwachen, Störungen vorherzusagen und Servicearbeiten frühzeitig in die Wege zu leiten.

Der Industriekonzern Thyssen-Krupp analysiert die Servicedaten seiner rund 1,1 Millionen Aufzüge mit Hilfe der Azure IoT-Suite.
Foto: Oliver Hoffmann - shutterstock.com

Damit stieg nicht nur die Kundenzufriedenheit, weil die Aufzüge seltener ausfielen. Thyssen-Krupp sparte auch Kosten, weil mehr Probleme nun schon beim ersten Servicetermin behoben werden können. Zudem können Techniker besser prognostizieren, welche Ersatzteile vor Ort gebraucht werden. Laut einer Accenture-Studie aus dem Jahr 2016 lassen sich mithilfe von Predictive Maintenance die Kosten für geplante Reparaturen um zwölf Prozent und die Wartungskosten um 30 Prozent senken. Maschinenausfälle könnten Unternehmen um 70 Prozent reduzieren.

Machine Learning für mehr Sicherheit

In der komplexen Welt der IT-Sicherheit ist Machine Learning kein Allheilmittel. KI-Techniken können aber helfen, Angriffe zu entdecken, die ansonsten in den zahlreichen Log Files und falschen Alerts untergehen würden. Bei Windows Defender Advanced Threat Protection etwa handelt es sich nicht um eine Antivirus-Software, sondern um einen Machine-Learning-Service, der das Verhalten von PCs mit Windows 10 Enterprise im Netzwerk analysiert. Das System meldet dem Security-Team, um welche Art von Angriff es sich im Ernstfall handeln könnte und welche Abwehrmaßnahmen erfolgversprechend sind. Unternehmen müssen sich dann zwar immer noch mit Log Files befassen und auf den Angriff reagieren, doch Machine Learning-Tools können den Aufwand drastisch reduzieren.

Bessere Jobangebote mit Künstlicher Intelligenz

Viele Stellenausschreibungen und Jobangebote halten schon aufgrund bestimmter Formulierungen potenzielle Kandidaten von einer Bewerbung ab. Wer das vermeiden will, sollte Textio ausprobieren. Der Service nutzt Künstliche Intelligenz, um etwa hohle Phrasen, Fachjargon oder Stereotypen in Jobangeboten zu entdecken, die Bewerber abschrecken könnten. Der Dienst hat schon vielen Unternehmen geholfen, die Anzahl und Qualität der Bewerber zu erhöhen. SAP SuccessFactors enthält ein ähnliches Tool.

Gesichtserkennung erhöht die Arbeitssicherheit

Produktionsanlagen und Baustellen wimmeln nur so von Gegenständen, die eine Gefahr für Mitarbeiter darstellen können. Die Risiken lassen sich eindämmen, wenn Unternehmen Kameras und Sensoren in Kombination mit Bild- und Gesichtserkennungstechniken einsetzen. Solche Systeme können beispielsweise melden, wenn ein Gerät nicht sicher bedient wird oder der Nutzer dazu keine Berechtigung hat.

Der Hitachi-Konzern hat für solche Zwecke zusammen mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) ein Deep-Learning-System entwickelt, das Wearables und intelligente Brillen einbezieht. Ein ähnliches System präsentierte Microsoft auf seiner Built-Konferenz. Der Softwarekonzern nutzt dazu diverse Dienste aus seinem Cloud-Portfolio, darunter Azure Functions, Microsoft Cognitive Services und Azure Stack.

Dass es auch einfacher gehen kann, zeigen Smartphone Apps wie The Safety Compass. Mithilfe von Augmented Reality und Machine Learning können Arbeiter Gefahrenstellen entdecken, markieren und Warnungen an Kollegen verschicken.

Mit Material von IDG News Service