"Künstliche Intelligenz wird heute ähnlich genutzt wie Big Data in seinen Anfängen", sagt Ron Tolido, Chief Technology Officer für den Bereich Insights & Data bei Capgemini. "Die Technologie hat das Potenzial, jedes Geschäft in jeder Branche tiefgreifend zu verändern." Allerdings konzentrierten sich viele Organisationen derzeit zu stark auf komplexe KI-Projekte und vernachlässigten einfache Vorhaben, die schnell Rendite bringen könnten. In der Mehrzahl der Fälle zeige sich, "dass die Techniker die treibende Kraft hinter den KI-Investitionen sind, weil die meisten anderen Geschäftsbereiche Schwierigkeiten haben, die daraus resultierenden Chancen zu erkennen."
In welchem Ausmaß sich KI-Ansätze schon heute in Unternehmen auswirken, hat das Digital Transformation Institute von Capgemini untersucht. Dazu wurden KI-Führungskräfte aus fast 1000 Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 500 Millionen Dollar befragt. 83 Prozent berichteten demnach, Künstliche Intelligenz (KI) habe neue Aufgaben und damit Jobs in ihren Organisationen geschaffen.
Die Studie wecke Zweifel an der weit verbreiteten These, "dass Künstliche Intelligenz kurzfristig zu einem massiven Stellenabbau führen wird", heben die Autoren hervor. Sie weisen darauf hin, dass alle teilnehmenden Organisationen KI entweder im Rahmen eines Pilotprojekts oder in größerem Stil einsetzen. Mit letzterer Formulierung seien Implementierungen gemeint, die über kleine Pilot- und Testprojekte hinausgingen und sich in größerem Umfang über Geschäftsbereiche sowie Länder hinweg erstreckten.
Neben den Arbeitsplatzaspekten beleuchtet die Erhebung insbesondere die Wachstumschancen durch Künstliche Intelligenz. So hätten drei Viertel der Befragten Absatzsteigerungen von zehn Prozent bei neuen Produkten erzielt, die direkt auf den Einsatz von KI zurückzuführen seien.
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In der Studie "Artificial Intelligence: Where and How Should Large Organizations Invest" versucht sich Capgemini auch an einer Klärung des arg strapazierten Begriffs. Künstliche Intelligenz umfasst demnach eine ganze Reihe von Technologien, darunter Spracherkennung, Natural Language Processing, Semantik, Machine und Deep Learning sowie Schwarmintelligenz. Auch Chatbots und Voicebots sowie "optimierte Hardware" gehörten dazu.
Gründe für den KI-Einsatz
Die Gründe für den Einsatz von KI sind vielfältig. Neben Absatzsteigerungen verwiesen die Befragten beispielsweise auf verbesserte interne Prozesse. 78 Prozent gaben an, die "operationale Effizienz" habe sich mithilfe Künstlicher Intelligenz um mehr als zehn Prozent verbessert. Drei Viertel der Teilnehmer haben den Angaben zufolge die Kundenzufriedenheit um mehr als zehn Prozent gesteigert. Darüber hinaus berichteten 80 Prozent generell von neuen Einblicken und besseren Analysen in Bezug auf ihr Geschäft.
Als Beispiel führen die Studienautoren unter anderem die niederländische Fluggesellschaft KLM an. Mit einem "AI-assisted Human Agent" sei es dem Unternehmen gelungen, den Kundenservice nachhaltig zu verbessern. Die Effizienz der Prozesse ist demnach um 35 Prozent gestiegen; mit der AI-Plattform löse KLM mittlerweile 30 Prozent der anfallenden Supportfälle.
Besonders weit fortgeschritten in Sachen Artificial Intelligence ist offenbar die ICICI Bank. Die größte indische Privatbank gilt als "Early Adopter" und hat bereits in mehr als 200 Geschäftsprozessen intelligente Softwareroboter im Einsatz. Davon betroffen sind sowohl klassische Retail-Banking-Prozesse und die Vermögensverwaltung als auch interne Abläufe im Bereich Human Resources Management. Die Softwareroboter führen den Angaben zufolge täglich mehr als eine Million Banktransaktionen aus und haben die Antwortzeiten auf Kundenfragen um bis zu 60 Prozent reduziert. Unterm Strich hätten sich Produktivität und Effizienz der Bank dadurch entscheidend verbessert. Mitarbeiter könnten mehr Zeit auf Kundenkontakte und höherwertige Services verwenden.
Künstliche Intelligenz: Neue Arbeitsplätze für höherqualifizierte Mitarbeiter
An diesem Punkt sehen die Capgemini-Experten generell erhebliches Potenzial: Der KI-Einsatz schaffe am Ende nicht weniger, sondern mehr Arbeitsplätze in den Unternehmen, folgern Sie aus den Befragungsergebnissen. Die durch KI-Technologien neu geschaffenen Jobs seien allerdings in erster Linie für erfahrene Kräfte relevant, zwei von drei Stellen würden im Führungskräfteumfeld geschaffen.
Eine weitere Erkenntnis in diesem Kontext: Mehr als 63 Prozent der Unternehmen, die KI im großen Stil implementieren, bauten damit keine Stellen ab. Sie nutzten die neuen Technologien vielmehr, um die Zeit zu reduzieren, die Mitarbeiter mit Routine- und administrativen Aufgaben zubringen. Damit könnten diese sich mehr um wertschöpfenden Tätigkeiten kümmern.
Dazu passt das Ergebnis, dass eine Mehrheit der Organisationen ihre Mitarbeiter entsprechend umschult und weiterbildet. Von den Befragten, die KI im großen Stil einsetzen, glauben ferner 89 Prozent, dass KI komplexe Arbeiten vereinfacht und intelligente Maschinen und Menschen in ihren Unternehmen künftig Seite an Seite arbeiten.
Artificial Intelligence: Telekommunikation, Handel und Banken sind KI-Vorreiter
Etablierte und stark regulierte Branchen sind laut der Studie in Sachen KI-Innovationen besonders weit. Dazu gehören vor allem die Sektoren Telekommunikation, Einzelhandel und Finanzdienstleistungen. 41 Prozent der Einzelhändler und 36 Prozent der Banken nutzen demnach bereits KI im großen Stil. Dagegen setzten Unternehmen aus der Automobil- und der Fertigungsbranche mit 26 und 20 Prozent Künstliche Intelligenz derzeit am wenigsten ein.
Künstliche Intelligenz: Indien und Australien liegen vorn
Betrachtet man die KI-Nutzung nach Regionen, liegt Indien mit einem Einsatzgrad von 58 Prozent deutlich vor Australien und Italien. Deutschland folgt auf Rang vier. Hierzulande setzen demnach bereits 42 Prozent der Unternehmen KI-Technologien in großem Stil ein. Die Vereinigten Staaten kommen dagegen nur auf einen Wert von 32 Prozent.
Die größten Hürden in KI-Projekten
Die größten Hürden beim Realisieren von KI-Projekten sehen die Befragten in mangelnden Fachkenntnissen in ihren Organisationen. Fast ebenso häufig stehen Sicherheits- und Datenschutzbedenken einem Einsatz entgegen. Mehr als 60 Prozent der KI-Verantwortlichen berichteten ferner, dass eine Mehrheit der Mitarbeiter einen Stellenabbau als Folge einschlägiger Initiativen fürchte. Weit verbreitet sei zudem der Glaube, dass das menschliche Urteilsvermögen dem einer Maschine grundsätzlich überlegen sei.
Unterm Strich, so folgern die Studienautoren, seien es im Wesentlichen kulturelle Faktoren, die einem breiten Einsatz von Künstlicher Intelligenz entgegenständen. Sie zitieren dazu Jonas Albertson, Managing Director beim schwedischen Industriekonzern Atlas Copco: "Die größte Herausforderung liegt nicht in der Technologie. Entscheidend ist das Change Management mit Blick auf die Menschen."