Technologie, Medien und Telekommunikation

Künstliche Intelligenz bewährt sich in der Praxis

27.06.2018 von Wolfgang Herrmann
Unternehmen aus der Technologie- und der Medienbranche profitieren in besonderem Maße von KI-Techniken. Sie analysieren damit große Datenmengen, automatisieren Prozesse und verbessern den Kundenkontakt.

Wer nach Beispielen für den praktischen Einsatz von künstlicher Intelligenz und Machine Learning sucht, sollte mit den Branchen Technologie, Medien und Telekommunikation beginnen. Prozesse, Märkte und ganze Geschäftsmodelle in diesen Sektoren ändern sich permanent; große Mengen an strukturierten und unstrukturierten Daten bilden häufig die Basis für neue Produkte und Services.

Eine Mehrheit der von Deloitte befragten Unternehmen aus den Bereichen Technologie, Medien und Telekommunikation sieht einen klaren Nutzen durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz.
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Drei Kernbereiche für den Einsatz künstlicher Intelligenz

Das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte hat gemeinsam mit Kunden, Anbietern und Wissenschaftlern drei Bereiche identifiziert, in denen sich der KI-Einsatz für Unternehmen aus dem TMT-Sektor (Technology, Media and Telecom) besonders lohnt. Im Kern geht es um das Automatisieren von Arbeitsprozessen, eine bessere Entscheidungsfindung sowie einen veränderten Kundenkontakt.

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Dell und die New York Times: KI automatisiert Prozesse

Künstliche Intelligenz und Machine Learning kann Unternehmen helfen, Geschäftsprozesse im Backend zu automatisieren. Damit verbunden sind in der Regel Kosteneinsparungen; Mitarbeiter werden von Routinetätigkeiten entlastet und können sich etwa auf Analyse- und Strategieaufgaben konzentrieren. Ein Beispiel aus dem Technologiesektor ist der IT-Konzern Dell. Um die vielfältigen Herausforderungen im Bereich Buchhaltung und Reporting besser in den Griff zu bekommen, entwickelten die Texaner gemeinsam mit Deloitte ein KI-gestütztes Robotic-Process-Automation-System (RPA). Reporting-Funktionen wurden damit vereinfacht, Dell konnte seine Abschlüsse in kürzerer Zeit und zu niedrigeren Kosten erledigen. Deloitte berichtet von Einsparungen, die ungefähr drei Vollzeitstellen entsprechen. Die automatisierten Prozesse will Dell als Blaupause für weitere RPA-Initiativen in anderen Unternehmensteilen nutzen.

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Wie CIOs RPA-Projekte stemmen können

Wie Künstliche Intelligenz Medienhäuser unterstützen kann, zeigt das Beispiel der New York Times. Um die zahlreichen Leserkommentare auf der Website auf Verstöße gegen interne Richtlinien zu überprüfen, setzte das Unternehmen ursprünglich 14 Moderatoren ein, die pro Tag maximal 12.000 Kommentare prüfen konnten. Die Folge: Lediglich zehn Prozent aller Artikel erschienen im Online-Auftritt mit den zugehörigen Kommentaren. Mithilfe von Jigsaw, einem Machine-Learning-Tool von Google, gelang es den Verantwortlichen, den Prüfprozess zu beschleunigen und potenziell problematische Kommentare zu kennzeichnen. Der Anteil der Artikel mit Leserkommentaren ist seitdem auf 25 Prozent gestiegen.

Auch der amerikanische Telekommunikationsanbieter ComRes Telecom profitiert von Künstlicher Intelligenz. Ein unterbrechungsfreier IT-Betrieb ist für die internationalen Kunden des Unternehmens aus Florida essenziell. Kritische Aufgaben wie die Konfiguration der IT-Systeme oder das Backup von Kundendaten erledigte der Anbieter lange Zeit manuell. Mehr als die Hälfte der IT-Mannschaft war damit beschäftigt. Eine KI-basierte Automatisierungslösung erledigt heute einen Großteil solcher Aufgaben, die manuellen Arbeiten schrumpften auf einen Bruchteil des bisherigen Aufwands. ComRes berichtet zudem von einer erheblich verbesserten Zuverlässigkeit der IT insgesamt.

Künstliche Intelligenz verbessert Entscheidungen

Mit intelligenten und selbstlernenden Systemen können Unternehmen nicht nur die anschwellenden Datenberge besser verwalten, sondern daraus Erkenntnisse und Handlungsoptionen in Echtzeit ableiten. So lässt sich beispielsweise das wahrscheinliche Verhalten eines Kunden oder auch Lieferanten anhand vieler Parameter antizipieren. Amazon Web Services (AWS) etwa setzt schon seit längerem Machine-Learning-Techniken ein, um die Auftragsentwicklung bei der Muttergesellschaft Amazon genauer analysieren und vorhersagen zu können.

Amazon Web Services (AWS) nutzt Machine-Learning-Techniken, um die Auftragsentwicklung bei der Muttergesellschaft Amazon genauer analysieren und vorhersagen zu können.
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Das führt beispielsweise dazu, dass in Zeiten schwächerer Nachfrage weniger IT-Ressourcen eingesetzt werden und der Online-Händler andererseits auch nicht von einem plötzlichen Anziehen des Geschäfts überrascht wird. Den Angaben zufolge nimmt das Machine-Learning-System auch kleinste Signale wie etwa die Verlängerung eines Sonderangebots für ein Produkt wahr, die selbst erfahrene Mitarbeiter übersehen würden.

In der Medienbranche gehört unter anderem der Disney-Konzern zu den frühen KI-Nutzern. Zwar kann auch künstliche Intelligenz nicht vorhersagen, ob ein aufwändig produzierter Film zum Blockbuster oder zum Flop gerät. Doch Disney arbeitet daran, seine Informationsbasis zu verbreitern und setzt dazu beispielsweise Deep-Learning-Algorithmen und Gesichts-Scanner ein. Damit ausgestattet überwacht ein System in einem Testszenario die Emotionen von Filmkonsumenten in Echtzeit. Die Software liefert damit auch ein Beispiel für Big Data in der Praxis: Angewandt auf mehrere tausend Testsubjekte generierte sie mehr als 16 Millionen Datenpunkte, die Disney für weitergehende Analysen nutzen kann.

Machine Learning im Kundenkontakt

Mit der Vielzahl mobiler Endgeräte und Social-Media-Kanäle verändert sich für Unternehmen auch die Art und Weise, wie sie mit Kunden und Partnern interagieren. Wer das sogenannte "Customer Engagement" intensivieren will, setzt auf Recommendation Engines. Mithilfe intelligenter Algorithmen spielen sie Kunden individuelle Angebote und Werbung aus. Hinzu kommen immer öfter auch Chatbots, die künstliche Intelligenz zur Sprachverarbeitung und Texterkennung nutzen, um auf diese Weise beispielsweise den Kundenservice zu verbessern.

Ein prominentes Beispiel ist Netflix. Der Streaming-Anbieter arbeitet kontinuierlich daran, sein Empfehlungssystem zu verbessern und so die Zahl abwandernder Kunden zu reduzieren. Eine neue entwickelte KI-gestützte Recommendation-Lösung gibt Kunden selbständig Empfehlungen aus dem riesigen Film- und Serienangebot. Der wirtschaftliche Erfolg allein dieser Maßnahme entspricht nach Angaben von Netflix einem jährlichen Umsatzvolumen von einer Milliarde Dollar.

Chatbot erledigt Kundenanfragen

Welchen Nutzen intelligente Chatbots bringen können, zeigt Ticketbis, ein zum eBay-Konzern gehörender Online-Service, auf dem Kunden ihre Tickets für Sport- und Kulturveranstaltungen weiterverkaufen können. Das rasante Wachstum der Website führte schnell zu Problemen im Kundenservice. Gemeinsam mit dem kalifornischen KI-Spezialisten Inbenta entwickelte Ticketbis einen Chatbot, der Kunden in einem Self-Service-Prozess bei Transaktionen und Anfragen unterstützt. Mithilfe von Natural Language Processing nehmen Kunden über ein animiertes Hilfe-Fenster Kontakt mit dem Bot auf. Den Angaben zufolge ist das System "smart" genug, um zu wissen, wann es einen Fall an einen realen, sprich menschlichen Kundenbetreuer übergibt. Inzwischen soll der Chatbot so ausgereift sein, dass Ticketbis 85 Prozent seiner Kundenanfragen darüber abwickeln könne.

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Auch der Telekommunikationskonzern Vodafone nutzt intelligente Assistenten im Kundenservice. Eine KI-Initiative verlieh dem bereits aktiven Chatbot "TOBi" zusätzliche Fähigkeiten. Kunden können sich damit etwa per Stimmerkennung bei Anfragen authentifizieren, die sonst üblichen Sicherheitsfragen etwa nach dem Geburtsdatum oder dem Mädchenamen der Mutter entfallen. Vodafone arbeitet zudem daran, die Wissensbasis des Bots zu verbreitern. So beherrscht der smarte Assistent mittlerweile auch komplexe technische Themen und kann beispielsweise detaillierte Fragen zu geltenden Roaming-Regelungen beantworten.

Studie belegt praktischen Nutzen von KI

Im Rahmen der Studie "Technology, media, and telecom get smarter" befragte Deloitte "Early Adopters" aus unterschiedlichen Branchen zu ihren ersten Erfahrungen mit künstlicher Intelligenz. 40 Prozent der Teilnehmer aus dem Bereich "Technology, Media and Telecom" (TMT) gaben an, bereits substanziell von KI-Technologien zu profitierten. Der Wert liegt 14 Prozentpunkte über dem Durchschnitt anderer Branchen. Weitere 50 Prozent der TMT-Unternehmen und 54 Prozent aus anderen Branchen sehen einen eher moderaten Nutzen. Noch gar keinen Vorteil können lediglich zehn Prozent aus dem TMT-Sektor sowie 18 Prozent aus anderen Industrien erkennen.

KI treibt die digitale Transformation voran

In der Erhebung wird auch die strategische Bedeutung von KI-Technologien deutlich: So erklärten 57 Prozent der TMT-Vertreter, KI-Tools seien elementar für die eigene Strategie, 46 Prozent setzten sie für die Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen ein. 43 Prozent versprechen sich einen Wettbewerbsvorteil und mehr als drei Viertel erwarten als Folge des KI-Einsatzes eine Transformation des kompletten Unternehmens innerhalb der nächsten drei Jahre.

Für 40 Prozent der Unternehmen aus dem TMT-Sektor sind intelligente Technologien vor allem in der Produktentwicklung relevant. In anderen Industriebereichen liegt der Wert nur bei 29 Prozent. Das dürfte auch daran liegen, dass die Tech-Unternehmen solche Lösungen zum Teil selber entwickeln und über das erforderliche Know-how verfügen.