IT-Projekte finanzieren

Factoring macht offene Forderungen zu Bargeld

08.10.2008 von Renate Oettinger
Wegen der internationalen Finanzkrise wird es für Firmen immer schwieriger an Finanzmitteln zu kommen. Doch für die Finanzierung neuer IT-Projekte sowie die Produktentwicklung benötigen sie dringend Fremdkapital. Weil bei den Hausbanken das Geld nicht mehr so locker sitzt, sehen sie sich verstärkt nach Alternativen zum klassischen Bankkredit um. Factoring ist ein Weg offene Forderungen in flüssiges Kapital umzumünzen.

Factoring heißt ins Deutsche übertragen Forderungszession. Diese Art der Unternehmensfinanzierung hat ihren Ursprung in den Vereinigten Staaten und ist eine Finanzdienstleistung, die der kurzfristigen Finanzierung dient. Sie ist eine Alternative zum klassischen Bankdarlehen, Online-Krediten oder Mikrokrediten darstellt. Sie eignet sich also vor allem für Firmen, die Geldmittel für einen überschaubaren Zeitraum brauchen, beispielsweise für die Finanzierung von IT-Projekten.

Serie: Finanzierungsmodelle für den Mittelstand

Teil 1: "Günstige Online-Kredite statt Hausbank"

Teil 2: "Mikrokredite fördern das Gewerbe"

Teil 3: "Factoring macht offene Forderungen zu Bargeld"

Teil 4: "Heuschrecken beteiligen sich mit Fremdkapital"

Teil 5: "Mezzanine-Finanzierung spült Eigenkapital in die Kasse"

Teil 6: "Leasing boomt sich an die Kredit-Spitze"

Liquidität durch Abtretung offener Forderungen

Hinter der Darlehensform Factoring steck folgendes Prinzip: Ein Finanzdienstleister, der sogenannte Factor oder auch Factoring-Gesellschaft genannt, erwirbt die Forderungen seines Factoring-Kunden gegen dessen Abnehmer, den Debitor. Der Factoring-Kunde tritt seine Forderungen also an den Factor ab, das heißt, dieser wird Inhaber der Forderung. Als Gegenleistung erhält der Kunde umgehend den Forderungskaufpreis. Dieser entspricht dem Betrag der Forderung abzüglich eines Abschlags (Diskont) für die Leistungen, die der Factor erbringt, also Finanzierung, Delkredererisiko (Forderungsausfallrisiko) und Debitoren-Management. Veranschaulicht durch ein Beispiel heißt das: Ein Unternehmen (Factoring-Kunde) hat für einen Auftraggeber (Debitor) ein Projekt realisiert oder eine Dienstleistung erbracht, dafür aber noch keine Bezahlung erhalten. Der Gläubiger tritt nun im Falle des Factoring seine Forderung gegenüber dem Debitor an den Factor ab und erhält von der Factoring-Gesellschaft den offen Forderungsbetrag abzüglich des Diskont.

Factoring-Form bestimmt Ausfallrisiko

Man unterscheidet verschiedene Factoring-Formen: nach dem Leistungsumfang, nach der Art der Forderungsabtretung und Sonderformen.

Differenziert man nach dem Leistungsumfang, lassen sich zum Ersten echtes und unechtes Factoring unterscheiden. Beim "echten Factoring" übernimmt der Factor das Delkredererisiko, beim "unechten Factoring" nicht. In Deutschland wird überwiegend echtes Factoring praktiziert. Zum Zweiten gibt es das "Fälligkeits-Factoring", auch "Maturity Factoring" genannt. Bei dieser Variante nutzt der Factoring-Kunde also die Vorteile der vollständigen Risikoabsicherung und der Entlastung beim Debitoren-Management, verzichtet aber auf die sofortige Zahlung des Kaufpreises. Zum Dritten kann sich der Kunde für das "Eigenservice-Factoring" entscheiden, auch "Bulk Factoring" oder "Inhouse Factoring" genannt. Hier übernimmt der Forderungsinhaber zwar das Delkredererisiko, schränkt die Dienstleistungen aber stark ein: Die Debitorenbuchhaltung einschließlich Mahnwesen verbleibt beim Factoring-Kunden. Mit dem Einzug der Forderung wird der Factor lediglich nach Abschluss des außergerichtlichen Mahnverfahrens beauftragt.

Der Schuldner muss nicht alles wissen

Differenziert man nach der Art der Forderungsabtretung, kann man offenes, stilles und halb-offenes Factoring unterscheiden. Beim "offenen Factoring" wird der Schuldner (Debitor) darüber informiert, dass die Forderung gegen ihn abgetreten wurde; Zahlungen auf die Forderung mit schuldbefreiender Wirkung sind folglich nur an den Factor möglich. Anders beim "stillen Factoring": Hier wird der Schuldner nicht über die Forderungsabtretung informiert; diese bleibt für ihn unsichtbar. Die Forderung kann folglich nicht verifiziert werden. Hierin liegt ein nicht zu unterschätzendes Risiko für den Forderungsinhaber: Der Kunde könnte ihm in betrügerischer Absicht nicht existente Forderungen zum Kauf anbieten. Um dieses Risiko zu begrenzen, arbeitet ein Factor beim stillen Verfahren nur mit erstklassigen Kunden zusammen. Ein Kompromiss aus offener und stiller Forderungsabtretung ist das "halb-offene Factoring". Hier wird der Schuldner zwar nicht über die Forderungsabtretung informiert, aber man nennt ihm ein Zahlkonto beziehungsweise eine Bankverbindung des Factors, an die er zu zahlen hat. Damit wird sichergestellt, dass die Zahlung möglichst direkt den Forderungsinhaber erreicht.

Einzel-Factoring deckt kurzfristigen Kapitalbedarf

Zu den Sonderformen der Forderungsabtretung zählen das Einzel-Factoring und das Reverse-Factoring. Beim Einzel-Factoring werden einzelne Forderungen verkauft. Diese Finanzierungsvariante ist vor allem für Firmen mit Projekttätigkeit interessant, weil sie auf diese Weise den kurzfristig entstehenden Kapitalbedarf decken können. Die Vorteile für das Unternehmen liegen auf der Hand: Geschäftsgrundlage beim Verkauf einzelner Forderungen ist ein unverbindlicher und kostenfreier Kooperationsvertrag - die Firma entscheidet selbst, welche Forderung sie verkaufen möchte, und es entstehen keine Fixkosten. Der Forderungsbetrag wird innerhalb kurzer Zeit überwiesen, was die Liquidität der Firma verbessert. Das Forderungsausfallrisiko und die Übernahme des Inkassos übernimmt der Factor; diese Leistungen sind in seinen Gebühren enthalten. Das Eigenkapital, das vorher in den Forderungen gebunden war, wird freigesetzt und steht dem Factoring-Kunden völlig frei sowie verwendungsunabhängig zur Verfügung - ideale Rahmenbedingungen für das Projektgeschäft. Alles in allem stellt Einzel-Factoring eine Finanzierungsalternative dar, die flexibel und kostengünstig ist und die Firma weitgehend unabhängig von Dritten macht.

Reverse-Factoring verlängert das Zahlungsziel

Auch das Reverse-Factoring ist eine für Mittelständler interessante Finanzierungsalternative. Bei dieser Factoring-Variante handelt es sich, wie der Name schon sagt, um ein "umgekehrtes" Factoring: Während beim "normalen" Factoring der Finanzdienstleister von seinem Klienten Forderungen gegenüber deren Abnehmern ankauft und vorfinanziert, zielt Reverse-Factoring auf den Fall ab, dass ein Unternehmen an einen Abnehmer ein Produkt oder eine Dienstleistung, beispielsweise im Rahmen eines IT-Projekts, verkauft, also Lieferant ist. Initiator beim Reverse-Factoring ist der Abnehmer, der auf diese Weise ein längeres Zahlungsziel erhält. Er schließt mit dem Factor einen Rahmenvertrag ab, in dem sich dieser verpflichtet, die Forderungen des Lieferanten, also der IT-Firma, vorzufinanzieren. IT-Firma und Finanzdienstleister schließen einen ergänzenden Vertrag, der lediglich die Forderungen gegenüber dem Abnehmer umfasst. Die Factoring-Gesellschaft überweist den Betrag sofort bei Erhalt oder bei Fälligkeit der Rechnung an den Lieferanten. Auch beim Reverse-Factoring besteht die Möglichkeit, dass der Finanzdienstleister das Forderungsausfallrisiko übernimmt.

Factoring lohnt sich im Auslandsgeschäft

Besonders vorteilhaft ist das umgekehrte Factoring für Firmen, die grenzüberschreitend tätig sind, also an Kunden im Ausland Produkte liefern oder für sie Dienstleistungen erbringen. Internationales Reverse-Factoring stellt mittlerweile ein bedeutendes Zahlungsinstrument im Außenhandel dar und hat teilweise das Akkreditiv (Letter of Credit) verdrängt, weil es die einfachere und zeitsparendere Methode ist. Sinnvoll ist es speziell in den Fällen, in denen der Initiator - also der Kunde der leistungserbringenden Firma, in diesem Fall der ausländische Importeur des Produkt oder der Dienstleistung - aus einem Land kommt, in dem traditionell sehr lange Zahlungsziele eingeräumt werden, die der deutsche Lieferant nicht akzeptieren kann, weil hierzulande andere Geschäftsgepflogenheiten herrschen. Ein Beispiel ist die Lieferung eines Produkts oder einer Dienstleistung eines deutschen Unternehmens an einen Kunden in Spanien, einem Land, in dem drei bis sechs Monate Zahlungsziel üblich sind. Beim Reverse-Factoring kann der deutsche Lieferant wählen, ob er der Zusage der im Ausland (Einfuhrland) angesiedelten Factoring-Gesellschaft vertrauen möchte oder es vorzieht, ein auf die Factoring-Gesellschaft bezogenes Wertpapier zu erhalten, das er bei einer beliebigen Bank in Deutschland einlösen kann. Hier wird dem sicheren Weg auf jeden Fall der Vorzug gegeben werden.