Bitkom-Konferenz hub.berlin

Digitalisieren in Zeitlupe

11.04.2019 von Martin Bayer
Deutsche Unternehmen wissen zwar, wie wichtig große Schritte im digitalen Umbau wären, doch oft fehlt ihnen die Entschlossenheit, wie eine Umfrage des ITK-Verbands Bitkom gezeigt hat. Vor allem in Sachen künstliche Intelligenz (KI) gebe es viele Diskussionen und wenige Taten.

"Die Digitalisierung ist nicht neu und sie geht auch nicht vorüber", sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. Er gab zu, dass ihn die Ergebnisse der aktuellen Digitalisierungsumfrage etwas ratlos machten. Zwar sei zu spüren, dass die Wirtschaft erkenne, was die Stunde geschlagen hat. Immerhin spürten immer mehr Betriebe einen steigenden Wettbewerbsdruck durch besser digitalisierte Wettbewerbsangebote. Außerdem schwinde die Angst.

Nur noch zwölf Prozent der über 600 befragten Firmen gaben an, sich durch digitale Technologien in ihrer Existenz bedroht zu fühlen. Vor einem Jahr hegte noch jede vierte Firma diese Befürchtung. Immer mehr Unternehmen würden zudem digitale Produkte und Services anbieten (53 Prozent), ihr bestehendes Angebot überarbeiten (72 Prozent) oder nicht mehr zeitgemäße Erzeugnisse vom Markt nehmen.

Impressionen von der hub.berlin
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Auch sehen neun von zehn Geschäftsführer in der Digitalisierung mehr Chance als Risiko. Die Rate der Skeptiker ist auf sieben Prozent geschrumpft. Umso irritierter zeigte sich Berg angesichts anderer Ergebnisse der Bitkom-Umfrage. Nur 15 Prozent der Befragten haben einen Digital-Verantwortlichen, zum Beispiel einen Chief Digital Officer (CDO) oder einen Leiter Digitalisierung, eingesetzt.

Jeder vierte Betrieb (26 Prozent) hat noch immer keinen konkreten Plan, wie der digitale Wandel für das eigene Unternehmen aussehen soll. Und über eine zentrale unternehmensweite Digitalstrategie verfügt nur jedes dritte Unternehmen (33 Prozent). Lediglich 22 Prozent wollen im laufenden Jahr gezielt in die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle investieren. "Keine personelle Verantwortung, keine Zeit, kein Geld - so macht man keine Digitalisierungsstrategie", lautet das Fazit des Bitkom-Sprechers.

Technik ist wichtig, aber…

Der Bitkom ist die Interessenvertretung der Digitalwirtschaft. So verwundert es nicht, dass die Verantwortlichen den Einsatz neuer Technologien empfehlen. Viele Anwender wüssten das, doch es folgten keine Taten. So sprechen jeweils rund 80 Prozent der Unternehmen Big Data und dem Internet of Things eine große Bedeutung zu. Immerhin zwei Drittel sehen das genauso für 3D-Druck sowie Virtual und Augmented Reality. Rund sechs von zehn Unternehmen halten KI (60 Prozent), Blockchain (59 Prozent) und autonome Fahrzeuge (57 Prozent) für wichtig.

Laut Bitkom wird aber nicht entsprechend investiert. Der Prozentsatz derer, die Big Data nutzen, dessen Einsatz planen oder zumindest darüber diskutieren, liegt nicht bei 80, sondern nur bei 59 Prozent. Ähnlich verhält es sich mit den anderen Technologien, Internet of Things (44 Prozent), 3D-Druck (43 Prozent) sowie Virtual und Augmented Reality (32 Prozent).

Abgeschlagen rangieren autonome Fahrzeuge (17 Prozent), KI (zwölf Prozent) und Blockchain (6 Prozent) auf den hinteren Plätzen im Technik-Ranking. "Wenn man an die Bedeutung von KI als Querschnitts- und Schlüsseltechnologie denkt und an die Chancen, die eine junge Technologie wie Blockchain bieten kann, dann muss diese Zurückhaltung verwundern", klagte Berg. Verglichen zum Vorjahr gebe es bei KI und Blockchain trotz der größeren Sichtbarkeit dieser Themen keine stärkere Resonanz in den Unternehmen.

Das Thema KI stand auf der hub.berlin und dem BigData.AI Summit des Bitkom im Mittelpunkt vieler Diskussionen. Über 5000 Vertreter der hiesigen IT- und Digitalwirtschaft trafen sich in der Hauptstadt, um über die aktuellen technischen Entwicklungen sowie die Rahmenbedingungen rund um Zukunftstechnologien und Digitalisierung zu diskutieren.

Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung betonte gleich zu Beginn ihrer Rede die Risiken künstlicher Intelligenz. Als Beispiel führte die CDU-Politikerin Fehler bei der Bild- und Gesichtserkennung an, wenn beispielsweise der Algorithmus männliche und weibliche Gesichter verwechsele. "Die Technik entlässt den Menschen nicht aus seiner Verantwortung", betonte die Ministerin. KI könne schließlich nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden. Letztlich müsse die Technik immer dem Menschen dienen.

KI sichert deutschen Wohlstand

Trotz dieser Warnung betonte Karliczek die Bedeutung von KI für den deutschen Wirtschaftsstandort. Die Technologie werde helfen, den Wohlstand hierzulande zu sichern. Die Ministerin verwies in diesem Zusammenhang auf die KI-Strategie der Bundesregierung. KI müsse in Industrieanwendungen verankert und die Technik besser vermarktet werden. Karliczek kündigte an, gemeinsam mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier Anwendungs-Hubs zu initiieren, beispielsweise für Medizin, Mobilität und Industrie 4.0.

Darüber hinaus will die Ministerin die Forschung intensivieren. Deutschland verfüge über exzellentes Knowhow in Sachen KI, zum Beispiel im DFKI. Jetzt gehe es auch darum, Spitzenforscher zu entwickeln und diese weltweit sichtbar zu machen. Darüber hinaus sollen mehr Talente ins Land geholt werden. "Wir wollen Deutschland zum führenden Standort für KI machen", kündigte Karliczek an.

Die Schaffung von 100 neuen Professuren für KI ist bereits beschlossen. Außerdem will die Bundesregierung bis 2025 drei Milliarden Euro in die KI-Forschung stecken. Dieser Posten sei trotz knapp werdender Mittel von Finanzminister Olaf Scholz bereits genehmigt, versicherte die Politikerin. "Investitionen in KI sind gute Investitionen in die Zukunft."

Als Politikerin sieht sich Karliczek in der Verantwortung, die richtigen Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung der Technologie abzustecken. KI bedeute auch eine Anstrengung für die Gesellschaft. Gerade im aktuellen Wissenschaftsjahr zum Thema KI gelte es zu zeigen, "was KI kann und was nicht".

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"Die nationale KI-Strategie kann ein Hebel sein, dieses Bewusstsein weiter zu entwickeln", sagte Bitkom-Präsident Berg, warnte aber auch: "Damit dies gelingt, müssen wir bei der Umsetzung vorankommen und dürfen uns nicht in politischen Klein-Klein-Diskussionen und Etatstreits verlieren." Von einer Einmischung der Politik hält der Lobbyverband wenig.

Mit Blick auf die Diskussion über eine neue nationale Industriestrategie forderte Berg eine digital-industriepolitische Flankierung der traditionell ordnungspolitisch orientierten deutschen Wirtschaftspolitik. "Wir verstehen Industriepolitik weder interventionistisch noch protektionistisch", so Berg. "Aus unserer Sicht brauchen wir keinen Staat, der den Unternehmen sagt, was sie tun sollen und sich in ihre Entscheidungen einmischt."

Auch Katrin Suder, Vorsitzende des Digitalrats, der die Bundesregierung in Sachen Digitalisierung berät, forderte, dass Barrieren durch Gesetze abgebaut werden müssten. Es brauche eine Industriepolitik wie mit bestimmten Technologien umzugehen sei, sowie klare Botschaften zu Cloud, AI und Cyber-Security, sagte die studierte Physikerin. Suder räumte ein, dass dies schwierig sei, weil neben einer deutschen auch eine europäische sowie eine globale Perspektive zu berücksichtigen sei.

Telekom-Chef Höttges beklagt verlorene Jahre

Timotheus Höttges, Chef der Deutschen Telekom, warnte auf der Bitkom-Konferenz offen davor, dass Deutschland und Europa im globalen Wettbewerb zwischen den USA und China aufgerieben werde könnten. Nationen wie China investierten Milliarden in Schlüsseltechnologien. Europa dagegen habe sich in den vergangenen drei Jahren mit internen Problemen, Flüchtlingsfragen und Nationalismus beschäftigt. Keiner habe sich über die Wettbewerbsfähigkeit Gedanken gemacht. "Das waren drei verlorene Jahre", so Höttges. "Wenn wir so weitermachen, werden wir weiter zurückfallen."

Der Telekom-Chef plädierte dafür, Ökosysteme zu schaffen, damit Europa global wettbewerbsfähig bleibe. Mehr Regulierung helfe an dieser Stelle nicht weiter. Wichtiger sei es, größer zu denken. Europäische Champions müssten entstehen, die den großen Konzernen in den USA und Asien Paroli bieten könnten. Die fragmentierten europäischen Märkte mit ihren vielen Playern stünden dem jedoch im Wege. "Wir müssen Europa noch stärker als zusammenhängende Markt definieren."

Von der Politik verlangte Höttges mehr Unterstützung. Dazu zählten Steuererleichterungen für Forschung und Entwicklung sowie für Investitionen in neue Techniken und Startups. Über die aktuell laufende Auktion der 5G-Frequenzen, die gerade die Fünf-Milliarden-Euro-Grenze durchbrochen hat, beklagte sich der Telekom-CEO bitterlich. "Das ist ein Skandal." Für das Geld hätten sich weit über 20.000 Sendemasten aufstellen lassen. Geld, das nun beim Netzausbau fehle. "Man kann den Euro nur einmal ausgeben."

Wake-up-Call für mehr Umweltschutz

Höttges nahm sich noch eines weiteren aktuellen Themas an: Die "Fridays-for-Future"-Proteste der Schüler in ganz Europa seien eine schallende Ohrfeige für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Telekom-Chef sprach von einem Wake-up-Call und kündigte an, dass sein Konzern bis 2030 seine CO2-Emissionen um 90 Prozent senken werde. Ab 2021 wolle man den eigenen Energiebedarf aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Zudem soll der Plastikverbrauch bei der Telekom massiv verringert werden.

Während über das Für und Wider der richtigen Industrie- und Technologiepolitik gestritten wurde, machte die hub.berlin-Konferenz aber auch deutlich, dass sich etliche Unternehmen bereits auf den Weg der Digitalisierung begeben haben. Ein Beispiel ist der Werkzeugmaschinenbauer Trumpf, der derzeit Machine-Learning-Lösungen entwickelt und sein Portfolio neu aufstellen will. "Wie bekommt man die neue Denke in ein Unternehmen, dem es sehr gut geht", fragte Julia Duwe, Forschungsleiterin und Chief Agile Manager bei Trumpf, in die Runde. Für Trumpf bedeute das, nicht einfach nur mehr Maschinen zu verkaufen, sondern Lösungen für die Produktionsprozesse der Kunden zu finden - und das End-to-End.

Trumpf beginnt, seine Maschinen mit Sensoren auszurüsten. Darüber hinaus gebe es aber noch das traditionelle Geschäft, mahnt Duwe. Beide Seiten ließen sich nicht voneinander trennen. Das sieht auch Nandani Lynton so, Chief Transformation Officer für die Bereiche Digitales und Service in der Gas- und Energiesparte von Siemens. Auch hier gebe es nach wie vor viel Legacy. Der Lebenszyklus solcher Anlagen umfasse mehrere Jahrzehnte. Lynton sieht es in erster Linie als Führungsaufgabe, in so einem Umfeld Visionen für eine digitalisierte Zukunft zu entwickeln. Märkte und das eigene Geschäft müssten kontinuierlich beobachtet und neu justiert werden.

Startups als Digitalisierungs-Katalysator

Um den Digitalisierungsmotor in Gang zu kriegen, setzt die deutsche Wirtschaft auch auf Startups. So kann die 2017 gestartete Hub-Initiative der Bundesregierung erste Erfolge vorweisen. In den zwölf Standorten haben sich mittlerweile rund 450 Startups sowie rund 200 Unternehmen und etwa 100 Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen.

"Wir sind in Deutschland nicht die schnellsten und risikofreudigsten", bremste indes Janina Kugel, Chief Human Resources Manager bei Siemens, die Euphorie. Christian Piechnick, Mitbegründer und CEO von Wandelbots, konnte das nur bestätigen. Der Gründer, dessen Unternehmen sich auf Lösungen für das Anlernen von Robotern spezialisiert hat, berichtet von seinen Erfahrungen in Gesprächen mit größeren Unternehmen. Während man in Deutschland über Monate vertröstet werde, würden chinesische Unternehmen am liebsten sofort mit Pilotprojekten loslegen. "Das ist eine ganz andere Geschwindigkeit", konstatierte Piechnick.

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