Interview Jürgen Kunz, Oracle

Die Zukunft gehört den integrierten Systemen

18.07.2013 von Martin Bayer
Oracles Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Kunz erläutert im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE, wie Anwender auf die zunehmende Komplexität in ihrer IT reagieren können und welche Rolle die Themen wie Big Data und die Cloud künftig spielen werden.

CW: Das vierte Quartal ihres letzten Geschäftsjahres 2013, das zum 31. Mai endete, enttäuschte die Analysten und Anleger. Sind die Geschäfte so schlecht gelaufen?

Kunz: Ob wir mit einem Prozent Wachstum die Erwartungen der Analysten erfüllt haben, steht auf einem anderen Blatt. Wir sind damit am unteren Ende der Erwartungen geblieben, das ist richtig. Wenn man die Rahmenbedingungen, insbesondere in einigen Staaten Europas sieht, ist es nicht verwunderlich, dass dort die Investitionen rückläufig sind. Vor dem Hintergrund bin ich sehr zufrieden. Wir konnten erneut in allen wichtigen Segmenten wachsen, insbesondere - und das spricht für die Strategie von Oracle - in den Bereichen Engineered Systems und Cloud, aber auch bei klassischen Software-Lizenzen. Im Hardware-Geschäft haben wir allerdings immer noch eine spezielle Situation.

Oracles Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Kunz erläutert im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE, wie Anwender auf die zunehmende Komplexität in ihrer IT reagieren können und welche Rolle die Themen wie Big Data und die Cloud künftig spielen werden.
Foto: Oracle

CW: Was meinen Sie, wenn Sie von einer speziellen Situation im Hardware-Bereich sprechen?

Kunz: Wir befinden uns momentan auf einer Gratwanderung. Da sind auf der einen Seite die Engineered Systems, was ein komplett neues Konzept ist. An dieser Stelle sind wir mehr als zufrieden. Auf der anderen Seite haben wir das ‚normale‘ Portfolio wie die M-Series oder T-Series, die auch weiterentwickelt werden wollen. Das ist jetzt passiert und ich denke, mit dem neuen Prozessor T5 wird es neuen Schwung geben. Hier haben wir einen neuen Meilenstein gesetzt. Die Performance-Werte sind sicher beeindruckend. Das gilt es, jetzt aber auch erst einmal im Markt zu positionieren. Es sind schließlich komplett neue Maschinen und es dauert einfach, bis die entsprechenden Abschlüsse da sind.

CW: Rechnet sich die Sparc-Entwicklung denn noch? Wie Sie selbst sagten, scheint der Aufwand ja nicht unerheblich?

Kunz: Wir spüren aus unserer Kundenbasis heraus nach wie vor eine hohe Nachfrage nach diesen Systemen.

CW: Damit meinen Sie ja wohl Ersatzgeschäft. Gibt es denn auch Neukunden in diesem Segment?

Kunz: Ja absolut - mit den SPARC-T5-Servern bieten wir so ein attraktives Preis-Performance-Verhältnis, dass Kunden durchaus überlegen, von x86 zurück zu migrieren. Außerdem gibt es Kunden, die ihre Plattformen erweitern und ausbauen. Ich höre jedenfalls keine kritischen Stimmen, die behaupten, diese Plattform sei irgendwann einmal obsolet - im Gegenteil.

Die Zukunft liegt in integrierten vertikalisierten Systemen

CW: Welchen Stellenwert hat für Oracle das Geschäft mit den x86-Standard-Servern?

Kunz: Lassen Sie mich hier ein bisschen weiter ausholen. Viele unserer Kunden haben in den vergangenen Jahren einen Best-of-Breed-Ansatz verfolgt - sowohl auf der Applikations- wie auf der Infrastrukturebene. An dieser Stelle hat sich jedoch eine hohe Komplexität entwickelt. Die ließ sich zwar teilweise mit Hilfe von Virtualisierung auflösen. Aber das geht nur bis zu einem gewissen Grad. In gewisser Weise sind diese Plattformen, flapsig gesagt, ausgelutscht und skalieren nicht mehr.

Was sind nun die Herausforderungen, diese Komplexität zu reduzieren? Das sind zum Beispiel die wachsenden Datenmengen im Zuge von Big Data. Hier wächst der Druck, sich von diesem horizontalen in einen vertikalen Stack zu begeben. Wenn man das auf eine technische Ebene herunterbricht, sind das integrierte Engineered Systems. Das ist die Zukunft.

Sicher gibt es auch Potenzial für Up- und Cross-Selling in den horizontalen Landschaften. Die werden schließlich nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden. Aber die Zukunft ist sicher in integrierten vertikalisierten Systemen zu sehen. Das sind andere Plattformen - das ist nicht x86.

CW: Mit diesen integrierten Systemen begeben sich die Anwender aber auch in eine gewisse Abhängigkeit von einem Hersteller?

Kunz: Ich habe diesen Einwand ausgiebig mit CIOs diskutiert. Deren Fazit lautet: Am Ende des Tages bin ich von allem möglichen abhängig. Im Grunde sind ganz andere Ziele ausschlaggebend, wie zum Beispiel die Komplexität in den Griff zu bekommen und mehr Freiraum für Innovationen zu haben - dann gehen die Verantwortlichen gerne diese Abhängigkeit ein. Eigentlich ist diese Abhängigkeit auch gar nicht gegeben. Wenn Sie sich in einer offenen Architektur bewegen, wie das bei Oracle der Fall ist, gibt es jederzeit die Möglichkeit, Konstellationen zu ändern.

85 Prozent der IT-Budgets fließen in den Betrieb

CW: Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Herausforderungen für die Anwenderunternehmen?

Kunz: An der Reduktion der Komplexität zu arbeiten, und auf der anderen Seite genug Freiraum zu schaffen, um innovative Geschäftsmodelle und Veränderungen in den Geschäftsprozessen zu begleiten. Es ist nach wie vor erschreckend, wie die IT-Budgets investiert werden: Die Zahlen einer Gartner-Studie sind seit sieben oder acht Jahren im Grunde unverändert. Über 85 Prozent der Budgets fließen in den Unterhalt und die Pflege der bestehenden Systeme und nur etwa 15 Prozent in neue Projekte. Diese Systeme sind teilweise Jahrzehnte alt. Es ist Aufgabe von beiden Seiten, Industrie und Kunden, sicherzustellen, dass die Gelder umverteilt werden und der Betrieb so effizient und schlank wie möglich funktioniert. Das geht nur, wenn man sich in diesen integrierten Stack hineinbewegt. Das wird sicher nicht von einem Tag auf den anderen passieren, aber schrittweise.

CW: Viele andere Anbieter haben diese Idee auch aufgegriffen und bauen integrierte Systeme …

Kunz: Das bestätigt uns natürlich, weil wir damit angefangen haben.

CW: Moment - Cisco hat 2009 mit EMC und VMware die ersten Komplettsysteme herausgebracht, und dann kamen erst die großen IT-Anbieter, wenn ich mich richtig erinnere.

Kunz: Aber es ist schon ein Unterschied, ob ich ein integriertes System von der Festplatte bis zur Applikation baue oder ob ich eine vorkonfigurierte Maschine in einem Netzwerkumfeld anbiete. Das ist eine andere Dimension.

CW: Grundsätzlich verfolgen alle großen IT-Anbieter ähnliche Konzepte mit Komplettsystemen. Wie kann Oracle hier im Wettbewerb punkten?

Kunz: Es ist entscheidend, welche Varianten sich realisieren lassen. Unsere Systeme sind ein Beleg dafür, wie breit unsere Produktpalette ausgelegt ist. Natürlich ist es unrealistisch zu sagen, jeder Kunde macht von jetzt an nur noch in rot. Aber wir bieten für bestimmte Bereiche Konfigurationen, mit denen sich Optimierungen erzielen lassen. Deswegen haben wir auch unser Exa-Portfolio in verschiedene Bereiche wie "Exadata", "Exalytics" und "Exalogic" unterteilt. Wenn es um die Infrastrukturebene geht, reden wir über Exadata. Wenn es darum geht, Middleware zu konsolidieren, kommt Exalogic ins Spiel. Wenn es sich um Analytics und das Data Warehouse dreht, können Kunden auf Exalytics zurückgreifen. Wir können uns schrittweise in so eine Konsolidierung hineinbewegen, ohne dem Kunden zu sagen: Schmeiß alles weg, was du im Einsatz hast.

Das ist der Vorteil bei einer Exa-Plattform: Sie dient auf der einen Seite dazu, die Performance in den einzelnen Applikationen sicherzustellen, aber auch auf der anderen Seite eine Konsolidierung im Infrastrukturbereich zu erzielen. Dabei eignet sich die Exa-Plattform für alle Umgebungen, ob das nun eine Oracle-Anwendung ist, eine SAP-Applikation oder eine Eigenentwicklung. Damit sprechen wir hier über einen wirklichen Plattformgedanken und nicht über isolierte Stacks. Das macht einen gewaltigen Unterschied. Damit lassen sich Kosteneinsparungen erzielen und gleichzeitig der Betrieb hoch-performanter Plattformen sicherstellen. Und das in unterschiedlichen Konstellationen, je nachdem wo der Schwerpunkt der Kundenprojekte liegt. Das macht auch den großen Unterschied gegenüber dem Wettbewerb aus.

CW: Welche Klientel adressieren Sie mit diesen Systemen?

Kunz: Die Exa-Maschinen sind auch im Mittelstand stark nachgefragt. Die Konfigurationen beginnen mit den Full-Racks - das waren auch die großen mächtigen Maschinen der ersten Generation. Mittlerweile haben wir die Systeme unterteilt: Es gibt Half-Racks, Viertel-Racks bis hinunter zu Achtel-Racks. Kunden können in einer kleinen Konfiguration beginnen und diese dann entsprechend ausbauen. Damit sind die Systeme auch absolut für den Mittelstand geeignet.

CW: Wie werden die Maschinen vorwiegend eingesetzt?

Kunz: Die großen Unternehmen sehen diese Systeme vor allem als Konsolidierungsplattform. Es gibt Kunden, die haben hunderte von Servern durch eine beziehungsweise ein paar wenige Exa-Maschinen ersetzt. Das hat natürlich Konsequenzen auf allen Ebenen. Letztlich fängt es mit der Konsolidierung auf Infrastrukturebene an. Richtig interessant wird es aber, wenn die Diskussionen weitergehen, beispielsweise welche Konsequenzen das auf die Abläufe hat. Wie wirkt sich das auf der Prozessebene aus, auf der Applikationsebene und der Infrastrukturebene? So einen Strategiewechsel muss man im Gesamtkontext sehen.

In-Memory-Technik ist nichts Neues

CW: Eine Appliance, die zuletzt für viel Furore im Markt gesorgt hat, ist SAPs HANA. Wie spüren Sie das im Markt?

Kunz: Generell muss man hier festhalten, dass es sich um In-Memory-Technik handelt und die ist nichts Neues. In-Memory-Technik gibt es seit vielen, vielen Jahren. Für einige ist das Thema neu, für andere bereits etabliert - wie bei Oracle. Wir haben 2005 mit TimesTen den zur damaligen Zeit marktführenden Anbieter von In-Memory-Technik gekauft. Seit dieser Zeit ist das eine Technik, die wir im Hause haben und die wir natürlich auch nutzen. Beispielsweise ist In-Memory als Embedded-Technik in die Exa-Strategie mit eingeflossen. Das Exalytics-Portfolio verfügt heute über eine Embedded In-Memory-Technologie. Die einen Firmen entdecken das Thema jetzt gerade, bei den anderen ist es schon Standard.

Oracles Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Kunz.
Foto: Oracle

CW: Das aber mit großem Erfolg, wenn man sich die HANA-Zahlen so ansieht.

Kunz: Das will ich jetzt nicht kommentieren, ob das ein Erfolg ist.

CW: SAP positioniert HANA als Ersatz klassischer Datenbanken. So wie ich Sie verstanden habe, verwenden Sie In-Memory als ergänzende Technik in ganz bestimmten Anwendungsbereichen. Wo sehen Sie die In-Memory-Technik im Markt?

Kunz: In-Memory gibt in bestimmten Bereichen durchaus Sinn, aber nicht in allen Bereichen. Wir haben die Technik seit acht Jahren im Haus und es ist jetzt nicht so, dass In-Memory die Innovation ist, die alles auf den Kopf stellt. Man muss sich natürlich überlegen, welche Auswirkungen so eine Technik über alle Layer hinweg hat. Bringt es auch wirklich die Mehrwerte, wenn ich das in jedem einzelnen Bereich separat aufsetze? In-Memory eignet sich sicher in einem Analyseumfeld - deshalb auch als Embedded-Technik in der Exalytics. Aber macht die Technik auch wirklich in jedem OLTP-, in jedem Application-Umfeld Sinn? Lässt sich das überhaupt umsetzen, beispielsweise in stark angepassten Umgebungen, wo nicht alles standardisiert ist? Bekommt man dann überhaupt den erhofften Performance-Gewinn?

CW: Das sind ja die Versprechen der SAP: Alles wird einfacher und schneller.

Kunz: Man wird sehen, was am Ende des Tages herauskommt. Wir sagen: Das macht in manchen Bereichen Sinn, aber nicht in jedem. Wenn wir glauben würden, dass der Einsatz überall sinnvoll ist, dann hätten wir In-Memory überall als Embedded-Technik implementiert.

Big Data ist nicht mit In-Memory gleichzusetzen

CW: Jetzt nehmen allerdings gerade die Big-Data-Projekte in den Unternehmen allmählich Fahrt auf. Das Thema stand ja vor sieben Jahren noch nicht auf der Tagesordnung.

Kunz: Wenn man Big Data mit In-Memory gleichsetzen würde, wäre das ein Riesenfehler. Big Data ist die große Überschrift. Aber man muss sich genau fragen: Was steht eigentlich dahinter? Viele CIOs sehen das Thema ganz pragmatisch: Früher hat sich das Transaktionsvolumen alle 18 Monate verdoppelt, heute passiert das alle sieben Monate - damit muss man klarkommen - Punkt. Andere sehen das Thema eher aus dem Content-Blickwinkel. Hier bieten sich Möglichkeiten, komplett neue Services aufzusetzen, über die man sich im Markt gegenüber dem Wettbewerb differenzieren könnte. Aus deren Sicht ist das Thema Big Data sehr stark Content-getrieben.

CW: Wie sieht das konkret in der IT-Praxis aus?

Kunz: Diese Kunden haben einen Datentopf, der mit strukturierten und unstrukturierten Daten gefüllt ist, und den sie mit der größtmöglichen Flexibilität auswerten wollen. Technisch liegt die Herausforderung darin, dass die meisten mit ihrer bestehenden Infrastruktur- und Applikationsplattform Big Data nicht machen können. Das würde alles sprengen. Also müssen sie einen Weg finden, die Daten so aufzubereiten, dass sich daraus Content ableiten und Services entwickeln lassen. Das kann man dann in einem CRM-System umsetzen beziehungsweise über eine Schnittstelle einfließen lassen. Die Volumina, über die wir hier sprechen, lassen sich allerdings in den heute bestehenden CRM-Systemen nicht handeln. Damit würde man die bestehende Infrastruktur komplett aufblähen. Das ist einfach eine völlig andere Dimension, die hier ins Spiel kommt. Zudem verändern sich diese Services auch permanent - gerade im Consumer-Segment.

CW: Müssen sich die Unternehmen überlegen, wie sie dafür ihre Prozesse neu aufstellen?

Kunz: Das ist gerade die Frage, ob sie das tun. Ich kenne viele Unternehmen, die sagen: Genau das machen wir jetzt nicht. Wir werden nicht unsere komplette Prozesslandschaft umstellen, weil wir eventuell neue Tendenzen von neuen Services sehen. Das würde aus deren Sicht viel zu lange dauern und ist viel zu starr. Das Thema, flexibel auf die Anforderungen zu reagieren, den Content neu zu entwickeln und ihn auch permanent zu verändern, das sind die spannenden Fragen. In einem Backoffice, wie es heute in den meisten Firmen etabliert ist, ist so etwas gar nicht machbar. Dort laufen SCM-Prozesse - die sind fix etabliert mit den Lieferanten. Aber alles, was Consumer-orientiert ist, kann man heute nicht mehr fest verdrahten - bei der Flexibilität, die in diesem Umfeld notwendig ist.

CW: Es fehlt also die notwendige Flexibilität?

Kunz: Absolut. Aus Sicht der Unternehmen ist es einmal ein Volumenthema, weil es die Systeme immens aufblähen würde. Zum anderen würde die dafür notwendige Veränderung der Prozesse viel zu lange dauern. Also braucht es ein System außerhalb der etablierten Struktur, das sich aber lose ankoppeln lässt, wenn es notwendig ist. Und das ist aus technischer Sicht eine hochspannende Geschichte.

CW: Der Markt bietet eine Fülle verschiedenster Big-Data-Techniken und -Werkzeugen. Verliert man da als Anwender nicht leicht den Überblick und weiß letztendlich gar nicht, was man am besten einsetzen sollte?

Kunz: Das bewertet letztlich jedes Unternehmen anders. Aus einer strategischen Perspektive suchen die Unternehmen nach Lösungen für die besagten Herausforderungen: Das sind die Reduktion der Komplexität und innovative Prozesse. Ich glaube, dass an dieser Stelle derzeit ein gewisser Paradigmenwechsel zu beobachten ist. Dabei meine ich nicht nur den Appliance-Ansatz in technischer Hinsicht, sondern auch die anderen Layer von der Prozess- über die Applikations- bis zur Infrastrukturebene. Die Unternehmen müssen das komplett durchdenken und das tun sie derzeit auch. Deshalb springen auch die anderen IT-Anbieter auf den Appliance-Zug mit auf. Das tun sich nicht, weil sie die Idee interessant finden, sondern weil sich die Kunden damit beschäftigen. Sie setzen sich immer stärker mit integrierten Systemen auseinander und denken bei Appliance-Lösungen in anderen Dimensionen, als das vielleicht früher der Fall war.

CW: Welche Rolle spielen dabei für Sie Techniken wie Hadoop und NoSQL?

Kunz: Die haben wir selbst auch im Haus, aber auch hier muss man unterscheiden: Wenn es als Embedded Technik in das Portfolio beim Kunden hineinpasst, dann machen wir das natürlich genauso, wie mit den klassischen Produkten. Wir haben auf allem Ebenen ein Portfolio, das Open-Source-Lösungen unterstützt.

Die Private Cloud hat sich etabliert

CW: Das ‚c‘ in Oracles kürzlich vorgestelltem neuen Datenbank-Release 12c steht für Cloud Computing. Worauf konzentrieren aus Ihrer Sicht die Anwender ihre Aktivitäten - sind das eher Private-Cloud-Initiativen oder reicht es auch schon weiter in die Public-Cloud?

Kunz. Die Private Cloud hat sich mittlerweile etabliert. Da wird vielleicht nicht mehr viel darüber geredet. Denn wenn man sich die großen Unternehmen ansieht, dann ist Private Cloud nichts, was erst seit gestern gemacht wird. Vielleicht wurde es anders genannt, Shared Service Center oder so ähnlich, aber die dazu gehörige Infrastruktur-Plattform ist eine Private-Cloud-Plattform. Das Thema Software as a Service (SaaS) stößt derzeit auf wachsendes Interesse draußen im Markt.

Beispielsweise wächst das Thema Human Capital Management (HCM) im Cloud-Umfeld derzeit massiv. Der Grund liegt darin, dass sich ein Private Cloud Service an dieser Stelle wunderbar anbietet. Den Unternehmen genügt eine standardisierte Lösung, es gibt in der Regel wenig Anpassungsbedarf. Damit stellt sich automatisch die Frage, ob man so eine Standardfunktionalität selbst betreiben oder nicht besser aus einer Cloud beziehen sollte. Wo es sicher in nächster Zeit noch spannend werden wird, sind Plattform- und Infrastruktur-Themen.

CW: Hier ist natürlich die Konkurrenz eine ganz andere.

Kunz: Gar nicht mal von der Konkurrenz her, sondern grundsätzlich von der Frage, ob das als Geschäftsmodell für die Unternehmen attraktiv ist. Das ist sicher für viele Entwickler interessant. Wenn man sieht, was an dieser Stelle in den zurückliegenden Monaten im Markt vorgestellt wurde, zeigt das, welche Innovationskraft dahintersteckt. Viele Entwickler, beispielsweise von Apps mit 3D-Techniken, hätten sich die dafür benötigten Entwicklungsressourcen in der Vergangenheit gar nicht leisten können. Heute lassen sich die dafür nötigen Plattformkapazitäten einfach temporär und relativ günstig in einer Cloud mieten. Das macht überhaupt erst die Entwicklung von verschiedensten Produkten möglich.

Die Idee war bei vielen Startups wahrscheinlich schon lange da, aber schlichtweg finanziell nicht umsetzbar. Der Aufbau eigener Entwicklungsplattformen hat früher einfach zu viel gekostet. Da hilft heute natürlich so ein PaaS-Angebot. Ob solche Angebote allerdings in großen Anwenderunternehmen nachgefragt werden, muss sich erst noch zeigen. An dieser Stelle kommen auch andere Themen mit ins Spiel wie Data Security. Momentan sind aus meiner Sicht Überlegungen, flexibel Kapazitäten aus der Cloud zu buchen und dann wieder abzuschalten, wenn man sie nicht mehr braucht, in den großen Anwenderunternehmen noch nicht so ausgeprägt.

CW: Wie beurteilen Sie das Thema IaaS - ist das ein valides Geschäftsmodell?

Kunz: Ich denke schon, dass es eine Chance haben kann. Aber momentan gelten an dieser Stelle aus meiner Sicht die gleichen Voraussetzungen wie beim Plattformaspekt. Man muss sich überlegen, ob es eine kritische Masse dafür gibt, und was geeignete Infrastrukturumgebungen sein könnten, die sich für ein entsprechendes Cloud-Offering eignen. Da steckt man, wenn man das mit dem Thema SaaS vergleicht, noch in den Anfängen.

CW: Andere Unternehmen wie Amazon und Microsoft sind an dieser Stelle bereits sehr aktiv. Verpasst Oracle da nicht den Anschluss?

Kunz: Nein, es ist ja nicht so, dass wir diese Angebote nicht haben. Gerade im Silicon Valley ist das bei vielen Startups eine durchaus gefragte Plattform. Der deutsche Markt ist allerdings eine andere Sache.

CW: Warum stellt sich für Sie in Deutschland die Situation anders dar?

Kunz: Das liegt einfach an der Menge der Innovationsthemen. Das Angebot muss natürlich auch angenommen und genutzt werden. Hier bewegt man sich in Deutschland meist noch in einem etwas konservativeren Modell als es vielleicht in den USA der Fall ist. Dort ist eher die Flexibilität das Kernkriterium. In Deutschland wird mehr über Sicherheit diskutiert. Das sind berechtigte Fragen.

CW: Betreibt Oracle Rechenzentren in Deutschland beziehungsweise Europa?

Kunz: In Deutschland nicht, aber wir haben zwei Rechenzentren in Schottland und bauen momentan ein weiteres in Amsterdam auf.

Kunden verlangen Flexibilität in der Cloud

CW: Gerade die klassischen Softwareanbieter, die im Lizenz-Wartungsgeschäft groß geworden sind, tun sich oft schwer bei der Umstellung auf SaaS-Produkte. Welche Rolle wird dieser Zweig in Ihrem künftigen Applikationsgeschäft spielen?

Kunz: Eine ganz wichtige Rolle. Das sieht man auch an den Akquisitionen, die Oracle zuletzt getätigt hat. In den vergangenen beiden Jahren hat es sich bei fast allen Zukäufen um Ergänzungen unseres Cloud-Umfelds gehandelt. Das ist ein Beleg dafür, dass wir diesen Bereich nicht nur ernst nehmen, sondern dass dieser absolute Priorität in unserer Strategie genießt. Unser Ansatz ist, den Kunden die Wahl zu lassen, ob sie ihre Lösungen on-premise betreiben oder aus der Cloud beziehen wollen.

CW: Was ist denn für die Kunden entscheidend?

Kunz: Wenn es um das Cloud-Angebot geht, ist es besonders wichtig, auch über die Architektur zu sprechen. Es geht hier um Interoperabilität. Schließlich ist es für die Kunden entscheidend, den Cloud-Anbieter auch wechseln zu können, beziehungsweise einen Cloud-Service wieder zurück in eine On-Premise-Umgebung im eigenen Unternehmen holen zu können. Wenn Sie das von der Architektur her nicht bieten können, dann meinen Sie es nicht ernst mit der Cloud. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Es dreht sich an dieser Stelle sehr stark um eine Architekturdiskussion. Es geht nicht nur um die Funktionen, die man in der Cloud anbietet. Man muss dem Kunden auch Flexibilität bieten. Oder er ist verhaftet, wenn er sich einmal für einen bestimmten Cloud-Service entscheidet.

CW: Es ist sicher nicht ganz einfach, die Daten aus einer Amazon-Cloud wieder herauszubekommen. Aber geht denn das bei einer Oracle-Cloud wirklich einfacher?

Kunz: Es geht nicht nur um den Datentransfer, sondern es geht vor allem um die Applikationen. Wenn Sie eine komplette CRM- oder HCM-Umgebung in der Cloud auf spezifische Anforderungen hin optimieren, dann geht es nicht nur darum, Daten von links nach rechts zu schaufeln. Hier ist schließlich eine komplette Applikationswelt in der Cloud entstanden. Die entscheidende Frage ist doch: Kann ich morgen diese Applikationswelt mit sämtlichen Daten aus der Cloud herauszunehmen und wieder fest verdrahtet in meine On-Premise-Umgebung im Unternehmen zurück integrieren.

CW: Kann man das denn bei Oracle?

Kunz: Ja. Das ist genau der Unterschied und deshalb ist es auch eine Architekturfrage.

CW: Ist denn der Bedarf in dieser Hinsicht wirklich da? Der Reiz im SaaS-Umfeld liegt doch eher darin, sich schnell einen Service zu buchen, den man aktuell oder temporär braucht, und nicht großartig ganze Landschaften hin- und herzuschieben.

Kunz: CRM-Leistungen, die große Unternehmen bei uns anfragen, sind nichts, was die mal schnell temporär machen. Wenn ein Unternehmen heute das komplette Key-Account-Management in die Cloud verlagert, dann ist das eine strategische Entscheidung. Es geht darum, dass die Systeme wachsen und die Unternehmen zusätzliche Funktionen benötigen. Die Aufgabe, die dafür notwendige Infrastruktur aufzubauen und zu betreiben, liegt bei Oracle. Aber natürlich wollen diese Unternehmen die Option haben, das ganze Thema wieder aus der Cloud herauszukriegen. Nicht umsonst hat die Entwicklung von Fusion Applications seine Zeit gebraucht. Das darf man nicht unterschätzen. Es war von Anfang an die oberste Prämisse, dass die Fusion Applications Cloud- und On-Premise-fähig sind.

CW: Die Adaption der Fusion Applications ist eher schleppend. Das Konzept scheint bei den Kunden noch nicht so recht anzukommen.

Kunz: Man muss sich genau ansehen, welche großen Anwendungssysteme in der Cloud betrieben werden. Momentan findet viel in Private-Cloud-Umgebungen statt. Man darf an dieser Stelle nicht nur auf die Zahlen zu Public-Cloud-Umgebungen achten.

Viele Kunden verfolgen einen Best-of-Breed-Ansatz

CW: Am Anfang hieß es, es wird eine große neue Suite geben, heute sieht es eher nach einzelnen Funktionsmodulen aus, die sich miteinander koppeln lassen. In welche Richtung zielt denn nun ihre Fusion-Applications-Strategie?

Kunz: Der Suite-Ansatz besteht nach wie vor. Allerdings besteht diese aus sehr vielen Einzelmodulen, die vollständig miteinander integriert sind. Das ist auch notwendig. Man kann die ganze Funktionalität schließlich nicht in einem Softwaremoloch zusammenpacken. Weil viele Unternehmen nach wie vor einen Best-of-Breed-Ansatz verfolgen, ist es unser Ziel, diesem auch gerecht zu werden. Deshalb muss man so eine Suite auch aufteilen: Wir bieten die Komponenten einzeln an, die sich in eine bestehende Infrastruktur integrieren lassen, gleichzeitig lassen sich diese aber auch als komplette Suite beziehen. Die Überschriften sind aber die gleichen geblieben: Das ist CRM, Supply Chain, Procurement, HCM, HR. Dahinter stecken weit über 100 Einzelmodule. Kein Kunde muss eine komplette Suite aus verschiedensten Modulen wählen, die er womöglich gar nicht braucht.

CW: Ist die Suite denn schon komplett?

Kunz: Es gibt weit über 100 Module. Aber das Ganze ist eine permanente Weiterentwicklung. Das haben wir uns auch so vorgenommen. Dabei darf man allerdings die Entwicklungsaufwände nicht unterschätzen. Wir haben den Kunden, die von den akquirierten Portfolios kommen, schließlich Investitionssicherheit versprochen. Das gilt nach wie vor. Wir haben vor ein paar Jahren das Applications-unlimited-Programm vorgestellt. Das heißt, ein Siebel-Kunde, der in seiner Softwarewelt bleiben möchte, erhält nicht nur Support, sondern dessen Module werden auch weiterentwickelt. Parallel entwickeln wir Fusion. Das ist schon ein gewisser Kraftakt. Aber das können wir auch, schließlich haben wir 35.000 Entwickler, die jeden Tag Hard- und Software entwickeln.

CW: Stecken Sie an dieser Stelle nicht in einem gewissen Dilemma? Wenn die alten Applikationen unbefristet weiter gepflegt und entwickelt werden - warum sollten die Anwender auf Fusion wechseln?

Kunz: Das wird aber irgendwann geschehen. Wir wollen an dieser Stelle nur keinen künstlichen Druck aufbauen. Kunden sollen nicht wechseln müssen, nur weil wir die Entwicklung einstellen. Sie können den richtigen Zeitpunkt selbst wählen, wenn sich beispielsweise Geschäftsprozesse verändern und sich in der Folge die Architekturfrage stellt. Das haben wir in der Vergangenheit auch schon an einem anderen Beispiel gesehen. Wir hatten von Digital die Datenbank RDB übernommen. Die relativ große installierte Basis ist dann über die Jahre größtenteils in die Oracle-Welt hinüber gewechselt.

Aber wir haben heute noch zwischen 50 und 100 Kunden, die RDB nutzen. Das ist auch nicht schlimm. Zwar sind das Legacy-Umgebungen, aber wir pflegen diese nach wie vor. Sicher sind das limitierte Ressourcen in der Entwicklung. Das tut uns jedoch nicht weh. Aber natürlich hat das Gros der Kunden gewechselt. Und so wird es auch im Umfeld von Fusion in den kommenden Jahren passieren - wenn die Fusion-Roadmap von den Kunden verstanden ist und der Zeitpunkt der richtige ist. Aber warum da Druck aufbauen? Das wird sich zwangsläufig im Laufe der Jahre ergeben.

CW: Sie lassen also sich und den Kunden Zeit?

Kunz: Ja, das wird im Markt auch honoriert. In solchen Situationen, wenn Veränderungen anstehen, ist es schließlich immer auch eine Option, sich links und rechts im Markt umzusehen. Hier erlebe ich sehr positive Reaktionen von unseren Kunden. Sie schätzen es sehr, dass wir zu unserem Wort stehen. Gerade die Flexibilität und Offenheit, den Zeitpunkt selbst wählen zu können, kommen gut an. Wenn dann ein Wechsel ansteht, ist das Vertrauen da, so dass die Kunden auch in der Oracle-Welt bleiben. (mhr)

Teaserbild: Team Oracle