RPA im Einsatz

Die Mär vom Jobkiller

02.03.2020 von Iris Lindner
Viele Unternehmen haben mittlerweile einige ihrer Prozesse mit Robotic Process Automation (RPA) automatisiert. Die aktuellen Trends bei der Skalierung und der Zusammenarbeit von Fachabteilung und IT zeigen, was von der anfänglichen Angst vor dem Softwareroboter noch übrig ist.
Die Experten sind sich einig: RPA ist eher ein Aufgaben- als ein Jobkiller, zumal es sich aktuell keine Firma leisten kann, gute Leute gehen zu lassen.
Foto: Phonlamai Photo - shutterstock.com

Neben einem sitzt ein Roboter, der einem die Arbeit wegnimmt. So stellten sich zumindest manche noch vor einigen Jahren einen Bot für Robotic Process Automation (RPA) vor. Dieses Bild ist inzwischen verblasst, das Tool zur Prozessautomatisierung vielfach erprobt und vor allem bei großen Konzernen sehr beliebt. Doch hat sich die Befürchtung von damals, RPA sei ein Jobkiller, tatsächlich bewahrheitet? Ja! Und zwar genau dann, wenn RPA offensiv für den Stellenabbau eingesetzt wird. Zum Glück kommt das nur selten vor. Diese Strategie ist auch alles andere als empfehlenswert, denn sie führt nur dazu, dass man die komplette Belegschaft verliert - also auch diejenigen, die einem die eigentlichen Use Cases für RPA bringen sollten.

In unserem Land herrscht Fachkräftemangel, weshalb es sich keine deutsche Firma leisten kann, gute Leute gehen zu lassen. Im Gegenteil: Man muss versuchen, sie von repetitiven Aufgaben zu befreien, damit sie sich voll und ganz auf ihre Kernkompetenz konzentrieren können. Und was wäre dazu besser geeignet als RPA? Das ist der Bot nämlich in Wirklichkeit: ein Aufgabenkiller, kein Jobkiller. Genau das haben die meisten Unternehmen in den vergangenen Jahren auch gelernt, und so sehen 90 Prozent der Firmen, die RPA einsetzen, es auch als Zusatz, um ihre Mitarbeiter zu entlasten.

Rund um das Thema Robotic Process Automation diskutierten Experten von Signavio, metafinanz, Capgemini Invent, Celonis, Automation Anywhere, Nintex, UiPath, MicroFocus, blueprism und Mehrwerk AG.
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Trotz Automatisierung - Arbeit gibt es mehr als genug

Die Angst vor dem Jobkiller ist in Deutschland laut den Experten vereinzelt zwar noch immer da, aber eigentlich nicht der Rede wert, denn hier sind in der Masse nur Cases für einen Bot-Einsatz vorhanden, die vielleicht ein FTE (Full-time Equivalent) um die 0,7 erbringen. Heißt also: Selbst wenn man wollte, könnte man für einen Bot keinen Mitarbeiter entlassen.

Ein weiteres Argument dafür, dass man einen Bot nicht fürchten muss, zeigt eine Entwicklung aus der Vergangenheit: Als die große Welle der Automatisierung über die Produktion schwappte, wurden Fertigungslinien vor den Augen der skeptischen Mitarbeiter automatisiert und verschlankt. Das Ergebnis nach 30 Jahren Automatisierung: Mehr Jobs in Deutschland als jemals zuvor. Noch nie gab es so viele Beschäftigungsverhältnisse wie in den vergangenen drei Jahren.

Automatisierung hebt also das Niveau nach oben, wofür man auch mehr Leute braucht. Und das merken derzeit die Unternehmen verstärkt: Sie haben zu viel Arbeit, aber zu wenig Personal. Genau hier kann RPA helfen, indem einzelne Prozesse automatisiert werden. Allerdings muss versucht werden, den Leuten, bei denen man diese einfachen Tätigkeiten wegfallen lässt, eine saubere Perspektive zu geben. Change Management lautet hier das Lösungswort, denn RPA verändert die Art und Weise, wie wir arbeiten.

RPA Round Table 2020
Edwin Klimkeit, Automation Anywhere
„Eigentlich ist RPA schon relativ alt, aber das Thema Mitarbeiterabbau durch RPA taucht nach wie vor beim Kunden auf. Man muss es von der positiven Seite betrachten, denn ein Bot befreit von den repetitiven Aufgaben, und man kann sich endlich mit den Themen beschäftigen, die für einen selbst oder das Unternehmen wichtig sind. Die Angst und das Buzzword ,Jobkiller‘ sollte man eliminieren. Besser ist es zu sagen: Der digitale Assistent hilft mir dabei, meine Aufgaben fürs Unternehmen nach meinen Talenten entsprechend gewinnbringend einzubringen. Aber das ist ein kulturelles Thema.“
Dr. Michael Hagen, blueprism
„Skalierung kann nicht erreicht werden, wenn ich zwei Bots implementiere und sage: Ja, das läuft. Man muss sagen: Ja, das läuft richtig gut, und jetzt lasst uns mal richtig groß denken! Wie kann ich mich im Rahmen der Digitalisierungsstrategie neu aufstellen? Damit sich aber nicht jeder einzelne Bots herunterlädt und sich der Wildwuchs nicht mehr kontrollieren lässt, braucht es eine Plattform, die Themen wie Governance, Security und Compliance berücksichtigt. Zudem muss sie so dynamisch sein, dass der Fachbereich noch agieren kann.“
Stefan Burghardt, Capgemini Invent
„Man muss einen Prozess für RPA nicht unbedingt optimieren. Wenn man jahrelang nicht optimiert hat, dann wird es auch in einer laufenden RPA-Initiative nicht passieren. Natürlich sollte man sich immer überlegen, ob eine Optimierung sinnvoll ist. Die Antwort sollte aber nicht heißen: Ja, wir brauchen allerdings ein halbes Jahr dafür. Denn: Ein Bot ist innerhalb weniger Wochen implementiert und bringt sofort einen Mehrwert für den Fachbereich, auch wenn der Prozess nicht optimal ist. Während der Bot läuft, kann man immer noch überlegen, wie man den Prozess verbessern kann.“
Abel Tesfaledet, Celonis
„Jedes Unternehmen hat das Ziel, Produkte, Leistungen und den Umsatz zu optimieren. RPA kann den Mitarbeitern Routineaufgaben abnehmen oder erleichtern, sodass sie sich auf die kreativen und Mehrwert generierenden Aspekte ihrer Arbeit konzentrieren und ihr Potenzial stärker entfalten können. Das führt dann auch zu Effizienzsteigerung und schlankeren Prozessen. Voraussetzung für einen derartigen, erfolgreichen Einsatz von RPA ist aber, dass Unternehmen die Mitarbeiter rechtzeitig ‚mitnehmen‘ und ihnen vermitteln, dass Software und Bots sie bei der Zielerreichung unterstützen können.“
Constantin Wehmschulte, Mehrwerk
„Durch den Hybridweg, Low Code und den Einfluss des Anwenders ist die Angst vor RPA geringer geworden. Der Schlüssel liegt aber in der Organisation: Wie stelle ich sicher, dass das Ganze langfristig Erfolg hat? Wie gelange ich von einem Inselbot hin zu einer End-to-End-Plattform inklusive Process Mining und hole dabei noch die Fachabteilungen entsprechend ab? Doch kann die verfügbare Technologie auch sicherstellen, dass die IT im Rahmen eines Center of Excellence die Rolle hat, die Plattform zu betreiben, der Fachbereich aber die Möglichkeit hat, selbst zu agieren? Denn dorthin muss es in Zukunft gehen.“
Dr. Gregor Scheithauer, metafinanz
„Der Erfolg von RPA-Projekten ist sicherlich keine Frage der Technologie. Wir beobachten, dass sich vor allem die weiter um sich greifenden agilen Arbeitsweisen auch im Konzernumfeld bewähren. Mit kleinen, flexiblen und gemischten Teams lassen sich die Anforderungen aus den Fachbereichen schnell umsetzen, Anpassungen können zeitnah berücksichtigt werden. Gerade diese enge Zusammenarbeit zwischen Business und IT sowie das Aufbrechen alter Silos sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor für RPA.“
Oliver Ehrmann, MicroFocus
„Auf der einen Seite ist RPA ein großer Hype, auf der anderen Seite ist bei vielen schon ein Stück weit die Ernüchterung eingetreten. Viele Unternehmen scheitern daran, weil sie die klassischen Fehler gemacht haben wie auch schon bei Automationsvorhaben in der IT: Es wird einfach ein Tool installiert, und schon macht man RPA. Doch ohne gute Use-Cases oder ein Center of Excellence zu haben, das die Ideen zu Use-Cases bündelt, bewertet, priorisiert und dann Schritt für Schritt automatisiert, stellen sich die gewünschten Erfolge nicht ein. Und schon wird RPA wieder infrage gestellt.“
Cosima von Kries, Nintex Deutschland
„Der Bot kommt aus der digitalen Welt und greift demnach auch in seine eigene und nicht in die Welt von uns Menschen ein. Er hilft uns nur dabei, das verständlich zu machen, was auf einem Arbeitsplatz vorgeht: Da gibt es Prozesse, die sehr lange brauchen, Daten, die nicht verstanden werden, und Fehlerquellen. Auch der Mensch macht Fehler, weil er total damit überfordert ist, diese Datentapeten in eine Struktur zu bringen. RPA unterstützt an der Stelle, aber es müssen alle Mitarbeiter mitgenommen werden, weil es eine Lücke zwischen den Generationen gibt.“
Stefano Monti, Signavio
„Neue Technologien, wie zum Beispiel RPA, können maßgeblich zum Geschäftserfolg beitragen. Doch die damit verbundene Komplexität sollten Unternehmen nicht unterschätzen. Um Automatisierungsprojekte erfolgreich zu skalieren, ist es daher grundlegend, zuerst die eigenen Prozesse genau zu verstehen und zu optimieren. Erst dann ist eine weitere Automatisierung nachhaltig und sinnvoll.“
Walter Obermeier, UiPath
„Wie hoch die Einsparungen von RPA sind und ob es wirklich ein Jobkiller ist, ist eine Frage der Betrachtung: Automatisiere ich einen hochtransaktionalen Prozess, dann ist die Einsparung für diesen einen Prozess 90 Prozent, und von zehn Mitarbeitern wird sich ein Mitarbeiter verändern müssen. Erweitere ich das RPA-Bild dagegen und betrachte es als Automatisierungsstrategie über das gesamte Unternehmen hinweg, dann ist da ein ganz anderer Hebel dran. Wir sprechen dann gleich einmal von zwölf Prozent – und zwar zwölf Prozent des gesamten Unternehmenseinsparungspotenzials, nicht nur eines einzelnen Prozesses. Ja, auch dann werden sich Mitarbeiter verändern müssen, aber es ist nicht zu vereinheitlichen, es werden auf der anderen Seite auch Jobs entstehen.“

Die unangenehmen, fehleranfälligen Arbeiten überlassen wir dem Bot, damit wir uns unseren eigentlichen Aufgaben und Fähigkeiten widmen können. Es ist genügend Arbeit da, und durch Prozessautomatisierung schafft man Freiraum für die Mitarbeiter, damit sie kreativ arbeiten können - eine Fähigkeit, die ein Bot mittelfristig nicht erlangen wird. Er nimmt aber nicht nur Aufgaben weg, sondern packt zehn neue Aufgaben obendrauf, die man vorher gar nicht übernommen hätte.

Und nicht nur das: Es gibt heute so viele digitale Daten, die für das menschliche Gehirn nicht immer verständlich sind. Ein Bot ist in der Lage, auch die Masse an Daten in einen Kontext zu bringen und zu verarbeiten. Denn eines darf nicht vergessen werden: Mit steigender Digitalisierung und Automatisierung erhöhen sich auch die Anforderungen um ein Vielfaches. So braucht man nicht selten die Informationen aus mehreren Applikationen. Natürlich kann man alles per Hand nacheinander zusammensuchen. Man kann aber auch den digitalen Assistenten darum bitten, es sofort zu machen. Beobachtungen zufolge wird der Einsatz von "Digitalarbeitern" wohl auch dazu führen, dass einige Firmen dem Offshoring den Rücken kehren und die Arbeitsplätze wieder zurück nach Deutschland holen.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie Robotic Process Automation

Auch RPA-Wildwuchs kann Früchte tragen

RPA ist eine Chance, die leider nicht alle Unternehmen nutzen - obwohl sie möchten. Denn manchmal reißt die IT das Thema an sich und liefert es den Fachbereichen als Service, um Schatten-IT zu vermeiden. Doch dadurch wird RPA zur Blackbox, also genau zu dem, was man durch Change Management und Low Code verhindern will. Im Endeffekt kommt der Bedarf aus den Fachbereichen. Doch wenn Fachbereiche und/oder IT ohne Koordination operieren, führt dies teilweise dazu, dass unterschiedliche Produkte genutzt werden und ein regelrechter Bot-Wildwuchs entsteht. Die Erfahrung hat aber auch gezeigt, dass Firmen, die den Wildwuchs zunächst zugelassen haben, relativ schnell skalieren, berichten die Experten. Allerdings müssen sie im Nachgang mehr Aufwand betreiben, um die Bot-Herde wieder zusammenzuführen.

Studie "Robotic Process Automation": Partner gesucht

Zum Thema Robotic Process Automation führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multiclient-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, dann hilft Ihnen Frau Jessica Schmitz-Nellen (jschmitz-nellen@idg.de, Telefon: 089 36086 745 ) gerne weiter. Informationen zur RPA-Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Will man hingegen gleich groß anfangen, muss man zuerst einmal die Leute dafür begeistern. Und das geht eben nur, wenn es nach dem Motto "Business led IT" das Zusammenspiel mit der IT gibt, bei dem die Key User und die Prozessexperten aus dem Fachbereich mitdenken und mitentwickeln können. Dabei setzt man am besten auf eine Plattform, die auf der einen Seite nutzungsfreundlich ist, damit der Fachbereich partizipieren kann, und auf der anderen Seite eventuellen Compliance-Anforderungen gerecht wird.

Das ist ein wichtiger Punkt, wenn sich Prozesse ändern oder im Nachhinein optimiert werden sollen. Denn um mit RPA zu starten, so das Argument eines Diskussionsteilnehmers, muss der Prozess nicht perfekt sein, da die Optimierung unter Umständen viel zu lange dauern würde. Allerdings wird das Monitoring meist vergessen, also dass der Bot regelmäßig auf seine Effizienz hin kontrolliert und auch bei veränderten Abläufen angepasst werden muss. Die Skalierung aus den Fachbereichen heraus wird derzeit genau in diese Richtung getrieben.

Robotics Process Automation - wer macht's?

Wer letzten Endes den RPA-Stein ins Rollen bringt, hängt im Wesentlichen davon ab, in welchem Stadium der Automatisierung sich ein Unternehmen befindet. Bei denen, die noch am Anfang stehen und RPA gerne einmal ausprobieren möchten, ist die Erwartungshaltung in Bezug auf die Technologie natürlich sehr hoch. Im Mittelstand ist hier viel Aufklärung notwendig, denn wenn ein oder zwei Bots nicht so laufen wie erwartet, hat sich das Thema RPA schnell erledigt.

Diejenigen, die Robotics Process Automation schon eine Zeit lang nutzen, sind mit ihren Erwartungen bereits im Tal der Ernüchterung angelangt. Sie wissen, dass man dem Prozess mehr Aufmerksamkeit widmen muss als zuvor. Und es gibt auch weit Fortgeschrittene: Die großen Unternehmen, die vor vier bis sechs Jahren mit RPA angefangen haben, sind schon beim End-To-End-Gedanken, wo man eine 100-prozentige Auslastung der Bots haben möchte.

Und wo stehen die meisten Unternehmen im DACH-Raum? Selbst wenn beim Mittelstand der Business Case etwas schwieriger ist, so haben dennoch die meisten Unternehmen RPA ausprobiert und wollen auch skalieren. Im Vergleich zu den USA, Großbritannien oder den nordischen Staaten liegt die DACH-Region aber weit zurück. Denn gerade in Deutschland macht man sich viele Gedanken darüber, welche Sicherheitsaspekte erfüllt oder eben nicht erfüllt sind. Richtlinien und speziell die DSGVO spielen zudem eine massive Rolle.

Überlegungen zu Skalierung, Messbarkeit, die eigentlichen Ziele und natürlich eventuelle Angriffspunkte brauchen ebenfalls Zeit. Sie führen aber auch dazu, dass die Prozesse bereits stark strukturiert sind. Und sie führen zu der Erkenntnis, dass man flexibler und agiler werden muss - vor allem der Mittelstand. Viele davon sind Technologieführer, weshalb es in der Vergangenheit für sie nicht so wichtig war, wenn die Prozesse nicht optimal gelaufen sind. Aber auch sie müssen sich nun ändern und anpassen. Nicht zuletzt deshalb, weil der Mehrwert von RPA durch Künstliche Intelligenz (KI) in Zukunft noch weiter steigen wird: Die Wartung der Bots wird effizienter werden, und es werden sich auch komplexere Prozesse abbilden lassen. Aber das erst in zwei bis fünf Jahren.

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