Digital Mindset

Die digitale Transformation beginnt im Kopf

29.03.2018 von Christian Mehrtens  IDG ExpertenNetzwerk
Damit der digitale Wandel auch funktioniert, ist mehr erforderlich als eine App oder ein Digital Lab. Eine Schlüsselrolle spielt das "Digital Mindset" von Managern und Mitarbeitern – eine Unternehmenskultur, die eine digitale Transformation erst möglich macht.

"Wir brauchen eine App!" oder "Hauptsache, wir richten erst einmal ein Innovationszentrum ein": Damit ist für viele Unternehmen das Thema Digitalisierung erledigt. Doch wer so denkt, übersieht einen wesentlichen Aspekt der digitalen Transformation. Unternehmen müssen sich vielmehr folgende Frage stellen: Wie können sie im digitalen Zeitalter neue Wege finden, um ihre Kunden genau so zu betreuen, wie die sich das wünschen? Und wie können sie ihre Mitarbeiter auf diesem Weg mitnehmen?

Unternehmen brauchen ein Bewusstsein für die Bedeutung der Digitalisierung.
Foto: 13_Phunkod - shutterstock.com

Dass an einem echten digitalen Wandel kein Weg vorbeiführt, haben Mittelständler längst erkannt: 42 Prozent der mittelständischen Unternehmen haben laut dem Digitalisierungsindex der Deutschen Telekom das Thema Digitalisierung fest in ihrer Geschäftsstrategie verankert. Das Bewusstsein für die Bedeutung der Digitalisierung ist innerhalb eines Jahres stark gewachsen, so die Studie.

Die gute Nachricht: Laut einer Studie von SAP hat die Mehrzahl der Unternehmen bereits Digitalisierungsprojekte gestartet oder plant solche Programme.
Foto: SAP Digital Transformation Study / Oxford Economics

Digitalisierung - nicht nur eine Frage der Technik

In der Praxis schaffen es viele Unternehmen jedoch nicht, mit den Veränderungen Schritt zu halten, die sich durch den digitalen Wandel ergeben. Zu diesem Ergebnis kommen nahezu alle Studien von Marktforschern und Beratungshäusern. Ein Kardinalfehler besteht demnach darin, dass Geschäftsführung und Entscheider das "Problem Digitalisierung" einfach zu einer Frage der Technik umdefinieren und an die IT-Abteilung wegdelegieren.

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Diese Einstellung findet sich besonders stark im Mittelstand. Fast 58 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Deutschland betrachten demnach technische Aspekte und die IT-Infrastruktur als größte Herausforderung im Rahmen der Digitalisierung. Das ergab eine Befragung der Managementberatung Vivaldi. Auf welche Weise und mit welchen neuen Angeboten sie die geänderten Bedürfnisse von Kunden erfüllen können, ist nur für neun Prozent der Mittelständler relevant. Und lediglich jeder Fünfte sieht im Rahmen von Digitalisierungsprojekten bei der Unternehmenskultur und der internen Organisationsstruktur Handlungsbedarf.

Das ist eine gravierende Fehleinschätzung, stellt das Beratungshaus Capgemini in mehreren Studien zu den Themen Digitalisierung, Change-Management und Innovation fest: "Wenn die Digitalisierung die Unternehmen auf eine höhere Stufe der Wertschöpfung bringen soll, ist Technik nur die notwendige Voraussetzung", so die Experten. Und sie räumen gleichzeitig mit einer weiteren Fehleinschätzung auf: Ein Innovationszentrum alleine macht noch lange nicht kreativ und innovativ. Denn so gut wie kein Unternehmen, das ein solches Center betreibt, schaffte es laut Capgemini bislang, Innovationsprozesse komplett umzusetzen - von der Idee für ein neues digitales Angebot über dessen Entwicklung bis hin zur Vermarktung und der Schaffung eines entsprechenden Ökosystems.

Schlechte Kommunikation, Silo-Denken und Angst von Mitarbeitern vor Neuem sind laut Capgemini Faktoren, die den digitalen Wandel in Unternehmen behindern.
Foto: Capgemini

Die Kultur muss stimmen

Doch woran liegt es, wenn in dem einen Unternehmen Digitalisierungsvorhaben versanden, während sie anderswo mit Erfolg umgesetzt werden? Vereinfacht gesagt: Die Köpfe machen den Unterschied. Das belegt unter anderem eine Studie des SAP Center for Business Insight in Zusammenarbeit mit Oxford Economics. Demnach ist es für den Erfolg der digitalen Transformation unverzichtbar, ein Digital Mindset im Unternehmen zu entwickeln. Dazu gehört eine Unternehmenskultur, die Digitalisierung als Chance und Notwendigkeit betrachtet, nicht als Modephänomen oder gar als Arbeitsplatz-Vernichter.

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Ein Digital Mindset zeichnet sich durch Offenheit und Neugier sowie ein ausgeprägtes Interesse an aktuellen Technologien, Führungsmodellen und Vorgehensweisen aus. Ein zentraler Punkt ist, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die Querdenken fördert. Mitarbeiter in allen Abteilungen müssen darin bestärkt werden, den Status Quo in Frage zu stellen und Neues auszuprobieren. Auch etablierte Abläufe, Geschäftsmodelle, Prozesse und Vertriebsstrategien müssen auf den Prüfstand gestellt werden - und das nicht nur einmal, sondern immer wieder. Argumente wie "Das haben wir schon immer so gemacht" müssen der Vergangenheit angehören.

Wie eine erfolgreiche, ganzheitliche Geschäftstransformation aussehen kann zeigt das Beispiel der WEIG-Unternehmensgruppe. Dem inhabergeführte Anbieter von Recycling-Dienstleistungen und Verpackungen aus Mayen bei Koblenz war klar, dass er sich früher oder später wandeln muss, um in Zeiten der digitalen Transformation wettbewerbsfähig zu bleiben. Innerhalb kürzester Zeit veränderte WEIG seine strategische Ausrichtung und vollzog den Wandel von einer produktgetriebenen zu einer nachfragegetriebenen Firma. Ausschlaggebend war dabei, dass der Mittelständler seine IT nicht als reinen Erfüllungsgehilfen sieht. Neue Technologien sollten stattdessen Prozesstreiber im Unternehmen sein und so neue Chancen erschließen.

Kalkulierte Risiken eingehen

Wichtig ist zudem, dass Geschäftsführung und Abteilungsleiter einen Kulturwandel forcieren. Denn in der Praxis zeigt sich immer wieder, dass Führungskräfte zu einer Politik der Risikovermeidung neigen und auf ein "Weiter so!" setzen. Natürlich ist niemandem damit gedient, wenn ein Unternehmen durch riskante Digitalisierungsmanöver in eine Schieflage gerät. Ein gangbarer Weg ist, kalkulierte Risiken einzugehen, um die Tragfähigkeit neuer Digitalisierungsoptionen auszuloten. Dabei können Digital Labs oder Innovationszentren eine wichtige Rolle spielen. Das funktioniert aber nur dann, wenn deren Ideen auch in der Praxis zum Einsatz kommen.

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Ein weiteres Kennzeichen von Unternehmen, deren Mitarbeiter über ein Digital Mindset verfügen: Alle Kollegen sind Teil der digitalen Reise. Und sie sind vielleicht sogar schon weiter, als man ihnen oftmals zutraut: 71 Prozent der Mitarbeiter eignen sich laut einer Befragung des SAP-Partners Accenture proaktiv neue digitale Tools und Fähigkeiten an, um fit für die Anforderungen der Digitalisierung zu werden. Unternehmen mit einem Digital Mindset fördern das Engagement ihrer Mitarbeiter und schöpfen ihr Potential gleichzeitig voll aus.

Der Kunde ist der Maßstab

Ein weiteres zentrales Element eines Digital Mindset ist die Fokussierung auf den Kunden. Theoretisch steht natürlich für jedes Unternehmen der Kunde im Mittelpunkt seiner Aktivitäten. Doch die Wirklichkeit sieht in vielen Branchen anders aus - und diese Haltung zeigt Wirkung. Man denke nur an die Finanzbranche, die derzeit von Fintechs und Direktanbietern herausgefordert wird. Mit neuen Angeboten wie Sofortüberweisung per Smartphone oder einer Online-Vermögensverwaltung machen sie den etablierten Banken Konkurrenz.

Vergleichbare Ansätze gibt es in vielen Branchen, vom Taxigewerbe über Hotels bis zum Car-Sharing. Die Grundlage dafür ist stets dieselbe: Ein disruptiver Ansatz, mit dem ein Unternehmen Kunden einen neuartigen Service anbieten kann. Ein Digital Mindset bedeutet, offen zu sein, nach innen und nach außen, Ideen und Anregungen aufzugreifen und bereit zu sein, überkommene Ansätze über Bord zu werfen, wenn dies dem Kunden nutzt. WEIG dient auch hier als Paradebeispiel: Dank der Umstellung rücken die Kunden mit ihren Wünschen in den Mittelpunkt. WEIG kann ihnen nun höhere Individualität und Planbarkeit bieten und ermöglicht es ihnen sogar, selbst neue Aufträge zu platzieren oder Lagerbestände einzusehen. Die neugewonnene Flexibilität ist ein klarer Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen auch gegenüber großen Konzernen.

Ganz ohne Technik geht es nicht

Ein Digital Mindset ist ein unverzichtbares Element einer erfolgreichen Digitalisierungsstrategie. Doch ganz ohne Technologie geht es natürlich nicht. Die Studie von SAP und Oxford Economics ergab beispielsweise, dass "Leader" im Bereich digitale Transformation in innovative Lösungen investieren. Eine zentrale Rolle spielen dabei Big Data & Analytics und IoT. Mehr als 90 Prozent der Unternehmen, die mit Erfolg Digitalisierungsstrategien umsetzen, greifen auf Big Data-Lösungen zurück, mehr als drei Viertel auf IoT. Auch Themen wie maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz stehen hier hoch im Kurs.

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Doch ebenso wie bei Denk- und Handlungsmustern der Mitarbeiter besteht auch bei diesen Technologien die Gefahr, dass sie in separaten Silos eingesperrt werden: hier die Data Scientists, dort die KI-Fachleute und im dritten Silo die IoT-Spezialisten. Es liegt auf der Hand, dass solche Silos eine Digitalisierungsstrategie ins Leere laufen lassen. Eine Option besteht darin, eine unternehmensweite Digitalisierungsplattform einzurichten. Sie kombiniert die Technologien und Services in einem intelligenten System, die im Rahmen einer digitalen Transformation wichtig sind. So hat beispielsweise die Heliotron GmbH, ein mittelständischer Kerzenhersteller und Versandhändler aus Freiburg, mit der Implementierung einer ganzheitlichen Cloud-ERP-Lösung seine Prozesse straffen und mithilfe von Echtzeitdaten und der hohen Transparenz in der Cloud seine Handlungsschnelligkeit signifikant steigern können. Neben einer besseren Verfügbarkeit der Daten und dem effizienteren Personalmanagement ermöglicht die Skalierbarkeit einer Cloud-Lösung zudem das weitere Unternehmenswachstum.

Marathon statt Sprint

Zugegeben, wer eine Kultur des digitalen Wandels im Unternehmen etablieren möchte, muss sich eher auf einen 10.000-Meter-Lauf gefasst machen als auf einen 100-Meter-Sprint. Vor allem in Deutschland setzen allzu viele Unternehmen noch auf eine Optimierung vorhandener Prozesse und Produktlinien statt auf Disruption. Hinzu kommt eine mentalitätsbedingte Vorliebe für straffe Hierarchien und separierte Unternehmens- und Tätigkeitsfelder.

Doch eines sollte allen Unternehmen klar sein: Das digitale Zeitalter ist da. Sich ihm zu verschließen scheint auf den ersten Blick vielleicht der einfachere Weg zu sein. Doch langfristig riskieren Unternehmen damit mehr als nur Umsatzeinbußen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen sie sich eine neue Denkhaltung aneignen. Nur wer den digitalen Wandel annimmt und die Unternehmenskultur entsprechend anpasst, wird zu den Gewinnern zählen und auch in Zukunft erfolgreich sein.