Teil 2: Die Pläne der Anwender

Machine Learning - das haben deutsche Unternehmen vor

03.04.2017
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Im Zuge des Digitalisierungstrends kommt in vielen Unternehmen Analytics auf die Tagesordnung - und damit auch Machine Learning und Deep Learning. Jetzt geht es darum, den Datenschatz zu heben (Teil 2).
  • Viele Unternehmen haben Data Lakes mit strukturierten und unstrukturierten Daten aufgebaut. Jetzt gilt es, etwas daraus zu machen
  • Einsatzgebiete für Machine Learning sind etwa Prozessverbesserungen sowie eine bessere Kundenansprache und ein möglichst effizienter Support
  • In vielen Branchen ist der Abstand zwischen Vorreitern und Nachzüglern riesig

Die Phantasien und Visionen rund um die digitale Zukunft kennen derzeit keine Grenzen. Vollautomatisierte Produktionsstraßen, autonome Verkehrssysteme, intelligente digitale Assistenten - es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Szenarien diskutiert werden. Dadurch fühlen sich viele Firmen unter Druck gesetzt. Sie arbeiten am "digitalen Unternehmen" und entdecken ihre Daten als Grundlagen für neue Geschäftsmodelle und Services. So gewinnt Analytics an Bedeutung - und mit der Analytics-Strategie kommen KI und Machine Learning (ML) auf die Tagesordnung.

Aus diesen Gründen beschäftigen sich Anwender mit Machine Learning.
Aus diesen Gründen beschäftigen sich Anwender mit Machine Learning.
Foto: Crisp Research

IT- und Digitalisierungsentscheider vermuten ein enormes Potenzial hinter dem Thema Machine Learning. Eine Umfrage, die das Analystenhaus Crisp Research unterstützt von The unbelievable Machine Company und Hewlett-Packard Enterprise (HPE) auf den Weg gebracht hat, zeigt, dass nur drei Prozent der knapp 250 Befragten ML für einen Marketing-Hype halten. Ein Drittel bezeichnet ML-Verfahren in begrenzten Einsatzbereichen als sinnvoll, sogar 43 Prozent sind überzeugt davon, dass ML ein wichtiger Aspekt künftiger Big-Data- und Analytics-Strategien wird.

Wie die Initiatoren der Studie feststellen, ist das kein überraschendes Ergebnis. Die meisten Unternehmen haben im großen Stil in Big-Data-Infrastrukturen und eigene Data Lakes investiert, um ihre Unternehmensdaten zusammenzuführen und auswertbar zu machen. ML ermöglicht einen hohen Automationsgrad in der Datenanalyse und hilft somit, den verborgenen Schatz zu heben. Daten gelten als großes Asset, doch den Beweis dafür haben viele Firmen noch nicht gebracht. Technologien und Use Cases rund um Machine Learning versprechen Abhilfe.

Immenses Innovationspotenzial

Immerhin 16 Prozent der befragten sehen ML sogar als neue "Kerntechnologie eines vollständig digitalen Unternehmens". Das Innovations- und Gestaltungspotenzial scheint also immens, wenngleich viele Probleme rund um Datenqualität, Governance, API-Management, Infrastruktur und vor allem Personal den Trend noch bremsen.

Rund 34 Prozent der Befragten beschäftigen sich mit ML, weil sie ihre internen Prozesse in der Produktion, Logistik oder im Qualitätsmanagement verbessern wollen. Sie erheben beispielsweise Daten im Produktionsablauf, um ihre Fertigung optimieren zu können. Fast ebenso viele wollen Initiativen rund um die Customer Experience vorantreiben - etwa in E-Commerce, Marketing oder im Bereich der Portale und Apps. Sie versprechen sich davon beispielsweise eine personalisierte Kundenansprache, um Produkte oder Dienste zielgerichteter an den Konsumenten bringen zu können. Mit 19 Prozent ist die Gruppe derer, die Wartungs- und Supportleistungen optimieren wollen (Predictive Maintenance), etwas kleiner. Hinzu kommen Betriebe, die sich grundsätzlich mit neuen Technologien beschäftigen (28 Prozent) oder durch Berater und Analysten auf das Thema aufmerksam geworden sind (27 Prozent).

Elementar für selbstfahrende Autos

Das Nutzungsverhalten von ML ist nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Branchen sehr unterschiedlich ausgeprägt. In der Automobilbranche etwa gibt es große Abstände zwischen den Vorreitern und den Nachzüglern. Für die Entwicklung und Produktion selbstfahrender Autos sind Bild- und Videoanalyse in Echtzeit sowie statistische Verfahren und mathematische Modelle aus Machine Learning und Deep Learning weit verbreitet. Einige Verfahren werden auch dazu verwendet, Fabrikationsfehler in der Fertigung zu erkennen.

Der Anteil der Innovatoren, die ML bereits in weiten Teilen einsetzen, ist in der Automobilbranche mit rund 20 Prozent am größten. Demgegenüber stehen allerdings 60 Prozent, die sich zwar mit ML beschäftigen, aber noch in der Evaluierungs- und Planungsphase stecken. So zeigt sich, dass in der Autobranche einige Leuchttürme das Bild prägen, von einer flächendeckenden Adaption aber nicht die Rede sein kann.

Status der Branchen bei der Einführung von Machine-Learning-Technologien
Status der Branchen bei der Einführung von Machine-Learning-Technologien
Foto: Crisp Research

Auch die Maschinen- und Anlagenbauer stecken noch zur Hälfte (53 Prozent) in der Evaluierungs- und Planungsphase. Ein knappe Drittel nutzt ML in ausgewählten Anwendungsbereichen produktiv und 18 Prozent bauen derzeit Prototypen. Weiter sind die Handels- und Konsumgüterfirmen, die zu 44 Prozent dabei sind, ML in ersten Projekten und Prototypen zu erproben. Das überrascht insofern nicht, als diese Firmen in der Regel gute gepflegte Datenbestände haben und viel Erfahrung mit Business Intelligence und Data Warehouses besitzen. Gelingt es ihnen, Preisstrategien, Warenverfügbarkeiten oder Marketing-Kampagnen messbar zu verbessern, wird ML als willkommenes Innovationsinstrument bestehender Big-Data-Strategien gesehen.

Gleiches gilt für die IT-, TK- und Medienbranche: Dort kommen ML-Verfahren etwa zum Ausspielen von Online-Werbung, Berechnen von Kaufwahrscheinlichkeiten (Conversion Rates) oder dem Personalisieren von Webinhalten und Einkaufsempfehlungen längst zum Einsatz. Bei den professionellen Dienstleistern spielen das Messen und Verbessern der Kundenbindung, der Dienstleistungsqualität und der Termintreue eine wichtige Rolle, sind das doch die wettbewerbsdifferenzierenden Faktoren.

IT-Abteilungen sind zuständig

Knapp 60 Prozent der befragten Entscheider gaben an, ihre IT-Abteilung sei federführend zuständig, wenn es um ML-Projekte gehe. Den Studienautoren von Crisp zufolge liegt das an der hohen technologischen Komplexität des Themas. Neben mathematischen und statistischen Skills ist demnach auch eine große Bandbreite an Fertigkeiten im Bereich der IT-Operations gefragt. Hinzu kommen die BI- und Analytics-Fähigkeiten, die hier oftmals angesiedelt sind.

Doch auch Fachabteilungen wie Logistik und Produktion sind mit im Boot, weil sie in der Regel die Prozessverbesserungs- und IoT-Szenarien vorantreiben. Die großen Mengen an Maschinen-, Produktions-, Logistik- sowie sonstigen Sensor- und Log-Daten müssen auf Muster und Korrelationen hin abgefragt werden - eine Aufgabe für Fertigung und Logistik.

Und schließlich sind auch Kundenservice und -support führende Instanzen, wenn es um die Einführung von ML geht. Sie wollen die personalisierte Kundeninteraktion vorantreiben und sammeln in ihren Bereichen die Text-, Bild- und Audiodaten, die das Potenzial für Analysen bieten. Interessant an der Umfrage ist indes, dass Marketing und Kommunikation von ML oft nichts wissen wollen, obwohl sie reichlich Einsatzszenarien hätten. Sie könnten etwa Kundenbeziehungen auswerten und die Kundenbindung verbessern, automatisiertes Medien-Monitoring vorantreiben oder das Social Web mit Sentiment-Analysen bearbeiten. All das findet aber relativ selten statt, was Crisp Research mit der traditionell "passiven, technologieagnostischen Rolle" dieser Abteilungen begründet. Marketing- und Kommunikationsabteilungen treten demnach meist als "Anforderer" und interne Kunden auf, nicht als diejenigen, die tiefer in Technologien einsteigen. (hv)

Mehr zum Thema:

Teil 1: Machine Learning - darum geht's

Teil 3: Machine Learning - die Technik