Der Markt für Voice over IP: Die Großen gehen zusammen

11.10.2006
Die Fusionen unter den führenden Anbietern von Voice-over-IP-Lösungen (VoIP) reißen nicht ab. Gleichzeitig eröffnet die Verbreitung des Session Initiation Protocol (SIP) Marktchancen für kleinere Hersteller.

Telefonieren über IP gehört für immer mehr Unternehmen zum normalen Tagesgeschäft. Eine Anfang 2006 von Berlecon Research erstellte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland bereits ein Drittel aller Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern Voice-over-IP-Lösungen (VoIP) einsetzen. Von den im Auftrag von Damovo und Nortel befragten 107 IT-Entscheidern nannten knapp 50 Prozent Kosteneinsparungen als einen der wichtigsten Gründe für den Umstieg auf VoIP. Eine bessere Integration von Telefonie und Anwendungsprogrammen spielte für gut 20 Prozent der Befragten eine sehr wichtige Rolle.

Der VoIP-Markt ist nicht nur auf der Nachfrageseite in Schwung gekommen, auch auf der Angebotsseite ist einiges in Bewegung geraten. Die vergangenen zwei Jahre waren von einer starken Konsolidierung geprägt, und es kann gut sein, dass noch weitere Mega-Merger bevorstehen.

Top 8

Enterprise-Telefonie Marktanteile in Europa 2005

(Marktanteil in Prozent)

  1. Siemens 16,9

  2. Alcatel 16,6

  3. Aastra 11,1

  4. Avaya 10,8

  5. Nortel 10,5

  6. Ericsson 9,4

  7. Cisco 4,5

  8. Philips-NEC 2,4

  9. Andere 17,8

Erfasst wurde die Anzahl der verkauften Sprachkanäle (Shipment by Lines), die 2005 in Europa bei 19,6 Millionen lag. Quelle: Frost & Sullivan

Bereits Ende 2004 übernahm Avaya die deutsche Tenovis, die aus der Bosch Telecom GmbH hervorgegangen war. Etwa ein Jahr später verleibte Ericsson sich den ins Straucheln geratenen Telco-Ausrüster Marconi ein. Ebenfalls 2005 kaufte der kanadische Anbieter Aastra den deutschen TK-Spezialisten DeTeWe sowie EADS Telecom und verstärkte dadurch seine Marktposition deutlich. Anfang 2006 folgte die Übernahme des VoIP-Anbieters Philips Business Communications durch NEC.

Schwergewichte im Markt

Kurz darauf verkündeten Alcatel und Lucent, zwei Schwergewichte im Markt für Sprachkommunikation, dass sie fusionieren werden. Im Sommer 2006 folgte dann Siemens mit der Ankündigung, den gesamten Com-Bereich neu zu strukturieren. Konkret heißt dies, dass der Carrier-Bereich inklusive der IP-Plattform Surpass in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Nokia ausgegliedert wird. Für das Enterprise-Com-Geschäft, zu dem auch die Hipath-Produkte zählen, gründet Siemens zum 01.10.2006 eine neue Gesellschaft, für die noch (Mit-) Eigentümer gesucht werden. Derzeit führt das Unternehmen Gespräche mit mehreren potenziellen Partnern.

Was die Marktanteile bei VoIP-Lösungen angeht, zählt Siemens in Deutschland zu den führenden Anbietern. Im europäischen Markt für Enterprise-Telefonie nimmt Siemens laut den Analysten von Frost & Sullivan mit 16,9 Prozent den ersten Platz ein, ganz knapp vor Alcatel mit 16,6 Prozent. Die Plätze drei bis sechs besetzen Aastra, Avaya, Nortel und Ericsson, die alle um die zehn Prozent liegen. Cisco kommt nur auf 4,5 Prozent, wobei zu berücksichtigen ist, dass in den Zahlen sowohl VoIP-Lösungen als auch herkömmliche TK-Anlagen enthalten sind (siehe Tabelle „Enterprise Telefonie“). Bei reinen VoIP-Systemen wäre der Anteil von Cisco sicher höher ausgefallen. Die „anderen“ Anbieter kommen nach Angaben von Frost & Sullivan auf zusammen fast 18 Prozent des Marktes und haben gute Aussichten, ihre Position in Zukunft noch auszubauen.

Ignorierter Markt

Ein Grund hierfür ist der Markt für kleinere und mittelständische Unternehmen, der bis vor kurzem von den führenden VoIP-Anbietern vernachlässigt wurde. Deren Angebote waren meist auf die Bedürfnisse von sehr großen Unternehmen zugeschnitten und deshalb für kleinere Firmen zu komplex und teuer. Durch den Siegeszug des Session Initiation Protocol (SIP) haben sich die Spielregeln im VoIP-Markt grundlegend verändert. SIP lässt sich wesentlich einfacher implementieren als das bis vor kurzem im europäischen VoIP-Markt dominierende H.323-Protokoll.

Für Shomik Banerjee, Industrieanalyst für den Bereich Enterprise Communications von Frost & Sullivan, gehört SIP die Zukunft: „SIP ist zum De-facto-Standard geworden, und kein Hersteller kommt an diesem Protokoll vorbei. Ich glaube, dass die derzeit noch bestehenden funktionalen Defizite von SIP schon bald beseitigt werden. Die Bedeutung von H.323 dagegen wird abnehmen.“

Da es sich bei SIP um einen offenen Standard handelt, dessen Funktionsumfang beständig wächst, verwundert es nicht, dass im deutschen Markt auch eine ganze Reihe kleinerer VoIP-Anbieter damit ihren Erfolg sucht. Zu ihnen zählen zum Beispiel die Dafür GmbH, Innovaphone, Snom oder Swyx, aber auch Anbieter Open-Source-basierender Lösungen wie Pingtel, die aus Asterisk und der SIP-Foundry hervorgegangen sind. Mit dem Siegeszug von SIP könnte auch der Trend gestoppt werden, dass die Hersteller immer mehr Funktionen in ihre VoIP-Telefone integrieren, die dadurch immer komplexer und teurer werden.

Collaboration wird zum Megatrend

Ziel dieser Anstrengungen ist es, nicht nur die Konvergenz von Sprach- und Datennetzen zu erreichen, sondern darüber hinaus Teamarbeitswerkzeuge wie White Boards, Konferenzlösungen oder Instant Messaging in eine einheitliche Collaboration-Plattform zu integrieren. Auch Präsenzfunktionen, die signalisieren, über welches Medium ein Mitarbeiter gerade am besten erreichbar ist, spielen hierbei eine wichtige Rolle. Luke Thomas, Senior Research Analyst bei Frost & Sullivan, nennt die Gründe für diese Entwicklung: „Der VoIP-Markt zwingt die Hersteller dazu, dass sie ihre Versprechen halten und die Produktivität der VoIP-Anwender steigern. Dazu müssen sie Messaging- und Collaboration-Werkzeuge in ihre Produkte integrieren.“

Folgerichtig haben mittlerweile alle namhaften VoIP-Anbieter „Unified Communications“ groß auf ihre Fahne geschrieben. Cisco zum Beispiel stellte zur CeBIT 2006 das „Unified Communications System“ vor, das Telefonie, Fax, E-Mail, Instant Messaging, Contact Center sowie Telefon-, Video- und Web-Conferencing integriert. Microsoft und Nortel haben vor kurzem eine weitreichende Allianz angekündigt, bei der die gemeinsame Entwicklung von Lösungen für Unified Communications das Hauptziel ist. Ob Nortel damit gegenüber der Konkurrenz Boden gutmachen kann, muss sich noch zeigen. Denn Microsoft arbeitet schon seit längerem mit allen wichtigen Anbietern im VoIP-Markt eng zusammen, darunter auch Siemens.

Zahlreiche Optionen

Microsoft selbst bietet für die standortübergreifende Zusammenarbeit den Windows Live Communication Messenger an. Im Herbst 2005 hatte Microsoft die Schweizer Mediastream.com AG übernommen, um deren Technologie in die eigenen Collaboration-Tools zu integrieren. IBM hat mit Lotus Sametime ebenfalls ein leistungsfähiges Collaboration-Angebot für die Notes-Plattform im Portfolio. Alle großen Hersteller von Hardware-Sprachplattformen haben inzwischen angekündigt, dass sie Schnittstellen zu den Kommunikationslösungen von Microsoft und IBM zur Verfügung stellen werden.

Beim Wechsel von herkömmlichen TK-Anlagen zu IP-basierenden Lösungen stehen den Unternehmen zahlreiche Optionen zur Verfügung. Neben der zu wählenden Technologie stellt sich auch die Frage, ob das neue Kommunikationsssystem im eigenen Haus oder von einem externen Dienstleister betrieben werden soll (siehe Kasten „Angebot an VoIP-Services wächst“).

Die Analysten von Frost & Sullivan schätzen, dass der Markt für gehostete IP-Telefonie-Dienste in den nächsten Jahren stark wachsen wird. Für kleine Unternehmen mit bis zu 30 Mitarbeitern seien kostengünstige VoIP-Dienste attraktiv, die von Service-Providern über eine gemeinsame Plattform mehreren Kunden zur Verfügung gestellt werden.

Zu beachten ist, dass auch beim Einsatz einer gehosteten VoIP-Lösung das interne Netzwerk so ausgelegt sein muss, dass der Sprachverkehr priorisiert wird. Hier sind die Service-Provider in der Pflicht, bei der Implementierung eng mit den IT-Abteilungen ihrer Kunden zusammenzuarbeiten, um eine möglichst hohe Sprachqualität sicherzustellen.
von Christoph Lange (freier IT-Fachjournalist in München)