"Wir leben in exponentiellen Zeiten" …
… so der Tenor vieler Publikationen, Buchbeiträge und Veranstaltungen, die sich mit der Auswirkung von Digitalisierung und dem nahezu unglaublichen Anstieg von Datenmengen in den letzten Jahren beschäftigen. Viele Szenarien, die wir bisher nur aus Science-Fiction-Filmen kannten - vom Terminator, über Surrogates bis hin zu Gadgets aus Raumschiff Enterprise -, scheinen in greifbarer Nähe. Und die Einsicht, dass die Digitalisierung und die daraus resultierenden, radikalen Veränderungen von Geschäftsmodellen keine Modeerscheinung darstellen, die man einfach mal aussitzen kann, macht sich mittlerweile auch in deutschen Unternehmen breit.
Standen bisher technische Perfektion, höchste Qualität und Effizienz im Vordergrund, so treten diese typisch deutschen Werte scheinbar immer stärker in den Hintergrund. Schnelligkeit und die Fähigkeit, den Kurs blitzschnell zu ändern, werden stattdessen überlebensnotwendig und der Ruf nach Skaleneffekten durch Größe verstummt. Vielmehr scheint es, dass Markteintrittsbarrieren im digitalen Zeitalter völlig verschwinden, intellektuelles Eigentum zum Fremdwort mutiert und ein 20jähriger Stanford-Absolvent aus der Garage seiner Eltern heraus ganze Industrien in Frage stellen beziehungsweise "disrupten" kann.
Damit einher geht ein radikaler Wandel des Arbeitsmarktes. Die Fähigkeiten, auf die uns das klassische (zumindest deutsche) Bildungssystem bisher vorbereitet hat, und das Können des Auswendiglernens machen eher Soft Skills Platz, die vor nicht allzu langer Zeit vielleicht noch als schwach und wenig bedeutend abgetan wurden. Dies bestätigt nicht zuletzt die vielfach geteilte Übersicht der Skill-Entwicklung des World Economic Forums: "Kreativität" und die Fähigkeit des "kritischen Hinterfragens" nehmen die Spitzenplätze ein und sind damit Voraussetzungen dafür, in einem Unternehmen erfolgreich sein zu können. Darüber hinaus steigt die "emotionale Intelligenz" in das Top-Ten-Ranking auf und verdrängt damit zum Beispiel die früher noch für so wichtig empfundene "Qualitätssicherung". Letztere wird bald komplett von Systemen mit künstlicher Intelligenz übernommen werden.
An dieser Stelle stehen gerade die deutschen Unternehmen, die auf inkrementelle Verbesserung, Effizienz und Optimierung der Bottomline konditioniert sind, vor den größten Herausforderungen. Stellt sich also die Frage: Wie können wir Organisationen schaffen, die auf der einen Seite Ressourcen effizient einsetzen und auf der anderen flexibel, agil und so innovativ sind, dass sich die entwickelten Geschäftsmodelle im Zweifelsfall gegenseitig Konkurrenz machen? Frei nach dem Motto: Wettbewerb im eigenen Haus ist besser beherrschbar als draußen. Dabei geht es längst nicht mehr um Technologie oder den Einsatz der neusten Gadgets. Vielmehr dreht es sich um die Top-Talente, die sowohl die oben beschriebenen Skills als auch das mitbringen, was vielerorts als "Computational Thinking" bezeichnet wird - nämlich die Fähigkeit, in digitalen Strukturen zu denken sowie die technologischen Paradigmen zu durchdringen, zu verstehen und für das eigene Geschäft auszunutzen. Diese digitale Kreativ-Elite wird sich zukünftig noch mehr aussuchen können, welchem Arbeitgeber oder Auftragnehmer sie ihre Dienste zur Verfügung stellt, sei es in einer festen Anstellung oder viel öfter in Form von flexiblen und projektbezogenen Dienstleistungsverhältnissen. Hier drängt sich die Frage auf, welche Arbeitsbedingungen vorherrschen müssen, damit sich diese "Top-Experten" angezogen fühlen und ihre Dienste anbieten?
Die wichtigsten Kriterien der New Work
Spätestens jetzt kommt die "New-Work-" oder "Future-Work-Bewegung" ins Spiel, wo die persönliche Sinnstiftung von Arbeit sowie die Schaffung von optimalen Arbeitsbedingungen zur individuellen Lebenssituation im Zentrum stehen. Bis vor wenigen Jahren noch eine Utopie, doch dank der Digitalisierung in greifbarer Nähe. Der Grund: Nahezu grenzenlose Vernetzung, Demokratisierung von Wissen, Sharing Economy, Open Innovation, Crowd-Ansätze und Plattformen sind nur einige der Voraussetzungen und Merkmale, welche die New-Work-Gedankenwelt tragen.
Doch in vielen, insbesondere etablierten Unternehmen, stehen Fragen wie diese im Raum:
Wie drückt sich New Work im Unternehmenskontext aus?Bringt die in Teilen mühsame, weil radikale Einführung von New Work wirklich etwas?Gibt es tatsächlich nachweisbar positive Effekte?
Diese Fragen wurden im Rahmen einer Studie rund um das Thema "New Work" (mit Fokus Deutschland) von der Managementberatung Detecon International gemeinsam mit dem Institut HR Impulsgeber aufgeworfen. Die Diskussion mit der American Association of Management ergab dabei als wesentliche Eigenschaften-Cluster für erfolgreiche Unternehmen im digitalen Zeitalter folgende vier Kriterien (siehe Abbildung):
Individualität,
Führung,
Flexibilität.
Ergänzt werden diese Kriterien um den Faktor "Schaffung eines kreativitätsfördernden Arbeitsumfeldes" - ein ganz wesentlicher Erfolgsgarant in zahllosen New-Work-Projekten. Diese Cluster wurden dann im Rahmen weiterer Expertendiskussionen und -interviews zunehmend konkretisiert, mit Schwerpunkt auf die Gestaltung der Organisation und insbesondere auch der Beziehung zwischen Führungskräften und Mitarbeiter. Von den zwölf New-Work-Instrumenten, die den Clustern zugeordnet wurden, stellen "schnelle Entscheidungsprozesse" und "flexible Arbeitszeiten" die mit Abstand am meisten gewünschten Mittel dar.
Die klassische Führungsrolle ist out
Die Erhebung zeigt zudem, dass sich klassische Führungsstrukturen oft auflösen und Führung vielmehr als eine (temporäre) situative Rolle angesehen wird, die sich zum Beispiel je nach Projekt und Aktivitätenschwerpunkt ändern kann. Dabei treten häufig Expertenrollen an die Stelle klassischer Führungsrollen.
Im Zuge der Studie wurden die Teilnehmer befragt, wie sich die optimale Führungskraft verhalten muss, damit sie ihre Leistungsfähigkeit erhöhen, das heißt motiviert sind, im Job "ihr Bestes" zu geben? Die häufigsten drei Antworten lauteten:
Übertragung von hoher Verantwortung.Förderung der fachlichen Entwicklung.Selbstbestimmung, wie und wo Aufgaben erledigt werden.
Wenn also die Mitarbeiter viel mehr Verantwortung bekommen und selbst entscheiden können, wann, wo und wie sie arbeiten, muss die "Führungskraft" viel mehr als Coach, Mentor, Vorbild, Inspirator, Motivator, Berater und Persönlichkeitsentwickler fungieren. Chefsache heißt, nicht nur mit gutem Beispiel voranzugehen, sondern ebenso eine Vision vorzugeben, einen Weg aufzuzeigen, mögliche Hindernisse zu beseitigen und auch in schweren Phasen die Mitarbeiter für ihre Arbeit zu begeistern. Um diese Rolle auszufüllen, müssen Manager vor allem eine authentische Persönlichkeit sein, ihren Mitarbeitern Vertrauen schenken, klar und transparent kommunizieren sowie offen und bereit für Veränderungen sein, gerade vor dem Hintergrund einer immer komplexer werdenden Welt.
Überrascht hat in diesem Zusammenhang die starke Abweichung, die die Befragten zwischen gewünschtem Zustand und der jeweils aktuellen Situation empfinden. Gerade bei Themen, die aktuell "gehypte" Organisationsformen wie zum Beispiel Holocracy auszeichnen, sprich Partizipation, Flexibilisierung von Arbeitszeit und Freiräume für Kreativität sowie die Verwirklichung eigener Ideen, sehen die Interviewten noch großen Aufholbedarf.
Attraktive Arbeitgeber, motivierte Mitarbeiter
Die starke Abweichung zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist umso verwunderlicher, als die Umsetzung von New-Work-Instrumenten nach unserer Projekterfahrung und auch vor dem Hintergrund der Studienergebnisse maßgeblich zum Erfolg von Unternehmen beiträgt. Außerdem schaffen sie das für die Freisetzung des Kreativitätspotenzials der Mitarbeiter erforderliche Umfeld. So weisen die Ergebnisse der Studie signifikant positive Korrelationen zwischen der Einführung von New-Work-Instrumenten und der Arbeitgeberattraktivität, Umsatzentwicklung und Mitarbeitermotivation auf und korrelieren negativ mit der Mitarbeiterfluktuation.
Aber wenn New-Work-Instrumente nachweisbar Erfolg bringen, warum führen sie dann nicht alle ein? Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Umsetzung einzelner Instrumente häufig isoliert erfolgt und die nachhaltige Verankerung vernachlässigt wird. Die Folge: Die positiven Effekte treten erst mit einer deutlichen, zeitlichen Verzögerung ein. So ergab eine Interviewreihe mit New-Work-Experten und -Betroffenen, dass das Feedback vieler Mitarbeiter nach der Einführung von New-Work-Kriterien erst nach rund einem Jahr ins Positive schwenkt. Zunächst überwiegen vor allem die negativen Stimmen, da gerade eine umfassende Einführung eine starke Veränderung für das Personal sowie Führungskräfte bedeutet und dadurch Widerstände hervorruft.
Massiver Eingriff in das Belegschaftsverhalten
Die konkrete Umsetzung von New Work ist in der Tat kein leichtes Unterfangen. Der Teufel steckt auch hier im Detail. Was sich auf dem Papier oder in einer Powerpoint-Präsentation so selbstverständlich liest und anhört, führt bei der operativen Umsetzung oft zu massiven Widerständen und unvorhersehbaren Problemen.
Dies beginnt beim Scoping und der Vorbereitung einer New-Work-Initiative und endet bei der Akzeptanz der Betroffenen. Letztlich bedeutet New Work in vielen Unternehmen einen massiven Eingriff in das Verhalten der Belegschaft sowie in die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitern. Aber genau diese gilt es zu aktivieren und für New Work zu begeistern und nicht zu neuem Verhalten zu zwingen und mühsam zu überreden. Mit anderen Worten: Das Orchester spielt nicht harmonisch und wichtige Spieler fehlen.
Schaffung von Zielkongruenz
Die Metapher des Orchesters passt für New-Work-Initiativen sehr gut. Ein Unternehmen braucht die richtigen Mitspieler, einen hervorragenden Dirigenten und gute Instrumente - insbesondere aber ein Team, dessen Mitglieder perfekt aufeinander abgestimmt sind, in dem jeder das Beste gibt, aber trotzdem das gemeinsame Ergebnis im Vordergrund steht.
Sehr häufig ist zu beobachten, dass wichtige Player zu Beginn vergessen oder Silo- und Grabenkämpfe in New-Work-Initiativen hineingetragen werden. Es gibt schon genug Widerstände im Projektverlauf, da sollten Kämpfe innerhalb des Projektteams möglichst schon im Vorfeld vermieden werden. Dabei ist, wie die Erfahrung zeigt, gerade das Zusammenspiel der Dimensionen "People" (Mindset, Kultur, Organisation), "Places" (Home, Mobile, Office), "Tools" (Technologie) und die Einbeziehung entsprechender Vertreter entscheidend - in Deutschland betrifft das auch die Mitbestimmung und Vertreter der IT- und Datensicherheit. New Work birgt viele Chancen für die Mitarbeiter (Stichworte Flexibilität, Kommunikation, …), die klar und ehrlich herausgearbeitet und kommuniziert werden müssen. Zudem muss das Mittelmanagement unbedingt als Katalysator genutzt und möglichst früh gewonnen werden. Es stellt nicht nur einen der wichtigsten Multiplikatoren dar, sondern kann auch die Keimzelle für Widerstände und korrosive Energie sein. Hier darf eine Gegenwehr nicht unterschätzt werden.
Funktionalität geht vor Chic
An dieser Stelle ein kurzer Blick in die Dimension "Places". Deren Veränderung wird häufig federführend vom Immobilien- beziehungsweise Group Real Estate Management verantwortet und vorangetrieben. Die Ziele des Bereichs sind häufig (je nach organisatorischer Aufhängung) stark an Effizienz- und Standardisierungsvorgaben gebunden, was nachvollziehbar ist und erst einmal nicht im Widerspruch zu einer New-Work-Initiative steht. Allerdings besteht die Gefahr, dass "Modell- und Raumkonzepte der Vergangenheit" auf eine zukünftige Arbeitskultur und -organisation Anwendung finden sollen. Vorsicht, das ist der absolute Killer. Bei der konkreten Ausgestaltung des Arbeitsumfelds ist entscheidend, einen optimalen Mix aus optisch ansprechend, inspirierend und motivierend sowie funktional zu finden. Wobei ganz klar gilt: Funktionalität vor Chic und Chichi. Nichts frustriert Mitarbeiter mehr, als in einem Raum zu sein, in dem sie nicht richtig arbeiten können, weil zum Beispiel ein Beamer oder ein Bildschirm fehlt.
Den Scope im Auge behalten
Hier wurde bisher dem ganzheitlichen, harmonischen Ansatz das Wort geredet, weil er ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor ist. Allerdings gilt es gleichzeitig dafür zu sorgen, dass der Scope der New-Work- Initiative machbar bleibt. Alleine der Begriff New Work schreit regelrecht nach einem "Wir-retten-die-Welt"-Programm oder der berühmten eierlegenden Wollmilchsau. Es gilt aber, den Scope realistisch zu halten. Ein Sponsor in einem New-Work-Projekt hat dieses Problem pragmatisch gelöst. Sein Statement: "Wir werden kein Problem lösen, welches es vor der Initiative schon irgendwo anders gegeben hat." Letztendlich ist alles gar nicht so magisch. Versuchen Sie, die Auswirkungen von New Work auf Mitarbeiter zu entmystifizieren, um Ängste zu nehmen. Erzählen Sie ehrliche und greifbare Geschichten, anstatt von globalgalaktischen, artifiziellen Konzepten zu berichten.
Mitarbeiterbeteiligung ist ein Schlüsselfaktor
Auch der Begriff "Mitarbeiterbeteiligung" wird häufig sehr leichtfertig in den Mund genommen. Zu Beginn einer Initiative kündigt die Unternehmenskommunikation vollmundig an: "Wir nehmen euch alle mit und ihr könnt den Veränderungsprozess aktiv mitgestalten." Konkret umgesetzt werden dann im Zweifelsfall nur homöopathische Maßnahmen, was bei Mitarbeitern nicht nur zu Missmut und Zynismus, sondern zu einer grundlegenden Abwehrhaltung gegenüber der New-Work-Initiative führen kann.
Um dies zu vermeiden, sollten sich die Projektverantwortlichen bereits im Vorfeld intensiv Gedanken darüber machen, wie die Beteiligung der Mitarbeiter konkret aussehen kann. Und auch, inwiefern sie bereits beim Start der Initiative das Thema demokratische Führungsstrukturen durch eine strukturierte Einbindung der Beschäftigten zum Leben erwecken können. Im Sinne der Nutzerzentrierung könnte zum Beispiel von Anfang an mit einer Gruppe von Mitarbeitern ein Sounding Board (Fokus Anforderungen und Feedback) und/oder Ambassadoren-Programm (Fokus Unterstützung und "Promotion") eingerichtet werden. Solche Maßnahmen gewährleisten letztlich auch, dass der Umsetzungswille für New Work als authentisch und ernsthaft angesehen wird.
Fazit
Mitarbeiter haben klare Erwartungen an ihre Arbeit, nämlich dass sie mehr Verantwortung tragen, selbstbestimmt arbeiten und von ihren Leadern (fachlich) gefördert werden; diese wird allerdings bis dato noch nicht in ausreichendem Maße erfüllt. Die Umsetzung von New-Work-Maßnahmen ist insgesamt durchaus ein Kraftakt, der sich allerdings langfristig auszahlt. Und schnelle Entscheidungsprozesse, eine demokratische Führungskultur und Creative Workspaces machen eine Firma nicht nur beliebter bei ihren Mitarbeitern, sondern steigern auch den Umsatz. (pg)
Eine Vertiefung des Themas "New Work" sowie weitere, konkrete Umsetzungshinweise finden Sie in unserem Buch "New Work - Auf dem Weg zur neuen Arbeitswelt".