Das iPhone im Urteil der Kritiker

04.07.2007
Die COMPUTERWOCHE hat in den letzten Tagen und Wochen immer wieder Kommentare von Marktforschern und Experten zu Apples iPhone erhalten. Wir haben die wichtigsten Meinungen für unsere Leser zusammengestellt.



Gartner: Konservativer Ansatz, hervorragende Technik

Ungeachtet der Diskussionen über den hohen Preis, fehlende Features und mangelnde UMTS-Unterstützung werden Apples Stärken – das User-Interface und die Marke – dafür sorgen, dass der Smartphone-Pionier schnell zu einer festen Größe im Markt wird. Die Nutzung der hervorragenden Touchscreen-Technologie und der Sensoren sowie die Arbeitsweise und das Design der Benutzeroberfläche sind besonders eindrucksvoll an diesem Gerät

Die Technikplattform ist indes im Kern relativ konservativ für ein Smartphone, das Mitte 2007 herauskommt. Dem iPhone fehlt es an Highend-Funktionen wie GPS, Videofähigkeit, UMTS-Unterstützung und einer austauschbaren Batterie. (Apple behauptet allerdings, das iPhone ermöglicht Sprechzeiten von acht Stunden, Web-Browsing für sechs Stunden sowie Abspielzeiten für Video- und Audiodateien von sieben beziehungsweise 24 Stunden. Erste Tests haben indes ein anderes Bild ergeben. Anm. d. Red.). Beim iPhone wird es vor allem auf die Nutzung des Web-Zugangs und auf iTunes ankommen: Werden Konsumenten erstmals im großen Stil Video- und Audiodateien auf ein mobiles Endgerät herunterladen und dort nutzen? (siehe erste Testberichte).

Für Apple war die Einbindung des vollständigen Safari-Browsers in das iPhone ein wichtiger Schritt, weil so ein unlimitierter Web-Zugang möglich ist. Geschickt hat das Unternehmen einen Vertrag mit Google geschlossen: Youtube-Videos stehen im Video-Kompressionsstandard H.264 bereit und können auf dem iPhone konsumiert werden.

Für den Erfolg des Geräts werden künftig folgende Punkte wichtig sein:

Blühende Geschäfte für Apple?

Apple muss ständig neue, innovative Produkte herausbringen. Nur wenn der Innovationsfluss in Gang bleibt, wird Apple das unglaubliche Momentum, das es sich in den vergangenen fünf Monaten aufgebaut hat, nicht verlieren. Angesichts der kurzen Produktlebenszyklen im Handymarkt (neun bis zwölf Monate) und der Apple-Geschichte glauben wir, dass der Konzern binnen neun Monaten ein zweites, preiswerteres Gerät herausbringen sollte, um die Produktlinie lebendig zu halten.

Das Geschäftsverhältnis zum US-amerikanischen Exklusivpartner AT&T muss durch neue, einzigartige Services und Medienangebote seinen Wert und seine Innovationskraft bestätigen. Insbesondere Apples Forderung an alle iPhone-Nutzer, vor der Aktivierung des Geräts einen iTunes-Account einzurichten, muss sich für iTunes-Kunden lohnen. Andernfalls fühlen sich die Anwender drangsaliert und sehen in der Nutzung der Musikplattform keinen Vorteil.

Apple hat es in kürzester Zeit geschafft, eine Marke aufzubauen, ohne das Produkt anbieten zu können. Das iPhone ist jetzt eine erstklassige Marke im von harter Konkurrenz geprägten US-Handymarkt. Gleichzeitig konnte Apple einen bemerkenswerten Vertrag mit AT&T aushandeln. Obwohl es eigentlich die Netzbetreiber sind, die den nordamerikanischen Endgerätemarkt kontrollieren, glaubt Gartner, dass Apple in seinem Deal mit AT&T Preise und Konditionen bestimmt und eine Reihe öffentlich nicht bekannter Vorteile herausgeschlagen hat. Erstaunlich daran ist, dass all dies geschah, noch bevor der erste zahlende Kunde mit einem iPhone telefoniert hat. Entscheidend für Apple wird sein, ob sich dieser Erfolg in Europa wiederholen lässt.

Lesenswertes zum Thema iPhone:

Für Unternehmen hält Gartner ein paar Empfehlungen bereit:

Greenwich Consulting: Warnschuss gegen die Mobilfunkbranche

Angesichts der Berichte über die euphorische Kundenresonanz zur Markteinführung des neuen Apple iPhone in den USA schwanken die Reaktionen der Fachleute zwischen Begeisterung, Neid und Relativierung. Loben die einen vor allem das Gerät als revolutionäre Neuentwicklung, sprechen andere von einem Smartphone, das nur wenig mehr und manches weniger kann als existierende Geräte. Intensiv kritisiert wird darüber hinaus die exklusive Partnerschaft mit dem Mobilfunkanbieter AT&T als wenig kundenfreundliches und monopolisierendes Bündnis.

Nelly Furtado auswählen auf dem digitalen Begleiter - über Geschmack lässt sich streiten.

Sind die Begeisterungswellen beim US-Verkaufstart des iPhone nun ein amerikanischer Spleen? Ist die Euphorie vor allem dem trickreichen Marketing des Technologie-Rockstars im Rollkragenpullover, Steve Jobs, geschuldet? Greenwich Consulting ist davon überzeugt, dass mehr hinter dem möglichen Markterfolg des iPhone steckt und es lohnenswert ist, einen analytischen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

Die gesamte Telekommunikationsindustrie – vom Mobilfunk-Anbieter bis zum traditionellen Handy-Hersteller – propagiert das mobile Internet nun schon seit Jahren, mit nur relativ geringem Erfolg. Obgleich Technologien und Anwendungen verbessert und anwenderfreundlicher geworden sind, ist dies bei den meisten Käufern offenbar nicht ausreichend angekommen. Die Geräte erscheinen nach wie vor als schwierig zu bedienen, die Produkt- und Tarifangebote als komplex und intransparent.

Die sichtbare iPhone-Strategie von Apple zeigt ein tiefes Verständnis davon, dass der Erfolg von Multimedia-Produkten vor allem von der Kundenorientierung, Konsistenz und Verständlichkeit der gesamten damit verbundenen Systemlösung abhängt. Grundvoraussetzung für eine hohe Kundenakzeptanz ist ein übergreifendes Paketangebot, das die Einzelaspekte Multimedia-Gerät, Preis- und Produktgestaltung sowie den Erfahrungsstand des Nutzers intelligent zusammenführt. Apple hat sein Verständnis dieser Grundzusammenhänge mit dem Erfolg des MP3-Players iPod bereits bewiesen: Das ansprechende Gerät wurde mit dem nutzerfreundlichen Internet-Service iTunes und einem cleveren Preismodell (0,99 Dollar je Musikstück) verbunden.

Gewonnen hat hier nicht das beste Gerät, auch nicht der niedrigste Preis. Gewonnen hat die beste Kombination der relevanten Aspekte. Auch in der Welt der mobilen Multimedia-Anwendungen gibt es bereits einen Vorläufer, der das Erfolgspotenzial bei Einhaltung dieses Marktprinzips zeigt: I-Mode, der weltweit erfolgreichste Portaldienst für Mobiltelefone des japanischen Anbieters NTT Docomo – gestartet bereits 1999.

Auch wenn der Retail-Preis für das iPhone mit 500 bis 600 Dollar vergleichsweise hoch ist gehen wir davon aus, dass die von Apple gemeinsam mit AT&T offerierte Produktplattform die wichtigsten Elemente für eine nachhaltige Erfolgsgeschichte vereint. Für das Erreichen der beiden von Apple-Chef Steve Jobs vorgegebenen Ziele – zehn Millionen verkaufte iPhones bis Ende 2008 und Wahrnehmung des mobilen Internet-Angebots als bestes seiner Klasse – bestehen gute Voraussetzungen: ein attraktives Gerät, das ansprechendes Design mit einer starken Marke verbindet, und eine komplette technologische Plattform, die integrierte Angebote bruchlos zusammenführt.

Google und YouTube liefern einen Teil der vorinstallierten Anwendungen zu.
Foto: Apple

Zugegeben: die meisten iPhone-Funktionen, seien es Musik, Mail, Internet-Zugang etc., werden auch von anderen Smartphones geboten, jedoch nicht derart eng mit den etablierten und populären Web-Angebote kombiniert wie beispielsweise iTunes oder YouTube.

In der verbesserten Anwendbarkeit liegt der höchste Anspruch des iPhones - schließlich wird die Nutzung vergleichbarer Smartphones immer noch als kompliziert und wenig intuitiv wahrgenommen. Das iPhone setzt hier konsequent auf Touchscreen-Technologie, um den Zeitbedarf bei der Anwendung und Dateneingabe zu minimieren.

Ein intelligentes und konsistentes Preismodell, unter anderen auf Basis einer Daten-Flatrate; verantwortlich dafür ist zunächst einmal im US-Markt AT&T – zwar sind solche Flatrate-Modelle nicht revolutionär, für den Erfolg des Gesamtpakets ist gleichwohl der unbegrenzte Zugang zu E-Mail- und Internet-Anwendungen eine wichtige Voraussetzung, um die Nutzung und damit den damit verbundenen Datentransfer bis hin zu Internet-Käufen zu steigern.

Insbesondere die exklusive Zusammenarbeit von Apple mit AT&T wird dabei als wenig kundenfreundlich kritisiert. Tatsächlich erstaunt dieser Ansatz durch Apple, angesichts der durch Steve Jobs oftmals geringschätzig charakterisierten Telekommunikationsunternehmen, die viel von Datenübertragung, aber wenig vom Kunden verstünden. Warum also die Exklusivität mit AT&T im US-Markt? Dahinter steht einerseits die Einsicht von Apple, dass es ohne die Zusammenarbeit mit den Mobilfunk-Anbietern schlichtweg nicht geht, da diese mittels Subventionen die Gerätepreise stark positiv beeinflussen, die Preise der Datenübertragung und die möglichen Gerätekonfigurationen dominieren und letztlich auch eine wichtige Rolle bei Vermarktung und Vertrieb spielen. Analogien mit dem gespannten Verhältnis zwischen Apple und der Musikindustrie sind dabei nicht zufällig.

Andererseits ist die exklusive Partnerschaft mit AT&T kurzfristigen strategischen Überlegungen zur optimalen Gestaltung des Markteintritts geschuldet. Mit einem exklusiven Partner ist es leichter möglich – angesichts einer anfänglich geringen Zahl verkaufter Einheiten des iPhone – möglichst hohe Anteile an den Einnahmen für Datentransfer und dem Verkauf von Inhalten zu erhalten.

Apple verzichtet also temporär auf vielfältige Partnerschaften, um im Gegenzug seine Rolle zu stärken. Das mag für den Anfang gelten – die Verhandlungen mit den potenziellen europäischen Partnern Vodafone und Orange laufen noch. Es bleibt abzuwarten, ob und wie lange ein vergleichbares Geschäftsmodell auch für den europäischen Markteintritt gewählt wird. Für die Zukunft ist mit einer Ausweitung des Partnerkreises zu rechnen.

"Apple wird mit dem iPhone nicht aus dem Stand das saturierte und zugleich immer noch margenstarke Mobilfunkgeschäft revolutionieren", meint Sylvain Maquet, Principal und Mobilfunkexperte bei Greenwich Consulting. Zu sehr bleibe das hochpreisige Gerät den zahlungskräftigen oder besonders begeisterungsfähigen Kundengruppen vorbehalten. Aber ein Warnschuss an die etablierten Mobilfunkanbieter, den Kunden mehr in das Zentrum ihrer Produktstrategie zu stellen, sei in jedem Fall abgegeben worden. Maquet: "Wer hätte so viel emotionales Potenzial für das Allerweltsprodukt Handy heute noch erwartet?"

Ovum: Teures Mittelmaß – aber kultig

Die iPhone-Ankündigung war der Traum jeder Presseabteilung. Sucht man bei Google danach, erhält man auf Anhieb über 200 Millionen Hits. Doch hinter dem Hype steht die Frage: Was bedeutet das iPhone für den Markt?

Für den Konsumenten ist das iPhone nach Einschätzung von Ovum erst einmal teuer und technisch alles andere als einzigartig. Apple hat iTunes- und iPod-Funktionen mit einem Kommunikations-Endgerät kombiniert. Doch das Gerät wird nicht nach blanker Funktionalität beurteilt. Dank des Designs, der Bedienbarkeit und der Marke hat es Kultstatus, weshalb der hohe Preis auf Dauer kein Problem für den Anbieter sein sollte.

Für AT&T bringt der Exklusivvertrag mit Apple vor allem Publicity für die Konzerntochter AT&T Wireless, die sich die weit bekanntere Marke Cingular einverleibt hatte. Doch ansonsten sind die Vorteile für AT&T begrenzt. iTunes-Downloads werden kaum drahtlos stattfinden, so dass AT&T nicht an den Musik- und Videoerlösen beteiligt sein dürfte. Im Gegenteil: Die Integration von iTunes in das Gerät macht es für AT&T schwierig, selbst mobile Datenservices anzubieten. Und schließlich zeigt sich schon jetzt, dass der Datentransfer über die GSM-Erweiterung Edge zum Nadelöhr werden und die Web-Erfahrungen der User beeinträchtigen könnte. (Steve Jobs selbst hatte sich enttäuscht über die Surfgeschwindigkeit geäußert, Anm. d. Red.)

Apple profitiert von der gewaltigen öffentlichen Aufmerksamkeit zum Markteintritt. Vermutlich werden die fehlenden Funktionen, insbesondere die UMTS-Unterstützung, nachgereicht – der Zeitpunkt bleibt allerdings ein Geheimnis. Apple möchte bis Ende 2008 rund zehn Millionen iPhones verkaufen, doch wir denken, das wird eine schwierige Herausforderung. Das Gerät wird zu einem hohen Preis angeboten und zielt nicht auf den Massenmarkt. Kommt es auch in Europa und Asien zu exklusiven Zweijahresverträgen mit Mobilfunk-Carrieren (wie AT&T in den USA), dann wird Apple nur eine begrenzte Nutzergruppe erreichen.

Europäische Netzbetreiber werden mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sein wie AT&T, doch die fehlende UMTS-Funktionalität wird sich in Europa stärker auswirken. Konsumenten diesseits des Atlantiks erwarten eine schnelle Datenübertragung, und die Netzbetreiber sind an Datentransfers interessiert. Trotzdem wird sich für Apple ein Partner finden, denn das Marketing-Potenzial des iPhone ist immens. Alle Netzbetreiber dürften interessiert daran sein, das Gerät anbieten zu können, wenn es sich eben rechnet.

Handyhersteller sollten sich nicht zu sehr unter Druck setzen lassen. Apples Marktanteil wird 2008 lediglich ein Prozent betragen, die Konkurrenten werden Zeit haben, angemessen zu reagieren. Sie werden dabei von den hohen Produktionsvolumina und ihrer Distributionsstärke profitieren können. Außerdem können sie den "Halo"-Effekt nutzen: Verbraucher, die sich kein iPhone leisten können, werden verstärkt zu preiswerten Alternativen mit vergleichbaren Funktionen greifen.

Auch in Zukunft werden die großen Netzbetreiber und Handyhersteller an ihren Mobilfunkstrategien und ihren Plattformen festhalten. Niemand wird alles über den Haufen werfen, um groß angelegte Entwicklungs- und Servicekonzepte rund um das iPhone zu basteln. Allerdings dürfte Apples Neuling dafür sorgen, dass die Gerätehersteller künftig mehr Wert auf Design und Benutzerfreundlichkeit legen. (hv)