CIO trifft CEO

"Auch für Dienstleister gelten die Menschenrechte"

08.04.2010 von Heinrich Vaske und Christoph Witte
Welche Rolle spielen CIO und Dienstleister im Cloud-Zeitalter? Hans-Joachim Popp, CIO des DLR, und Reinhard Clemens, CEO der T-Systems, haben dazu ganz eigene Ansichten, die sie im COMPUTERWOCHE -Gipfelgespräch diskutieren.

CW: Herr Popp, Sie haben gerade einen großen Outsourcing-Vertrag mit T-Systems verlängert. Hatten Sie bei der großen Abhängigkeit vom Dienstleister überhaupt Spielraum, um ein besseres Ergebnis für das DLR zu erzielen?

POPP: Wir sind als Organisation der öffentlichen Hand zur öffentlichen Ausschreibung verpflichtet und können Verträge gar nicht automatisch verlängern. Ein solcher turnusmäßiger Reset gibt uns die Möglichkeit, die Beziehung zum Dienstleister an die neuen Anforderungen anzupassen. In den fünf Jahren unserer Zusammenarbeit hat sich schließlich einiges verändert. Die enge Bindung an T-Systems lässt sich natürlich nicht wegdiskutieren, aber wir arbeiten ständig daran, sie nicht zu groß werden zu lassen. Wir haben eine sehr gute vertragliche Grundlage geschaffen, die uns auch einen Wechsel des Providers erlaubt. Das wäre zwar nicht einfach, aber die Hürde ist für uns durchaus nehmbar.

CW: Herr Clemens, ist es für Sie einfacher, einen solchen Kunden neu zu gewinnen oder ihn zu halten?

CLEMENS: Wir haben Klauseln vereinbart, zum Beispiel regelmäßige Benchmarks, die es dem Kunden erlauben, Druck zu machen, wenn Leistungen zu teuer sind, die Preise der Konkurrenz niedriger liegen oder SLAs nicht eingehalten werden. Vor 15 Jahren sah das noch anders aus. Da hätte kein Dienstleister Benchmarking-Klauseln akzeptiert, die Verträge waren geschlossene Gebilde. Heute sind sie viel offener. Das heißt, es kostet heute mehr Anstrengung, einen Kunden zu halten. Aber wenn wir im ersten Turnus gute Arbeit geleistet haben, fällt die Verlängerung immer noch leichter, als einen neuen Kunden in einer solchen Größenordnung zu gewinnen.Ich halte es übrigens für falsch, zu glauben, dass Outsourcing zwangsläufig eine große Abhängigkeit vom Dienstleister nach sich zieht. Ein Outsourcer muss immer billiger sein als die hausinterne IT eines Unternehmens. Das funktioniert nur, wenn der Outsourcer es schafft, über mehrere Kunden hinweg zu standardisieren. Und je mehr Standards es gibt, desto austauschbarer wird der Dienstleister.

POPP: Natürlich kennt T-Systems unsere Organisation inzwischen sehr viel besser als die meisten Mitbewerber. Allerdings treten immer wieder Konkurrenten mit neuen Ideen an uns heran, die wir bisher nicht umgesetzt haben. So bleibt das ganze Verhältnis zum Dienstleister in einer Balance, die uns sehr viel mehr Bewegungsfreiheit erlaubt als gemeinhin angenommen.

Standardisiert gleich austauschbar

CW: Stimmen Sie der Aussage von Herrn Clemens zu, wonach inzwischen so viel standardisiert ist, das der Outsourcer relativ leicht ausgetauscht werden kann?

Popp: Bei einem Teil der Aufgaben ist das sicher so …

CW:… Aber sie wollen dennoch von ihrem Anbieter ein sehr stark auf ihre Organisation zugeschnittenes Paket.

POPP: Wir wollen genau da auf uns zugeschnittene Services, wo das Wissen des Dienstleisters über unsere besonderen Anforderungen essenziell ist. Wo wir ganz normale Anforderungen haben, wollen wir auch die am höchsten skalierbaren Services. Wir brauchen also beides - Maßanzug und Standards.

CLEMENS: Das ist ein ständiger Spagat, der uns auch in der Cloud-Diskussion immer wieder beschäftigt. Auf der einen Seite hochstandardisierte Services, auf der anderen aber die individuellen Anforderungen einer Organisation - zum Beispiel in Bezug auf Sicherheit oder Endbenutzereffizienz. Da muss man abwägen: Wie stark kann man eine Organisation an den Standard heranführen, ohne das Geschäftsmodell zu gefährden?

Mehrwert gegenüber dem Offshoring

CW: Standardisierte und skalierbare Services sind auch etwas, das auch Ihre Konkurrenten aus Fernost können. Welchen Mehrwert vermag denn eine T-Systems der DLR noch anzubieten?

Reinhard Clemens, CEO T-Systems

CLEMENS: Beim Betrieb von reiner IT-Infrastruktur spielen Personalkosten heute - anders als im Systemintegrationsgeschäft - nicht mehr die entscheidende Rolle. Es geht um die effiziente und intelligente Nutzung der Hardware. Deshalb können wir mit unserer dynamischen, hoch virtualisierten Plattform aus Deutschland heraus wettbewerbsfähig anbieten. Begonnen haben wir damit schon 2004. Die Frage lautet also nicht, ob wir etwas können, was die neuen Mitbewerber aus Fernost nicht können, sondern wer das zuerst kann, wer innovativer ist, wer den größeren Weitblick hat. Die Inder sind in Sachen Infrastruktur nicht besser als wir. Ich glaube sogar, dass wir solche Aufgaben aufgrund der stärkeren Netzinfrastruktur besser hinbekommen. Es geht nicht mehr nur um Kosten, es geht auch um die Energieeffizienz der Netz- und Server-Hardware. Die Stadt London hat beispielsweise den Bau neuer Rechenzentren in der Stadt verboten, weil man dort ein Zusammenbrechen der Energieversorgung befürchtet.

POPP: Es gibt noch weitere Unterschiede. Eine hiesige Hotline ist tendenziell immer näher an den Bedürfnissen des Kunden als eine in Indien. Räumliche Entfernung, kulturelle Unterschiede und Datenschutz ziehen die Grenzen des Shoring. Die hauptsächliche Wertschöpfung im Service besteht doch bei vielen Leistungen im unmittelbaren Verstehen des Anwenderproblems.

CW: Wenn Sie bei T-Systems Infrastrukturleistungen beziehen, wissen Sie eigentlich, in welchen Rechenzentren sie erbracht werden? T-Systems sourct ja selbst, beispielsweise in Osteuropa.

POPP: Wir wissen immer hundertprozentig, wo unsere Daten gespeichert werden. Anders könnten wir kaum unsere eigenen Verträge einhalten. Unsere Kunden erwarten ja auch ein hohes Maß an Vertraulichkeit der Forschungsergebnisse.

CLEMENS: Übrigens, wenn wir ein Rechenzentrum von Osteuropa aus betreiben, kann das physisch durchaus in Deutschland stehen. Wir kaufen nur die Operator-Dienstleistungen für bestimmte Services dort ein, aber die Daten verlassen Deutschland nicht. Was ein Operator darf und was nicht, ist sehr genau geregelt. Nach dem Datenskandal bei der Telekom haben wir das noch einmal sehr genau geprüft und die Schritte detailliert festgelegt. Außerdem wird alles minutiös kontrolliert und dokumentiert. Dazu sind wir schon aus rechtlichen Gründen verpflichtet.Eine von uns in Auftrag gegebene Umfrage hat ergeben, dass auch für Endverbraucher Privacy und Datenschutz mit deutlichem Abstand die wichtigsten Thmemen sind. Man darf sie genauso wenig unterschätzen wie die Punkte Verfügbarkeit und Service. Wen rufen Sie an, wenn Googlemail nicht funktioniert? Da werden Sie niemanden finden, weil so etwas gar nicht vorgesehen ist.

POPP: Selbst für mich als Unternehmenskunden gibt es für die Standard-Google-Dienste keine Nummer, die ich wählen kann, wenn irgend etwas nicht läuft wie es soll. Die Internet-Suchmaschine ist hundertprozentig auf Werbekunden ausgerichtet. Der Nutzer kann sich auf keinerlei Rechte berufen. Wenn uns Google den Dienst entzieht, bringt uns das als intensivem Nutzer dieses Dienstes in eine prekäre Lage. Wir hätten jedoch keine Möglichkeit, dagegen anzugehen.

CLEMENS: Ja, was machen Sie dann als Unternehmen mit 40.000 E-Mail Accounts? Da unterscheiden sich die Welten der klassischen Unternehmens-IT doch noch dramatisch von der schönen neuen Welt des Cloud-Computing. Im Consumer-Bereich mag das funktionieren. Aber wo die IT als Produktivkraft eingesetzt wird, herrschen doch viel höhere Anforderungen an Verfügbarkeit, Sicherheit und Service. Deshalb ist die Diskussion über Cloud oder klassisches Computing auch nicht trivial und lässt sich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Es gibt vielleicht den ein oder anderen Service, den ein Unternehmen aus der Public Cloud beziehen kann. Aber solange ein IT-Chef im Störfall nicht sagen kann, was ihn erzeugt hat und wann die IT-Produktion wieder anläuft, ist die Public Cloud für Unternehmen keine wirkliche Alternative.

POPP: Für uns sind Services nur dann geeignet, wenn wir genau wissen, was wir dafür bezahlen müssen. Wenn wir etwas scheinbar Kostenloses in Anspruch nehmen, heißt das in aller Regel, dass wir einen solchen Service indirekt bezahlen müssen - nur, dass wir in einem solchen Fall keinen wirklichen Anspruch auf eine definierte Leistung haben. Wenn unklar ist, wann und an welcher Stelle die Kosten anfallen, dann ist das in der Regel für uns keine annehmbare Dienstleistung.

Was können Amazon, Google & Co.?

CW: Es ist schon erstaunlich, wie weit Amazon und Google in Ausschreibungen kommen, wenn es beispielsweise um die Versorgung von ein paar Tausend Mitarbeitern mit E-Mails geht. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass einige CIOs ihre bisherigen Dienstleister preislich unter Druck setzen wollen.

CLEMENS: Wir könnten die gleiche Mailbox wie Google anbieten, sogar noch günstiger, müssten dann aber auch auf weitere Services verzichten. Das Google-Angebot basiert auf virtualisierter Intel-Hardware mit einer kleinen standardisierten Mailbox. Das kann jeder nachbauen, das ist nichts Besonderes. Aber am Ende des Tages zahlt der Kunde für Services und nicht für die Mailbox.

Hans-Joachim Popp, CIO des DLR

POPP: Wir wollen von Google oder Amazon beispielsweise wissen, wie lange es pro Terabyte dauert, die Daten im Fall der Geschäftsaufgabe an uns zurückzutransferieren und welche Garantien es für eine Löschung gibt. Ein Schulterzucken oder die Antwort, das könne nie passieren, befriedigen uns da nicht wirklich. Wenn diese Provider aber ganz klare SLAs anbieten und unsere Fragen ausreichend beantworten, zählen sie für uns selbstverständlich zu den ernst zu nehmenden Anbietern. Zumindest, wenn sie über einen längeren Zeitraum bewiesen haben, dass Sie die Verträge wirklich einhalten.

CLEMENS: Das kann aber kein Anbieter von Cloud-Standard-Applikationen umsetzen. In der Cloud lassen sich hoch standardisierte, skalierbare Services anbieten. Um sie gut zu betreuen, kauft man spezialisierte und preiswerte Hardware. Diese Landschaften werden nur für diesen einen Zweck gebaut, man kann sie für nichts anderes verwenden. Sie sind hervorragend skalierbar, aber nicht flexibel. Wir hingegen müssen als Dienstleister immer wieder einen Spagat machen: auf der einen Seite hochperformante, standardisierte Services bauen und auf der anderen Seite flexibel auf spezielle Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden reagieren.

POPP: Wir zum Beispiel benötigen für bestimmte Aufgaben ein paralleles File-System, das einen Durchsatz von ein paar Gigabyte pro Sekunde haben muss …

CLEMENS: … was das bei einem Cloud-Provider etwas schwierig sein dürfte. Deshalb werden beide Modelle nebeneinander existieren.

CW: So wie Sie das beschreiben, wäre es für eine T-Systems nicht schwierig, Cloud-Services anzubieten, wenn Sie das wollte.

CLEMENS: Ja, wo wir das wollen. Wir werden auch ähnliche Services anbieten. Beispielsweise bauen wir gerade an einem Deutschland-LAN für kleinere und mittlere Unternehmen. So können wir diese Kunden mit einem Business-DSL-Anschluss versorgen, der verschiedene hoch standardisierte Services integriert. Das geht schon in Richtung Public Cloud, hat aber einen anderen Rahmen. Die Kunden wissen, wo ihre Daten sind, wir garantieren SLAs, und es gibt Support-Mitarbeiter, die jederzeit telefonisch erreicht werden können.

Der CIO - ein König ohne Land?

CW: Abgesehen vom Cloud Computing - wie entwickelt sich Ihrer Meinung nach das Thema Sourcing weiter? Verschieben sich in den Anwenderunternehmen die Gewichte? Wird der CIO zum König ohne Land?

Hans-Joachim Popp, CIO des DLR

POPP: Das war ich immer schon. Ich kann da keinen Unterschied zur Vor-Cloud-Ära erkennen. Ich habe ein vertraglich geregeltes Verhältnis zu den Service-Providern. Das funktioniert besser als früher, als wir viele Dinge im Haus gemacht haben und die Verhältnisse disziplinarisch gesteuert wurden. Die Wünsche des DLR durchzusetzen klappt gegenüber einem Dienstleister besser als zum Beispiel gegenüber einem internen Rechenzentrumsleiter. Meine Handlungsfreiheit ist nicht kleiner geworden, im Gegenteil. Voraussetzung ist natürlich eine ordentliche Organisation.

CLEMENS: Sie würden wahrscheinlich den Chef von Adidas, Herbert Hainer, nicht als König ohne Land bezeichnen, obwohl Adidas fast nichts mehr selbst produziert. Das Unternehmen sourct alles außer dem Marketing. Auch der CIO muss sich fragen, wie groß die eigene Wertschöpfungstiefe künftig sein muss und was man besser einkauft. Entscheidend ist, wo die IT das eigene Unternehmen vom Wettbewerb differenziert.

POPP: Der CIO muss erkennen, welche Anforderungen sein Unternehmen hat und wie man diese in IT übersetzt. Außerdem ist es sein Job, die Komplexität der Unternehmens-IT immer so klein wie möglich zu halten. Er muss Standards durchsetzen, wo sie sinnvoll sind, und besondere Formen der IT-Unterstützung dort zulassen, wo sie geboten sind. In diesem Spannungsfeld fühle ich mich sehr wohl.

Cloud-Definition ist bewusst neblig

CW: Stellen Sie beide die Cloud-Angebote nicht etwas zu holzschnittartig dar, um ihre Eignung für Unternehmenskunden besser bestreiten zu können, also Ihre eigenen Tätigkeitsbereiche besser zu schützen?

CLEMENS: Wenn man Cloud eindeutig definieren würde, dann könnte ich Ihnen darauf eine klare Antwort geben.

POPP: Die Definition wird von einigen Herstellern bewusst schwammig formuliert.

CW: Das tun sowohl die Befürworter als auch die Skeptiker.

POPP: Unter das Cloud-Dach wollen erzeit offenbar alle. T-Systems vermeidet diesen unglücklichen Marketing-Begriff. Sie spricht von Dynamic Services. Cloud ist schon vom Begriff her nebelig und undurchsichtig. Solche Services darf ich für meine Kunden nicht einkaufen. Die wollen nämlich die Garantie, dass wir die Kontrolle behalten. Ich gebe dem Dienstleister quasi einen Vertrauensvorschuss, damit er mit diesen Daten keinen Unsinn treibt. In der Cloud weiß ich aber nicht einmal, wo meine Daten sind.

CW: Wenn man sich die Websites von T-Systems anschaut, versucht man dort sehr wohl, die Dynamic Services mit Cloud-Computing gleichzusetzen.

Reinhard Clemens, CEO, T-Systems

CLEMENS: Wir betreiben Net-centric Sourcing. Der klassische Cloud-Begriff bedeutet für mich, ein standardisierter, hoch verfügbarer, hoch skalierbarer Service wie Strom aus der Steckdose mit einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Der Kunde bezahlt das, was er verbraucht. Das können Dienstleister mit den verschiedensten Services leisten. Unser Anspruch ist, unseren Kunden eine preisgünstige und skalierbare Plattform anzubieten, die trotzdem noch flexibel ist und auf seine speziellen Anforderungen reagieren kann. Wir können heute Leistungen über das Netz anbieten, die wir vor ein paar Jahren so nicht hätten anbieten können.

Feste Laufzeit mit Raum zum Atmen

CW: Cloud weist außerdem noch das Attribut der verbrauchsabhängigen Zahlung auf Zeitbasis aus. Ich kann einen Service stundenweise nutzen. Mit dem DLR hat die T-Systems jetzt wieder einen Fünfjahresvertrag geschlossen. Wäre für Sie, Herr Popp, der Verzicht auf Laufzeiten nicht auch sinnvoll?

Hans-Joachim Popp, CIO, DLR

POPP: Der Vertrag ist zwar über fünf Jahre abgeschlossen, aber er besteht schon zu einem großen Teil aus On-Demand-Elementen. Wir rechnen CPU-Zeiten schon immer nach Minuten ab, Speicher nach Gigabyte etc. In dem Vertrag ist nicht vorgesehen, einmal im Monat pauschal einen großen Geldbetrag zu überweisen. Es werden die Leistungen bezahlt, die der Endanwender pro Monat abfordert. Der Vertrag steht ständig unter Spannung und Kontrolle, auch von Seiten der einzelnen DLR-Institute. Die stimmen quasi mit den Füßen ab, ob ihnen ein Service gefällt oder nicht. Es gibt auch Services, die sich nicht durchsetzen und aus dem laufenden Vertrag gestrichen werden. Allerdings ist der Dienstleister für fünf Jahre gesetzt. Auf diese Weise gibt uns der Vertrag genug Luft zum Atmen.

CW: Liegt im Atmen des Kunden für den Dienstleister nicht ein großes Problem? Je stärker der Kunde ein- und ausatmet, desto teurer ist es doch für den Provider.

CLEMENS: Unsere Plattform weist unabhängig vom Kunden eine einheitliche Infrastruktur auf, ein System-Management. Darauf haben wir verschiedene Stecker für Applikationen und Anwendungen, beispielsweise für SAP, aufsetzt. Wenn ein neuer Kunde SAP-Leistungen will, bieten wir ihm den passenden Stecker an. Die Plattform bemerkt nur die zusätzliche Last, die wir im Verbund unserer Rechenzentren ausbalancieren müssen. So können wir dynamisch nach oben und nach unten skalieren. Zum ersten Mal seit Gründung von T-Systems bauen wir übrigens wieder neue Rechenzentren. Das belegt doch den Bedarf der Kunden. Er hat sich in den vergangenen zwei Jahren verfünffacht. Allerdings müssen wir die Kunden zunächst auf die neuen Plattformen bringen. Und das ist der einzige Grund, warum wir die angesprochenen Laufzeiten noch benötigen. Wir müssen die Möglichkeit haben, die Transitionskosten wieder einzunehmen.

Der Provider muss den Spagat können

CW: Herr Popp, sind Sie damit einverstanden, dass Herr Clemens Sie für eine Transition zahlen lässt, die ihm das Leben leichter macht und Ihnen im Gegenzug erlaubt, beim nächsten Vertrag auch einen anderen Dienstleister zu nehmen?

POPP: Naja, die T-Systems kann sich ja nur vom Geld der Kunden verbessern. Eigenes hat sie ja nicht! Aber Scherz beiseite: Alles was der Skalierung hilft, das drückt im Wettbewerb den Preis und damit unsere Kosten. Insofern bedeutet jede Optimierung beim Dienstleister eine spätere Kostensenkung für uns. Im Grunde ist die ständige Anhebung der Skalierungsgrenze nichts anderes, als das, was wir vorher in den Unternehmen selbst versucht haben. Bloß kommen wir allein nicht auf diese Skaleneffekte. Hier profitieren wir vom Outsoucing unserer Commodity-Anwendungen an den Dienstleister. Gleichzeitig wollen wir, dass unsere hoch spezialisierten Anforderungen umgesetzt werden. Der Provider muss beides können. Er muss unser Massengeschäft abwickeln, für das ich Preise will, wie sie bei ganz großen Volumina üblich sind, und er muss spezielle Aufgaben übernehmen können. Für Letzteres nutzt er seine eigene Mannschaft, die in engem Kontakt zu uns steht. Die Commodity-Aufgaben erledigt er in seinem großen Rechenzentrum.

CW: Sie befürworten also Cloud Computing, solange ihr Dienstleister die Services für Sie so schneidet und supportet, wie das ein klassischer Outsourcer macht - aber eben mit den Skaleneffekten, die hoch standardisierte Services erlauben?

POPP: Man darf ja nicht vergessen, dass die Systeme extrem stark vernetzt sind. Spezialanwendungen und Commodity-Produkte müssen absolut transparent miteinander koppelbar sein. Schon dadurch ist die breitbandige Aufstellung des Dienstleisters notwendig. Bei den heutigen hohen Verfügbarkeiten benötige ich vor allem drei Dinge: eine klare Beschreibung, eine plausible Bepreisung und das Vertrauen, dass die Vereinbarung auch eingehalten werden. Das ist für Cloud-Dienste kein Deut anders als für herkömmliche Services.

Verhältnis zum Dienstleister ändert sich

CW: Herr Clemens, Sie haben gesagt, T-Systems braucht die Laufzeiten, um die Transaktionskosten erwirtschaften zu können. Wie verhält es sich mit Kunden, die schon standardisiert haben?

CLEMENS: Wir schließen auch schon Verträge ganz ohne Laufzeiten. Bei Continental haben wir das getan. Das Unternehmen kann einen Service kaufen, und wenn es ihn nicht mehr will, muss es nicht mehr bezahlen. Wir gehen diesen Schritt, weil das Risiko für uns klein ist. Continental würde nur dann den Provider wechseln, wenn Preis und Qualität des Service nicht mehr stimmen. Solange wir in diesen beiden Punkten gut abschneiden, laufen wir eigentlich kein Risiko.

CW: Lockert sich das Verhältnis zwischen Provider und Kunde in Zukunft? Müssen sich die Vertragspartner nicht mehr so eng aufeinander abstimmen wie heute?

CLEMENS: Das Verhältnis ändert sich. Früher hat der IT-Chef den Lieferanten zu 100 Prozent gesteuert. Er hat gesagt, welche Hardware er will, welche Speicher etc. Heute überlassen uns die Unternehmen diese Entscheidungen. Wir müssen natürlich transparent sein, aber im Prinzip will der Kunde nicht mehr wissen, wie wir seinen Service bereitstellen, sondern dass wir in der gewünschten Qualität liefern.

POPP: Standardisierte Leistungen kann auch ein Konkurrent anbieten. Dadurch geraten Dienstleister insbesondere bei isolierbaren Leistungen unter hohen Druck. Sie müssen durchaus kämpfen, um den Service weiter erbringen zu dürfen. Es gibt aber auch eine ganze Menge Punkte, wo sich der Anbieter gut profilieren kann, weil er unsere Besonderheiten kennt. So eine gute Passgenauigkeit gibt man dann als Kunde natürlich nicht so leicht auf.

CW: Dann bleibt das T-Systems-Modell für Sie noch eine ganze Weile attraktiv?

POPP: Ja, es kommen immer wieder höherwertige Dienste dazu, wo nur spezialisierte Lösungen erfolgreich sein können. Das wird sich auch nicht ändern. Nur die langweiligen Dienste wandern in die Cloud. Es kommt aber genügend Anspruchsvolles hinzu. So hat uns T-Systems bei der Optimierung von aerodynamischen Simulationscodes unterstützt und dafür eine erfolgsabhängige Bezahlung erhalten. So etwas wird sich niemals mit Cloud-Services erledigen lassen.

Skaleneffekte mit Individualfaktor

CW: Dreht es sich in dem Spiel für T-Systems also darum, mit den höherwertigen, teilweise individualisierten Services zu gewinnen?

CLEMENS: Wenn Sie so wollen, versuche ich, das optimale Auto zu bauen. Ein superschickes Cabrio mit Platz für sieben Leute nebst Gepäck, das nur drei Liter Sprit braucht. So etwas gibt es aber nicht. Also bauen wir ein Auto, das den Bedürfnissen des Kunden am nächsten kommt. Einer Familie mit vier Kindern bieten wir keinen Porsche an, sondern ein geräumiges, nützliches Auto, mit dem aber bei entsprechender Motorisierung auch ein PS-affiner Vater seinen Spaß haben kann. Heißt das, dass er keinen Porsche fahren darf? Nein, natürlich nicht. Aber wenn er ein Wochenende mit dem Flitzer unterwegs sein will, dann mietet er sich den bei Sixt oder einem anderen, der diesen Standard-Service anbietet.

CW: Bleiben IT-Dienstleister Gemischtwarenläden wie T-Systems, die die ganze Bandbreite von Services anbieten, oder geht es hin zu spezialisierten Dienstleistern, wie es in ihrem Porsche-Beispiel anklang?

CLEMENS: Ich versuche das am Beispiel Sharepoint zu erklären: Microsoft offeriert aus Irland heraus seine Business Productivity Online Suite (Bpos) als Cloud-Service. Spottbillig, aber ohne integrierte Archivierungsfunktion und ohne User-Rechte-Management. Das ist in einem großen Konzern mit einer ausgedehnten Collaboration-Plattform schwierig, weil jeder alles sehen könnte. IT-Chefs fragen sich jetzt natürlich, wie man diesen attraktiven Preis mitnehmen kann. Das Unternehmen auf absolute Transparenz und Offenheit zu trimmen, wenn die Unternehmenskultur eine andere ist, funktioniert nicht. Also hat uns ein Kunde jetzt aufgefordert, eine Hybrid-Cloud zu bauen. Wir sollen dafür sorgen, dass so ein Bpos-Service für Großkunden nutzbar wird. Wir veredeln ihn praktisch um ein Recht-Management und eine Archivierungsfunktion. Das eine spielt sich in der Microsoft-Cloud ab, und die Zusatzfunktionen stellen wir entweder in der gesicherten Cloud des Kunden zur Verfügung oder in unseren Rechenzentren. Daran arbeiten wir noch. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Skaleneffekte der Wolke machen den Service trotz der Veredlung durch uns immer noch deutlich billiger, als wenn der Kunde eine eigene Collaboration-Lösung betreiben müsste. Allerdings geht das nur, wenn der Cloud-Provider, in diesem Fall Microsoft, eine funktionierende Schnittstelle anbietet, die er nicht eigenmächtig ändert.

CW: Können sie diese Veredlungsservices auch anderen Kunden anbieten?

CLEMENS: Ja, wenn ich den Stecker bauen und verlässlich in die Microsoft-Cloud einstecken kann, interessieren sich auch andere Kunden dafür, und wir können ebenfalls Skaleneffekte anbieten. Der Trick ist, Cloud-Services so aufzubohren, dass sie SLA-fähig werden. Aber dafür brauchen wir diese standardisierten Schukostecker, für die uns die Cloud-Provider eine Funktionsgarantie geben müssen.

CW: Für wie groß halten Sie die Chance, dass Service-Provider mit solchen Zusatzservices in der Cloud punkten könnenn?

CLEMENS: Für sehr groß. Denn der Cloud-Provider kann seine standardisierten Services nur so preiswert anbieten, wenn er keine Sonderanfertigungen produzieren muss. Im Moment ist das nur ein punktuelles Geschäft, aber das wird schnell größer. Die Cloud-Provider treiben das Volumengeschäft, die Dienstleister stricken die Veredlungsservices dazu. So kommen beide zu ausreichend großem Geschäftsvolumen. Aber die richtige Balance muss noch gefunden werden

Tipps zum Umgang mit Dienstleistern

CW: Herr Popp, geben Sie bitte drei kurze Tipps zum Umgang mit Dienstleistern.

POPP: Der Kunde muss lernen, mit dem Dienstleister konstruktiv umzugehen. Es ist keine Lösung, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt, zu sagen: "Dann mache ich es lieber wieder selbst." Konstruktives Meckern bringt viel mehr. Bei einem erfolgreichen Sourcing brauchen Sie immer Leute im eigenen Unternehmen, die konstruktiv fordern, damit die Services weiter verbessert werden. Kein Dienstleister, der auf erfolgreiche Projekte verweist, hat das allein geschafft. Druck-, aber auch verständnisvolle Steuerung auf Kundenseite trägt erheblich zum Erfolg bei. Scherzhaft sage ich immer: "Auch für Dienstleister gelten die Menschenrechte!" Deshalb ist es gut, im eigenen Demand-Management Leute zu installieren, die schon einmal auf der Dienstleisterseite gestanden haben. Ebenfalls wichtig ist die Anpassung der Gebührenmodelle. Wo lohnen sich Flatrates, wo Abrechnungen per Zeiteinheit? Wir müssen immer wieder überprüfen, ob die Preismodelle in unserem Kontext akzeptabel sind und die richtige Steuereffekte für das Nutzerverhalten haben. Wenn sich die Markt- oder Technologiegegebenheiten ändern, müssen die Preismodelle angepasst werden.

CW: Welche Zukunft hat der Dienstleister? Sehen Sie in Cloud plus Individualisierung die Zukunft?

CLEMENS: Das ist ein bisschen zu einfach. Als Dienstleister kann ich den Dialog zwischen Business und IT nicht führen. Das ist Aufgabe des CIO. Er muss für die richtige Balance zwischen standardisiertem und individualisiertem Service sorgen. Ich kann nur Vorschläge machen, welche Plattformen geeignet sind, um die gewünschten Services effizient zu liefern. Ich sehe für Dienstleister wie uns eine durchaus gute Zukunft. Die IT von Großkunden bleibt trotz Cloud hinreichend komplex, so dass der Bedarf für unsere Services erhalten bleibt.