Anwendungen auf mobilen Endgeräten

App-Apps oder Web-Apps

28.07.2011 von Thomas Pelkmann
Der Boom mobiler Endgeräte macht’s möglich: Apps sind die neue Darreichungsform von Software. Doch mitten im Hype diskutieren die Experten darüber, ob sich auf Smartphones und Tablet-PCs proprietäre Anwendungen oder Web-Applikationen durchsetzen werden. Ein Überblick.
Webanwendungen oder proprietäre Apps: Was auf mobilen Geräten die Vorherrschaft übernehmen wird, ist Gegenstand interessanter Diskussionen.
Foto: Evernote

Dieses Jahr, hat Kelton Research in einer Umfrage von Anfang 2011 herausgefunden, wird das Jahr der mobilen Anwendungen. Gleich 90 Prozent der in UK und USA befragten Manager beschäftigen sich in diesem Jahr mit Apps für Smartphones und Tablet-PCs. Wer seinen Mitarbeitern mobile Endgeräte zugedacht hat, rechnet mit einer durchschnittlichen Zahl zwischen fünf und 19 Apps auf den Geräten.

Warum Unternehmen in die Entwicklung mobiler Anwendungen investieren.
Foto: Bitkom

Aktuelle Zahlen stützen diesen Trend: Allein für das iPad gibt es im Apple App-Store mehr als 100.000 Anwendungen, für iPhone, iPod Touch und iPad liegt die Zahl insgesamt bei 425.000. Anwender allein dieser Geräte haben dem Analysten Gene Munster zufolge bis heute rund 15 Milliarden Apps heruntergeladen. Eine Schätzung, denn offizielle Apple-Zahlen gibt es darüber nicht. Android liegt noch deutlich zurück, holt aber auf: Rund 200.000 Apps wurden schätzungsweise 4,5 Milliarden mal heruntergeladen. Bis Jahresende, schätzen die Analysten von Gartner, wird die Gesamtzahl der Downloads bei stolzen 17 Milliarden liegen und insgesamt 15,9 Milliarden Dollar Umsatz in die Kassen von Herstellern und Anbietern spülen.

Aber wer nun aufgrund der Megatrends Mobilty und Consumerization die kommenden Umsätze von Apps hochrechnet, könnte sich täuschen. Denn es gibt ernstzunehmende Stimmen, die schon ein Nachlassen in der Erfolgsgeschichte vorhersagen. Es wäre eine der kürzesten in der an kurzen Zyklen nicht gerade armen Computerhistorie.

So hat der Branchenverband Bitkom zum Thema "Mobile Anwendungen" im zweiten Quartal dieses Jahres eine Umfrage unter 518 ITK-Spezialisten durchgeführt. "Dabei", heißt es in einer Pressemitteilung, "zeigte sich eine Kluft bei den künftigen Einsatzmöglichkeiten." Proprietäre Apps eignen sich demnach eher für den Einsatz im privaten Umfeld, während für Unternehmen eher mobile Webseiten infrage kommen.

Mobile Webseiten - die Zukunft der Unternehmensanwendungen?

Typische App-Lösungen im privaten Umfeld sind der Bitkom zufolge "Informationsdienste, Social Media-Anwendungen, ortsbezogene Dienste und Spiele". Mobile Webseiten hingegen würden für "Mobile Commerce, Customer Relationship Management, Advertising und Supply-Chain-Management" taugen.

Im B2B-Markt werden laut Bitkom webbasierte Anwendungen dominieren...
Foto: Bitkom

"Mobile Websites", liefert der Verband die nötige Definition gleich mit, "sind browserbasierte Anwendungen. Websites werden dabei auf die kleinen Bildschirme von Smartphones oder Tablet-PCs optimiert, die Nutzerführung und Inhalte entsprechend angepasst." Solche Anwendungen stehen ohne Installation zur Verfügung, benötigen aber einen Internet-Zugang, um Kontakt zu der Anwendungen hinter der Web-App zu bekommen.

...während Privatanwender eher auf Apps setzen, sagt der Bitkom.
Foto: Bitkom

Bei den proprietären Apps ist es genau umgekehrt: Man muss sie aus einem App-Shop beziehen und auf dem Endgerät installieren, um sie nutzen zu können. Auch sie können bei Bedarf über das Internet mit Daten versehen werden, eignen sich aber prinzipiell auch für Offline-Arbeiten.

Durch den Druck, den Megatrends wie Consumerization und Mobility auslösen, fühlen sich viele Unternehmen derzeit unter dem Druck, Anwendungen für mobile Endgeräte anbieten zu müssen. Knapp zwei Drittel der von Bitkom Befragten gaben an, dass ihr Unternehmen mobile Anwendungen selbst entwickelt oder plant diese zu entwickeln. Dabei sind die Unternehmen, die Apps und/oder mobile Websites entwickeln, gleich stark verteilt.

Hauptmotiv für die Entwicklungen mobiler Anwendungen ist jedoch der Wunsch nach Erweiterung des eigenen Produktportfolios. Weitere qualifizierte Mehrheiten (bei möglichen Doppelnennungen) streben bessere Kundenbindung, besseren Kundenservice sowie Neukundengewinnung an.

Browserbasierte Technologien werden den B2B-Markt dominieren

Nach Meinung von 61 Prozent der Umfrageteilnehmer werden dabei browserbasierte Technologien den B2B-Markt in den kommenden fünf Jahren dominieren. Der Grund "Mit mobilen Websites lassen sich Inhalte flexibler als mit Apps transportieren". Zudem ließen sich auch komplexe Prozesse abbilden, weil die tatsächliche Anwendungslogik auf dem Server verbleiben könne. Schließlich existierten bei vielen betriebswirtschaftlichen Anwendungen bereits browserbasierte Web-Clients. "Die Transformation auf mobile Endgeräte ist daher in weiten Teilen keine unlösbare Herausforderung", schreibt der Bitkom.

Wie sich Apps und Web-Anwendungen für unterschiedliche Bereiche eignen.
Foto: Bitkom

Aber das sind nicht die einzigen Gründe, die für Web-Apps sprechen: Gerade im B2B-Markt sei es wichtig, Anwendungen flexibel anpassen zu können. "Sind beispielsweise Updates oder neue Funktionen einzuführen, bedarf es nur der Änderung auf dem Backend bzw. auf dem Webserver." Direkt nach einem erneuten Aufrufen einer mobilen Website haben die Anwender dann Zugriff auf neue Inhalte oder Funktionen. Bei Apps ist das systembedingt anders: Hier müssen die Nutzer zunächst über eine neue Version informiert und zum Download/Update dieser Version bewegt werden.

Allerdings haben mobile Webseiten nicht nur Vorteile: Insbesondere in ländlichen Gebieten reicht die Übertragungsgeschwindigkeit oft nicht aus, um größere Datenmengen in befriedigender Zeit an ein mobiles Endgerät zu übermitteln. Daher muss der Anbieter solcher Web-Anwendungen auf geringe Ladezeiten ebenso achten, wie auf eine eingängige, unkomplizierte Navigation. Zudem gibt es nach wie vor Probleme mit dem HTML-Standard, der eine einheitliche Darstellung und Funktionsweise von Web-Anwendungen erschwert oder gar ausschließt. "Es besteht aber Hoffnung", schreibt der Bitkom, "dass mit der Verbreitung von HTML5 die Hemmnisse rund um verschiedene Browser und deren Konfiguration gelöst oder zumindest verringert werden".

Stimmt nicht, mein Blogger und Social Media-Experte Michael Kausch: "Auch hier wird die bekannte 80:20-Regel greifen: 80 Prozent einer Anwendung funktioniert auf allen Browser-Plattformen, 20 Prozent nicht. Da muss dann nachgearbeitet werden." Er persönlich, fügte Kausch, der früher unter anderem Pressesprecher von Microsoft Deutschland war, hinzu, bedauere aus diesem, "aber nur aus diesem Grund", dass das alte Microsoft-Monopol nicht mehr gelte: "Aus Anwendersicht wäre es durchaus begrüßenswert, wenn es durch eine Marktbeherrschung noch eine einheitliche Plattform für alle Web-Anwendungen gäbe", meint Kausch. Nur dann nämlich könne man von einer einheitlichen Plattform ausgehen, sonst nicht.

Das mag ein Grund dafür sein, dass Apps nach Überzeugung der befragten Unternehmen im B2B-Bereich auch in den kommenden fünf Jahren durchaus noch eine Rolle spielen werden. Drei von vier Befragten jedenfalls sagen, dass Apps bis 2016 die "dominierende Technologie" sein werden. Apps seien dann sinnvoll, "wenn die mobile Anwendung auf die Besonderheiten des Gerätes zugreifen muss", heißt es etwas kompliziert darüber, dass eine App zum Beispiel mit der eingebauten Kamera zusammenarbeitet. Im B2C-Markt werde es daher bei Apps um Anwendungen gehen, die "eine Extrafunktionalität bereitstellen: z.B. Spiele-, Social Media- oder Navigations-Apps".

Der Unterschied liegt in der Komplexität der Anwendungen

Zudem lohnen sich Apps immer dann, wenn Endkunden im Consumer-Bereich angesprochen werden sollen: Hier gibt es eine deutliche Affinität zu den proprietären Anwendungen. "Apps", fasst der Bitkom die Erkenntnisse zusammen, "eignen sich eher für den Einsatz im privaten Umfeld, mobile Webseiten sind hingegen für Unternehmen prädestiniert."

Auch hier widerspricht Kausch: "Der Unterschied zwischen Apps und Web-Anwendungen liegt nicht an der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit." Schließlich seien Aktivitäten bei Facebook und Twitter nicht einfach nur das eine oder das andere, sondern oft auch geschäftliche Aktivität.

"Wenn es eine sinnvolle Abgrenzung gibt, dann liegt die in der unterschiedlichen Komplexität, die sich mit Apps und Web-Anwendungen abbilden lässt." Proprietäre Apps eigneten sich eher für einfache Aufgaben, Web-Apps ließen auch komplexe Anwendungen zu.

Im Prinzip stützt die Bitkom-Umfrage diese Ansicht: So geben die Umfrageteilnehmer zu Protokoll, dass sich Apps eher für Social Media-Anwendungen, Navigation und Informationsdienste sowie Local Based Services und Mobile Payment eignen. Bei umfangreichen Anwendungsszenarien wie Mobile Commerce, Kundenmanagement (CRM), mobiles Office oder Supply Chain Management (SCM) liegen die mobilen Webseiten vorne.

Überhaupt gibt es bei genauem Hinsehen eher signifikante Gemeinsamkeiten, wo auf den ersten Blick Unterschiede scheinen: So kann man Apps zugute halten, dass sie konsequent die Vorteile moderner mobiler Geräte ausnutzen. Sie lassen sich ohne Medienbruch mit Maus und Tastatur ganz einfach mit den Fingern steuern. Man drückt, zieht oder wischt dort, wo die Augen hinschauen. Diese revolutionär neue, intuitive und daher einfache Art, Computer zu bedienen, ist allerdings kein Privileg der Apps; auch der Safari-Browser von iPhone und iPad etwa lässt sich prinzipiell mit solchen Gesten steuern.

Trend zu bedarfsgerechten Anwendungen

Aber selbst in der Einfachheit der Handhabung sind Apps nicht exklusiv. "Es gibt durchaus einen Trend, Anwendungen bedarfsgerechter zu machen", meint etwa Experton-Analyst Frank Heuer in einer Analyse von Web-Apps und Apps, und bezieht das explizit auch auf webbasierte Applikationen. So sei es etwa eine Stärke von Cloud Computing, "immer nur die Bestandteile oder Programme zu nutzen und zu zahlen, die man gerade braucht". Nichts anderes meint im Grunde der bereits gut eingeführte Begriff von Software-as-a-Service, ohne damit eine konkrete Erscheinungsform von Software zu bezeichnen.

Abgespeckte, auf bestimmte Funktionen beschränkte Anwendungen simplifizieren übrigens nicht die Prozesse, die hinter diesen Apps stehen, sondern modularisieren sie lediglich. Auch das ist wichtig für die Beurteilung von mobilen Anwendungen. Apps können oft genau das, was die Anwender beim mobilen Arbeiten wirklich brauchen, mehr nicht. Und das ist in Ordnung, denn ein gutes Pferd springt auch nicht höher, als es muss.

Vielleicht sorgen Apps künftig gemeinsam mit webbasierten Anwendungen dafür, dass funktional überfrachtete Suiten mit tausenden von Befehlen vom Arbeitsplatz verschwinden. Die Reduktion auf das Wesentliche, die Apps und Webanwendungen vormachen, ist auch eine Chance für Unternehmen: Sie kaufen keine Monstersuiten mehr, von denen - im bildlichen Sinne - große Teile im Keller verstauben, sondern nur noch das, was sie wirklich brauchen. Das, nicht die Frage ob proprietär oder browserbasiert, scheint das eigentliche Thema zu sein: Inwieweit werden sich Anwendungen künftig einfacher bedienen lassen. Diesbezüglich machen beide Spielarten berechtigte Hoffnung.