Innovation statt Stillstand

Agile Transformation und die bimodale IT

06.06.2016 von Bertram Geck
Wie kann eine IT ihre komplexen Systeme mit schnellen Updates versorgen und gleichzeitig hohe Stabilität sicherstellen? Die Antwort auf diese Frage lautet: Indem sie verschiedene Release-Geschwindigkeiten beherrscht.

Die IT-Abteilung steht in der Regel für Bestandswahrung, Sicherung des Status Quo und die Vermeidung von Ausfällen. Lange Release-Zyklen sind die Folge. Sie dienen zwar auch dem Anwender, da sie eine stabile Produktivumgebung garantieren, können jedoch die heutigen Anforderungen nicht mehr erfüllen. Das Ziel von Fachbereichen und Produktmanagement liegt in Anwendungsaktualität und Innovation. Dieses Spannungsfeld zwischen den Fachbereichen und der IT-Abteilung ist seit jeher ein Grund für Diskussionen.

Dieser Artikel zeigt, welche Punkte für eine erfolgreiche Bereitstellung mehrerer Deployment-Geschwindigkeiten notwendig sind. Wir betrachten die Schwerpunkte Organisation, Technologie und Prozess, die alle miteinander verzahnt sind und diverse Maßnahmen enthalten. Anhand von Beispielen zeigen wir, wie die IT mehrere Geschwindigkeiten beherrschen kann.

Agile Transformation ist notwendig

Auf dem Weg zu einer neuen IT, die den Anspruch an Innovation und Wertschöpfung erfüllt, ist eine ganzheitliche Transformation der ausschlaggebende Erfolgsfaktor. Das volle Potenzial an Wertschöpfung durch die agile Transformation wird nur dann gehoben, wenn alle Disziplinen im Unternehmen, vom Fachbereich über die Entwicklung bis zum Betrieb, die Transformation vollziehen.

Wie hilft bimodale IT?

Von Barry Boehm bis Jeff Sutherland haben sich Generationen von Software-Ingenieuren an der Effizienz- und Geschwindigkeitssteigerung von IT versucht. Die IT muss schnell auf Anforderungen reagieren können. Trotzdem sollen die positiven Eigenschaften der klassischen IT bestehen bleiben, wie Verfügbarkeit und Effizienz.

Einfach gesagt, muss die IT agil und flexibel sein sowie die Fähigkeit haben, alle Schnittstellen zu ihren Partnern den Anforderungen entsprechend bedienen zu können. Auf dem Weg dorthin lassen sich manche Systeme schnell transformieren, andere benötigen dafür mehr Zeit. Somit hat man in einer Übergangszeit mehrere Geschwindigkeiten in der IT-Bereitstellung. Dies kann über einen revolutionären oder einen evolutionären Ansatz gewährleistet werden. Welches der richtige Weg ist, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Gartner gibt der bimodalen IT, die beide Aspekte gewährleisten soll, eine relevante strategische Position. Forrester hält dagegen, dass die bimodale IT keinen Mehrwert bietet, sondern nur als Feigenblatt für eine halbherzige Transformation dient. Für Accenture ist dagegen die sogenannte Multispeed IT relevant auf dem Weg der Transformation.

Praxisbeispiel: Robaso (Rollenbasierte Oberflächen)

Das Projekt "Rollenbasierte Oberflächen" (Robaso) bildet Geschäftsprozesse ab und bietet den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine einheitliche Oberfläche für die Aufgaben, die sie bisher über eine Vielzahl an einzelnen IT-Verfahren durchführen mussten. Über eine Service Orientierte Architektur (SOA) verbindet Robaso die diversen IT-Verfahren miteinander und bietet Anwenderinnen und Anwendern somit eine medienbruchfreie Oberfläche mit genau den Informationen und Inhalten, die für die jeweiligen Aufgaben und Rollen notwendig sind. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Aufgrund von Gesetzesänderungen, Regularien oder anderen Anforderungen müssen die Geschäftsprozesse auch in der größten Behörde Deutschlands häufig und schnell angepasst werden können. Gleichzeitig müssen IT-Verfahren, die den Geschäftsprozessen zugrunde liegen, kontinuierlich stabil zur Verfügung stehen. Für das Projekt Robaso ist die Fähigkeit der IT, mehrere Geschwindigkeiten zu beherrschen, eine Voraussetzung.

Die bimodale IT ist nur ein Zwischenschritt

Durch Robaso sollen aus einer monolithischen Architektur viele agile Einheiten entstehen. Anders ausgedrückt: Eine einzelne große IT-Einheit wird durch den IT-Schwarm ersetzt, der wohlorganisiert funktioniert und resilient gegen Ausfälle ist. Mit unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten können die einzelnen IT-Systeme entwickelt und koordiniert in den Betrieb gebracht werden.

Beim Projekt Robaso kann man zwei Anforderungen unterscheiden:

  1. 1. Anforderungen, die nur Änderungen in Robaso erfordern.

  2. 2. Anforderungen, die Änderungen in Robaso und weiteren IT-Systemen erfordern.

In der einfachsten Variante können Anforderungen der ersten Kategorie in schnellen Zyklen ausgerollt werden und Anforderungen der zweiten Kategorie in den bestehenden langsamen Zyklen.Langfristig soll die IT in der Lage sein, die Anforderungen unabhängig von den beiden Kategorien agil umzusetzen. Somit ist die vielzitierte bimodale IT nur ein notwendiger Zwischenschritt.

Der Betrieb muss Verfügbarkeit sicherstellen. Dafür hat der Betrieb seit jeher auf Standardisierung und ausgefeilte qualitätssichernde Prozesse gesetzt. Dieses Vorgehen hat gute Erfolge mit einer hohen Stabilität erzielt. Allerdings mit der Einschränkung, Änderungen nur in großen zeitlichen Abständen zuzulassen.

Aufgrund der wachsenden Anzahl von neuen Anforderungen an die IT wurden die wenigen Änderungen so voluminös, dass auch das Risiko mit jeder Änderung stieg. Es muss deshalb Ziel sein, einerseits die Menge an Änderungen pro Aktualisierung zu reduzieren, andererseits aber die Qualitätssicherung aufrechzuerhalten. Die Agilität, die sich für kleine Software-Projekte erfolgreich behauptet hatte, kann auch hier eine Lösung sein.

Um das Risiko der Transformation zu reduzieren, greifen viele Unternehmen als Zwischenlösung auf das Modell der bimodalen IT zurück. Der Großteil der IT Systeme bleibt auf dem bestehenden langsamen Releasezyklus, während einige IT-Systeme den schnellen agilen Releasezyklus anwenden. Agiles Vorgehen und klassische Wasserfallmethoden ergänzen sich hier.

Insgesamt zeigen verschiedene Studien-Ergebnisse deutliche in Richtung hybrider Projekt-Management-Methoden. Stefan Symanek, Leiter Marketing bei GULP, ist sich sicher: "In der Zukunft, wird die Frage nicht mehr lauten, klassisch oder agil, sondern vielmehr: agil oder hybrid".

Der Crash-Report des ISVs Cast zeigt, dass Hybridprojekte erfolgreicher sind als die reinen Wasserfall- oder agilen Projekte. Bill Curtis verweist im Report außerdem darauf, dass die Prozessreife hoch relevant für die Qualität der Ergebnisse ist, unabhängig vom Vorgehensmodell. Der Report "Status-Quo-Agile" der Hochschule Koblenz stellt fest: "Die Mehrheit der Anwender agiler Methoden nutzt diese selektiv oder in einer Mischform. Die durchgängige Nutzung agiler Methoden ist nur bei zirka einem Viertel der agilen Anwender der Fall."

Notwendige Voraussetzungen

Die Voraussetzungen auf dem Weg zur Agilisierung betreffen mehrere Dimensionen:

In jeder Dimension finden sich diverse Bedarfsschwerpunkte, die miteinander verknüpft sind. Diese werden dann je nach Situation priorisiert und anschließend umgesetzt.

Drei Dimensionen: Organisation, Technologie und Prozesse
Foto: Bertram Geck

Organisatorische Aufteilung - Agile Kultur - Management-Support

Agiles Vorgehensmodell vom Anwender bis zur IT

Aus organisatorisch getrennten Disziplinen werden disziplinübergreifende Scrum-Teams. Product-Owner und Scrummaster werden für jedes Team identifiziert. In Sprints werden die Funktionserweiterungen im Produkt implementiert und das Produkt vollständig getestet. Durch die Einbindung aller Disziplinen, vom Anwender bis zur IT, in die Scrum-Teams, wird das Produkt ohne Kommunikationsverluste aktualisiert und ist sofort einsetzbar. Je nach im Unternehmen vorhandenen Erfahrungen mit agiler Vorgehensweise ist ein intensives agiles Coaching immens wichtig.

Beispiel Robaso: Im IT Systemhaus der BA gibt es eine eigene Organisation für Software-Architektur und Entwicklungsprozesse. Diese Klammerfunktion stellt sicher, dass die agile Transformation aller Projekte und Systeme synergetisch erfolgt und ein ausreichendes Coaching bereitsteht.

Managementunterstützung

Scrum-Dogmatiker verdammen oft eine Planung über längere Zeiträume, verhindern damit jedoch die Zustimmung des Managements. Die Realität zeigt jedoch, dass ohne die ausdrückliche Unterstützung des Managements die Agilität der IT nicht erfolgreich einsetzbar sein wird. Projektinhalte sowie Projektfortschritt sind kontinuierlich für alle Beteiligten transparent zu halten. Die Messbarkeit ist somit eine wichtige Voraussetzung für eine ausreichende Unterstützung durch das Management.

Anwendereinbindung

Agiles Vorgehen kann innerhalb der Entwicklung erfolgreich sein. Die volle Ausschöpfung des Potenzials ergibt sich jedoch erst durch Einbindung der Anwender in den agilen Prozess. Damit werden mehrere Ziele erfüllt:

Bei Robaso erfolgt die Anwendereinbindung über Workshops mit den Anwendern in den Agenturen, sowie über temporäre Mitarbeit von Anwendern aus den Agenturen in den Scrumteams. Social-Web und Crowd-Innovation bieten außerdem die Möglichkeit, Entwicklungszyklen von der Anforderungsaufnahme bis zur Software-Auslieferung zu reduzieren, sowie Big Data Insights zur Produktverbesserung zu erhalten.

Technologie

Servicearchitektur

Eine Serviceorientierte Architektur (SOA) ist die Basis für eine Zerteilung von Monolithen in kleinere Einheiten. Gerade in einer SOA-Struktur sind Abhängigkeiten zwischen Serviceprovider und Serviceconsumer immens. Diverse Ansätze können hier Lösungen zur Steigerung der Unabhängigkeit einzelner Einheiten und der damit verbundenen Resilienz des Gesamtsystems bereitstellen.

Microservices

Microservices sind kleine Einheiten, die unabhängig voneinander abgeschlossene Aufgaben erfüllen können. Anstatt eines großen Service, der bei einem Kundenprofil die Adressdaten, gespeicherten Jobangebote, und Schriftverkehr zur Verfügung stellt, könnten zum Beispiel drei Microservices diese Informationen unabhängig voneinander in einer Rahmenanwendung zur Verfügung stellen.

Der Vorteil liegt darin, dass Änderungen in einem der Microservices unabhängig von den anderen ausgerollt werden können und damit die Abhängigkeiten reduziert werden.

Redundanzen zulassen

Wiederverwendung hat viele Vorteile und verringert den Aufwand in Implementierung und Test. Die Wiederverwendung stärkt jedoch auch die Abhängigkeit vieler Systeme voneinander. Durch die Einforderung von Wiederverwendung wurde jahrelang diese Abhängigkeit vergrößert. Gerade wenn man agil skalieren möchte, sind Abhängigkeiten zwischen den Systemen problematisch. Die intelligente Aufhebung von Abhängigkeiten durch Caching-Mechanismen oder anderen Ansätzen ist eine Voraussetzung zu Agilisierung der IT.

Virtualisierung

Aufgrund der zahlreichen Abhängigkeiten muss die IT umfassende Testsysteme bereitstellen. Virtualisierung ist notwendig, um die Menge an Systemen flexibel steuern zu können.

Prozesse

Governance

Ohne eine Messung und konsequente Nachhaltung einer Governance wird die Transformation nicht erfolgreich sein. Über Jahre gewachsene Strukturen und Ansichten lassen sich nicht über Nacht verändern. Sie erfordern eine konsequente Governance, die auch durch das Management eingefordert wird. Ob dies über Scorecards oder Dashboards, ob über über Zielvereinbarungen, Mitarbeiterveranstaltungen oder Managementrunden realisiert wird, obliegt der Organisation. Wichtig ist nur, dass die Governance eingefordert wird.

Continuous Integration / Deployment

Der bewährte Releaseprozess bleibt in der Regel bestehen und wird nur für ausgewählte Systeme erneuert. Er besteht aus dem Zyklus Anforderungserhebung, Umsetzung, Deployment. Agiles Vorgehen kann nur dann ganzheitlich umgesetzt werden, wenn Automatisierung und Standardisierung ebenfalls umgesetzt sind. Die Entwicklung von Software kann so nach Abschluss jedes Prozessschrittes automatisch einem Qualitätscheck unterzogen werden, der bei erfolgreichem Durchlauf bis zum Deployment auf der Produktivumgebung führen kann.

Die Erfolgsformel lautet deshalb: Automatisierung und Standardisierung.

Qualität

Der Betrieb hat die große Herausforderung, die Gesamtheit der IT in der Produktivumgebung betriebsfähig zu halten. Dazu reicht es nicht aus, die einzelnen Systeme für sich zu betrachten und eigenständig laufen zu lassen, da es Abhängigkeiten zwischen allen Systemen gibt. Servicearchitektur und Wiederverwendung über viele Jahre hinweg haben zu vielen Abhängigkeiten geführt, deren Zahl unkontrolliert gewachsen ist. Der Test des Gesamtsystems ist umso wichtiger, je mehr Abhängigkeiten bestehen. Es sind deshalb Tests mit Daten notwendig, die voneinander abhängig sind und die Vernetzung der Systeme abbilden.

Beim Projekt Robaso stellen beispielsweise verschiedene IT-Verfahren die Daten für die Anwender bereit. Durch die Erhöhung der Releasefrequenz von Robaso müssen nun auch die Datenlieferanten die Testdaten für die integrativen Tests häufiger und schneller zur Verfügung stellen.

Fazit und Vorgehensempfehlung

Um einem Unternehmen die Möglichkeit zu geben, trotz existierender schwergewichtiger IT einzelne IT-Systeme schneller und kundenorientiert bereitstellen zu können, müssen die Dimensionen analysiert und die gefundenen Bedarfsschwerpunkte bewertet werden. Dazu gehören Aufwandsschätzung und Nutzenbewertung. Die priorisierten Maßnahmen sollten zügig mit ausreichenden Ressourcen umgesetzt werden. Mit einer halbherzigen Umsetzung im Rahmen der normalen Tätigkeiten sind Fehlschläge programmiert. Definierte Zeit- und Budgetressourcen sind notwendig, um die Transformation zu bewerkstelligen. Wie schon im Punkt Governance erwähnt, ist ein kontinuierliches Monitoring der Maßnahmen ebenso notwendig, wie die regelmäßige Evaluierung der Priorisierung. (haf)