Praxisratschläge

Zeitbombe Scheinwerkverträge beim Outsourcing

08.10.2014 von Jörg Hild
Arbeitnehmerüberlassung ist in vielen Outsourcing-Beziehungen ein heißes Eisen geworden. Aktuelle Urteile setzen hier neue Maßstäbe. Neben den Verträgen mit IT-Dienstleistern sollten vor allem die betrieblichen Prozesse überprüft werden – aber auch die strategische Ausrichtung der Outsourcing-Projekte, rät Jörg Hild von PwC in seiner Kolumne.

Wie ist mit IT-Freelancern umzugehen, die beispielsweise über Outsourcing-Partner viele Jahre lang in einem Unternehmen eingesetzt werden? Unternehmen sollten sich mit der Frage, wie diese externen IT-Mitarbeiter gesteuert werden beziehungsweise mit den internen zusammenarbeiten, intensiv auseinandersetzen. Damit sind zugleich grundsätzliche Fragen der Outsourcing-Strategie und -Organisation berührt.

CIOs sollten jetzt vorbeugen

Unternehmen mit Outsourcing-Beziehungen sollten mit Blick auf die aktuelle Rechtsprechung jetzt handeln. Betroffen sind dabei mehrere Aspekte: die Transparenz in den Lieferketten ebenso wie die Gestaltung der Verträge und die Organisation der betrieblichen Prozesse. (Siehe auch Grafik.)

Grafik: Kriterien zur Abgrenzung von der Arbeitnehmerüberlassung.
Foto: PwC

Transparenz - Lieferkette des Dienstleisters kennen

CIOs, die Outsourcing-Aufträge gleich welcher Größenordnung vergeben, sollten nicht nur das Leistungsangebot, sondern auch die Lieferkette des Dienstleisters genauestens unter die Lupe nehmen: Wo setzt er festangestellte Mitarbeiter ein? Wo hat er weitere Subunternehmer oder Freelancer engagiert?

Da IT-Provider meist nicht als Arbeitnehmerüberlasser registriert sind (hier gelten andere Regeln), treffen bei Verstößen die Folgen direkt den Auftraggeber. Trotzdem ist für viele CIOs die Lieferkette ihrer Dienstleister noch immer eine terra incognita.

Aber auch eine Arbeitnehmerüberlassungslizenz wird zukünftig keine Lösung sein, da Arbeitnehmerverleih zeitlich begrenzt werden wird und der sog. Equal Pay-Grundsatz Herausforderungen an die Vergütung der Mitarbeiter stellt. In einigen Branchen sind diese Begrenzungen bereits durch Tarifverträge eingeführt.

Auch die IT-Provider sollten sich der Problematik bewusst sein und Vorsorge treffen, beispielsweise in kritischen Bereichen nur Festangestellte einsetzen. Alle Änderungen der Lieferkette sollten durch geeignete Prozesse sofort erfasst, mitgeteilt und, falls erforderlich, in den Verträgen abgebildet werden. Dazu sollten beide Seiten entsprechende Reporting-Strukturen aufbauen.

Vertragsgestaltung - Werkvertrag vs. Dienstleistungsvertrag

Die Vertragsgestaltung ist die Grundlage einer sicheren Providersteuerung. Zunächst kommt es darauf an, die Vertragsart exakt zu definieren, also einen Werkvertrag von einem Dienstleistungsvertrag abzugrenzen. Dazu müssen alle typischen Fragen wie Vertragsgegenstand, Termine für Fertigstellung und Abnahme, Laufzeit, Kündigung, Vergütung und Haftungsumfang schriftlich fixiert werden. Die zu erbringende Leistung muss eindeutig beschrieben und messbar sein sowie abgrenzbar zu den Tätigkeiten, die vom Auftraggeber erbracht werden.

Kern der Abgrenzung eines Werkvertrags von Arbeitnehmerüberlassung und Dienstvertrag ist die Risiko- und Verantwortungsstruktur. Sie schlägt sich insbesondere in der Gewährleistung nieder. Ergebnisverantwortung und Haftung sind untrennbar verknüpft. Bei einem Gewährleistungsausschluss wird immer ein Scheinwerkvertrag vermutet. "Ein Subunternehmer, der nicht für die Fehler seiner Leute wirtschaftlich haftet, ist nur Überlasser", so Arbeitsrechtler Professor Peter Schüren von der Universität Münster.

Fehler
Die zehn teuersten Outsourcing-Fehler
Eine interne Studie von ISG (Information Service Group) hat die 10 „teuersten“ Fehler im Rahmen globaler Transformationen zusammengestellt und mögliche „Lessons Learned“ für andere Projekte in dem „ISG IT-Infrastructure Transformation Fahrplan“ zusammengefasst. Dies beinhaltet den gesamten Verlauf einer Transformation, inklusive möglicher Sourcing-Transaktionen.
Der Vertrag
Beistell-Leistungen aller Parteien müssen im Vertrag im Detail dokumentiert sein und über die gesamte Transformation laufend gemessen werden – auch ein fertiger Outsourcing-Vertrag wird weiter verhandelt!
Change-Management
Das zukünftige Betriebsmodell und die Vision der Transformation (Future Mode of Operation – FMO) wird in der Organisation nicht ausreichend durch Change Management verankert und bringt Widerstand auf allen Mitarbeiterebenen.
Vorteile darstellen
Benefits der Transformation verschwinden schnell aus dem Bewusstsein der Stakeholder und werden am Ende nicht mehr der Transformation zugeordnet – sehr wohl aber die Fehler in der Service Delivery.
Schlechte Verzahnung
Parallele Projekte und Linienarbeit sind nur unzureichend mit der Transformation verzahnt und verschwenden damit unnötig Ressourcen, Budget und Zeitpläne. Risiken werden nur selten ganzheitlich und eher pro Initiative gemessen, während das Business zeitgleich alle Transformations- und Linien-Initiativen mit den gleichen Mitarbeitern bearbeitet.
Die Übergabe der Transformation in den Betrieb
Oftmals fehlt der Betriebsorganisation die Nähe zum Projekt und die Übergabe erfolgt zu schnell. Viele offene Punkte bleiben für die Mitarbeiter im Betrieb ungeklärt, was zu Konflikten führen kann.
Partnerschaften
Jegliche kommerziellen Verhandlungen gilt es durch das Vertrags-Management vom operativen Projektgeschäft zu trennen. Projektteams sollten sich auf die Erfüllung der Projektziele konzentrieren und Empfehlungen abgeben. Das Vertrags-Management kümmert sich hingegen um die kommerziellen Aspekte, bei denen auch einmal mit härteren Bandagen gekämpft werden darf.
Alte Verträge und Services (Ramp Down)
Oft gerät in der Transformations-Aktivität die fristgerechte Kündigung bestehender Verträge in Vergessenheit und Services werden nicht entsprechend heruntergefahren. Wird dieses Thema vernachlässigt, rechnet sich möglicherweise das Projekt nicht mehr.
Unklare Governance und Entscheidungswege
Nur wenn das Thema klar beschrieben und entsprechend in der Kunden- und Providerorganisation gelebt wird, kann die Transformation mit realistischen Zeitplänen durchgeführt werden, sonst entstehen, neben einer Verzögerung, zusätzliche nicht steuerbare Abhängigkeiten.
Andere Länder, andere Sitten
Was in Deutschland gut ist, muss in den USA oder Spanien noch lange nicht funktionieren. Viele Unternehmen vernachlässigen bei der Einführung globaler Services immer noch die Gegebenheiten lokaler Märkte. So zum Beispiel regulatorische Anforderungen, unterschiedliche Kulturen oder auch spezielle rechtliche Herausforderungen.
Standardisierung
Am Anfang steht ein Standard. Wieviel wird davon aber am Ende eingehalten oder doch den Anforderungen des lokalen Business zu Gunsten verworfen? Globale Business Case bauen in der Regel auf Standards – fehlende Governance verhindert an vielen Stellen noch heute bis zu 20 Prozent höhere Standardisierung durch globale Transformationen.

Auf keinen Fall darf der Auftraggeber also Gewährleistungsrechte nur pro forma vereinbaren, aber darauf verzichten, sie in der laufenden Zusammenarbeit geltend zu machen: Eine solche Defacto-Haftungsfreistellung spricht für die missbräuchliche Verdeckung einer Arbeitnehmerüberlassung.

Umsetzung - Praxis zählt, nicht der Vertragstext

Die aktuelle Rechtsprechung stellt klar, dass nicht der Vertragstext, sondern dessen praktische Umsetzung entscheidet. Wenn Externe tatsächlich nur - sauber dokumentiert und unter Wahrung ihrer Durchführungsfreiheiten bei der Arbeit - mit der Erbringung von Gewerken beauftragt werden, sind Unternehmen prinzipiell auf der sicheren Seite.

6 Grundregeln für CIOs und HR

Allerdings liegt die praktische Herausforderung in der Integration beider Welten: der Eingliederung der externen IT-Spezialisten in den laufenden Betrieb. Hier sollten CIOs und Personalverantwortliche unbedingt einige Grundregeln beachten:

Gerade diese Anforderung ist nicht immer leicht zu erfüllen, denn in den letzten Jahren sind beim Outtasking die Gewerke werden immer kleiner geworden. Leistungen werden zunehmend in Multiprovider-Umgebungen erbracht; mehrdimensionale Fertigungstiefen und Anbieterstrukturen sind in vielen Unternehmen heute die Regel. Damit ist es vielfach schwierig geworden, die Verantwortungsbereiche konsequent zu trennen.

Bei Outsourcing-Prozessen gilt es, viele Details im Blick zu behalten. Das kann kompliziert werden.
Foto: Stuart Miles - Fotolia.com

Beispielsweise ist die Auslagerung eines kompletten Rechenzentrums ein klar umrissenes Leistungspaket. Der Auftraggeber kann die Gesamtverantwortung des Dienstleisters genau beschreiben und feste Schnittpunkte mit Zeitvereinbarungen definieren. Ähnlich ist es beim Management aller Desktops.

Hat der Provider hingegen nur einen PC-Umzug zu organisieren, ist er wesentlich näher an den Arbeitsprozessen der Stammbelegschaft. Ein solcher Umzug muss - um die betrieblichen Abläufe nicht zu sehr zu belasten - an festen Terminen zügig vorgenommen werden, was beispielsweise die Urlaubsplanung der externen Fachkräfte tangiert. Hier sollten sich CIOs und Personalverantwortliche im Zweifel beraten lassen.

Die Verantwortlichen sollten sich bewusst sein, dass im täglichen Umgang von Menschen miteinander rechtliche Fallen lauern können, die im Zweifel auf das Unternehmen zurückfallen. Das beginnt mit der klassischen Fixierung vieler IT-Mitarbeiter auf das Durchführungsprozedere, das WIE. Häufig haben sie noch keine hinreichenden Erfahrungen im Managen und neigen zu detaillierten Arbeitsanweisungen.

Gerade wenn die interne IT sowohl operative Aufgaben als auch Steuerungsfunktionen wahrnimmt, kann es schwierig sein, die verschiedenen Rollen angemessen zu trennen. Hinzu kommen zwischenmenschliche Aspekte - wie etwa der Wunsch, gegenüber einem "Lieferanten" den Chef herauszukehren.

Freelancer nicht immer die richtige Wahl

Ein juristisches Problem kann ein Symptom für strategische Fehlentwicklungen sein. Bei einer Beschäftigungsdauer von 10 Jahren beispielsweise stellt sich die Frage, ob Outsourcing und Freelancer wirklich die richtigen Instrumente waren. Bei einem derart langen Zeitraum wäre es u.U. sinnvoller, Mitarbeiter fest einzustellen, was weniger Overhead und vermutlich auch geringere Kosten verursachen würde. Leiharbeit dient eindeutig der Abdeckung von Bedarfsspitzen. Ist sie notwendig, sollten die Verantwortlichen dies klar definieren und dafür zugelassene Firmen beauftragen.

Vielleicht werden einige CIOs bei manchen Aspekten, die hier angesprochen wurden, sagen: Das kommt uns doch bekannt vor! In der Tat: In den strategischen Diskussionen der letzten Jahre - über Standardisierung, Industrialisierung der IT-Produktion, Einführung von Servicekatalogen, Business-Orientierung der IT, Organisation des Outsourcing, Aufgabe und Struktur der Retained Organization usw. - war stets eine wichtige Herausforderung dabei: Wie kann der Auftraggeber die Beziehung zum IT-Dienstleister so organisieren, dass dieser nicht für das WIE, sondern für das WAS verantwortlich ist?

Provokant formuliert, könnte man sagen: Wenn CIOs heute Probleme mit der Arbeitnehmerüberlassung bekommen, werden sie damit häufig von strategischen Fehlern beim Aufsetzen der Outsourcing-Projekte eingeholt.

Fragen zur Outsourcing-Strategie und -Organisation

Das sollte Anlass sein, neben der juristischen Absicherung auch die Outsourcing-Strategie und -Organisation nochmals grundlegend zu überdenken:

Wie trotzdem eine vertrauensvolle Kooperation gelingt

Last but not least kommt nun eine weitere Frage hinzu: Wie schaffen wir es, dass trotz der juristischen Fallen und der notwendigen Abgrenzung in der Praxis eine vertrauensvolle Kooperation zwischen internen und externen Fachkräften gewährleistet ist?

Damit ist die Problematik der Arbeitnehmerüberlassung nicht nur Sache der Juristen, sondern insbesondere des CIO und seiner strategischen Berater. Begreift er sie nicht als lästige Behinderung, sondern als Anlass zum Lernen, kann er sie zur weiteren Optimierung der IT-Produktion nutzen.