Gerüchte beschäftigen die Wall Street

Wird Salesforce.com übernommen?

06.05.2015 von Heinrich Vaske
Nachdem CRM-Marktführer Salesforce.com offenbar Finanzberater angeheuert hat, um Kaufangebote einzuholen, schießen die Spekulationen ins Kraut: IBM, Microsoft, Oracle oder SAP: Wer kann und will sich Salesforce leisten?

Peanuts sind es wahrlich nicht, die für den Cloud- und CRM-Pionier Salesforce.com zu berappen wären: Das Unternehmen bringt derzeit einen Börsenwert von ungefähr 45 Milliarden Dollar auf die Waage, so dass der Kaufpreis sich wohl auf 50 Milliarden Dollar und mehr belaufen würde. Das schränkt den Kreis der in Frage kommenden Kandidaten ein: Microsoft und IBM gehören dazu, sicher auch Oracle und SAP. Doch kein Hersteller hat sich bislang aus der Deckung gewagt.

Die US-Nachrichtenagentur "Bloomberg" hatte mit Bezug auf anonyme Insider berichtet, Salesforce habe Finanzberater beauftragt, Kaufangebote einzuholen. Sollte es dazu kommen, wäre das für den Käufer ein finanzielles Wagnis. Es wäre aber auch die einmalige Chance, ganz weit in den Zukunftsmarkt des Cloud Computing vorzudringen.

Die Agentur spekuliert, Oracle sei der wahrscheinlichste Käufer, da Gründer Larry Ellison Marktanteile im Cloud-Business suche und zudem tiefe Taschen habe. Außerdem sei Salesforce-Chef Marc Benioff ein Ex-Oracle-Manager und habe seine Anwendungen auf Oracles-Datenbanktechnologie aufgebaut. Doch Oracle Co-CEO Safra Catz wiegelte in einem Gespräch mit "SFgate" ab: Ihr sei es lieber, wenn ein anderer Salesforce kaufe. Das werde zu Unruhe im Markt führen, von der Oracle profitieren könne. Beobachter schließen allerdings nicht aus, dass Catz blufft.

Microsoft - ein heißer Kandidat

Mehr Konsens unter Analysten kommt bezüglich Microsoft auf. CEO Satya Nadella verfolge die Strategie "Mobile First, Cloud First". Zudem seien sich Salesforce-CEO Marc Benioff und Nadella zuletzt näher gekommen - am Vorabend von Microsofts Build-Konferenz in San Francisco (siehe Seite 22) gab es sogar ein gemeinsames Dinner. Ende letzten Jahres hatten die Anbieter auf der Salesforce-Hausmesse Dreamforce eine strategische Partnerschaft angekündigt, die eine enge Integration der Salesforce-Tools mit Microsofts Windows- und Office-365-Welt zur Folge haben soll. "Bloomberg" schrieb nun, Microsoft erwäge ein konkretes Gebot.

"Wir haben null Interesse an Salesforce.com"

Naturgemäß ist auch die weltweite Nummer zwei im CRM-Markt, die SAP AG, im Gespräch. Doch die Walldorfer dementierten: SAP habe nie erwogen, Salesforce.com zu kaufen. Vorstandssprecher Bill McDermott sagte ganz unmissverständlich auf der gegenwärtig laufenden Hausmesse Sapphire in Orlando: "Wir haben null Interesse an Salesforce.com". Schon im Februar 2015 hatte der CEO gegenüber dem "Wall Street Journal" erklärt, man habe durch organisches Wachstum und Zukäufe von Anbietern wie Concur (Reise-Managment), Ariba (Procurement) und SuccessFactors (Talent-Management) ein Cloud-Portfolio beisammen, mit dem man erfolgreich sein könne. Größere Akquisitionen seien nicht zu erwarten.

Analytics Cloud
Die Analytics-Cloud-Funktionen von Salesforce sollen Business-Anwender in die Lage versetzen, Kundendaten zu analysieren, und Analysten, ihren Kunden zu neuen Erkenntnissen zu verhelfen. Expertise in Sachen Business Intelligence und Data Mining, einst für aussagekräftige Erkenntnisse unabdingbar, ist dazu nicht erforderlich.
App Exchange
App Exchange ist ein Online-Marktplatz für Business-Anwendungen, die von Dritten für den Betrieb (im PaaS-Modell) auf Force.com angeboten werden, teils kostenpflichtig, teils gratis, teils im Freemium-Modell. Die Apps sind nicht auf den angestammten Salesforce-Funktionsbereich CRM beschränkt; das Portfolio erstreckt sich von Kundendienst, Marketing und IT/Administration über Personalverwaltung, Finanzen und ERP bis hin zu Collaboration und Business Analytics.
Chatter
Mit Chatter lassen sich soziale Netzwerke einrichten, die aber auf ein Unternehmen beschränkt sind und unter der Kontrolle dieser Unternehmen stehen. Ihr Zweck ist nicht privater Austausch zwischen Menschen beziehungsweise Social-Media-Marketing von Unternehmen gegenüber ihren Zielgruppen, sondern der Austausch zwischen Mitarbeitern, um auf diese Weise die Sales-, Marketing- und Service-Prozesse effizienter zu gestalten und die Ergebnisse zu verbessern.
Community Cloud
Salesforce positioniert die Community Cloud als Plattform zur Geschäftsprozessabwicklung und Online-Kollaboration zwischen Mitarbeitern, Kunden, Partnern, Lieferanten und Distributoren. Sie ermöglicht es Unternehmen, öffentliche oder geschlossene Netzgemeinschaften unter der eigenen Marke zu erstellen.
Data.com
Der Salesforce-Dienst Data.com bietet zwei zentrale Funktionen, die wesentliche Aspekte der Sales Cloud abdecken: Zum einen dient das System der automatischen Übertragung und Verwaltung von Kundendatensätzen innerhalb eines Salesforce-Accounts. Zum anderen ermöglicht es Data.com seinen gut einer Million Abonnenten, sich gegenseitig ihre Kontaktdaten zur Verfügung zu stellen.
Force.com
Bei Force.com handelt es sich um ein PaaS-Angebot (Platform as a Service), mit dessen Hilfe Entwickler mandantenfähige Anwendungen erstellen können, die sich in die zentrale Salesforce-Applikationslandschaft integrieren lassen. Mit Force.com entwickelte Apps laufen auf der Salesforce-eigenen Infrastruktur. Auch die Kernanwendungen von Salesforce laufen auf Force.com.
Heroku
Die Entwicklungsplattform Heroku ermöglicht es Entwicklern, speziell für Soziale Medien wie Facebook und für mobile Endgeräte Apps zu entwickeln oder existierende Anwendungen hierfür bereitzustellen. Die Anwendungsentwicklung wird wesentlich beschleunigt, weil die Architekturen der Sozialen Medien genutzt werden können, anstatt eigene Anwendungsarchitekturen zu erstellen.
Lightning
Bei Lightning, angekündigt auf der Dreamforce-Konferenz im Herbst 2014, handelt es sich um ein proprietäres Javascript-Framework, das Entwickler in die Lage versetzen soll, besonders schnell mobile Anwendungen zu erstellen. Folgt man Salesforce-Blogger Mike Rosenbaum, ist Lightning sogar die "nächste Generation der Salesforce-1-Plattform".
Marketing Cloud
Die Marketing Cloud dient – im Salesforce-Jargon – der Gestaltung von "Customer Journeys", was mithilfe des "Journey Builder" geschieht: Echtzeit-Bereitstellung individueller, möglichst relevanter Informationen je Kunde mittels kanal- und geräteübergreifender Interaktion. Beispielsweise sind E-Mail-Kampagnen möglich.
Sales Cloud
Unter dem Begriff Sales Cloud fasst Salesforce alle Funktionen und Dienste auf der Salesforce-1-Plattform zusammen, die der Vertriebsautomatisierung dienen. Im Vordergrund stehen hier die klassischen CRM-Funktionen Kontakt-, Opportunity- und Lead-Management, in Verbindung mit Berichts-, Monitoring- und Prognosefunktionen.
Salesforce 1
Die Salesforce-1-Plattform ist die Drehscheibe des Cloud-Angebots von Salesforce. Hier finden sowohl die App-Entwicklung für alle mobilen und stationären Geräte statt als auch der Betrieb der Apps zur Vernetzung von Kunden, Mitarbeitern, Partner und Produkten. Über die Plattform werden 1,5 Milliarden Transaktionen abgewickelt, davon mehr als die Hälfte über APIs.
Service Cloud
Die Service Cloud umfasst alle Kundendienstfunktionen sowie unterstützende Funktionen, die Salesforce im SaaS-Modell (Software as a Service) anbietet. Dazu zählen Realtime-Dienste wie ein SOS-Button in mobilen Anwendungen, Service-Communities, Multichannel-Support, die Integration sozialer Medien als Service-Kanäle und Chatter, um bei dringenden Problemen schnell kompetente Kollegenunterstützung rufen zu können.
Work.com
Work.com ist ein Dienst, der es Sales-Verantwortlichen ermöglichen soll, ihre Teams effizienter zu steuern; „Sales Performance Management“ lautet der Oberbegriff. Teams lassen sich on the Fly zusammenstellen, vereinbarte individuelle Verkaufsziele mit tatsächlich erzielten Ergebnissen verbinden (und vergleichen), Übersichts-Reports über die Leistung von Teams oder einzelnen Mitarbeitern per Drag and Drop erstellen.

Big Blue würde sich womöglich verheben

Auch IBM gilt als Interessent, wenngleich das "Wall Street Jornal" darauf verweist, dass Big Blue zwar ein starkes Kredit-Rating, aber anders als Oracle und Microsoft keine so großen Cash-Reserven und zudem hohe langfristigen Verbindlichkeiten habe. Ansonsten würde Salesforce.com aber in die Strategie von CEO Virginia Rometty passen, die den Konzern derzeit rund um die Cloud neu erfindet und Milliardenbeträge in Data Centers, Software und Services investiert.

IBMs Strategie im Bereich der Anwendungen bestand bisher aber eher darin, bestehende Industrielösungen etwa für Banken oder den Handel zu "cloudifizieren" und im As-a-Service-Modell anzubieten. Trotzdem könnte eine Übernahme angesichts der CRM-Marktführerschaft von Salesforce (laut Gartner 16 Prozent Marktanteil) sinnvoll sein. Zudem sei das Salesforce-Portfolio mit den zugekauften Anbietern ExactTarget, BuddyMedia und RelateIQ attraktiv.