VW-CIO Klaus Hardy Mühleck

"Wir beamen unsere IT-Standards in die Cloud"

27.08.2010 von Robert Gammel
Für Klaus Hardy Mühleck, Leiter der Konzern-IT sowie Konzern-CIO und Generalbevollmächtigter der VW AG, bedeutet Cloud Computing die zentrale Verfügbarkeit interner IT-Dienste. Externen Cloud-Services begegnet er mit Skepsis.

CW: Der Automobilindustrie wird eine Vorreiterrolle zugeschrieben bei der Nutzung der Informationstechnik und ihrer Integration in die Geschäftsabläufe. Welche Bedeutung hat die Konzern-IT bei Volkswagen?

Klaus Hardy Mühleck, Konzern-CIO der Volkswagen AG
Foto: H + G

MÜHLECK: Ohne IT lässt sich heute kein Auto wirtschaftlich entwickeln und keine Produktion organisieren. Auch im Handel ist sie allgegenwärtig. Die IT steuert hier den Gesamtprozess vom Kundenauftrag bis zur Auslieferung eines Fahrzeugs im Autohaus oder in der Autostadt. In unserem Unternehmen gleicht die IT einem integralen Nervenstrang. Dieser durchdringt alle internen Geschäftsabläufe: von der Fahrzeugentwicklung bis zum After Sales. Darüber hinaus ist Volkswagen rund um die Uhr vernetzt mit weltweit mehr als 20.000 Importeuren, Handels- und Servicepartnern sowie rund 26.000 Lieferanten. Das macht uns zu einem Unternehmen, das immer online ist und niemals ruht.

CW: Sie haben eine "Strategie 2018" - was ist darunter zu verstehen, und welche Rolle spielt hier die Konzern-IT?

MÜHLECK: Die Strategie 2018 gibt unser langfristig gestecktes Ziel vor, den Volkswagen-Konzern bis 2018 zum ökonomisch und ökologisch führenden Automobilunternehmen der Welt weiterzuentwickeln. Dazu tragen neun Automobilmarken aus sieben europäischen Ländern bei. Die Konzern-IT unterstützt diese globale Wachstumsstrategie und treibt sie in rund 600 IT-Projekten voran - durch Effizienzsteigerungen und Innovationen.

IT at Automotive

  • Mehr zum Thema erfahren Sie am 21. September 2010 in Wolfsburg.

  • In Kooperation mit Volkswagen und der AutoUni Wolfsburg gibt es dort die Fachkonferenz COMPUTERWOCHE-Initiative IT@Automotive 2010.

  • Die Herausforderungen für Automotive-Branche sind dieselben wie vor der Krise: noch stärkere Globalisierung, neue und zum Teil völlig unterschiedlich zu bedienende Wachstumsmärkte, effiziente Anbindung von Partnern in der Supply Chain.

  • Für IT-Manager und Anwender bei den OEMs wie den Zulieferern bedeutet das: anhaltender Kostendruck, noch höherer Wertbeitrag der IT zum Geschäftserfolg, intensivere Collaboration mit Geschäftspartnern und Kunden sowie größtmögliche Flexibilität von IT-Infrastruktur und -Services.

  • IT@Automotive zeigt Wege auf, wie diese Anforderungen eingelöst werden können.

  • Hier finden Sie weitere Informartionen und die Anmeldung.

Auf dem Weg zum IT-Baukasten

CW: Wie stemmen Sie 600 IT-Projekte gleichzeitig?

MÜHLECK: Unsere IT-Projekte bündeln wir in Programmen. Diese arbeiten wir nach einem konzernweit gültigen IT-Bebauungsplan ab. Hier schreiten wir mit den neun Marken konsequent, zügig und arbeitsteilig voran - an weltweit 61 Fertigungsstandorten.

CW: Welche Strategie verfolgen Sie dabei?

Klaus Hardy Mühleck, Konzern-CIO der Volkswagen AG
Foto: H + G

MÜHLECK: Wir wollen größtmögliche Effekte mit geringem Aufwand und zu vernünftigen Kosten erzielen. Dabei gehen wir in drei Schritten vor: Erstens Konsolidierung; hier haben wir in den vergangenen Jahren große Restrukturierungen hinter uns gebracht. Zweitens Standardisierung von Technologien, Prozessen und Infrastruktur; das geschieht durch konzernweit gültige IT-Standards. Drittens Modularisierung; wir gestalten unsere IT-Landschaft sukzessiv um und nutzen - ähnlich wie in unserer Fahrzeugtechnik mit modularen Längs- und Querbaukästen - die Vorteile von IT-Bausteinen.

CW: Was sind konzernweit gültige IT-Standards?

MÜHLECK: Zum Beispiel unsere Global-Treasury-Plattform, die mittlerweile in rund 140 Ländern zum Einsatz kommt. Weitere Konzernstandards sind die einheitliche Stückliste, das einheitliche Änderungs-Management sowie das ebenfalls von allen Marken genutzte Product-Lifecycle-Management (PLM).

CW: Können Sie kurz die wesentlichen Vorteile von IT-Modulen nennen?

MÜHLECK: Im Zuge unserer Strategie 2018 erweitert der Volkswagen-Konzern seinen globalen Fertigungsverbund um neue Werke in Russland (Kaluga), Indien (Pune) und den USA (Chattanooga). Die Aufgabe der Konzern-IT ist hier die effiziente IT-Erschließung und die Anbindung der neuen Standorte an unsere IT-Systeme. Dafür nutzen wir globale Templates wie "Unit". Dieses Fabrikstandard-Template besteht aus IT-Modulen, die zusammen sämtliche Geschäftsabläufe abdecken - die Logistik für Produktionsplanung und -steuerung, für Instandhaltung und Qualitätssicherung sowie für Finanz-, Rechnungs- und Personalwesen. Unit dient auch der IT-Modernisierung bestehender Fabriken und läuft bereits an 20 Standorten.

CW: Lassen sich denn mit nur einem Template alle Standorte bedienen?

MÜHLECK: Theoretisch ja, praktisch nein. Der modulare Aufbau erleichtert aber notwendige Anpassungen an lokale Gegebenheiten. Beispielsweise schreibt die Steuergesetzgebung in Brasilien andere Prozesse vor als hierzulande oder in China. Mit Unit erzielen wir einen Standardisierungsgrad zwischen 70 und 80 Prozent, das ist akzeptabel. Hinzu kommt das Fertigungsinformationssystem FIS, das für die Fertigungssteuerung in mehr als 40 Werken im Einsatz ist.

Auch hier zahlt sich unsere Modulstrategie aus. Führen wir beispielsweise in Chattanooga neue Logistikprozesse ein, übernehmen wir diese zügig in den Konzernstandard. Neuerungen pflegen wir ein und stellen sie mit dem nächsten Release weiteren Werken zur Verfügung. Das alles wäre ohne unseren zuvor eingeschlagenen strikten Konsolidierungs- und Standardisierungskurs nicht möglich.

CW: Welche Herstellerstandards gibt es im Volkswagen-Konzern?

MÜHLECK: In der Fahrzeugkonstruktion nutzen wir zum Beispiel die CAD-Systeme Catia und Pro/Engineer. Im Engineering-Bereich setzen wir Teamcenter von Siemens ein, bei den Finanz- und Personalsystemen ist es SAP. Im Büroumfeld stellen wir unsere Desktops auf das neue Betriebssystem Windows 7 und auf Office 2010 um. Den Rollout für mehr als 150.000 Clients starten wir noch in diesem Jahr.

Volkswagen-Cloud am Horizont

CW: In welchen Bereichen wollen Sie die Standardisierung weiter vorantreiben?

Klaus Hardy Mühleck, Konzern-CIO der Volkswagen AG
Foto: H + G

MÜHLECK: Hier ist man nie am Ende der Möglichkeiten. Jeder Tag bringt IT-Innovationen mit sich. Nehmen wir zum Beispiel Cloud Computing. Wenn wir diesen Ansatz konsequent zu Ende denken, können wir große Vorteile erzielen. So ist es unser Ziel, aus der "Volkswagen-Cloud" heraus große Nutzergruppen weltweit mit diversen IT-Services zu bedienen: die Konzernmarken, die 61 Fertigungsstätten, dazu Importeure sowie unsere Handels- und Servicepartner. Dafür werden wir unsere Rechenzentren so organisieren, dass wir parallele Systemwelten wie MVS, Unix und Microsoft-Welten auf eine neue übergreifende Plattform hieven können.

CW: Heißt das, der Konzern ist groß genug, um seine eigene IT-Wolke aufzubauen?

MÜHLECK: Wir haben bereits eine Private Cloud und entwickeln sie weiter. So schaffen wir im Zuge der Umsetzung unserer Rechenzentrums-Strategie zentrale Hubs für weitere Cloud Services.

CW: Welches Konzept liegt der Volkswagen-Cloud zugrunde?

MÜHLECK: Über die Volkswagen-Cloud stellen wir IT-Services, zum Beispiel für Vertrieb und Handel, weltweit und ganzheitlich zur Verfügung - unabhängig vom physischen Standort einzelner Rechner, Server und Datenbanken. Damit vollziehen wir einen Paradigmenwechsel: Wir überführen bisher nur lokal verfügbare Services und Systeme in einen neuen, globalen Kontext. So können wir eine ganze Reihe von IT-Services kostengünstiger erbringen.

Cloud-Einsatz in Unternehmen
Cloud Computing in Unternehmen
Nur wenige Unternehmen (13 Prozent) haben keine Verwendung für Cloud Computing. Die meisten nutzen bereits vorhandene Dienste.
Cloud genießt hohe Bedeutung
Auf einer Skala von 5 (sehr große Bedeutung) bis 1 (sehr geringe Bedeutung) erreicht das XaaS-Modell einen Index-Wert von 3,42. Das ist überdurchschnittlich hoch, so die Autoren der Studie.
Favorisierte Modelle
Die meisten Befragten streben Kombinationen aus privater und öffentlicher Cloud an.
Die Vorteile der Cloud
Unternehmen wollen mit Cloud-Installationen vor allem Kosten sparen. Aber auch die in Aussicht gestellte Flexibilität interessiert Anwender.
Bedenken gegenüber der Cloud
Vor allem die Sicherheit und der Datenschutz beschäftigen die Anwender. Hier müssen Provider noch mehr Vertrauen schaffen.
Cloud und SOA
Mehr als ein Drittel der Befragten sieht eine starke Verbindung von Cloud Computing und SOA.
Cloud und BPM
Die Verbindung von Cloud Computing mit dem Business Process Management (BPM) ist weniger stark ausgeprägt.

CW: Für welche Services nutzen Sie den Cloud-Ansatz bereits?

MÜHLECK: Hier sind wir beim Dealer-Management-System, unserem IT-Backbone für den Handel, schon sehr weit. Die Händler unserer Konzernmarken beziehen die Dienste über eine definierte Schnittstelle. Die Bandbreite der IT-Services reicht vom Marketing über CRM, das Kundenauftrags-Management und Finanzdienstleistungen bis zum Aftersales.

CW: Setzt der Cloud-Gedanke die Standardisierung von Prozessen und Systemen voraus?

MÜHLECK: Exakt. Wir beamen sozusagen unsere IT-Standards in die Cloud.

CW: Spielen Anbieter wie Google beim Thema Cloud eine Rolle für Sie?

MÜHLECK: Wir haben das durchaus diskutiert, aber schnell wieder verworfen. Hier steht für den Volkswagen-Konzern zu viel auf dem Spiel: der Schutz von sensiblen Daten und die Wahrung geistigen Eigentums. Wir müssen schon mit großem Aufwand unsere E-Mail-Daten schützen. Im Schnitt senden und empfangen wir rund 3,2 Millionen E-Mails täglich. Aus diesem Grund lösten die Blackberries bei uns lebhafte Diskussionen um Nutzen und Risiken aus. Erst als sich dieser Dienst als sicher erwies, haben wir diese Mobilgeräte eingeführt. Sollte eines Tages die Public Cloud so effizient und sicher sein wie die geschützte Private Cloud, würde ich die Frage neu stellen.

iPhone-Einführung in größerem Maßstab

CW: Ähnlich wie die Blackberries kämpfen nun Clients wie das iPhone mit Sicherheitsproblemen. Setzen Sie solche Smartphones im Konzern ein?

Klaus Hardy Mühleck, Konzern-CIO der Volkswagen AG
Foto: H + G

MÜHLECK: In der Tat erleben wir hier ein Déjà-vu, aber das Problem ist lösbar. Audi wird das iPhone in größerem Maßstab einführen. Dabei gelten die gleichen Sicherheitsvorkehrungen wie für alle Mobilgeräte im Unternehmen.

CW: Im Konzern werden auch iPads eingeführt. In welchen Bereichen?

MÜHLECK: Vorrangig im Marketing, wo bereits Pilotprojekte angelaufen sind. Derzeit prüft das Unternehmen weitere Einsatzoptionen.

CW: Muss sich Microsoft Sorgen machen?

MÜHLECK: Nein, so ist das nicht gedacht. Beide IT-Welten haben ihre Berechtigung, und wir können sie parallel fahren. Bei iPhone und iPad sind für uns die innovativen Benutzeroberflächen von Interesse, weniger das Betriebssystem. Die aus der Consumer-IT kommenden Innovationen werden auch die Business-IT beeinflussen. Die hohe Akzeptanz intuitiv zu bedienender Oberflächen wird dazu führen, dass andere Anbieter nachziehen. Das war schon in den 80er Jahren so, als die ersten Pull-down-Menüs und - mit dem Desktop Publishing - das "What you see is what you get"-Prinzip auf den Markt kamen. Derzeit untersuchen wir mit Microsoft, wie sich Clients einfacher gestalten lassen. Vielversprechend ist auch der Ansatz, Anwendungen völlig von den Clients zu entkoppeln, indem wir beispielsweise mit Plug-ins arbeiten.

Warnung vor Komplett-Outcourcing

CW: Stichwort "IT-Governance" - Wie setzt Volkswagen seine RZ-Strategie um? Werden Rechenzentren komplett nach außen vergeben, oder sitzt die Konzern-IT am Steuer?

Das Volkswagen-Hochhaus in Wolfsburg
Foto: H + G

MÜHLECK: Ich würde immer davor warnen, komplette Rechenzentren auszulagern. Dadurch verliert man die Handlungsfähigkeit, Prozesse zu verstehen und zu steuern sowie die Kosten im Griff zu behalten. Die Planung von Rechenzentren liegt daher komplett bei uns. Auch beim Bau und Betrieb von Rechenzentren verfügen wir über großes Fachwissen. Das können Sie schon daran ablesen, dass unsere IT-Kosten nur rund ein Prozent vom Umsatz ausmachen. Das ist im Branchenvergleich die Pole Position.

CW: Die Outsourcing-Welle hat sich etwas gelegt, manche Unternehmen holen sogar Teile der IT wieder zurück. Betreiben Sie ebenfalls Insourcing?

MÜHLECK: Volkswagen stellt in diesem Jahr knapp einhundert Frauen und Männer im IT-Bereich ein. Auch für die kommenden Jahre planen wir, weitere Mitarbeiter an Bord zu holen. Da wir keine IT-Company sind, ist es unsere Aufgabe, IT gut zu managen. Dafür suchen wir hoch motivierte Frauen und Männer, die Projekte und Dienstleister steuern können.

Mitbringen sollten sie Persönlichkeit, Engagement, Lust auf Innovationen sowie viel Interesse für die IT und das Auto. Sie erwartet ein spannendes Unternehmen mit vielfältigen und internationalen Einsatzmöglichkeiten. Aber indem wir neue Kompetenzen an Bord holen, um unser Geschäft noch intelligenter steuern zu können, betreiben wir kein Insourcing im herkömmlichen Sinne. (qua)