Digitalisierung

Wie Politiker unsere Demokratie gefährden

Kommentar  von Stefan Fritz
Das Übertragen marktwirtschaftlicher Aspekte auf alle Lebensbereiche hat ausgedient. Wir brauchen eine digitale Transformation von Politik und Demokratie

Die Marktwirtschaft verzahnt sich in den vergangenen 70 Jahren zunehmend mit unserer Gesellschaft. Während die Markt-Mechanismen ursprünglich für wirtschaftliche Abläufe vorgesehen waren, haben wir den freien Markt zum Mantra unserer Gesellschaft erklärt und ziehen in den letzten Jahrzehnten immer mehr Aspekte unseres Lebens in den Einfluss der Märkte. Zentrale Infrastrukturen wie die Bahn und Telekommunikation der nationalen Staaten sind genauso privatisiert worden wie die Wasser- und Energie-Versorgung in weiten Teilen der Welt. Unter dem Schlagwort der Privatisierung haben wir freie marktwirtschaftliche Prinzipien in immer mehr Bereichen eingeführt. Und unsere Staaten haben Gefallen daran gefunden, weil sie mit diesem Prinzip Wachstum dokumentieren können.

Gefahr für unser demokratisches Grundverständnis: Unsere Politiker müssen gegen digitale Monopole aktiv werden!
Foto: Matyas Rehak / shutterstock.com; Stefan Fritz

In der (bislang) letzten Stufe haben wir nun menschliche Hilfeleistungen wie die Pflege von Menschen den marktwirtschaftlichen Prinzipien unterworfen. Staaten können daher die Leistungen der Menschen in diesem Bereich nicht nur den Wachstumszahlen hinzurechnen, sondern erfreuen sich an den zusätzlichen Steuereinnahmen dieser jetzt der Wirtschaftsleistung zugeschlagenen menschlichen Arbeit.

Marktwirtschaft und Politik: Verflechtungen

Möglich wurde dieser Vorgang über Jahrzehnte nicht nur durch die Glorifizierung der freien Marktwirtschaft als Prinzip, sondern auch durch den Drehtüreffekt zwischen Politik und Wirtschaft. Politiker arbeiten nach einigen Jahren in Wirtschaftsunternehmen und Manager übernehmen als erfahrene Marktkenner Aufgaben in der Politik.

Zum Schutz der Demokratie gibt es die verfassungsrechtlich geregelte Gewaltenteilung, die uns vor einem überstarken Staat schützen soll. Aber an die Durchmischung von Politik mit den Prinzipien der Markwirtschaft hat weder in der amerikanischen Verfassung noch beim Entwurf unseres vorbildlichen deutschen Grundgesetzes jemand denken können. Platon allerdings hat schon vor über 2000 Jahren in seinem Demokratie-Entwurf strikt die Trennung von Macht und Volk gefordert. Politiker waren in seinem Idealdesign eine eigene Kaste.

Stern der Marktwirtschaft: Das Internet

Es gibt nur einen Bereich, der nicht erst in die marktwirtschaftliche Welt transformiert werden musste, weil er von Anfang an komplett in der Macht von Giganten stand: Das Internet mit Infrastruktur-Elementen wie Suchmaschinen, Werbenetzwerken und Betriebssystemen für PCs und mobile Endgeräte. Die Unternehmen "hinter dem Internet" sind in den letzten Jahren zu faktischen Monopolisten aufgestiegen und sie prägen mit dieser Wahrnehmung unser Bild der Digitalisierung. Dabei bedeutet Digitalisierung nicht automatisch Datenmonopole und Verzicht auf informationelle Selbstbestimmung. Die digitale Welt bietet eine Reihe neuer Möglichkeiten, die Auswirkungen auf unser Zusammenleben als Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem haben. Und dafür müssen wir neue Regeln und Umgangsformen entwickeln:

Vor gut 100 Jahren wurden mit dem Sherman Antitrust Act gegen Rockefeller und Carnegie zunächst in den USA, später auch in anderen Staaten, Monopolgesetze gegen zu starke marktwirtschaftliche Interessen und zur Einschränkung der Marktmacht Einzelner eingeführt und angewendet. Anstelle darüber zu streiten, wie man mehr als 100 Jahre alte Konzepte auf die faktischen Monopole von Silicon Valley-Unternehmen anwendet, könnte man heute einfach die Gesetze so anpassen, dass sie auch die Aspekte der digitalen Welt erfassen.

Imperialistischer Datenkapitalimus: Keine Lösung

Nach dem Prinzip der freien Marktwirtschaft scheint nun ein neues Prinzip Einzug zu halten: Der imperialistische Datenkapitalismus. Unsere Politiker und Wirtschaftslenker fahren ins Silicon Valley um sich von den dortigen, ausgewiesenen Experten Nachhilfe-Unterricht geben zu lassen. Die Ambivalenz amerikanischer Politiker ist dabei zu verstehen, denn sie stehen vor der Wahl:

Aber was erhoffen sich europäische Politiker, die das Silicon-Valley-Modell bewundern? Schiebt man alle Verschwörungsphantasien beiseite, so bleiben nur Unwissenheit und Unbedarftheit. Es ist ein Festhalten an dem Prinzip der freien Märkte, das zwar Aufschwung und Stabilität in den letzten Jahrzehnten ermöglicht hat, aber in der digitalen Welt nicht weiter funktionieren wird. Zumindest nicht ohne die Demokratie in Frage zu stellen. Die alten Konzepte der nationalen, also vor allem räumlichen, Ordnung funktionieren bei grenzüberschreitendem Datenverkehr in Echtzeit einfach nicht mehr.

Bleibt die Frage, ob sich amerikanische und europäische Politiker bewusst sind, dass sie durch ihr Zaudern bei der Umsetzung neuer Gesetze gegen digitale Monopole an den Grundfesten des demokratischen Grundverständnisses rütteln? Eine zukünftige Gesellschaft, die digitale Technologien zu ihrem Wohl und Nutzen anwendet, braucht sicher den Erfindungsreichtum und die Fähigkeiten des Silicon Valley, aber nicht die durch das marktwirtschaftliche System potenzierten digitalen Monopole und Systeme, die unsere informationelle Selbstbestimmung aushöhlen. Die Bedrohung unserer Privatsphäre und unserer Demokratie geht nicht von der digitalen Technologie aus. Um es in KI-Sprache auszudrücken: Es kommt darauf an mit welcher Kontrollstrategie wir die neuen Möglichkeiten der digitalen Strategie einsetzen.

Fazit: Wir brauchen eine digitale Transformation der Politik

Von Politikern als gewählte Vertreter können wir erwarten, dass sie an zukünftige Generationen und das Gemeinwohl denken - nicht an Wirtschaftswachstum und andere Konzepte aus dem Turbo-Kapitalismus. Und wir können von ihnen erwarten, dass sie sich auf die Suche nach neuen digitalen Formen der Demokratie machen. Ihre Aufgabe ist es, die digitale Transformation von Politik, Demokratie und Gesellschaft einzuläuten, statt an alten, erprobten Machtstrukturen festzuhalten und damit lediglich ihre eigene Macht für die nächste Wahlperiode zu sichern. (fm)