Internet-Giganten der 1990er

Was wurde eigentlich aus ...?

03.03.2024
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Florian Maier beschäftigt sich mit diversen Themen rund um Technologie und Management.
Bestimmt fragen Sie sich auch manchmal, was eigentlich aus der guten alten Fireball-Suchmaschine geworden ist. Oder dem Real Player. Oder Winamp. Wir zeigen Ihnen, wie es einigen der großen Marken aus der Online-Frühzeit ergangen ist.
Was wurde eigentlich aus den Giganten der Online-Frühzeit?
Was wurde eigentlich aus den Giganten der Online-Frühzeit?
Foto: Zamurovic Brothers - shutterstock.com

Verizon wollte Yahoo und das - bereits im Jahr 2015 akquirierte - Unternehmen AOL zusammenlegen, um mit Amazon, Facebook und Google zu konkurrieren. Die Zwangspaarung der gescheiterten Giganten ging nicht auf (mehr dazu später).

Das wurde aus den Internet-Ikonen der 1990er

Beim Klang der ehemals großen Namen des beginnenden Internetzeitalters werden zwangsläufig auch Erinnerungen wach an andere, einst große Marken, die die Online-Frühzeit geprägt haben. Was zum Beispiel wurde aus Brands wie Compuserve, Altavista, Netscape, Angelfire, Realplayer, Winamp oder der deutschen Google-Alternative Fireball?

Altavista

Im Jahr 1995 geht Altavista als Demo-Projekt der Digital Equipment Corporation online. Im Prinzip ist Altavista der Vorläufer von Google. Die Volltext-Suchmaschine ist bis zum kometenhaften Aufstieg der heutigen Alphabet-Tochter eine der weltweit bekanntesten und meistgenutzten Suchmaschinen. Mit dem Verkauf an Compaq im Jahr 1998 beginnt der Anfang vom Ende für Altavista. Nichtmal ein Jahr später verkauft Compaq die Suchmaschine an CMGI (mit einem Verlust von einer Milliarde Dollar). Nächster Eigentümer ist das Werbeunternehmen Overture Series, die Altavista 2003 für 140 Millionen Dollar erwerben. Noch im selben Jahr kauft Yahoo das Web-Urgestein - 2013 ist schließlich endgültig Schluss.

Angelfire

Der Website-Hoster Angelfire ist in den 1990ern einer der populärsten seiner Art. 1996 gegründet, wird das Unternehmen 1998 von Lycos Europe erworben - das damals zusammen mit AOL, Yahoo und Microsoft die "Big Four" des World Wide Web bildet. Lycos wurde seinerseits mehrmals "herumgereicht" und gehört heute zum indischen Medienkonzern Ybrant Digital. Angelfire ist dabei allerdings nicht unter die Räder gekommen: Auch heute werden Sie dort noch gehostet.

Die aktuelle Webpräsenz von Angelfire.
Die aktuelle Webpräsenz von Angelfire.

AOL

Das Unternehmen wird 1985 zunächst unter dem Namen "Quantum Computer Services" gegründet und firmiert ab 1988 unter dem Namen America Online (AOL). Während der Internet-Boomzeit etabliert sich AOL bis Anfang der 2000er Jahre als weltweit größter Internetanbieter mit knapp 30 Millionen Kunden. Die Übernahmen von Compuserve (1997), Netscape (1998) und Mirabilis (Entwickler von ICQ, 1998) haben daran ebenfalls Anteil.

Mit der Übernahme durch Time Warner (2000) beginnt der Stern von AOL allerdings dramatisch zu sinken: Bis zum Jahr 2009 sind es "nur" noch etwas mehr als fünf Millionen User. Dann folgt die Trennung von Time Warner und der Konzern tritt in eine Rehabilitations-Phase ein. Mit der Akquisition von diversen Tech-Webseiten (unter anderem TechCrunch, Huffinfton Post und Engadget) will sich AOL als digitales Medienunternehmen aufstellen. Mitte 2015 wird das Unternehmen schließlich von Verizon aufgekauft. Der Telekommunikationsriese will America Online mit der ebenfalls erworbenen Marke Yahoo (und einigen anderen Unternehmen) unter der Marke "Oath" zusammenführen.

Dieses Vorhaben gibt Verizon einige Jahre später ganz offiziell auf. Im Mai 2021 veräußert der Telekommunikationsriese sein Media-Geschäft - und damit auch AOL und Yahoo - an die Investorengesellschaft Apollo. Diese Akquisition wurde Mitte 2021 abgeschlossen, das Unternehmen firmiert seitdem unter dem Namen Yahoo, die Marke AOL dürfte damit endgültig beerdigt sein.

Compuserve

Als man sich noch über ein Modem ins Internet einwählen muss, bilden AOL, Compuserve und Prodigy ein mächtiges Dial-Up-Provider-Trio. AOL kann sich kurz vor dem Millenium durchsetzen und kauft Compuserve, lässt die Marke aber weiterleben - oder eher vegetieren. Erst im Jahr 2009 wird der klassische Compuserve-Service eingestellt. Tot ist Compuserve deswegen trotzdem nicht. Zumindest noch nicht ganz.

Fireball

Lange vor Google mausert sich die Suchmaschine Fireball in den späten 1990ern zur beliebtesten Web-Suchmaschine in Deutschland. Entwickelt wird sie 1996 von der Fakultät für Informatik an der Technischen Universität Berlin - indexiert werden ausschließlich deutschsprachige Webseiten. Um auch internationale Suchergebnisse abbilden zu können, geht man eine Kooperation mit Altavista ein. Im Jahr 1999 sichert sich Lycos Europe die Suchmaschine für rund 120 Millionen Euro. Seit März 2009 gehört Fireball dem Schweizer Unternehmen Ambrosia AG, das die Suchmaschine - spezialisiert auf deutsche Webangebote und mit dem Versprechen der Anonymisierung - wiederbelebt hat.

Google-Alternative gefällig? Fireball gibt es noch - beziehungsweise wieder.
Google-Alternative gefällig? Fireball gibt es noch - beziehungsweise wieder.

Geocities

Neben Angelfire ist Geocities einer der beliebtesten Webhoster der Internet-Frühzeit und so etwas wie ein Vorläufer von Wordpress. Das 1994 gegründete Unternehmen wird im Zuge des Dotcom-Booms 1999 an Yahoo verkauft, der Preis beträgt damals mehr als 3,5 Milliarden Dollar. Zehn Jahre lang firmiert die Firma unter dem Namen Yahoo Geocities - 2009 gehen schließlich die Lichter aus.

Hotmail

Was wäre das Internet der 1990er Jahre ohne Hotmail? Einer der ersten kostenlosen Webmail-Dienste wird 1995 von Sabeer Bhatia und Jack Smith ins Leben gerufen - wobei der amerikanische Independence Day im Jahr 1996 ganz bewusst zur kommerziellen Einführung gewählt wird, um die Unabhängigkeit des Dienstes von den großen Internetanbietern herauszustellen, an die die E-Mail-Konten bis zu diesem Zeitpunkt noch geknüpft waren. Der Name wird dabei nicht gewählt, weil die elektronische Post damals der "heißeste Shit" ist, sondern um das Kürzel HTML in der Nomenklatur unterzubringen.

So sah die Hotmail-Webseite im Jahr 1997 vor der Akquise durch Microsoft aus.
So sah die Hotmail-Webseite im Jahr 1997 vor der Akquise durch Microsoft aus.
Foto: Wayback Machine - archive.org

Nachdem sich Hotmail zu einem durchschlagenden Erfolg entwickelt und bis Ende 1997 mehr als acht Millionen Nutzer für sich gewinnen kann, wird der Webmail-Dienst schließlich im Dezember 1997 für circa 350 Millionen Dollar von Microsoft aufgekauft und ins MSN-Serviceportfolio integriert. MSN Hotmail ist im Jahr 1999 mit mehr als 30 Millionen aktiven Usern der weltweit größte Webmailservice.

Schwerwiegende Security-Probleme, die durch mehrere Hackerangriffe publik werden zwingen den Redmonder Riesen schließlich zu umfassenden Renovierungsarbeiten - zwischenzeitlich steht auch die Umbenennung in Windows Live Mail zur Debatte, was letztlich nicht umgesetzt wird, um die User nicht zu verwirren. Hotmail wächst in den folgenden Jahren weiter und bekommt mehrere neue Anstriche, bevor im Jahr 2013 die Integration der rund 400 Millionen Konten in Outlook.com erfolgt. Die Hotmail-Tradition lebt in Outlook weiter und versucht sich - insbesondere mit Privatsphäre-Features (beispielsweise der Verzicht darauf, E-Mail-Inhalte zu scannen) und umfassender Integration mit Office und weiteren Microsoft-Produkten gegen die Übermacht von Gmail zu behaupten.

ICQ

Mit ICQ erschafft ein israelisches Start-Up namens Mirabilis Ende 1996 den ersten kostenlosen Instant-Messaging-Dienst. Entsprechend rasant breitet sich die Software aus. Mitte 1998 wird Mirabilis von AOL für mehr als 400 Millionen Dollar aufgekauft. Im April 2010 wechselt ICQ erneut den Besitzer und geht von AOL für knapp 190 Millionen Dollar an das russische Investment-Unternehmen Mail.ru Group über. Seit 2010 steht ICQ als mobile App zur Verfügung, kämpft jedoch durch die Verbreitung von Facebook, Whatsapp, Twitter und Co. ums Überleben. Nichtsdestotrotz erfährt der Dienst im April 2020 einen Relaunch und operiert seitdem weiter.

Napster

Die Filesharing-Plattform Napster tritt 1999 einen wahren MP3-Boom los und bringt die Musikindustrie wie kein zweites Unternehmen gegen sich auf. Deshalb ist nach zahlreichen Klagen (unter anderem von Metallica und Dr. Dre) gegen das Unternehmen bereits 2001 Schluss mit Napster in seiner ursprünglichen Form. Zuvor versucht der deutsche Bertelsmann-Konzern das Unternehmen mit einem Investment in eine legale Plattform umzuwandeln, doch der Plan scheitert, Napster muss in die Insolvenz. 2002 kauft Roxio die Überbleibsel, bevor im Jahr 2008 der Retail-Riese Best Buy zuschlägt. Ende 2011 übernimmt schließlich der Konkurrent Rhapsody den Markennamen und nutzt ihn seitdem für seine eigene Musik-Bezahl-Plattform im Stil von Spotify und Deezer.

Rhapsody wurde zu Napster - einer heutzutage völlig legalen Musik-Streaming-Plattform.
Rhapsody wurde zu Napster - einer heutzutage völlig legalen Musik-Streaming-Plattform.
Foto: napster.com / IDG

Netscape Navigator

Der Netscape Navigator ist in der Anfangszeit des Internets DAS Fenster zum World Wide Web - lange bevor Microsoft seinen Internet Explorer mit Hilfe von Windows 95 zum Nummer-Eins-Browser macht. Das Unternehmen Netscape Communications wird im Jahr 1998 von AOL für 4,2 Milliarden Euro erworben. Bis 2007 wird der Navigator so am (weitgehend künstlichen) Leben erhalten - dann endlich hat man bei AOL ein Einsehen und lässt den Kult-Browser in Frieden ruhen.

Real Player

Der Real Player ist eine Web-Ikone. Schließlich ist er im Jahr 1995 einer der ersten kostenlosen Media Player überhaupt, der es in Sachen Funktionen mit Microsofts damals dominierendem Windows Media Player aufnehmen kann. Allerdings zeichnet sich der Real Player auch durch Mitbringsel wie Ad- und Spyware aus, weswegen die Kollegen von der PCWorld ihn 2006 zum "zweitschlechtesten technischen Produkt aller Zeiten" küren. Trotz alledem: Die von Real Networks entwickelte Software hat sich tatsächlich bis heute gehalten, der Quellcode wird bereits 2002 offengelegt. Inzwischen steht der Real Player in überarbeiteter, zeitgemäßer Form zum Download zur Verfügung.

Winamp

Mit der Veröffentlichung des kostenlosen Musik- und Videoplayers Winamp gelingt dem neu gegründeten Unternehmen Nullsoft im Jahr 1997 ein großer Wurf. So groß, dass es 1999 von AOL für rund 80 Millionen Dollar aufgekauft wird. Mit der Weiterentwicklung von Winamp ist AOL offenbar überfordert - neue Versionen floppen, die User wandern zu Konkurrenzprodukten ab.

Im November 2013 gibt AOL bekannt, dass Winamp eingestellt werden soll. Die genannte Deadline verstreicht allerdings, ohne dass etwas passiert. Im Januar 2014 wird schließlich die Akquisition durch das belgische Unternehmen Radionomy bekannt. Im Oktober 2018 veröffentlicht das Unternehmen Winamp in der Beta-Version 5.8.

Inzwischen wird auf der offiziellen Winamp-Webseite eine völlig neue Version von Winamp in Aussicht gestellt und als "ultimate media player" angepriesen - allerdings ohne wirklich konkret zu werden. Im Mai 2022 startet Winamp eine NFT-Initiative bei der Künstler Artworks einreichen können. 20 ausgewählte digitale Kunstwerke (sowie der klassische Winamp-Skin) sollen über den Marktplatz OpenSea verkauft werden, die Erlöse gehen zu 20 Prozent an die Künstler, zu 80 Prozent an die Winamp Foundation, die damit gemeinnützige Zwecke unterstützen will.

Seit dem 29. Juli 2022 steht eine neue Version des Winamp Media Player mit aktualisierter Codebasis zum Download bereit. Diese wird seitdem kontinuierlich weiterentwickelt:

Homepage-Reminiszenzen aus der Internet-Frühzeit

So ein Nostalgie-Flash ist schon etwas Schönes. Deswegen haben wir auch gleich noch die Webpräsenzen der frühen Internet-Top-Brands ausgegraben und sie um einige, noch aktive Tech-Giganten erweitert. Schließlich ist eine Website - immer noch - die digitale Visitenkarte eines jeden Unternehmens. Umso interessanter (und teilweise auch amüsanter) ist es zu sehen, wie die World-Wide-Web-Aushängeschilder von Apple, Facebook, Amazon, YouTube und Co. in ihrer Frühphase ausgesehen haben:

Die COMPUTERWOCHE blickt übrigens ebenfalls auf eine bewegte Webpräsenz-Geschichte zurück: Seit die erste Homepage im Jahr 1995 das Licht des World Wide Web erblickt hat, hat sich Einiges getan - sowohl inhaltlich als auch designtechnisch. Doch sehen Sie selbst:

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Mit Material von IDG News Service.