Digital Adoption

Wie Linde Engineering das Software-Training optimiert

12.11.2020 von Hans Königes
Wie gewinnt man die Akzeptanz der Nutzer bei einem Software-Rollout in einem Großkonzern und maximiert gleichzeitig den ROI? Linde Engineering versucht es mit einer Digital-Adoption-Plattform, die Anwendern interaktiv erklärt, was zu tun ist.

Industrieanlagen schlüsselfertig liefern zu können, macht Linde Engineering zu einem weltweit führenden Spezialisten im Anlagenbau. Dass die spätere Montage der beauftragten Anlagen oder Anlagenkomponenten reibungslos und effizient ablaufen kann, ist das Ergebnis eines optimal geführten Beschaffungswesens. Für die Zusammenarbeit mit Lieferanten und die Übermittlung von Geschäftsdokumenten entwickelte das Unternehmen eigens die Plattform "SupplierConnect". Sie ermöglicht allen Lieferanten die direkte Kommunikation mit Linde Engineering über eine digitale Plattform. Basierend auf der Technologie von SAP wurden die verschiedenen Apps maßgeschneidert für Linde Engineering entwickelt.

Linde Engeneering hat sich schließlich für eine Kombination aus klassischer Schulung und einer Digital-Adoption-Plattform entschieden.
Foto: red mango - shutterstock.com

Von Anfang an war den Projektverantwortlichen klar: Der erfolgreiche Software-Rollout von SupplierConnect steht und fällt mit der Akzeptanz der Lieferanten aus den verschiedenen Bereichen wie Expediting oder Logistik, welche die Plattform letztendlich nutzen sollten. Im Bereich Expediting beispielsweise verlief das Projekt wie folgt: Es wurden Vertreter jeder Materialgruppe von Anfang an in das Projekt miteinbezogen. "Die Entwicklung der Plattform startete mit einem Design-Thinking-Prozess", erklärt Markus Menth, IT-Consultant bei Linde Engineering und Experte für das Onboarding von Mitarbeitern sowie für die Software-Adoption-Plattform Userlane. Aus jeder relevanten Materialgruppe wurde ein Lieferant eingeladen, der über seine täglichen Aufgaben und die Herausforderungen berichtete. Die Aussagen wurden auf Karten geschrieben und auf ein großes Brett gepinnt.

Auf diese Weise konnten die IT-Teams bei Linde erfahren und verstehen, was ihre Nutzer erwarten, Annahmen bestätigen oder verändern und erste Prototypen entwickeln. Als besonders ergiebig stellte sich die Frage nach ihrer emotionalen Haltung zu bestimmten Aufgaben heraus. "Auf dieser Basis konnten wir schnell identifizieren, wo die Painpoints liegen", erläutert Menth. Dabei ist wichtig zu beachten: Das ist kein direkter Prozess ist. Man muss durch eine Menge Verbesserungsschleifen gehen. Aber es war es wert, sich dafür Zeit zu nehmen."

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Nutzer ins Design-Thinking einbeziehen

Im August 2019 schließlich durfte eine kleine Anzahl der Lieferanten-Mitarbeiter, die am Design-Thinking-Prozess beteiligt waren, zum ersten Mal die Plattform nutzen. "Zu diesem Zeitpunkt gab es noch einige Bugs", erinnerte sich Menth. Als diese behoben waren, wurden mehr Lieferanten mit an Bord genommen. Für Dezember 2019 stand auf dem Rollout-Plan, mehrere laufende Anlagenprojekte über SupplierConnect abzuwickeln. Auch dieses Ziel wurde erfüllt. Und dank einer guten Feedback-Kultur wurde die Plattform immer weiter verbessert.

Die dritte Phase, die noch immer andauert, startete im April 2020. Seit diesem Zeitpunkt werden neue Projekte nur noch über "SupplierConnect" abgewickelt. "Natürlich kann man nicht alle Lieferanten zeitgleich für die Plattform freischalten", schränkt Menth ein. Aber man komme diesem Ziel immer näher.

PDF und Schulungsvideo sind out

Doch wie genau stellt man bei Hunderten von Nutzern aus verschiedenen Unternehmen, Ländern und Zeitzonen sowie unterschiedlichstem Background ein qualitativ hochwertiges Onboarding sicher? Onboarding-Spezialist Menth weiß, dass die klassischen Standardmethoden vom PDF-Handbuch über Schulungsvideos bis hin zum Webinar hier nicht weiterhelfen. "Wer will schon 100 Seiten Handbuch lesen, um eine Software bedienen zu können", fragt er. Die Screenshots seien alt und einige Funktionen würden überhaupt nicht erwähnt. Die Nachteile seien groß und der Zeitaufwand sei für den Nutzer sehr hoch. Nach kürzester Zeit, so der Experte, seien sie genervt. Schulungsvideos kämpfen seiner Erfahrung nach mit ähnlichen Nachteilen. Niemand wolle in einem 15-minütigen Video nach einer bestimmten Softwarefunktion suchen.

Markus Menth, Linde Engineering: "Niemand sucht in einem 15-minütigen Schulungsinterview nach einer bestimmten Softwarefunktion."
Foto: Menth - Linde Engineering

Linde Engineering hat sich schließlich für eine Kombination aus klassischer Schulung und einer Digital-Adoption-Plattform entschieden. Videos und Seminare werden dafür genutzt, Usern ein Grundverständnis der Plattform zu vermitteln. Sobald sie dieses erlangt haben, werden den Nutzern die Details und Applikationen im konkreten Anwendungsfall erläutert. Dabei legt sich eine zweite Ebene über die Software, die der Anwender erlernen soll, und erklärt ihm an jeder relevanten Stelle, was er tun muss, um eine Aufgabe zu erfüllen.

Digital-Adoption-Plattform gibt Hilfestellung

Unter allen Anbietern wählte Linde Engineering die Lösung von Userlane. In enger Zusammenarbeit mit den Application-Owners und den Power-Usern der Applikation kreierte Menth in Zusammenarbeit mit Kollegen aus verschiedenen Fachbereichen schließlich die Touren für die Nutzer. "Mit einer Digital-Adoption-Plattform können Sie entscheiden, wo Sie die Tour in Ihrer Anwendung platzieren. Und Sie können den Zugang zu den Touren beschränken", erklärt der Profi. "So können nur die relevanten Nutzer am richtigen Ort die Touren sehen."

Insgesamt entwickelte Menth zwei verschiedene Arten von Guides. Interaktive Trainings stellen den Nutzern das User Interface mit allen Funktionen vor. Daneben helfen die Walk-Throughs dem Anwender bei der Umsetzung von verschiedenen Vorhaben. "Häufig sind Anwender für spezifische Aufgaben nicht gut genug geschult", weiß Menth. "Wir führen Sie einfach hindurch. Mit dieser Art von Tour können Nutzer Aufgaben erfüllen, ohne Angst haben zu müssen, etwas falsch zu machen", sagt er. Bei jedem Schritt bekommen die Lernenden eine Erklärung, was sie als nächstes tun müssen. Dies sei ein sehr effizienter Weg, um Aufgaben eigenständig abzuschließen.

Auch das Change Management unterstützt die Lösung von Userlane, indem sie die Kommunikation fördert. Und Kommunikation, so betont Menth, spielt bei jedem Software-Rollout eine entscheidende Rolle. So kann das IT-Team Softwarenutzer rechtzeitig informieren, wann das System wegen Wartungsarbeiten kurzfristig nicht zur Verfügung steht. Oder sie können die Anwender über neue Funktionen in der Software informieren. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Mitarbeiter aufgeschlossener sind, wenn sie wissen, was passieren wird", sagt der Onboarding-Experte. Und das ist wichtig.

11 Tipps für besseres Change Management
Klar definieren, wer jetzt was zu tun hat
Mit dem Change geraten Zuständigkeiten und Rollen ins Fließen. Von Tag Eins an muss jeder Mitarbeiter wissen, was er jetzt im Moment zu tun hat. Bis sich das ändert und eine neue Ansage kommt.
Die Aufgaben nur skizzieren
Wer seine Mitarbeiter mitgestalten lässt, erreicht mehr. Deshalb ist es ratsam, eine grobe Skizze des Veränderungsprojektes zu zeichnen und das Team Vorschläge zur Ausarbeitung machen zu lassen, als einen schon komplett ausgereiften Plan zu präsentieren.
Die Team-Perspektive einnehmen
Wie betrifft der Change die Team-Mitglieder, was bedeutet die Initiative aus ihrer Sicht – wer diese Perspektive einnimmt, hat die Mitarbeiter auf seiner Seite.
Erfahrungen teilen
Erfahrungen teilen: Soweit möglich, sollten Mitarbeiter an konkreten Aktivitäten wie etwa Besuchen beim Kunden teilnehmen. Je näher sie den Change miterleben, umso besser.
Fragen zulassen
Fragen, die aus dem Team kommen, dürfen nie als Widerstand gelten. Ganz im Gegenteil. Ein Chef, der Fragen zulässt und sie beantwortet, kann schneller Teilverantwortungen an die Mitarbeiter übertragen.
Die Wirtschaftlichkeit darstellen
Neben viel Kommunikation mit dem Team geht es auch darum, Metriken und Kennzahlen für das Veränderungsprojekt zu entwickeln und diese deutlich zu machen.
Wissen, wo der Fokus ist
Innerhalb eines Changes ist viel Kleinteiliges zu klären und zu organisieren. Der Fokus darf darüber nicht vergessen werden. Regelmäßige Treffen müssen sich immer wieder auf diesen Fokus beziehen, eindeutige Metriken müssen deutlich machen, wo das Team gerade steht.
Teilziele updaten
Nicht jeder Meilenstein wird so zu erreichen sein wie ursprünglich geplant. Es ist daher wichtig, gemeinsam mit dem Team Teilziele regelmäßig auf den aktuellen Stand zu bringen.
Sich abstimmen
Gemeinsame Kalender für das Veränderungsprojekt und gemeinsam entwickelte Guidelines, die die Prioritäten festlegen: Das sind gute Wege, um die Arbeit der einzelnen Team-Mitglieder immer wieder aufeinander abzustimmen.
Commitment organisieren
Wer übernimmt die Verantwortung wofür und wie regelt das Team, dass diese Verantwortlichkeiten auch konkret ausgeführt werden? Solche Fragen sind gemeinsam zu klären. Die einzelnen Mitarbeiter müssen wissen, welchen Teil sie übernehmen, und sie müssen konkret formulieren können, was sie dafür von ihrem Chef brauchen.
Den Change in seine Geschichte einbinden
Das Team muss wissen, an welche früheren Punkte im Unternehmen der jetzige Change anknüpft und welche zukünftige Richtung sich damit abzeichnet.

Im Fall von Linde Engineering weist die Software die Nutzer beispielsweise darauf hin, dass sich SupplierConnect besser über Chrome nutzen lässt als über den Internet Explorer. Beim Einloggen über den Explorer erscheint ein Pop-Up-Fenster mit einem entsprechenden Hinweis. Für Menth ist aber wichtig, dass die Nutzer nicht zum Wechsel ihres Browsers gezwungen werden. Man empfehle es ihnen nur.

Anzahl der Support-Anfragen minimiert

Dass die Entscheidung für die Digital-Adaption-Plattform richtig war, untermauert laut Menth ein Blick auf die Zahlen: Von den 2000 Nutzern, die Supplier Connect bislang genutzt haben, haben drei Viertel, also 1500 Nutzer, mindestens einmal auch Userlane verwendet. Insgesamt wurden über 12.000 interaktive Touren gestartet. "Das sind sehr gute Zahlen", weiß Menth. "Vor allem, weil wir noch gar nicht zu jeder Applikation eine Tour haben."

Darüber hinaus ging auch die Zahl der Support-Anfragen um 48 Prozent zurück, die Onboarding-Zeit halbierte sich und die Trainingskosten sanken um 60 Prozent. "Das sind sehr gute KPIs", freut sich der Onboarding-Experte. Seine Antwort auf die Frage, wie man als Großkonzern einen Software-Rollout mit maximalem ROI organisiert, ist jedenfalls eindeutig: mit einer Digital-Adoption-Platform.