Mit nachhaltigem Design Datenschätze heben

Wie "künstlich" ist die Intelligenz im Finanzsektor

01.03.2019 von Roman Zollet
Auf Anwendungen mit Machine-Learning-Komponenten oder Deep Learning greifen Banken und Versicherungen höchstens zur Effizienzsteigerung zurück. Das Potenzial von Künstlicher Intelligenz für Innovationen in Richtung der Kunden ist allerdings noch nicht ausgeschöpft.
Eine optimale persönliche Kundenansprache am Bankschalter. Funktioniert das mit künstlicher Intelligenz auch digital?
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Artificial Intelligence ist der Begriff der Stunde. Auch Banken und Versicherungen versuchen, die Möglichkeiten der "lernfähigen Systeme" zu nutzen, schließlich erfüllen sie eine Grundvoraussetzung: Sie sitzen auf einem Berg von Daten, aus dem sich wertvolle Einsichten gewinnen und anwenden ließen. Doch bislang gehen sie mit diesem Asset noch eher verschwenderisch um.

Versicherungen verwenden laut World Insurance Report 2018 von Capgemini fortgeschrittene Analytik und die sich daraus ergebenden ausführbaren Einsichten ("Insights to Action") hauptsächlich auf einer grobgranularen Ebene. Dabei bedienen sie sich zumeist historischer Daten. Das reicht immerhin, um Prozesse zu beschleunigen oder Entscheidungen zu unterstützen.

Der erste Schritt zur künstlichen Intelligenz würde, so die Marktforscher, die Nutzung von Echtzeitdaten voraussetzen. Damit wäre eine Analyse und Vorhersage des individuellen Kundenverhaltens möglich. Aber diese Art Verhaltensforschung ist im Assekuranzbereich eher die Ausnahme als die Regel.

Die hohe Analytics-Kunst ist dann eine Kombination mit ML-Modellen oder Neuronalen Netzen. Sie ermöglicht es, die traditionellen Prozesse und operativen Modelle neu zu definieren und damit innovative Produkte beziehungsweise Geschäftsmodelle - einschließlich automatisierter Entscheidungen - zu entwickeln. Aber dazu ist bislang höchstens eine von sechs Versicherungen in der Lage.

Künstliche Intelligenz - ein Ratgeber
KI im Unternehmen und Personalmanagement
Künstliche Intelligenz (KI) birgt ein enormes Potenzial für Unternehmen, zum Beispiel beim Einsatz im Personalmanagement. Joachim Skura, Thought Leader Human Capital Management bei Oracle, nennt Vorteile der KI sowie wichtige Faktoren, die bei der Planung sowie Nutzung zu beachten sind.
Kooperation der Führungskräfte
Da die KI-Technologie heute alle Unternehmensebenen durchdringt, müssen HR-Verantwortliche mit den anderen Führungskräften zusammenarbeiten, um Automatisierungsstrategien für die einzelnen Teams zu entwickeln.
Intelligenz kombinieren
KI muss zu einem Umdenken in Bezug auf die Belegschaft führen: Es geht nicht mehr nur darum, Mitarbeiter einzustellen. Vielmehr müssen menschliche und künstliche Intelligenz kombiniert werden, um die Produktivität zu maximieren.
Sinnvolle Prozessautomatisierung
Ein ganz wesentlicher Aspekt der Nutzung von KI ist, das Streben nach mehr Effizienz in Relation zu den tatsächlichen Möglichkeiten zu setzen. Nur weil sich ein Prozess automatisieren lässt, heißt das noch lange nicht, dass man das auch tun sollte. Das gilt auch im Personalwesen.
Keine Big-Brother-Atmosphäre schaffen
KI kann für die Sicherheit des Unternehmens sehr hilfreich sein. Viele Betriebe nutzen KI-Technik, um Anwendungen, Systeme und Infrastruktur ständig zu überwachen und anomales Verhalten in Echtzeit zu erkennen und zu bewerten. Hier sollten Unternehmen aber unbedingt darauf achten, dass keine „Big-Brother-Atmosphäre“ geschaffen wird. Der Personalabteilung kommt dabei eine wichtige Rolle zu.
Daten und Technik ausschöpfen
KI sollte bei Einstellungs- und Besetzungsplänen zur Anwendung kommen. Der Grund: Es gilt, kontextbezogene Daten und Technologien auszuschöpfen, um Probleme wie hohe Fluktuationsraten in Angriff zu nehmen, Mitarbeiter besser zu verstehen und den vorhandenen Pool an Talenten effektiver zu nutzen. Nur so lässt sich Arbeit intelligenter, angenehmer und kollaborativer gestalten – und letztendlich auch wertschöpfender.
KI im Recruiting nutzen
Künstliche Intelligenz wird derzeit auch im Recruiting immer wichtiger. Recruiter nutzen KI, um herauszufinden, welche Skills das Unternehmen aktuell benötigt, und wo passende Kandidaten zu finden sind.
Bewerbungsmanagement automatisieren
Mit Hilfe von KI lassen sich zeitaufwendige Aufgaben wie das manuelle Screening von Lebensläufen und Bewerber-Pools automatisieren.
Candidate Experience aufbauen
Leistungsstarke und integrierte KI-Funktionen sowie klare Abläufe helfen, im Personalmanagement eine benutzerfreundliche und personalisierte Candidate Experience vom Erstkontakt bis hin zur Einstellung und Eingliederung zu schaffen.
Mehr Effizienz durch Machine Learning
Modernste Machine-Learning-Anwendungen unterstützen das Personalwesen, die Time-to-Hire zu verkürzen, indem sie proaktiv eine Vorauswahl der geeignetsten Kandidaten treffen und Empfehlungen geben.
Chatbots einsetzen
Ein Chatbot kann eine Datenquelle sein, mit deren Hilfe Unternehmen mehr über ihre Mitarbeiter erfahren. Machine-Learning-Analysen von Fragen und Gesprächen können einzigartige und bisher nicht mögliche Einblicke liefern. So lassen sich zugrundeliegende Probleme aufdecken – und das vielleicht noch, bevor sich der Mitarbeiter dieser überhaupt bewusst ist.

Schlafende KI-Potenziale im Finanzsektor

Auch in der Finanzwirtschaft werden selbstlernende Systeme längst noch nicht flächendeckend eingesetzt. Es existieren einige Leuchtturmprojekte. Beispielsweise werden heute schon ML-Modelle entwickelt und genutzt, um Betrugsversuche zu entlarven. Aber im Großen und Ganzen legen Banken und Sparkassen den Fokus darauf, ihre existierenden Systeme effizienter zu machen. KI-getriebene Innovationen für das Kunden-Interface gibt es in der Finanz- und Versicherungswirtschaft kaum - zumindest nicht in Europa.

Im Gegensatz zu traditionellen Banken zeigen FinTechs Ansätze für neue Geschäftsmodelle, zum Beispiel Crowd Sourcing. Aber sie haben die Branche vor allem deshalb durcheinandergewirbelt, weil sie mit flachen Hierarchien, Do-it-yourself-Frontend und automatisierten Prozessen im Background kostengünstiger sein können als traditionelle Anbieter. Eine grundlegende Transformation des Geschäfts findet aber auch hier nicht statt.

Die Verbesserung der Kundeninteraktionen ist für viele Banken eben noch kein dominantes Thema. Dabei ließen sich mit KI-Hilfe hervorragend die aktuellen Lebensumstände des einzelnen Klienten analysieren, so dass man ihm wirklich maßgeschneiderte Finanzprodukte empfehlen könnte. Oder um es wie der Buch- und Blog-Autor Chris Skinner zu sagen: "Viele Banken nutzen KI vor allem für Compliance- und Risikoabschätzungen sowie für die Automatisierung von Bereichen, die sich zuvor nur schwer automatisieren ließen … Meiner Ansicht nach ist die Künstliche Intelligenz aber viel interessanter, wenn sie eingesetzt wird, um mehr Kundennähe zu schaffen und den jeweiligen Finanz-Lifestyle zu verstehen."

Individuelle Versicherungstarife sind erst der Anfang

Im Versicherungssektor sieht es kaum besser aus. Zwar möchten einige Krankenversicherungen gern die Daten aus den Fitness-Armbändern ihrer Kunden auslesen, um sie für eine gesunde Lebensweise mit günstigen Tarifen zu belohnen, und die ersten Autoversicherer kommen umsichtigen Fahrern finanziell entgegen, sofern sie Daten über deren Fahrweise sammeln können. Aber das sind noch Einzelfälle.

Lesetipp: Vivy - die digitale Gesundheits-App

In Asien ist man da schon weiter. Zum Beispiel im Schadensmanagement: der Assekuranzzweig des chinesischen Multikonzerns Alibaba ist heute schon in der Lage, einen Unfallschaden innerhalb von Sekunden anstatt im Verlauf von Tagen oder Wochen zu regeln – mit Hilfe einer Big-Data-Plattform, die vom Versicherten gemachte Handy-Fotos des Unfallorts unmittelbar auswerten kann.

Schadensregulierung mit wenigen Klicks ist in China teilweise schon Alltag.
Foto: Andrey_Popov - shutterstock.com

Fazit: Es fehlt digitales Design

Möglicherweise haben die europäischen Versicherungen und Banken ja nur ein wenig Starthilfe nötig. Neben verlässlichen Daten brauchen sie ein Konzept, wie sie ihre Produkte und Services ausweiten und innovativer gestalten können, quasi ein Digitales Produkt- und Service-Design.

Als Goldstandard hat sich hier ein vierstufiges Vorgehen erwiesen: von den "Einsichten und Visionen" bezüglich der Kunden über das eigentliche Design der digitalen Produkte und Services und dem anschließenden Proof of Concept bis zur Implementierung und Inbetriebnahme, die schließlich in die Vermarktung mündet.
Dazu müssen die drei Kompetenzen Geschäftsmodell, Design und Technik nahtlos ineinandergreifen. Vor allem aber sollten nicht die Methoden, sondern die Bedürfnisse der Nutzer im Mittelpunkt stehen.