Industrie 4.0

Wie Informatiker und Ingenieure voneinander lernen

16.07.2019 von Michael Sudahl
Der Ingenieursberuf wird durch Digitalisierung, KI und Software zunehmend seitens der Informatik beeinflusst. Beide Disziplinen können profitieren.
  • Informatikern fehlt das Verständnis für Prozesse der Elektrotechnik.
  • Ingenieure müssen sich in einer Industrie zurechtfinden, die zur Softwarewelt wird.
  • Der VDI fordert eine dringende Reform der Ingenieursstudiengänge.

Der Fachkräftemarkt ist leer gefegt. Der Jobmonitor des Handelsblatts verkündet, dass der Mangel an Informatikern für die Digitalwirtschaft "bedrohliche Ausmaße" annehme. Die Zahl offener Stellen sei gegenüber 2017 um ein Drittel auf 24.700 gestiegen, wobei Softwareentwickler besonders dringend gesucht werden.

Die Industrie braucht mehr technische Informatiker, die mit Abläufen in der Fertigung vertraut sind.
Foto: Gorodenkoff - shutterstock.com

Ganz anders sieht es bei dem Schweizer Startup Starmind aus. Das Technologieunternehmen zieht Hochqualifizierte an. 2010 gegründet und auf künstliche Intelligenz (KI) spezialisiert, vernetzt das Unternehmen mit 80 Mitarbeitern das Internationale Rote Kreuz in Krisengebieten sowie Eltern von Kindern mit Down-Syndrom. Data-Spezialistin Laura Mascarell heuerte zum Beispiel voriges Jahr in Küsnacht an. Laut Firmengründer Pascal Kaufmann war die 30-jährige Spanierin, die im Fachgebiet Computerlinguistik promoviert hat, eine von tausend Bewerbern aus der ganzen Welt. Von Fachkräftemangel also keine Spur.

Diversität als Erfolgsfaktor

Starmind ist als Arbeitgeber bei Informatikerinnen begehrt. Der Grund: Mit einem Frauenanteil von 35 Prozent benötigt das Unternehmen keine Frauenquote. Darüber hinaus ist Neurowissenschaftler Kaufmann Diversität sehr wichtig, weil sie positiv auf die Firmenkultur wirke. Informatikerin Mascarell fühlt sich am Arbeitsplatz "sehr inspiriert", weil in den Büros am Zürichsee Menschen aus 20 Nationen im Team Algorithmen entwerfen. "Diese finden auf jede Frage in einem großen Netzwerk den passenden Experten", präzisiert Mascarell.

Doch nicht alle Betriebe können mit Leuchtturmprojekten einen Sog entwickeln. Im Alltag der Maschinenbauer heißt die Herausforderung digitaler Wandel. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) fordert angesichts rasender Innovationszyklen in der digitalisierten Arbeitswelt eine Reform der Ingenieursstudiengänge. Laut einer VDI-Umfrage fühlen sich nur elf Prozent der Studierenden gut auf die vernetzte Industrie von morgen vorbereitet.

Die Industrie wird zur Softwarewelt

Dabei ist Digitalisierung nichts Neues. "Der Prozess schleicht sich seit Jahren in die Industrie ein. CNC-Maschinen, die mit einer Software arbeiten, gibt es seit 40 Jahren", erklärt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Ingenieure müssen sich in einer Industrie zurechtfinden, die zur Softwarewelt wird. So wie Alexander Ulferts. Der Leiter Prozessentwicklung bei Inductoheat aus Reichenbach in Baden-Württemberg beobachtet, "wie moderne Härtemaschinen immer mehr zu Computern werden". Seit neun Jahren arbeitet der Ingenieur bei Inductoheat. Zuvor war er an der Uni Hannover als wissenschaftlicher Mitarbeiter für elektrothermische Prozesse tätig. 2010 folgte der Wechsel in die Industrie. Management, Entwicklung und Probleme lösen gehören zu seinem Alltag. "Ich stehe gerne mal im blauen Kittel vor der Anlage", lacht er.

Um digitale Ideen zu entwickeln, arbeiten bei Inductoheat interdisziplinäre Teams zusammen. Die Kollegen sitzen in den USA, Indien und China. Ziel ist eine systemoffene Plattform der Prozesskontrolle, die ein Daten- und Energiemanagement bietet und universell einsetzbar ist. "Ich kann auch Programmiersprachen wie C, Java und Python, aber eine Software von Grund auf entwickeln ist etwas anderes", meint Ulferts, der seine Wissenslücken mit Hilfe digitaler Lernplattformen schließt.

KI-Spezialisten programmieren Lernpfade für Weiterbildung

Dass ihn hierbei KI unterstützt, weiß wiederum Christian Wachter. Der Vorstand der IMC AG sitzt in Saarbrücken unweit des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) und damit an einer Quelle für KI-Trends. Unter seinen 250 Mitarbeitern findet sich ein knappes Dutzend KI-Spezialisten. Sie programmieren Lernpfade für Weiterbildungen, die berechnen, was 7,5 Millionen Nutzer lernen sollten. "Die Flut an Informationen, auch in der Technik, ist überwältigend", sagt Wachter. KI, oder besser: lernende Maschinen, legen Lehrpläne an, die dem Lernwilligen die Aspekte vorschlagen, die er für seine Arbeit wissen will.

Künstliche Intelligenz - ein Ratgeber
KI im Unternehmen und Personalmanagement
Künstliche Intelligenz (KI) birgt ein enormes Potenzial für Unternehmen, zum Beispiel beim Einsatz im Personalmanagement. Joachim Skura, Thought Leader Human Capital Management bei Oracle, nennt Vorteile der KI sowie wichtige Faktoren, die bei der Planung sowie Nutzung zu beachten sind.
Kooperation der Führungskräfte
Da die KI-Technologie heute alle Unternehmensebenen durchdringt, müssen HR-Verantwortliche mit den anderen Führungskräften zusammenarbeiten, um Automatisierungsstrategien für die einzelnen Teams zu entwickeln.
Intelligenz kombinieren
KI muss zu einem Umdenken in Bezug auf die Belegschaft führen: Es geht nicht mehr nur darum, Mitarbeiter einzustellen. Vielmehr müssen menschliche und künstliche Intelligenz kombiniert werden, um die Produktivität zu maximieren.
Sinnvolle Prozessautomatisierung
Ein ganz wesentlicher Aspekt der Nutzung von KI ist, das Streben nach mehr Effizienz in Relation zu den tatsächlichen Möglichkeiten zu setzen. Nur weil sich ein Prozess automatisieren lässt, heißt das noch lange nicht, dass man das auch tun sollte. Das gilt auch im Personalwesen.
Keine Big-Brother-Atmosphäre schaffen
KI kann für die Sicherheit des Unternehmens sehr hilfreich sein. Viele Betriebe nutzen KI-Technik, um Anwendungen, Systeme und Infrastruktur ständig zu überwachen und anomales Verhalten in Echtzeit zu erkennen und zu bewerten. Hier sollten Unternehmen aber unbedingt darauf achten, dass keine „Big-Brother-Atmosphäre“ geschaffen wird. Der Personalabteilung kommt dabei eine wichtige Rolle zu.
Daten und Technik ausschöpfen
KI sollte bei Einstellungs- und Besetzungsplänen zur Anwendung kommen. Der Grund: Es gilt, kontextbezogene Daten und Technologien auszuschöpfen, um Probleme wie hohe Fluktuationsraten in Angriff zu nehmen, Mitarbeiter besser zu verstehen und den vorhandenen Pool an Talenten effektiver zu nutzen. Nur so lässt sich Arbeit intelligenter, angenehmer und kollaborativer gestalten – und letztendlich auch wertschöpfender.
KI im Recruiting nutzen
Künstliche Intelligenz wird derzeit auch im Recruiting immer wichtiger. Recruiter nutzen KI, um herauszufinden, welche Skills das Unternehmen aktuell benötigt, und wo passende Kandidaten zu finden sind.
Bewerbungsmanagement automatisieren
Mit Hilfe von KI lassen sich zeitaufwendige Aufgaben wie das manuelle Screening von Lebensläufen und Bewerber-Pools automatisieren.
Candidate Experience aufbauen
Leistungsstarke und integrierte KI-Funktionen sowie klare Abläufe helfen, im Personalmanagement eine benutzerfreundliche und personalisierte Candidate Experience vom Erstkontakt bis hin zur Einstellung und Eingliederung zu schaffen.
Mehr Effizienz durch Machine Learning
Modernste Machine-Learning-Anwendungen unterstützen das Personalwesen, die Time-to-Hire zu verkürzen, indem sie proaktiv eine Vorauswahl der geeignetsten Kandidaten treffen und Empfehlungen geben.
Chatbots einsetzen
Ein Chatbot kann eine Datenquelle sein, mit deren Hilfe Unternehmen mehr über ihre Mitarbeiter erfahren. Machine-Learning-Analysen von Fragen und Gesprächen können einzigartige und bisher nicht mögliche Einblicke liefern. So lassen sich zugrundeliegende Probleme aufdecken – und das vielleicht noch, bevor sich der Mitarbeiter dieser überhaupt bewusst ist.

Laut Reinhard Karger vom DFKI gehe es künftig darum, aus einer steigenden Anzahl von KI-Angeboten passende herauszufiltern. "Wir brauchen nicht nur Informatiker", sagt der Sprecher des Forschungszentrums. Vielmehr gelte es, Mitarbeiter zu qualifizieren, damit sie lernen, KI-Module zu bedienen. Diese finden sich als Micro-Services auf Online-Plattformen oder werden von KI-Spezialisten wie Starmind angeboten und können schon heute Bürojobs entlasten, Arbeitsabläufe unterstützen oder Experten finden. Die Fachkräftelücke könnte damit verkleinert werden.

Aber nicht nur Ingenieure haben Qualifizierungsbedarf. "Informatikern fehlt das Verständnis für Prozesse der Elektrotechnik", beobachtet Ingenieur Ulferts. Die Industrie brauche mehr technische Informatiker, die mit Abläufen in der Fertigung vertraut sind. Angehenden Programmierern rät er deshalb, während des Studiums so viele Praktika in der Industrie zu machen wie möglich.