Innovatives Workplace-Konzept

Wie Hellmann seine komplexen Logistikprozesse mit IT unterstützt

24.11.2014 von Karin Quack
Unternehmen, die ihre Prozesse und IT-Systeme harmonisieren wollen, setzen häufig auf Standardsoftware. Aber manchmal gibt es nichts Passendes von der Stange. Hellmann Worldwide Logistics geht deshalb seinen eigenen Weg in eine integrierte, flexible Applikations- und Servicelandschaft.

Wir wollen wie Uber werden." Klaus Hellmann, Geschäftsführer der Hellmann Worldwide Logistics in Osnabrück, wählt einen interessanten Vergleich. Anders als bei der umstrittenen Taxi-Alternative geht es in Hellmanns Geschäft ja nicht darum, mal eben einen Fahrgast in den Nachbarort zu befördern. Das Unternehmen verdient sein Geld mit Transportaufträgen, aber auch mit Serviceleistungen wie dem kompletten Lager-Management, der Lieferabwicklung von E-Shops und sogar mit der Strategiefindung im Supply-Chain-Bereich.

"Auf der reinen Transportseite kann man sich heute kaum noch differenzieren", sagt Sami Awad-Hartmann, Leiter der 150-köpfigen Global Information Systems (GIS) und damit de facto CIO des Logistikunternehmens. Auch wenn offiziell noch Jürgen Burger, mittlerweile aufgestiegen zum Mitglied des Main Board von Hellmann Worldwide Logistics, den CIO-Titel trägt.

Von links: Sven Till, Lead Integration and Architecture, Stefan Borggreve, Lead Business Production Solutions, Sami Awad-Hartmann, stellvertretender CIO, Klaus Hellmann, Geschäftsführer Hellmann Worldwide Logistics, Osnabrück.

Leistungen der Art, wie Hellmann sie erbringt, lassen sich vorerst wohl noch nicht "uberisieren". Doch gebe es in Großbritannien schon einen Dienst namens Shiply, der spontan auch größere Transportdienstleistungen vermittelt, warnt Geschäftsführer Hellmann: Es sei töricht, derartige Entwicklungen einfach zu ignorieren: "Unser Markt ist begrenzt. Wenn wir wachsen wollen, können wir nur etwas von unseren Mitbewerbern wegnehmen. Und das geht nur, wenn wir schnell sind."

Auch Irrwege können ans Ziel führen

Was die Hellmann-Prozesse verzögere, sei "Papier", sagt der Firmenchef. Deshalb versuche das Unternehmen schon lange, wo immer es die gesetzlichen Bestimmungen erlaubten, auf gedruckte Informationen zu verzichten. Manchmal sei er in diesem Bestreben auch zu schnell gewesen, räumt Hellmann ein. So beispielsweise, als er frühzeitig auf die Intelligent Character Recognition (ICR) setzte, die damals noch keine ausgereifte Technologie gewesen sei. Mittlerweile fungiere ICR als wichtiger Bestandteil in der digitalen Wertschöpfungskette, "doch damals haben wir so manchen Euro vergeblich investiert".

Doch wenn man schnell sein wolle, müsse man auch kurzfristige Irrwege in Kauf nehmen, davon ist der Hellmann-Chef überzeugt. Manchmal sei es eben notwendig, einfach etwas zu tun, selbst wenn es vielleicht noch nicht der Weisheit letzter Schluss sei.

"Ein bisschen zu kurz gesprungen", ist dagegen aus Hellmanns Sicht die "Abhol-App". Sie wird von manchen Hellmann-Kunden verwendet, um eine Abholung in Auftrag zu geben - alternativ zu einem Anruf oder einem Auftrag über das Portal. Der Auftrag landet dann bei der Disposition, die dem Kunden eine Bestätigung schickt und sich dann um Disposition und Anlage des Sendeauftrags im Transport-Management-System (TMS) kümmert.

Ideal wäre es, so Awad-Hartmann, wenn der Auftrag automatisch an das Transportsystem gehen würde, also nicht vom Disponenten bearbeitet werden müsste. Wäre der ganze Prozess einbezogen, ließen sich mehrere manuelle Schritte ausschalten. Doch dafür ist noch einige Arbeit im Hintergrund zu erledigen, angefangen von der Schnittstelle in das TMS bis zur automatischen Disposition.

Der Fahrer müsse eigentlich in der Lage sein, selbst zu disponieren, bestätigt der Geschäftsführer. Und er ermutigt die IT unmissverständlich, die Integration von langlebigen Enterprise-Systemen und schnell drehenden Applikationen voranzutreiben.

Blitzsauberes Daten-Management

Was dazu nötig ist, erläutert Sven Till, Architekturexperte und - wie er selbst sagt - das "freie Radikal" bei Hellmann: "Wir versuchen, Methoden zu finden, wie wir Technologien langfristig einschätzen können." Denn entweder müsse man die Technologien von vornherein richtig auswählen, was bei der rasanten Entwicklung auf diesem Feld schwierig sei, oder aber die Architektur müsse auf maximale Flexibilität angelegt sein. Selbstredend wolle er beide Ziele anpeilen.

Voraussetzung für eine flexible und hoch "responsive" Architektur ist ein blitzsauberes Stammdaten-Management, konstatiert Till. Das habe Hellmann schon mit dem Programm "Helios" in die Wege geleitet. Unter diesem Namen begann der Konzern 2008 die Einführung des ERP-Systems von Oracle. Das erste Projekt in diesem Rahmen zielte auf ein einheitliches Stammdaten-Management - parallel zur Einführung eines weltweiten CRM-Systems. Beide Komponenten sind mittlerweile in mehr als 40 Ländern im Einsatz. Es folgten weitere Projekte für die Themen Human Resources, Finance und Einkauf.

Helios lief als eigenständiges Programm parallel zur klassischen IT. "Das Einzige, was wir von der IT bekommen haben, war die Infrastruktur", erinnert sich der stellvertretende CIO, der das Programm seinerzeit leitete.

Nach der Überführung in den Betrieb wurde die Software aber unter das Dach der GIS geholt. Die Integrationsplattform ist zwischenzeitlich auch neu aufgesetzt worden. Heute handelt es sich um eine Service-orientierte Architektur mit einem Enterprise-Service-Bus auf Basis von Tibco-Technologie.

Das erleichtert die Einrichtung zahlreicher Satellitensysteme und kurzlebiger Apps. Abhängigkeiten zwischen Systemen ließen sich so weit reduzieren, dass neue Datenquellen nahezu ad hoc integrierbar sind, ja komplette Systeme transparent ausgetauscht werden können. Aus Sicht von Awad-Hartmann und Till sind diese Möglichkeiten die Grundvoraussetzungen für eine flexible Applikations- und Servicelandschaft - und damit essenziell für den weiteren Umbau der IT bei Hellmann.

Fragmentierte Anforderungen der Branche

Ein komplettes Transportlogistik-System, quasi das digitale Herz eines Transportunternehmens, gebe es auch heute noch nicht von der Stange zu kaufen, versichert das Team um Awad-Hartmann. Zwar arbeite SAP mit Schenker und Panalpina an einer Branchenlösung für die Luftfracht, aber See- und Landweg blieben dabei außen vor. Wenn Hellmann hier etwas Neues will, muss das Unternehmen vieles selbst entwickeln.

Die Anforderungen der Unternehmen in dieser Branche seien stark fragmentiert, was den Markt für Softwareanbieter relativ uninteressant mache, erläutert Stefan Borggreve, Leiter des Bereichs Business Production Solutions innerhalb der GIS und verantwortlich für Themen wie Portal, Business Intelligence sowie alle logistikspezifischen Anwendungen. Deshalb sei eine weitgehende Eigenentwicklung unumgänglich. Allerdings müsse man nicht alles selbst machen. Beispielsweise gebe es einige interessante Entwicklungen im Logistikbereich aus dem Cloud-Umfeld, die Hellmann teilweise übernehmen könne.

Tatsächlich arbeitet Hellmann derzeit an einem neuen Transport-Management-System, das genau auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten ist, obwohl es Komponenten fremder Lösungen einbezieht. Ob und inwieweit es sich irgendwann einmal für die Wiederverwendung in einem anderen Logistikunternehmen eignen wird, lassen die Hellmann-Informatiker offen. Stören würde es sie sicher nicht, wenn sie hier einen Standard setzen könnten.

Strukturell im Vorteil

Nicht nur wegen der speziellen Anforderungen will Geschäftsführer Hellmann die Eigenentwicklung weiter stark betonen: "Wenn wir zu viel extern kaufen, verzichten wir darauf, eigenes Know-how aufzubauen."

Sein Unternehmen habe die idealen Voraussetzungen für eigene Entwicklungen. Mitbewerber wie der Branchenführer DHL seien vielleicht "gedanklich schon etwas weiter als wir", aber dafür sei Hellmann "strukturell im Vorteil, weil wir über die ganze Zeit eine einheitliche Architektur hatten". Hellmann bewegt sich schon seit Jahrzehnten kontinuierlich in der IBM-3x-Welt: "So haben wir wenig Zeit mit der Übersetzung in andere IT-Sprachen verloren."

Innovatives Workplace-Konzept

Davon abgesehen, wüssten Hellmann und seine Führungsmannschaft sehr wohl, " wie wir das Geschäft mit der IT verbinden können". Diese Verbindung dokumentiert das Unternehmen auf allen Ebenen - auch auf der physischen: Das von Hellmann selbst angeregte Arbeitsplatzkonzept, das am Standort Osnabrück umgesetzt wurde, ist auf ein enges Neben- und Miteinander von IT- und Fachbereichsmitarbeitern ausgelegt.

Das neue Workplace-Konzept bei Hellmann in Osnabrück zielt auf eine enge Integration von IT- und Business-Mitarbeitern ab.

Der Kreativitätsspeicher

Für die Zusammenarbeit auf höchster Management-Ebene hat Hellmann vor etwa einem Jahr ein IT Steering Committee (ITSC) eingerichtet. Ihm gehören Awad-Hartmann und Borggreve sowie fünf Mitglieder aus den Fachbereichen an: Führungspersönlichkeiten aus Finance und Controlling, Governance und Compliance, See- und Luftfracht sowie Landtransport und Contract Logistics. Zudem ist der Chief Commercial Officer Jochen Freese mit im Boot. Seine Aufgabe ist es, die Sicht der externen Kunden in die IT-Strategie hineinzubringen.

Der Lenkungskreis trifft sich einmal im Monat. "Einmal im Quartal war einfach zu langsam", führt Awad-Hartmann aus. Zu den Ergebnissen seiner Arbeit gehört eine "One-Page-IT-Strategie" - quasi eine Strategie auf dem Bierdeckel, die jeweils die kommenden drei Jahre umfasst. Einer der wichtigsten Punkte darauf heißt: Digitalisierung der Kernprozesse.

Das neue Workplace-Konzept bei Hellmann in Osnabrück zielt auf eine enge Integration von IT- und Business-Mitarbeitern ab.

Die Ziele der Digitalisierung - drei Beispiele

Unter dem Strich hat De-facto-CIO Awad-Hartmann festgestellt, "dass wir aus der IT unglaublich viel initiieren können". Mit anderen Worten: Die Urheberschaft für viele Business-Angebote des Unternehmens liegt eigentlich in der IT, auch wenn das nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Am Ende entscheide aber nicht, wer die Dinge initiiere, sondern dass man überhaupt die richtigen Dinge tue.

Intern muss das Informatikteam sowieso nichts mehr beweisen. Es ist ja nicht eben alltäglich, dass ein CIO, nämlich Jürgen Burger, in das oberste Leitungsgremium berufen wird und damit an der Gesamtunternehmensleitung beteiligt ist. Und schon gar nicht ist es selbstverständlich, dass sich ein geschäftsführender Gesellschafter eines Milliardenunternehmens, nämlich Klaus Hellmann, aktiv in die IT-Strategie einbringt.