Rund um die Wearable-Techniken hat sich ein Hype entwickelt, der zunächst vor allem von der Sport- und Freizeitwelt ausging. Mit intelligenten Puls- und Herzfrequenzmessgeräten, wie man sie inzwischen bei vielen Sportfreunden im Fitnessstudio sieht, ist das Management der eigenen Vitalität in den Mittelpunkt gerückt – nicht nur bei Sportlern, sondern auch bei kranken oder gesundheitsbewussten Menschen.
Medizintechnik ist denn auch der größte B2B-Anwendungsbereich für Wearables. Mit den Head-mounted Displays und Smart Glasses (Smartbrillen) wie Google Glass eröffnen sich viele weitere professionelle Einsatzmöglichkeiten, besonders in Kombination mit Augmented Reality (AR).
Erst mit dieser Technik werden Smart Glasses wirklich interessant, behauptet die Münchner Metaio GmbH, die auf ihrer Hausmesse Inside AR einschlägige Techniken und Produkte vorstellte. Metaio entwickelt unter anderem Interaktionsmethoden für Datenbrillen von Epson, Google und Vuzix.
Was sind Wearables?
Bei Wearable-Technologien könnte man bis ins 16. Jahrhundert zu den ersten Taschenuhren – auch als Nürnberger Eier bekannt – zurückgehen. Ebenso sind Herzschrittmacher, seit 1958 millionenfach erprobt, für Matthias Ziegler von Accenture „im Grunde ebenfalls schon Wearable Devices“. Zu solchen zählt Joshua Flood, Analyst bei ABI Research, auch multifunktionale Taschenrechner-Uhren wie die Touch-fähige Casio Data Bank VDB-1000 von 1991. Nach heutigem Verständnis würden Wearable Devices aber immer auch im Kontext mit der Anbindungsmöglichkeit gesehen, so Flood weiter.
„Ausschlaggebend ist die Vernetzung der Geräte und die Datennutzung in Apps“, betont Ziegler. ABI Research unterteilt den Markt für Wearables in sieben Segmente:
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am Körper oder am Helm tragbare Kameras,
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Smart Cloth (auch E-Cloth genannt),
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Smart Glasses (Datenbrillen) von Vuzix, Epson (Moverio) und Google,
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Medizintechnik im Gesundheitswesen,
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Sport- und Fitness-Tracker (Erfassungsgeräte),
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3D Motion Tracker wie Microsoft Kinect mit Systems on a Chip (SoCs) der neuen Apple- Tochter Primesense und
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Smartphone-kompatible Uhren wie Samsung Galaxy Gear, Pebble oder Sony Smartwatch.
Der größte Markterfolg wird laut ABI Research wohl den Smartwatches beschert sein. Bis 2018 werde sich der Wearable-Gesamtmarkt auf rund 550 Millionen verkaufte Stück verzehnfachen, wobei Smartwatches ab 2017 zum größten Segment anwachsen sollen.
Ihnen folgen die Segmente Sport und Fitness sowie – stark aufholend – Medizintechnik und Smart Glasses. Bluetooth Smart als Enabler Für Smartwatches sieht Flood abgesehen von der vielleicht noch besseren Erreichbarkeit ihrer Träger kaum B2B-Anwendungen, wohl aber für Datenbrillen, die zusammen mit AR viele B2B-Einsatzmöglichkeiten eröffnen. Die Cinemizer genannten 3D-Brillen von Zeiss gehören dazu.
B2B-Einsatzszenarien dieser Brillen sind beispielsweise die multimediale Ablenkung von Angstpatienten beim Zahnarzt, virtuelle Rundgänge bei der Raum- und Gebäudeplanung sowie immersives Lernen. Die Lernenden tragen hier 3D-fähige Multimedia- Brillen und sind beim Wissenserwerb von äußeren Störfaktoren abgeschirmt.
Sport- und Fitnessgeräte sind zwar in erster Linie Consumer-Ware, doch wenn sie dem höheren Ziel der Gesundheit dienen oder zu Coaching-Zwecken genutzt werden können – ein Beispiel ist die „miCoach“-Serie von Adidas, die im Training der deutschen Fußball- Nationalmansnchaft eingesetzt wird –, dann wird daraus auch ein „Business Use Case“. Gleiches gilt für Kleidung und Turnschuhe. SAP HANA kam zusammen mit Google Glass und Sensoren am Körper der Spieler auch schon beim Training des Fußball-Bundesligateams TSG Hoffenheim zum Tragen.
Führende Anbindungstechnik
Die Verbindung zwischen Wearable und weiterverarbeitendem Endgerät erfolgt meist über Bluetooth. In der stromsparenden Smart- Version 4.0 ist Bluetooth die mit Abstand führende Anbindungstechnik. Die Blue-tooth Special Interest Group schreibt das dem starken Wachstum bei Sport- und Fitnessgeräten zu, die 2013 rund 96 Prozent der Wearables ausmachten. ABI Research spricht indes von lediglich 61 Prozent.
Den Analysten von Gartner zufolge kommen bei Fitnessgeräten auch immer mehr sensorbasierte Kombinationen von RFID und GPS zum Einsatz. Gute Chancen als Übertragungsstandards werden auch Zigbee und Near Field Communication (NFC) eingeräumt. Unverzichtbar ist das Sammeln großer Datenmengen. Dazu gehört auch das Sammeln von Bewegungsprofilen, wie Apple es im Co-Prozessor des iPhone S5 verankert hat. Michael Wilmes von LG Electronics glaubt, dass biegsame Batterien und Displays den Wearables weiteren Schub verleihen werden.
Sein Unternehmen habe in den neuen Smartphones der G-Flex-Reihe schon entsprechende Akkus und Displays verbaut. „Nach Smartwatches werden 2014 Smart Glasses mit Google als neuem starkem Player zum nächsten großen Ding im Wearable- Markt“, prophezeit ABI-Analyst Flood. Während Google, aber auch Epson mit seinen halbtransparenten Moverio-Brillen eher Privatkunden im Blick haben, steht beim US-Hersteller Vuzix der B2B-Nutzen im Vordergrund.
Seit im Februar 2013 die ersten Google-Glass-Testgeräte an Entwickler verteilt wurden, hat sich auch sonst vieles getan: Noch in diesem Jahr soll die Massenvermarktung für Consumer- und B2B-Anwendungen beginnen. Philips und Accenture haben, zunächst noch in Form von Machbarkeitsstudien, konkrete Einsatzszenarien für Google Glass bei der Reparatur von Öl- und Gas-Pipelines entwickelt sowie Anwendungen für den Klinikbetrieb entworfen. Zudem sollen sich Radsportler und Motorradfans im Sichtfeld des Headup-Displays ihr Tempo und die vor ihnen liegende Strecke anzeigen lassen können.
Headup-Displays seit Jahren erprobt
In der Industrie, in bestimmten Handwerksberufen und in der Logistik werden Headup- Displays zusammen mit AR-Lösungen schon seit Jahren erprobt und eingesetzt. Wer sie benutzt, hat die Hände frei für seine Arbeit. In dem Gemeinschaftsprojekt „SiWear“ hat SAP in einem Lkw-Werk von Mercedes eine etwas klobig aussehende Datenbrille schon sehr früh in der Kommissionierung erprobt.
„Worum es hierbei auch geht, ist, dass die Datenwelt des Unternehmens vor das Auge des Arbeiters gebracht wird“, erklärt SAP-Projektleiter Jörg Rett. Zusammen mit Vuzix und Bechtle hat der Softwareriese ein Video gedreht, um die Möglichkeiten im Warenlager vorzuführen. Wo Lageristen früher mit Barcode-Scannern die Regale abgingen, können sie jetzt mit der Datenbrille komplett freihändig arbeiten, während ihnen im Display und per Sprachnachricht die abzuholenden Waren mit Beschaffenheit und Ausgabeziel angezeigt werden.
Dabei kann auch integriertes GPS zum Einsatz kommen. Doch dieser Versuch ist nicht das einzige Einsatzszenario in der Fahrzeugindustrie. Hersteller wie Audi, General Motors, Mercedes, Toyota und VW haben bereits ARLösungen für die Reparatur und Wartung der Fahrzeuge entwickelt. Damit wollen sie nicht nur Werkstätten, sondern teilweise auch Privatkunden ansprechen. Entsprechende Produktstudien mit Google Glass hat etwa Metaio vorgestellt. Gartner rechnet damit, dass bis 2018 jedes zehnte Unternehmen solche Lösungen einsetzen wird, so dass Milliardensummen eingespart werden können.
Erste virtuelle OPs
Ein anderes SAP-Video zeigt Google Glass mit SAP HANA als Cloud-Lösung im Klinikalltag. Ärzte erhalten bei der Visite sofort Diagnosebilder, Medikamentenvorgaben und andere Informationen. Die Einsatzmöglichkeiten für Datenbrillen im Klinikbetrieb reichen bis in den Operationssaal und von dort in den Hörsaal von Universitäten oder zu Spezialisten rund um die Welt.
Dies hat im August 2013 das Ohio State Wexner Medical Center mit der ersten LiveÜbertragung einer OP über Google Glass gezeigt. In Birmingham haben mehrere Chirurgen mit Hilfe von Google Glass über 160 Kilometer voneinander entfernt erstmals zusammen eine Operation vorgenommen, ebenso in Brasilien und im Highland Hospital der University of Alabama. Dabei wurde dem ausführenden Chirurgen vor Ort von seinem Kollegen indirekt das Operationsbesteck geführt.
Das Evena Medical Center aus Kalifornien hat auf Basis der Moverio-Technik von Epson eine Eyes-on genannte Brille entwickelt, mit der Krankenpersonal praktisch durch die Haut sehen kann, um Venen leichter lokalisieren zu können. Die Gartner-Analysten sehen auch Wearables für die persönliche Gesundheit und Fitness nicht nur als Consumer-Ware. Viele Produkte hätten Potenzial für das Gesundheits-Management in Unternehmen – oder als Payback- Köder von Krankenkassen.
Die Marktforscher haben in einem Report fünf besonders „coole“ Hersteller und Lösungen herausgestellt. Dazu gehört MC10 mit dehnbaren elektronischen Sensoren und Schaltkreisen, die wie digitale Tatoos eine Reihe von Biometriedaten einschließlich EKG aufnehmen können. Erste kommerzielle Anwendungen sind im Profitraining eingesetzte Checklight-Schutzkappen von Reebok mit LED-basiertem Ampelwarnsystem bei Kopfverletzungsgefahr.
Zephyr Technology entwickelt mit Biomodulen Lösungen für das Physio-Monitoring (PSM) über größere Entfernungen. Dazu gehört auch ein System namens PSM Training Echo, das auf über 300 Metern von bis zu 50 Sportlern mit Zephyrs Bioharness-Brustgurten oder Compression Shirts eine Reihe wichtiger Biometriedaten sammeln kann und sich im Training bewährt hat. Wearable Cloth könnte nach Smart Glasses in den kommenden Jahren laut ABI-Analyst Flood das nächste große Thema sein.
Auf dem Weg ins Cyborg-Zeitalter
Absehbar ist auch eine andere Entwicklung: Wearables dürften in Form von Neuro- oder ITK-Implantaten im menschlichen Körper platziert werden und damit das Zeitalter der Cyborgs, also der Mensch-Maschine-Hybriden, einläuten. So hat der farbenblinde britische Künstler Neil Harbisson mit einer Eyeborg genannten Vorrichtung aus Sensor und Kopfhörer gelernt, Farben zu hören, statt sie zu sehen.
Weil er sich weigerte, das Gerät für ein Foto zur Passerneuerung abzunehmen, wurde er vor zehn Jahren zum ersten staatlich anerkannten Cyborg. Die von ihm mitgegründete Cyborg Foundation widmet sich vor allem der Erforschung sensueller Substitute und setzt sich unter anderem zum Ziel, Eyeborg zum Implantat weiterzuentwickeln. Weltweit leben mehr als 100.000 Patienten mit Parkinson, Epilepsie und schweren Depressionen schon mit Hirnschrittmachern. Da scheinen intelligenzfördernde und leistungssteigernde Neuroimplantate nicht mehr weit.