Was ist Predictive Maintenance?

29.09.2020 von Manfred Bremmer
Die vorausschauende Instandhaltung ist ein wichtiges Einsatzszenario von (I) IoT und Industrie 4.0. Das müssen Sie über Predictive Maintenance wissen.
Predictive Maintenance kommt insbesondere in Industrien mit teuren Maschinen, hohen Ausfallkosten und schwierigen Instandhaltungsmaßnahmen zum Einsatz.
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Bei den anhaltenden Bemühungen, die Kosten in der Fertigung zu senken und die Produktivität zu steigern, sind Maschinenausfälle oder gar ein ungeplanter Stillstand der Produktion natürlich kontraproduktiv. Abhilfe verspricht die von Technologien wie dem Internet der Dinge (Internet of Things, IoT), Machine Learning, Cloud Computing und Big Data Analytics gestützte, vorausschauende Instandhaltung. Diese ist bei den Unternehmen sehr beliebt, wie die IoT-Studie 2019/2020 von IDG Research Services belegt. In der Umfrage bewerteten mehr als 25 Prozent der IoT-Anwender Predictive Maintenance als eine der Killerapplikationen - aktuell und in Zukunft.

Predictive Maintenance - Definition

Predictive Maintenance ist eine Methode, um den möglichen Ausfall einer Maschine oder Anlage vorherzusagen und damit unerwartete Ausfallzeiten zu vermeiden. Dies erlaubt es Unternehmen, die Wartungsintervalle nach dem Zustand und betrieblichen Anforderungen auszurichten, anstatt einem festgelegten Zyklus zu folgen (präventive Wartung) oder erst beim Auftreten von Defekten die Wartung oder gar Reparatur vorzunehmen (reaktive Wartung).

Voraussetzung für die vorausschauende Instandhaltung ist eine kontinuierliche Zustandsüberwachung (Condition Monitoring) über Echtzeitdaten, die Maschinen, Geräte und Fahrzeuge heute senden. Die über einen längeren Zeitraum gesammelten Mess- und Produktionsdaten werden dann bewertet und ein darauf basierender Machine-Learning-Algorithmus erstellt. Dieser berechnet dann auf Grundlage der Daten von historischen Defekten die Wahrscheinlichkeit eines neuen Ausfalls. Der Service kann dadurch rechtzeitig reagieren und einen kostspieligen Ausfall der Maschine proaktiv verhindern, indem er beispielsweise ein neues Ersatzteil einbaut oder die Wartungsarbeiten vorzieht.

Vorausschauende Wartung - viel Aufwand, viel Ertrag

Auch wenn im Vorfeld viel Zeit und Geld für die Vorbereitung und Einrichtung einer solchen Lösung investiert werden muss, macht sich vorausschauende Instandhaltung auf längere Sicht bezahlt. So haben etwa die Analysten von Deloitte berechnet, dass Predictive Maintenance im Schnitt die Produktivität um 25 Prozent steigert, die Zahl der Ausfälle um 70 Prozent reduziert und die Wartungskosten um 25 Prozent senkt.

Der offensichtlichste Nutzen der vorausschauenden Instandhaltung ist die Möglichkeit, die Laufzeit einer Maschine oder Anlage zu maximieren. So erlaubt vorausschauende Instandhaltung eine Prognose zur verbleibenden Zeit bis zu einem Defekt und ermöglicht es so, die Wartungsmaßnahmen besser in Einklang mit den betrieblichen Erfordernissen (etwa Produktionsplan oder Standort) und anderen Kriterien wie Verfügbarkeit von Ersatzteilen und Fachkräften zu bringen. Damit nicht genug, können Unternehmen mit den gesammelten Daten einen digitalen Zwilling (Digital Twin) einer Maschine oder Anlage erstellen, und mit diesem analysieren, wie sich die Leistung optimieren und so eine höhere Produktivität erzielen lässt.

Auch bei den Ersatzteilkosten lässt sich sparen, denn Verschleißteile können basierend auf ihrem tatsächlichen Zustand und nicht gemäß starren Wechselintervallen ausgetauscht werden. Zudem wissen Servicekräfte im Außendienst dank Predictive Maintenance in der Regel bereits im Vorfeld, welche Teile an der Maschine eines Kunden gewechselt werden und müssen nicht erst vor Ort Defekte ermitteln und - im schlimmsten Fall - Ersatzteile bestellen. Last, but not least ist die vorausschauende Instandhaltung ein wichtiges Element für eine Product-as-a-Service-Strategie von Herstellern, da hier Kunden eine hohe Verfügbarkeit garantiert wird und längere Ausfallzeiten den Umsatz drücken.

Predictive Maintenance - alter Wein in neuen Schläuchen?

Der aktuelle Hype um Predictive Maintenance entwickelte sich angesichts der neuen Möglichkeiten bei der Entscheidungsfindung in Form von Big Data Analytics und Machine Learning. So können nun auch Daten aus bislang ungenutzten Quellen herangezogen werden, um die Vorhersage eines bevorstehenden Maschinenausfalls zu verbessern.

Wirklich neu ist die vorausschauende Wartung allerdings nicht. Unter der Bezeichnung Condition based Maintenance setzen Produktionsfirmen prädiktive Instandhaltung bereits seit den 1990er Jahren ein. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Methode aber sogar noch sehr viel länger im Einsatz. Im Prinzip genügt dazu ja bereits ein erfahrener Maschinenführer oder Mechaniker, der mit seinem geschulten Ohr veränderte Geräusche eines Motorenlagers erkennt, sich an einen früheren Ausfall erinnert und noch vor der routinemäßigen Wartung oder dem endgültigen Defekt der Maschine eine Reparatur einleitet.

Heutzutage kommen anstelle eines erfahrenen Ohrs oder Auges primär Sensoren für die Zustandsüberwachung (Condition Monitoring) zum Einsatz. Diese ermöglichen es, Daten über einen längeren Zeitraum, in größerem Umfang und über weitere Entfernungen hinweg zu sammeln und damit Einblick in den konkreten Zustand einer Maschine oder Anlage zum Zeitpunkt des Defekts zu erhalten.

Stimmen zur IoT-Studie 2019
Siegfried Wagner, Managing Director bei in-integrierte informationssysteme
„Eine gehypte Technologie erweckt häufig bei Entscheidern überzogene Erwartungshaltungen, die in der Realität nicht alle erfüllt werden können. Das gilt auch für IoT-Technologie. Am Ende hat nur das Erfolg, wofür diese Technologie auch in der Praxis einen Mehrwert bietet, wie etwa durch Kosteneinsparungen, Risikominimierung und zusätzliche Einnahmequellen durch neue Services oder attraktive Businessmodelle. Unternehmensintern lassen sich IoT-Effekte in der Regel schneller realisieren, etwa bei Optimierungen in der Supply Chain, in der Produktion, beim Energieverbrauch und bei der Qualitätssicherung. Das bietet sich auch an, um sich mit dem Thema vertraut zu machen. Wesentlich anspruchsvoller ist der externe nutzbringende Einsatz in eigenen Produkten und Services. Je nach Art der Produkte ist es weder technisch möglich noch zielführend, von diesen Daten einzusammeln, wenn sich daraus keine Mehrwerte generieren lassen. IoT-Projekte erfordern in der Regel nicht nur technische Veränderungen. Um damit wertschöpfend und nachhaltig finanziell erfolgreich zu sein, müssen Firmen auch neue Geschäftsmodelle und dazu passende interne Prozesse konzipieren und umsetzen. Auch an den Vertrieb werden wesentlich höhere Anforderungen gestellt, wenn statt eines Produkts nun ein Service verkauft werden soll. Der Vertrieb muss dazu die Prozesse des Kunden verstehen und ihm den Nutzen klar machen. Hinzu kommt, dass gerade im kommerziellen Bereich Mietmodelle und eine kontinuierliche Datenanbindung an den Servicelieferanten von den Nutzern noch nicht akzeptiert werden. Das wird sich aber nach und nach ändern.“
Dr. Myriam Jahn, Geschäftsführerin Q-loud, ein Unternehmen der QSC AG
„Beim Thema Internet of Things haben zahlreiche Unternehmen erst einmal die Quick Wins realisiert, mit denen sich schnelle Erfolge und ein schneller Return on Invest eingestellt haben. Jetzt geht es an die komplexeren Themen, an das Überdenken bestehender und Entwickeln neuer Geschäftsmodelle. Hierbei greifen die Unternehmen tief in ihre eigene Organisation ein. Und es gilt, richtungsweisende Entscheidungen zu treffen: Services wie Künstliche Intelligenz oder Predictive Maintenance sind in der Cloud beheimatet. Die Lösungen und die Produkte, die im IoT den Mehrwert der Geräte und Maschinen ausmachen, werden also virtuell. Das ist ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel - auch in der internen Organisation der Unternehmen. Technisch sind eigentlich alle Komponenten vorhanden, um erfolgreiche IoT-Produkte und -Lösungen anbieten zu können. Sowohl IT-seitig als auch bei den Übertragungstechnologien können wir mittlerweile aus dem Vollen schöpfen. Die größte Herausforderung ist es jetzt, diese Technologien richtig zu wählen, einzusetzen und die Organisation auf sie abzustimmen. „Die organisatorische Herausforderung ist daher die wesentlich größere: Mit der Vernetzung werden Geräte und Maschinen intelligent. Die Alleinstellungskriterien der Produkte sind damit nicht nur haptisch, sondern auch virtuell. Ob Kunden dann diese Produkte erwerben, hängt von bislang nicht dagewesenen Faktoren ab. Und das bedeutet auf allen Ebenen des Herstellers einen tiefgreifenden organisatorischen Wandel, der sich von der Entwicklung bis hin zur Vermarktung und den finanztechnischen Prozessen zieht.“
Marten Schirge, Vice President of Sales bei Device Insight
„Viele Unternehmen setzen den Fokus bei IoT-Projekten auf kurzfristige Erfolge. Neue Geschäftsmodelle wie ´Pay-per-Use´ erfordern häufig Change Management im Unternehmen, das ist langwierig und kostenintensiv. Unternehmen profitieren durch die Digitalisierung bestehender Geschäftsprozesse und das IoT vor allem von der gesteigerten Effizienz, von der Erschließung neuer Kundenpotenziale durch neue und bessere Serviceangebote und von höherer Endkunden-Zufriedenheit. Außerdem erhalten Unternehmen einen direkten Kontakt zu ihrem Kunden. Das IoT ebnet den Weg von der analogen zur digitalen Welt: Vom Maschinenhersteller zum Anbieter digitaler Services. Die Erfolgsquote leidet, da IoT-Projekte häufig von Fachabteilungen direkt umgesetzt werden, ohne vorher das Know-How von Partnern zu integrieren. Das führt oft zu Unsicherheiten und zu Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Zudem führt eine fehlende zentrale IoT-Strategie häufig dazu, dass Fachbereiche Insellösungen aufsetzen und diese wiederum nicht immer zum übergreifenden Unternehmenserfolg beitragen.“
Jürgen Pollich, Head of Business IoT/M2M bei Telefónica in Deutschland
„Das Internet of Things ist keine einmalige Aufgabe, sondern ein fortlaufender Prozess. Letztlich unterschätzen viele Firmen die Abhängigkeiten und Einflussfaktoren auf den Erfolg eines IoT Projektes. Das kann schnell zu Verzögerungen führen. Hier ist es wichtig, mit Partnern zusammenzuarbeiten die bereits Erfahrungen in IoT-Projekten gesammelt haben. Wir bei Telefónica bieten die notwendige Unterstützung an und haben bereits weltweit viele Projekte begleitet. Um bestehende Wettbewerbsvorteile zu sichern oder zukünftige zu erschließen, ist es wichtig, dass sich Unternehmen früh mit IoT in ihrem spezifischen Setup auseinandersetzen. Denn die dabei gesammelten Erfahrungen, die stark mit den eigenen Unternehmensabläufen und dem eigenen Personal verknüpft sind, lassen sich nicht einfach zukaufen. Mit Blick auf Wettbewerbsvorteile bedeutet dies, dass ein Unternehmen, welches durch einen Konkurrenten, der IoT beispielsweise erfolgreich zur Effizienz-Steigerung einsetzt, in einen nachteilige Position gerät, nicht unmittelbar und durch den Zukauf eines Tools entsprechend nachziehen kann. Aus meiner Sicht ist daher die frühzeitige aktive und fokussierte Auseinandersetzung mit dem Internet of Things für Firmen alternativlos.“
Jan Rodig, CEO / Managing Partner, tresmo GmbH
„Prozessoptimierungen und Effizienz-getriebene IoT-Projekte sind wichtig. Sie haben den Charme, dass sich ihr ROI in der Regel vergleichsweise einfach kalkulieren lässt. Bei smarten Produkten und IoT-Geschäftsmodellen sind die Business Cases oft vager, dennoch entscheiden diese Projekte aus meiner Sicht die Zukunft der deutschen Volkswirtschaft. Da sollte noch deutlich mehr passieren! Die stark steigende Anzahl von IoT-Projekten deckt sich absolut mit dem, was wir am Markt sehen. Beim Projekterfolg muss man vorsichtig sein - einerseits wurden bereits `Low-hanging fruits´ geerntet, andererseits experimentieren viele Firmen auch zunehmend und probieren auch mal was aus. Das würde ich nicht überbewerten.“
Christian Förg, VP Sales Industries EUNO, Alcatel-Lucent Enterprise
„Der übergeordnete Business Treiber bleibt die Transformation der Unternehmen hin zu Digital Business. Hierbei spielen wiederum sichere ‚IoT-enabling infrastructure‘ sowie Big Data Analytics eine herausragende Rolle.“

Prädiktive Instandhaltung - ohne Daten keine Prognose

Während modernere Maschinen bereits von Haus aus mit etlichen Sensoren ausgestattet sind und kontinuierlich eine Vielzahl an Informationen liefern, müssen ältere Geräte, wie man sie im Produktionsumfeld noch häufig vorfindet, für das Condition Monitoring oft nachgerüstet und vernetzt werden. Mangels vorhandener digitaler Schnittstellen oder fehlenden Zugriffsmöglichkeit auf die erhobenen Daten geschieht dieses Retrofitting häufig mit zusätzlichen Sensoren, die Werte wie Geräusche, Vibration, Temperatur oder Stromverbrauch messen. Kreative Unternehmen können aber auch unstrukturierte Daten wie Audiosignale oder Bilder erfassen und in die Analyse einbringen.

Unter Umständen sind außerdem externe Daten wie Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit oder Windstärke von Bedeutung, ebenfalls Informationen dazu, welches Material während eines Defekts verarbeitet wurde.

All diese Daten werden dann integriert und gegebenenfalls in ein passendes Format gebracht, damit sie auf einer geeigneten Plattform zur Verfügung gestellt werden können. Für die nachfolgende Analyse der Fehlerursachen und damit auch den Aufbau eines funktionierenden Vorhersagemodells ist natürlich eine gewisse Qualität und Quantität der gesammelten Daten unentbehrlich. Wegen dieser Grundvoraussetzung sind Unternehmen bei Predictive-Maintenance-Szenarien auf das Wissen von Prozessexperten und Data Scientists angewiesen, um ein funktionierendes Vorhersagemodell aufzubauen und pflegen. Wie das im Detail funktioniert und was Sie dabei beachten müssen, lesen Sie hier.

Predictive Maintenance - Anwendungsbeispiele

Wegen der vielen Vorteile wird Predictive Maintenance bereits in vielen Bereichen eingesetzt. Vorreiter sind dabei Industrien mit teuren Maschinen, hohen Ausfallkosten und schwierigen Instandhaltungsmaßnahmen, also etwa die Sektoren Öl und Gas, Energieversorger, Maschinen- und Anlagenbau sowie Fertigungs- und Transportunternehmen. Grundsätzlich kann die vorausschauende Instandsetzung aber in allen Branchen zum Einsatz kommen, wo in größerem Stil Maschinen- und andere Daten anfallen.

Im Bankensektor etwa ließe sich mithilfe von Predictive Analytics nicht nur die Funktionsfähigkeit von Geldautomaten weitgehend sicherstellen, sondern auch die kostenintensive, vorsorgliche Befüllung bedarfsgerechter handhaben. So können die Algorithmen zuverlässige Prognosen darüber geben, wann es in welchen Filialen zu Bargeldengpässen kommen wird und wann die Scheine in der Geldkassette länger reichen als ursprünglich angenommen.