80 Prozent reichen auch. Und Geschwindigkeit zählt mehr als Exzellenz. Diese Erfahrungen hat Sirko Schneppe in den USA gesammelt. Ende der 90er Jahre arbeitete er als junger Softwareentwickler in San Francisco. Von 2007 bis 2009 war der heutige Geschäftsführer des E-Commerce-Dienstleisters Truition im Headquarter von Truition in Toronto tätig.
Wilfried Beeck kam 1988 mit 29 Jahren als Entwickler für Steve Jobs Firma NexT ins Silicon Valley. Als Mitgründer von Intershop baute er später die USA-Niederlassung mit auf, organisierte den Börsengang an der NASDAQ und musste 2001 nach dem Platzen der DotCom-Blase 80 Prozent der 300 Intershop-Mitarbeitern in den USA entlassen. Beeck, heute Chef des E-Commerce Anbieters ePages, hat die Erfahrung gemacht, dass mangelnde Führung in den USA nicht toleriert wird.
Peter Mark Droste, Vorstand der Intershop Communications AG, war mit 36 Jahren erstmalig für Siemens Nixdorf in den USA tätig und blickt auf mehrere Jahrzehnte internationaler Führungserfahrung in der Soft- und Hardware-Branche, unter anderem für Compaq Computer, Siebel Systems und Cordys zurück. Er hat gelernt, dass man sich selbst positiv darstellen muss und nicht darauf warten sollte, dass die anderen erkennen, was man kann.
1. Was Deutsche von Amerikanern lernen können
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Lockerheit, auch im Umgang mit Niederlagen. Intershop-Vorstand Peter Mark Droste sagt dazu: "Eine kräftige Prise der amerikanischen Lockerheit und Flexibilität würde uns nicht schaden. Auch die Einstellung, dass Wettbewerb positiv ist und zu noch besseren Leistungen anspornt, fehlt vielen Deutschen. Außerdem können die Amerikaner eher vergessen, wenn jemand "Schiffbruch" mit einer Idee oder einem Vorhaben erleidet. Wichtig ist, dass man nach einem Misserfolg wieder aufsteht."
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Strukturierte Prozesse. ePages-Chef Wilfried Beeck meint: "Als Deutsche können wir von der professionellen Struktur der amerikanischen IT-Industrie lernen. Jeder Prozess, von der Produktidee über Entwicklung, Produkt-Management, Marketing und Vertrieb bis hin zum Service ist strukturiert. Für jede Aufgabe gibt es Profis mit entsprechendem Know-how. Als deutsches Unternehmen tut man gut daran, diese Prozesse möglichst weitgehend zu übernehmen. Die amerikanischen Mitarbeiter würden es auch völlig unprofessionell finden, wenn man es anders macht."
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Geschwindigkeit zählt: Truition-Geschäftsführer Sirko Schneppe sagt: "Wir Deutsche sollten lernen, eine Idee erst einmal gut zu finden und alles zu versuchen, sie erfolgreich umzusetzen! Geschwindigkeit zählt mehr als Exzellenz. Die Amerikaner sind innerhalb der Grenzen ihres Landes unschlagbar! Kultur und Geschäftsethik passen perfekt."
2. Was Amerikaner von Deutschen lernen können
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Blick über den Tellerrand. Dazu Droste: "Amerikaner sind in ihrem Denken oft innerhalb ihrer Landesgrenzen gefangen. Einen Blick über den Tellerrand zu werfen, könnte für sie oft bereichernd wirken. Damit meine ich auch den kulturellen und persönlichen Bereich. Hierin sind Deutsche den Amerikanern voraus. Sich über die Konsequenzen des Handelns Gedanken zu machen und auf längerfristige Wirkung zu orientieren, ist womöglich gar zeitgemäßer."
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Mitbestimmung. Dazu Beeck: "Neben den typisch deutschen Tugenden wie Nachhaltigkeit und Qualitätsbewusstsein dürften für die Amerikaner die Vorteile einer sozial orientierten Gesellschaftsstruktur interessant sein. Der Gedanke, dass es einem Unternehmen zum Vorteil gereichen kann, wenn es eine Form von Mitbestimmung und sozialer Absicherung gibt."
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Andere Kulturen verstehen. Dazu Schneppe: "Wir Deutschen sind Exportweltmeister, weil wir nicht nur politisch korrekt auftreten, sondern andere Kulturen wirklich verstehen wollen. Amerikanische Software kann das nicht leisten. In der Softwareindustrie sollten die Amerikaner gezielt auf deutsche Lokalisierungs-Teams setzen."
3. Die größten Mentalitätsunterschiede
Just do it. Dazu Droste: "Mich hat die Einstellung der Amerikaner beeindruckt, einfach die Ärmel hochzukrempeln. Das Motto "just do it" wird dort gelebt. Statt wie in Deutschland umständlich abzuwägen, probiert man einfach etwas aus und ist offen für neue Wege."
Führung. Dazu Beeck: "Viele Deutsche haben ein etwas ambivalentes Verhältnis zu Führung. Die Amerikaner sind da deutlich klarer. Leadership ist dort eine der wesentlichen Voraussetzungen für Erfolg. Als Unternehmensführer in den USA tut man gut daran, alle Facetten von Leadership, zu der vor allem auch Motivationsfähigkeit gehört, noch einmal neu zu lernen. Das gilt eigentlich auch für Deutschland, aber hier wird mangelnde Führung von Mitarbeitern eher toleriert. In den USA absolut nicht."
Begeisterungsfähigkeit. Dazu Schneppe: "Amerikaner sind generell gegenüber neuen Ideen aufgeschlossener und sehen eher auf die Vorteile, als sich mit den negativen Aspekten auseinanderzusetzen. Man kann es auch ‚begeisterungsfähiger‘ nennen. Sicher fallen dann auch mehr Ideen wieder durchs Raster. Wo gestern noch mit Liebe und Enthusiasmus gearbeitet wurde, wird heute alles als Unfug verworfen. Beide Seiten gehören zusammen."
4. Womit sich Deutsche in den USA schwer tun
Oberflächlichkeit. Dazu Droste: "Mit der häufig anzutreffenden Oberflächlichkeit. Im geschäftlichen Umfeld störte mich manchmal die starke Ausrichtung auf den Vertrieb. Hier hätte ich mir manches Mal eine breitere Sichtweise gewünscht."
Klagewut. Dazu Beeck: "Mit der Handhabung der Gesetzgebung, auf die man als Europäer nicht vorbereitet ist. Man muss ständig befürchten, wegen irgendwelcher absurden Vorwürfe verklagt zu werden. Wir mussten zum Beispiel deutschen Kollegen, die zeitweilig im US-Office tätig waren, ein Video vorspielen, wie sie sich zu verhalten haben, damit das Unternehmen nicht wegen "Sexual Harassment" verklagt wird."
Mündliche Abmachungen zählen wenig. Dazu Schneppe: "Der ständige Wechsel von Personen im Berufsleben und der Hang zur Flexibilität lässt viele Verträge und mündliche Abmachungen nicht viel Wert sein. Auf das klassische gentlement´s agreement sollte man nicht bauen."
5. Arbeiten in Amerika: Die positiven Überraschungen
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Flexibilität: Dazu Droste: "Die Macher-Mentalität lag mir ebenso, wie insgesamt eine höhere Flexibilität im Denken und Handeln."
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Offenheit. Dazu Beeck: "Es war sehr einfach, Kontakte zu knüpfen. Die Offenheit der Amerikaner ist gerade für die eher verschlossene, norddeutsche Mentalität erfrischend. Ich wurde oft von Business-Partnern und Kollegen nach Hause eingeladen."
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80 Prozent reichen auch. Dazu Schneppe: "Angenehm ist, dass es keinen übertriebenen Hang zur Perfektion gibt. 80 bis 90 Prozent Qualität sind im Softwarebereich ausreichend. Amerikaner sind pragmatisch. Wenn ein Feature funktioniert, es aber noch etwas besser oder effektiver gehen könnte, wird kaum jemand die Nase rümpfen. Der Rest ergibt sich. In Deutschland würde so etwas nicht akzeptiert. Hier ist halt jeder Ingenieur, in den USA gibt es Techniker und Anwender."
6. Die größten Fettnäpfchen
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Deutsche Besserwisserei: Dazu Droste: "Grundsätzlich ist es nie ratsam, wenn man irgendwo neu ist, gleich alles verändern zu wollen. In den USA gilt das aus meiner Erfahrung umso mehr, denn eine solche Haltung wird schnell als typisch deutsche "Besserwisserei" ausgelegt."
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Politische oder religiöse Diskussionen. Dazu Schneppe: "Politische Korrektheit steht immer im Vordergrund. Diskussionen über Politik, Kultur, Religion und Ethnien sind ein Minenfeld - nur Amerikaner kommen da sauber durch. Man sollte die wichtigsten religiösen Feiertage und nationalen Konflikte kennen. Sich hier einen Fauxpas zu leisten, wird zwar toleriert, hat aber Einfluss auf den Ruf und Respekt, den man sich erarbeitet. Geschäftlich sollte man berücksichtigen, dass es keine allgemeingültige Gesetzeslage gibt. Deshalb ist ein Vertrag nur so gut wie das, was man nicht geregelt hat. Ohne Unterschrift und Rechtsanwalt geht fast nichts."
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Verbissene Auseinandersetzungen. Dazu Droste: "Zu den Dont’s würde ich zählen, Auseinandersetzungen zu verbissen anzugehen, statt sie als sportliche Herausforderung zu sehen. Im Gegensatz zu asiatischen Kulturen bedeutet eine Niederlage in einer Auseinandersetzung nicht gleich einen Gesichtsverlust. Für mich fasst sich das so zusammen: Die eigene Leistung zählt. Wer dauerhaft Erfolg haben will, kann es sich nicht in der Komfortzone gemütlich machen."
7. So haben Deutsche in den USA Erfolg
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Anpassung. Dazu Beeck: "Wer in den USA geschäftlich agiert, sollte sich absolut den amerikanischen Standards für Produktentwicklung, Marketing und Services anpassen. Mit der Übertragung von deutschen Standards und Prozessen wird man nicht weit kommen."
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Offenheit und Selbstvermarktung. Dazu Droste: "Als eines der wichtigsten Do’s sehe ich eine Neugier auf das, was kommen mag. Offenheit gegenüber neuen Kollegen, Vorgesetzen oder Nachbarn ist wichtig. Man muss sich selbst positiv darstellen. Nicht darauf warten, dass die anderen erkennen, was man kann. Nicht zu unterschätzen ist die Fähigkeit, andere zu loben. Wichtig ist auch, sich von angelernten Strukturen lösen zu können. Sei es im Vorgehen, in Hierarchien oder auch im eigenen Denken."
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Chancen an der Ostküste suchen. Dazu Beeck:" Als europäisches IT-Unternehmen sollte man meines Erachtens unbedingt an die Ostküste gehen und nicht ins Silicon Valley. Allein die drei Stunden zeitlicher Überlappung während der normalen Bürozeit sind unabdingbar für eine gute Kommunikation. Auch die Reisebereitschaft steigt, wenn man einen Acht-Stunden-Flug statt eines Zwölf-Stunden Flugs einplanen kann. Zudem gibt es insgesamt viel mehr Kunden an der Ostküste als in Kalifornien."