Als Security-Experte ist Buchautor Dr. Richard White ("Cybercrime: The Madness Behind the Methods") davon überzeugt, dass es richtig ist, sensible Daten wegzusperren, um sie vor unbefugtem Zugriff zu schützen. Auf der anderen Seite würden es manche Unternehmen mit den restriktiven Eingriffen jedoch übertreiben. Manche dieser Einschränkungen könnten gar den gegenteiligen Effekt haben, so White, etwa wenn Mitarbeiter mit "Lockouts" zu kämpfen haben und so ihren Job nicht mehr (oder zumindest nicht mehr effizient) ausüben können. Das wiederum führe dazu, dass die Angestellten nach Wegen suchen, diese Maßnahmen zu umgehen. Das Ergebnis: verminderte Produktivität und ein erhöhtes Risiko für sensible Daten.
White führt dazu ein Beispiel an, das er einmal live in einem Büro erlebt hat: "Ein Mitarbeiter hat ein Foto von sensiblen Daten auf seinem Computerbildschirm gemacht, damit er seinen Job zu Ende bringen konnte. Wenn IT-Security-Maßnahmen zu komplex sind, ist das Erste, was die User tun, einen Ausweg zu suchen. Die Security-Maßnahme wird hierdurch komplett wirkungslos. Security-Profis müssen ihre Policies und Prozesse auf Grundlage der tatsächlich bestehenden Risiken ausarbeiten und definieren. Am Ende muss ein rationaler Mix aus Sicherheitsmaßnahmen und Befähigung der User stehen", so der Autor und Director beim Managed Security Services Provider Oxford Solutions.
Dabei müssen Security-Teams nicht ihre kompletten Prozesse neu aufsetzen, um eine bessere Balance zwischen Security und Usability zu erzielen. Stattdessen sollten sie die Bereiche in Augenschein nehmen, wo die Mitarbeiter dazu tendieren, die IT-Sicherheit zu Gunsten der Produktivität zu vernachlässigen. Wir zeigen Ihnen fünf Gründe, warum Ihre Security-Maßnahmen umgangen werden.
Komplexe Passwort-Richtlinien
Passwort-Sicherheit ist eine absolute Grundlage der IT Security. Und doch haben viele Unternehmen nach Meinung von Experten Passwort-Policies aufgesetzt, die so kompliziert sind, dass sie mehr zur Schwächung als zur Härtung der Systeme beitragen. Solche Richtlinien verlangen den Mitarbeitern beispielsweise übermäßig lange und zu spezielle Passwörter (Groß- und Kleinschreibung, Zahlen, Symbole, Sonderzeichen, etc.) ab. Dazu kommt dann noch, dass man den sperrigen Passcode zudem alle paar Monate ändern muss.
Das Ergebnis: Das Passwort wird notiert oder noch schlimmer als Datei auf dem PC abgelegt, um es nicht zu vergessen. Auch hierfür hat Richard White ein abschreckendes Beispiel auf Lager: "Ich habe mal für ein Unternehmen gearbeitet, das von einem externen Hackerangriff betroffen war. Wie sich später herausgestellt hat, wurde die Attacke nur möglich, weil ein Angestellter mit Admin-Rechten seine Zugangsdaten elektronisch auf seinem Rechner abgelegt hatte."
Natürlich wollen die Experten damit nicht sagen, dass Passwörter im Unternehmensumfeld keine Berechtigung mehr hätten - im Gegenteil. Aber: Firmen und Organisationen sollten ihre Passwort-Richtlinien smarter gestalten und deren Komplexitäts-Erfordernisse auf einem erträglichen Level halten.
Password Sharing
Tim Crosby, Berater bei Spohn Security Consulting, hat ein weiteres Sicherheitsrisiko für Unternehmen ausgemacht: Das Teilen von Passwörtern beziehungsweise Login-Informationen: "Aus Security-Perspektive ist das natürlich alles andere als schlau", erklärt Crosby. "Aber die Mitarbeiter tun es trotzdem, weil sie schnell und unkompliziert etwas mit Kollegen teilen wollen. Das passiert auf allen Ebenen eines Unternehmens - ob es der CEO ist der seiner Assistentin Zugang gewährt oder zwei Angestellte im Posteingang, die kollaborieren oder sich gegenseitig vertreten müssen."
Um solchen Aktionen entgegen zu wirken, sollten Security Teams nach Meinung von Crosby deutlich enger mit dem Business zusammenarbeiten. Auf diese Weise könnten sie besser verstehen, welcher User wann Zugriff auf welche Daten benötigt. Auf Grundlage dessen sollten dann Policies erarbeitet werden, die "shared access" unter Berücksichtigung der IT-Sicherheit ermöglichen.
Sign-in-Exzesse
Unternehmen haben nicht nur ein Problem mit übermäßig komplexen Passwörtern, sondern auch mit der Anzahl der Logins, die sie ihrer Belegschaft täglich zumuten. Viele Mitarbeiter müssen sich mehrmals pro Tag einloggen und/oder authentifizieren. "Das sehen viele Mitarbeiter als Hemmnis für ihre Produktivität", meint Alvaro Hoyos, CISO beim IAM-Provider OneLogin. Das führe letztendlich dazu, dass Login-Erfordernisse beispielsweise durch unerlaubte Datentransfers umgangen werden. Hierbei werden sensible Daten aus gesicherten Applikationen an Orte bewegt, die einfach und leicht zugänglich sind.
Um solchen Szenarien entgegen zu wirken, stehen IT-Security-Teams nach Meinung von Rob Stroud, Analyst bei Forrester, verschiedene Optionen zur Wahl: "Identity-Management- oder Single-Sign-On-Lösungen, Tokens oder UEBA-Features (die "normale" Arbeitsabläufe von "echten" Anomalien unterscheiden können) empfehlen sich genauso wie biometrische Lösungen, wo schneller und einfacher Zugang gebracht wird. Sie müssen die richtige Balance zwischen IT Security und Bequemlichkeit finden. Ihr Ziel sollte eine reibungslose IT-Sicherheit sein."
Daten als Geisel
Der Schutz sensibler Daten hat für viele Unternehmen oberste Priorität. Dabei haben einige Firmen nach Ansicht von Cybersecurity-Experten aber so viele unnötige Sicherheits-Layer angelegt, dass ihre Produktivität darunter leidet. Das wiederum zwingt die Mitarbeiter dazu, unsichere Praktiken anzuwenden, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Frustration, die bei Angestellten solcher Unternehmen herrscht, potenziert sich mit der Zeit. Das weiter oben von Richard White angeführte Beispiel der abfotografierten Daten ist nur eine von vielen, täglich angewandten Security-"Worst Practices": Dateien werden auf USB-Sticks kopiert, Dokumente nach Lust und Laune transferiert und dazu auch noch unerlaubte File-Sharing-Tools verwendet.
"Viele Führungskräfte realisieren gar nicht, wie einfach es ist, in ihrem Unternehmen Daten abzugreifen," erklärt Crosby. "Workarounds wie diese schlagen Löcher in den Schutzwall eines Unternehmens und erhöhen das Risiko für Hackerangriffe. Das ist aber kein neues Dilemma, sondern ein Teil des IT-Security-Paradigmas: Jedes Mal, wenn man etwas sicherer macht, ist es weniger benutzerfreundlich. Die Mitarbeiter sind smart - sie finden Wege, die Maßnahmen zu umgehen. Insbesondere dann, wenn sie in diesen keinen Sinn erkennen."
Nach Meinung von Autor Richard White sollten Unternehmen endlich umdenken und anerkennen, dass sie sich selbst Probleme schaffen, wenn alle Daten auf derselben Sensibilitätsstufe angesiedelt sind: "Stattdessen sollten sie mehr Aufwand in die Klassifizierung von Daten stecken, um nur die wirklich sensiblen Daten entsprechend gut abzusichern. Bei den Datensätzen, die die Mitarbeiter für ihre tägliche Arbeit benötigen, sollten die Zugangs-Barrieren hingegen reduziert werden. Das ist eine Menge Arbeit, aber man muss sie nur ein einziges Mal leisten."
Work ohne Flow
Beim Thema Workflow kommt es erneut zum Frontalzusammenstoß von IT-Sicherheit und Produktivität. Wouter Koelewijn, Senior Vice President bei Y Soft, einem Anbieter von Print-Management-Lösungen, sieht jeden Tag Mitarbeiter, zu deren Arbeitsalltag es gehört, Dokumente zu teilen, scannen, emailen und zu drucken. Diese Angestellten sind sich entweder der potenziellen Security-Risiken nicht bewusst oder ignorieren diese mit Absicht, um ihren Job machen zu können.
Dennoch sucht Koelewijn die Schuld nicht bei den Mitarbeitern: "Schuld ist das Design der Systeme, da diese nicht in der Lage sind, alltägliche Workflow abzubilden. Wenn man den Usern zu viel abverlangt, sie überfordert und der Aufwand zur Erfüllung einer Aufgabe den Nutzen übersteigt - dann suchen sie eben ihre eigenen Lösungen."
Zum Video: Warum Ihre Mitarbeiter die Security hintergehen
Deshalb sind die Experten, mit denen wir gesprochen haben, auch davon überzeugt, dass Unternehmen unbedingt mehr in Technologien und Systeme investieren müssen, die es ihren Mitarbeitern ermöglichen, den Security-Richtlinien zu entsprechen. Dabei sollte so viel wie möglich automatisiert werden. Ein System sollte zum Beispiel in der Lage sein, Dokumente zu erkennen, die auf sichere Art und Weise gescannt werden müssen - ohne dass dazu die betreffenden Mitarbeiter zuvor drei Stunden mit einem Freigabeprozess zubringen müssen.
"Zuerst müssen die menschlichen Prozesse analysiert werden, damit Security nicht mehr so penetrant wirkt," meint auch Rob Stroud von Forrester. "Dann muss die Security in diese Prozesse - basierend auf dem jeweiligen Risiko-Level - bedarfsgerecht injiziert werden. Es gibt an dieser Stelle keine ‚One-Size-Fits-All‘-Lösung."
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer US-Schwesterpubliation CSO Online.