Neue Führungsrolle

Von der demotivierten Truppe zum leistungsfähigen Team

10.12.2020 von Gudrun Happich
Was passiert, wenn ein Informatiker eine neue Führungsrolle übernimmt und auf ein demotiviertes Team trifft? Wie es gelingen kann, als Führungskraft auch unter erschwerten Bedingungen erfolgreich zu werden, zeigt ein Praxisbeispiel.

Die Zentrale eines großen IT-Produkthandels gibt einer seit Jahren schlecht und führungslos laufenden Filiale eine letzte Chance. Markus Holzer (Name geändert), Informatiker ohne Vertriebs- und Führungserfahrung, wird als neuer Vertriebs- und Niederlassungsleiter auserkoren. Er nimmt seine neue Führungsrolle an - mit dem Ziel, aus einer demotivierten Mannschaft ein leistungsfähiges Team zu formen. Das auch intern negative Image und eine hohe Fluktuation sind einige der Hürden, die er dabei überwinden muss.

In ein demotiviertes Team wieder neuen Schwung zu bekommen, bedeutet viel Arbeit auf verschiedenen Ebenen.
Foto: Roman Samborskyi - shutterstock.com

Führungskraft unter Druck

Als kommissarischer Niederlassungsleiter für zunächst sechs Monate steht Holzer vom ersten Tag an unter enormem Druck. Knüpft doch das Unternehmen an seine neue Führungsrolle die klare Forderung nach einer endlich wieder funktionierenden Niederlassung, inklusive steigender Umsätze. Holzer setzt auf Mitarbeitermotivation. Damit will er die vorherrschende negative Grundeinstellung des Teams positiv beeinflussen und einen Haufen uninspirierter Angestellter, zu selbstständig arbeitenden und mitdenkend Mitarbeitern formen. Dazu passt er in seiner neuen Führungsrolle zunächst die Strukturen an. Das Erschließen neuer Marktanteile und Gewinnen neuer Kunden ist für ihn eine darauf aufbauende logische Folge.

Der Informatiker vertraut auf sein Bauchgefühl, dass das ganze Team mitmachen muss, um einen Veränderungsprozess überhaupt in Gang zu setzen. Er will jeden einzelnen Mitarbeiter motivieren, mehr Verantwortung zu übernehmen. Als Mannschaftssportler weiß er, dass nicht jedes Mitglied in einem Team ein Führungsspieler sein kann und muss. Aber wenn jeder auf seiner Position das Optimum leistet,statt sich nur auf den anderen zu verlassen, wird die Mannschaft und damit das Ergebnis besser.

Moderne Führung im Unternehmen einführen

Aus meiner Erfahrung als Executive Coach für Führungskräfte weiß ich, dass rund 50 Prozent aller Geschäftsführer und Topmanager die größte Führungsherausforderung darin sehen, ihre Mitarbeiter zu motivieren, um dringend erforderliche Veränderungen im Unternehmen aus dem Team heraus aktiv zu gestalten. Die Frage, die sich jede Führungskraft stellt, lautet: Wie kann ich aufgabenorientierte Mitarbeiter zu verantwortungsvollen, eigenständigen Mitarbeitern mit Begeisterung für ihren Job entwickeln?

Tipps zur intrinsischen Motivation der Mitarbeiter
Wie Führungskräfte motivieren
Mitarbeitermotivation bedeutet nicht nur, materielle Anreize für erbrachte Leistungen in Aussicht zu stellen. Eine langfristige Produktivität und Zufriedenheit der Beschäftigten fußt vielmehr auf einer starken intrinsischen Motivation der Beschäftigten durch die Führungskräfte.
Sinnhaftigkeit des Unternehmens vermitteln
Was ist der Sinn des eigenen Unternehmens und warum gibt es den Betrieb? Auf diese Fragen eine befriedigende Antworte zu geben, schafft Sinnhaftigkeit bei allen Beschäftigten.
Sinnlosigkeit vermeiden
Damit Mitarbeiter bis in die Haarspitzen motiviert sind, müssen Führungskräfte darauf achten, dass ihnen der Sinn nicht genommen wird. Da Sinn eine subjektive Einstellung ist, kann eine Führungskraft ihn nicht direkt übertragen. Ein Vorgesetzter kann aber sehr wohl direkt dazu beitragen, eine Tätigkeit als nicht mehr erfüllend oder sinnlos zu erleben.
Sinnstiftende Mitarbeiterführung
"Sinn ist immer subjektiv, er entsteht aus unseren Beziehungen zu anderen Menschen, zu bestimmten Dingen, zu unserem Tun", sagt Reinhold Messner. Daher ist es Aufgabe der Führungskraft, Mitarbeiter dabei zu helfen, Sinn zu finden. Die Identifikation mit der Tätigkeit wird dadurch gestärkt.
Auf allen Ebenen motivieren
Wer Mitarbeitermotivation möchte, muss Sinn stiften. Dieser Grundsatz darf aber nicht nur für einzelne Führungskräfte im Unternehmen gelten. In der DNA des Betriebs ist dieser Ansatz auf jeder Organisationsebene zu verankern.
Für Selbstbestimmung und Autonomie sorgen
Selbstbestimmung und Autonomie sind zentrale Faktoren für intrinsische Motivation.

Holzer kann zwei Pluspunkte für sich verbuchen. Sein Vorgesetzter, der Regionalleiter, steht konsequent hinter ihm und unterstützt ihn in jeder Hinsicht. Außerdem hat er von Anfang an einen Führungskräftecoach an seiner Seite. In dieser Konstellation geht er seine neue Führungsrolle an - bewusst und Schritt für Schritt, vom stillen Beobachter zum vorangehenden Veränderer. Denn er weiß natürlich, dass Mitarbeiter auf die Führungskraft schauen und ihre Reaktion immer auch eine Folgewirkung auf das ist, was ihnen vorgelebt wird. Die Erkenntnis: Nur wenn ich bereit bin, an mir zu arbeiten und Motivation lebe, kann ich der beste Coach für mein Team sein und es zum Erfolg führen. Er nimmt die Verantwortung für die Veränderung also selbst in die Hand. Diese Vorgehensweise ist mit Abstand der wirkungsvollste und effizienteste Weg, um die gewünschten Ergebnisse zu erreichen.

Wie in einem fremden Land

Damit dem neuen Chef die Selbstmotivation nicht abhandenkommt und um etwaige eigene Ängste zu überwinden, starten wir gemeinsam damit, detaillierte und realistische Zielerreichungskriterien zu entwickeln. Das Ergebnis ist ein starkes Zielbild, eine klare Landkarte, auf der jederzeit ablesbar ist, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind.

Als Coach frage ich den Niederlassungsleiter: "Wenn Sie in ein Ihnen völlig unbekanntes Land fahren, wie verhalten Sie sich dort?" Holzer: "Ganz klar, ich kenne weder das Land noch die Leute und auch nicht die Spielregeln. Also halte ich mich ersteinmal zurück, beobachte, wie alles funktioniert und spreche dann mit den Leuten." Genau darum geht es bei der Übernahme einer neuen Führungsrolle: Nicht irgendetwas voraussetzen, sondern wie in einem fremden Land beobachten, wahrnehmen und studieren, wie die Leute ticken und miteinander umgehen. Das fällt Holzer als Informatiker sogar erstaunlich leicht.

Die häufigsten Fehler neuer Chefs und Führungskräfte
Falle 1: Die Wichtigkeit der Antrittsrede unterschätzen
Es ist hilfreich, die Mannschaft zu einem Come together einzuladen und sich noch einmal offiziell vorzustellen. In einer kurzen Rede sollte man zum einen etwas über sich samt Werdegang erzählen und zum anderen bereits einen Einblick in den Führungsstil sowie Werte und Ziele geben.
Falle 2: Sofort alles auf den Kopf stellen
Neue Führungskräfte verfallen wegen der hohen Erwartungshaltung häufig in blinden Aktionismus. Es ist besser, die ersten Wochen für Mitarbeitergespräche zu nutzen. So bekommen Sie einen Überblick über Erwartungen, Aufgaben, Zusammenarbeit, Prozesse und mögliche Knackpunkte. Erst nach der Bestandsaufnahme sollten Veränderungen unter Einbindung der Mitarbeiter angestoßen werden.
Falle 3: Von Mitarbeitern instrumentalisieren lassen
Kommt eine neue Führungskraft, tendieren Mitarbeiter gerne dazu, sie für ungeklärte und unbefriedigende Belange einzuspannen, damit sie sich für diese Anliegen gegenüber Dritten starkmacht. Aber hier ist Vorsicht geboten, weil oft nur die subjektive Wahrnehmung ans Licht kommt. Man sollte also keine Versprechungen machen und voreiligen Entscheidungen treffen, sondern sich zunächst einen umfassenden Eindruck über den Status quo und über Verantwortlichkeiten verschaffen.
Falle 4: Intensive Freundschaften mit Mitarbeitern eingehen
Entwickeln sich Freundschaften zu einzelnen Kollegen, sollte man hinterfragen, welchen Einfluss die Beziehung auf das Tagesgeschäft im Unternehmen hat und welchen Eindruck Kollegen und Vorgesetzte bekommen, wenn sie von der Freundschaft erfahren. Zum Schutz von Führungskraft und Mitarbeiter ist es daher sinnvoll, ausreichend Distanz zu wahren.
Falle 5: Recht behalten und Fehler nicht eingestehen
Fehler einzugestehen und Kritik von Mitarbeitern anzunehmen wird oft als Führungsschwäche ausgelegt. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Wahre Größe und Kompetenz beweist, wer offen für berechtigte Kritik ist und gegebenenfalls eine Entscheidung rückgängig macht. So gewinnt man als Vorgesetzter Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
Falle 6: Konflikten aus dem Weg gehen
Harmoniebedürftige Führungskräfte sind meist auch konfliktscheu. Sie hoffen insgeheim, dass sich Probleme von selbst lösen, und sprechen Missstände oft viel zu spät an. Ob Fehlverhalten von Mitarbeitern oder Konflikte im Team - Sie sollten Erwartungen frühzeitig nennen, immer konstruktives Feedback geben und rechtzeitig nachsteuern. Klarheit in der Führung ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Und Klarheit und Freundlichkeit schließen sich nicht aus.
Falle 7: Immer eine offene Tür haben
Eine Aussage wie "Sie können jederzeit zu mir kommen" ist fatal. Der Grund: Ungeplante Gespräche bringen den Tagesablauf durcheinander und reißen die Führungskraft bei ihrer jeweiligen Aufgabe aus der Konzentration. Soll heißen: Führen "zwischendurch" ist nicht ratsam. Nehmen Sie sich nach Abstimmung ungeteilte Zeit für Mitarbeitergespräche.
Falle 8: Experten im Fachwissen übertreffen wollen
Es ist ein Trugschluss, als Führungskraft zu glauben, auf jede fachliche Frage eine Antwort haben zu müssen oder jedes Problem lösen zu können. Dafür sind die Fachleute zuständig, nämlich die Mitarbeiter mit ihrem entsprechenden Fachwissen. Der Job des Vorgesetzten ist primär, Führungs- und Steuerungsaufgaben wahrzunehmen. Wer sich als Chef dennoch dafür verantwortlich fühlt, wird schnell zum "Obersachbearbeiter". Tipp: Delegieren Sie, damit Sie Freiräume gewinnen und Ihre Ziele erreichen.

Guter Start

Dann beginnt Holzer, die Basis dafür zu schaffen, dass die Mitarbeiter ihr Misstrauen nach und nach ablegen. Um immer präsent zu sein, nimmt er sich eine Wohnung am Ort der Niederlassung, was Signalwirkung hat. Sein Regionalleiter übernimmt die offizielle Vorstellungsrunde vor seinem gesamten Team. Ohne große Reden zu schwingen, stellt sich Holzer dann menschlich, als Persönlichkeit, vor. Das ist für ihn - als typischen Informatiker - erst einmal ungewohnt, doch sobald er merkt, dass die erste Resonanz darauf positiv ist, gelingt es ihm immer besser. Als nächstes führt er lange Einzelgespräche mit allen Mitarbeitern. Er versteht seine Führungsrolle dabei als die des Zuhörenden, der erfahren will, wie seine Mitarbeiter ticken, welche Stärken, welche Vorstellungen und Erwartungen sie haben. Sein Fokus ist nicht, Leitlinien oder Ziele zu vermitteln, sondern echtes Vertrauen aufzubauen.

Lesetipp: Gute Kommunikation - Hör' mir doch mal zu!

Die Ziele setzt Holzer mit dem Regionalleiter. Bei der Strategie für die Zukunft bindet er die Mitarbeiter ein, wo es sinnvoll ist. Das Team soll erkennen: Wir wollen das alle und sind alle verantwortlich.

Sicherheit und Orientierung geben

Um den Austausch unter den Kollegen zu fördern und alle bei jedem Thema von Anfang an mitzunehmen, wird einmal wöchentlich ein festes Treffen installiert. Das Ziel: Die Mitarbeiter sollen zusammen arbeiten und die Befähigung als Mannschaft annehmen, den Change-Prozess konkret anzugehen.

Feste Treffen fördern den Austausch unter Kollegen.
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Im Gespräch mit mir fasst Holzer seine elementaren Erwartungen und Grundsätze in fünf bis sechs Basisregeln zusammen. Das sind die Regeln, die er in seiner Führungsrolle klar und deutlich kommuniziert. Sie gelten jederzeit und für alle. Ein paar Beispiele:

- Informationen als Bringschuld vereinbaren,

- Schulddiskussionen in Verantwortungsübernahme und Lösungsorientierung umwandeln,

- offene Fehlerkultur mit Lerneffekt,

- Meckerhaltung gegen das Vortragen konkreter Veränderungsvorschläge eintauschen.

Als Führungskraft lernt Holzer, jederzeit konsequent und klar gegenüber seinen Mitarbeitern zu sein. So wird er dauerhaft als klare und verlässliche Persönlichkeit wahrgenommen. Um zu erfahren, welches Bedürfnis nach starker oder lockerer Führung seine Mitarbeiter haben, fragt er sie konkret danach, in welche Führungsrolle er schlüpfen soll. Manche Mitarbeiter wollen tatsächlich klare Handlungsanweisungen.

Eigeninitiative und Mitdenken forcieren

Um die Eigeninitiative des Mitarbeiters zu stärken, fragt der Chef bei jeder zu übergebenden Aufgabe, wie und in welchem Zeitrahmen eine Mitarbeiterin oder Mitarbeiter bzw. das Team sie angehen wolle und vereinbart Rückmeldungen. Bei gutem Ergebnis gibt es Anerkennung. Bei nicht optimalem Verlauf kann im Zuge der Rückmeldung gemeinsam umgesteuert werden. Holzer erfährt, wie seine Leute arbeiten, ist in seiner Führungsrolle immer aktiver Teil des Prozesses, die Mitarbeiter fühlen sich ernst genommen. Als Führungskraft auf Augenhöhe weiß er, dass es viele Dinge gibt, die man delegieren kann, es aber Chefsache sein muss, Veränderung voranbringen und die Mitarbeiter zu mehr Eigenverantwortung zu motivieren. Nach diesen Grundsätzen gestaltet er seine Führungsrolle und die Mitarbeiter nehmen es dankend an.

Im wöchentlichen maximal zwei Stunden dauernden Gruppen-Meeting führt der Niederlassungsleiter eine Agenda ein. Gestartet wird mit positiven Entwicklungen. Es folgen Punkte, die nicht gut gelaufen sind und gemeinsam verbessert werden können. Dann tragen die Mitarbeiter abwechselnd Inhalte aus ihren Bereichen vor.

Der nächste Schritt ist für den neuen Chef, dass dem Team klar wird: Ich weise als Führungskraft den Weg, aber entweder legen wir ihn gemeinsam zurück oder gar nicht. Holzer hält seinen Leuten den Rücken frei, damit sie ihre Arbeitsergebnisse erbringen können. Alle sorgen dafür, dass die Reibungsverluste gering bleiben, sie sich aufeinander verlassen können, Offenheit und Transparenz gepflegt werden und Kleinkriege untereinander ausbleiben.

Das folgende Video zeigt in humoristischer Weise, wie eine Team-Kommunikation von Seiten des Vorgesetzten auf keinen Fall ablaufen sollte.

Anders führen lernen

In kritischen Situationen lernt Holzer, den Führungsgrundsatz "Fragen statt Ausbremsen" zu beherzigen. Statt seinen Unmut zu äußern, erkennt er in den Antworten des Mitarbeiters, dass dieser fast immer in positiver Absicht gehandelt hatte, wenn auch mit "ungutem" Ausgang. So kann er konstruktiv darauf hinwirken, dass der Mitarbeiter seine Handlungsoptionen erweitert.

Der kommissarische Leiter der ehemals schwachen Niederlassung wird statt nach sechs bereits nach vier Monaten zum dauerhaften Niederlassungs- und Vertriebsleiter ernannt. Zum Thema Motivation meint er: "In der Niederlassung tut sich was. Gerade in den kleinen Bereichen, in denen man schnell was bewegen kann, sind wir auf einem guten Weg. Ob es Kundenbindungsprogramme sind oder Produktverkauf gemacht werden soll, wir sind nicht mehr im letzten Drittel." Die Mitarbeiter entwickelten Verständnis dafür, was im Moment wichtig ist.

Was Holzer besonders auffällt: "Als typischer Informatiker habe ich eine klare und eher introvertierte Art, ich dachte immer als Vertriebsleiter mit einer klaren Führungsrolle geht das gar nicht. Aber das Gegenteil ist der Fall - die Art der Führung muss eben zu mir und meinem Stil passen." Was er vor allem gelernt habe, ist, dass er nicht immer alles selbst wissen muss. Es sei viel wichtiger, stattdessen die Mitarbeiter zu fragen. Sie wüssten es in der Regel besser als er. Außerdem trage das "Fragen statt Sagen" zu einer deutlichen Motivation bei den Mitarbeitern bei. Der Manager hätte sich vorher nicht vorstellen können, dass ein lobendes "toll" als Ausdruck einer positiv interpretierten Führungsrolle eine so motivierende Wirkung haben könnte. (kf/bw)